Was ist der "Salafismus"? Und was wollen seine Anhänger, die Salafisten, die spätestens seit ihren Koranverteil-Aktionen in vielen deutschen Innenstädten im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen? Was unterscheidet diese Ideologie vom "Islamismus" und "Wahabismus"? Fundierte Antworten auf diese hochaktuellen Fragen gab Dr. Guido Steinberg, Islamwissenschaftler und Islamismus-Experte von der Stiftung Wissenschaft und Politik, auf der Salafismus-Tagung der Bundeszentrale für politische Bildung im Bonner Collegium Leoninum.
In seinem Einstiegvortrag zu diesem komplexen und facettenreichen Phänomen kritisierte Steinberg zunächst die "pauschale Verwendung des Salafismus-Begriffs in der deutschen Öffentlichkeit als Synonym für radikalen bzw. militanten Islamismus". Dabei sei ein Salafist nicht notwendigerweise radikaler als ein Islamist. Hinter dem Schlagwort "Salafismus", auch "traditioneller Islamismus" oder "Neofundamentalismus" genannt, verberge sich seiner Ansicht nach "eine Spielart des sunnitischen Islamismus, die das Ziel verfolgt, das muslimische Leben nach dem Vorbild des Propheten Mohammed und seiner Weggefährten grundlegend zu reformieren".
Mit anderen Worten: Salafisten zielen in ihren Missionierungsaktivitäten in erster Linie darauf ab, die von ihnen idealisierte Gesellschaft des Frühislams zu neuem Leben zu erwecken. Sie orientieren sich dabei an "den frommen Altvorderen ("as-salaf as-salih", daher die Bezeichnung Salafismus), den Gefährten des Propheten Mohammed und ihren Nachfahren, die nach ihrer Ansicht dank der räumlichen und zeitlichen Nähe zum Propheten ein besonders gottgefälliges Leben führten".
Informationen zum Frühislam entnehmen die heute global aktiven Salafisten einem eng umgrenzten Korpus an Texten und Quellen: dem Koran und der Sunna, der Sammlung der überlieferten Aussagen und Taten des Propheten Mohammed. Die einzelne Überlieferung, hadith genannt, steht meist im Mittelpunkt der salafistischen Bemühungen um die reine Lehre. Denn anhand dieser Texte meinen die Salafisten, Glaube und Lebensweise der frommen Vorbilder detailgenau rekonstruieren zu können. "Man erkennt Salafisten häufig an ihrer wortgetreuen, pedantischen Interpretation der islamischen Rechtsquellen", so Steinberg. Islamisten stellen im Unterschied zu den Salafisten immer die Machtfrage: Sie sind in der Regel politisiert, arbeiten primär an der Errichtung islamischer Staaten und sind weniger an der Doktrin und Glaubenslehren interessiert.
Typologie des Salafismus
Aber mit welchen Mitteln wollen die Salafisten ihre auf der Scharia beruhenden Ordnungsvorstellungen durchsetzen? Darüber sind sie sich uneins. Daher lassen sich drei Haupttypen salafistischer Gruppierungen unterscheiden, die jeweils spezifische Herausforderungen für Politik und Gesellschaft mitbringen: Erstens die Puristen, zweitens die politischen Salafisten und drittens die salafistischen Jihadisten. Während die puristischen Salafisten in erster Linie Missionierungsarbeit betreiben und deshalb als "apolitisch" gelten, stellen die politischen Salafisten, auch Mainstream-Salafisten genannt, die demokratische Grundordnung in Frage. Besonders gefährlich sind jedoch die salafistischen Jihadisten, die Gewaltanwendung im Namen Gottes befürworten. Eine neuartige Kategorie bilden die sogenannten "Takfiristen", eine extrem marginale Strömung des salafistischen Jihadismus, die Laut Steinberg "andere Muslime für ungläubig erklärt, weil sie praktische Allianzen mit säkularen Partnern und Organisationen eingehen". So hätten salafistische Jihadisten Osama bin Laden als Muslim disqualifiziert, weil er mit Nicht-Muslimen angeblich zusammenarbeitete.
Historische Wurzel des Salafismus
Was die historischen Wurzeln des Salafismus angeht, so stellt Steinberg fest: "Man wird dem Phänomen des Salafismus nicht gerecht, wenn man es nicht als Teil einer islamischen Reformbewegung begreift". Denn die Ursprünge des Salafismus gehen auf die Reformbewegung des saudischen Predigers Muhammad ibn Abd al-Wahhab – er lebte von 1703 bis 1792 – zurück.
Abd al-Wahhab vertrat die Ansicht, die Muslime müssten zum reinen, angeblich unverfälschten Islam zurückkehren, wie er im Mekka und Medina des 7.und 8. Jahrhunderts existiert haben soll.
Guido Steinberg spricht im gut besuchten Collegium Leoninum in Bonn. (© Tobias Vollmer/bpb)
Guido Steinberg spricht im gut besuchten Collegium Leoninum in Bonn. (© Tobias Vollmer/bpb)
Zudem sollten sie alle heidnischen Elemente wie den populären Heiligenkult mit Hilfe eines "aktivistischen Monotheismus" beseitigen. Es war die Geburtsstunde des Wahhabismus. Diese puritanische Ideologie avancierte zu einer Art Staatsreligion in Saudi-Arabien durch die Allianz Abd al-Wahhabs mit dem mächtigen Clan der Al-Saud.
Politisch problematisch ist der Wahhabismus als faktische Staatsideologie Saudi-Arabien aus zwei Gründen. "Erstens ist der Wahhabismus durch die gezielte Religionspolitik Saudi-Arabiens expandiert; dies führt zur Stärkung salafistischer Gruppierung weltweit. Und zweitens kritisieren strenggläubige Wahabiten immer wieder die prowestliche Außenpolitik der Herrscherfamilie. Dieser Umstand war mehrfach Anlass für Konflikte und führte letztendlich zur Radikalisierung Bin Ladens und zur Entstehung von al-Qaida", erläutert Islamismus-Experte Steinberg.
Zurzeit stellen extremistische Syrien-Kämpfer aus Deutschland das größte Sicherheitsrisiko dar. Aber wie sollen politische Entscheidungsträger und Sicherheitsbehörden mit den aus dem Bürgerkrieg nach Hause kehrende Salafisten umgehen? Und wie sollten effektive und praktikable Präventionsstrategien aussehen? Grundsächlich empfiehlt Steinberg "eine Mischung aus Gelassenheit und Wachsamkeit bei der Bekämpfung des radikalen Islamismus". Und er plädiert für eine differenzierte Herangehensweise, die die Sympathisanten der militanten Islamisten im Auge behält und gezielt versucht, sie wieder zu gewinnen". Sicherheitsbehörden sollten vor allem den "rechten Rand des Salafismus, wo die Grenze zwischen Mainstream-Salafisten und Jihadisten verlaufen, im Auge zu behalten".
Zur weiteren Vertiefung und Begriffserklärung finden Sie Interner Link: hier Guido Steinbergs Aufsatz "Wer sind die Salafisten?" aus dem Jahr 2012.