Kriegsbeginn und Burgfrieden
Der Weg in den Ersten Weltkrieg erfolgte in Etappen: Am 28. Juni 1914 wurden der österreichisch-ungarische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gattin während eines Besuchs in Sarajevo Opfer eines Attentats, einen Monat später erklärte Österreich-Ungarn mit deutscher Rückendeckung Serbien den Krieg, ab dem 30. Juli folgten Mobilmachungen, täglich neue Kriegserklärungen und der deutsche Einmarsch in Luxemburg und Belgien. Als der Erste Weltkrieg begann, zweifelte kaum jemand in Deutschland an der Rechtschaffenheit seines Heimatlandes. Die öffentliche Meinung in Deutschland glaubte zu diesem Zeitpunkt an einen aufgezwungenen Verteidigungskrieg, etwaige kritische Stimmen wurden von der Zensur unterdrückt. Nicht nur die liberalen und konservativen Parteien, auch die Sozialdemokraten stimmten am 4. August 1914 den Kriegskrediten und verschiedenen Kriegsgesetzen zu. Parteien und Gesellschaft standen fortan unter dem Gebot des Burgfriedens, der alle innenpolitischen Auseinandersetzungen aus dem Parlament und von der Straße verbannte.
Diesem Kurs folgte auch der überwiegende Teil der Frauenbewegung. Die große Mehrheit der Feministinnen sah im Krieg, abgesehen davon, dass sie Deutschland im Recht wähnten, eine einmalige Chance für die Frauenbewegung, sich zu beweisen. Endlich schien die Gelegenheit gekommen, an der Heimatfront zu zeigen, wozu Frauen im Verteidigungsfall fähig sind. Der Großteil der Frauenbewegung wollte helfen und vertrat gleichzeitig die Ansicht, dass sich die Frauen mit dieser Kriegsunterstützung ihr Staatsbürgertum verdienen könnten: Ihrer Leistung würde die politische Gleichberechtigung folgen; der Krieg galt als Bewährungsprobe. Forderungen nach Frauenrechten wurden deshalb nach Kriegsbeginn zurückgestellt.
Auf Initiative der Vorsitzenden des Bundes Deutscher Frauenvereine (BDF), Gertrud Bäumer, gründete sich der Nationale Frauendienst (NFD). Hier arbeiteten fast alle Frauenvereine zusammen, auch solche, die nicht dem BDF angehörten, beispielsweise der Katholische Frauenbund. Erstmals in der Geschichte der deutschen Frauenbewegung kam es zu einer breiten Zusammenarbeit von bürgerlichen und sozialdemokratischen Frauenrechtlerinnen.
Die Arbeit des Nationalen Frauendienstes
Überall im Deutschen Reich entstanden Regionalgruppen des NFD, die vor Ort mit der Kommunalverwaltung und dem Roten Kreuz zusammenarbeiteten. Ein zügiges Handeln war vor allem deshalb möglich, weil sich Frauen engagierten, die schon lange vor dem Krieg durch die Frauenbewegung geschult worden waren und sich zuvor schon in Theorie und Praxis mit sozialpolitischen Fragen beschäftigt hatten. Das Aufgabengebiet des NFD war breit gestreut und berührte alle Bereiche der Wohlfahrtspflege sowie der Fürsorge. Insbesondere galt es, diejenigen Frauen und Familien zu unterstützen, die plötzlich kein Einkommen mehr besaßen, da der Mann an der Front, gefallen oder invalid war.
Die Mitarbeiterinnen des NFD engagierten sich in der Wohnungs-, Kranken- und Kinderfürsorge, halfen Schwangeren und Wöchnerinnen, bauten Volksküchen auf und gaben Anleitungen zum sparsamen Hauswirtschaften, kümmerten sich um Kleidung, errichteten Arbeitsstätten und organisierten Heimarbeit. In einigen Bereichen wurden dabei politische Erfolge erzielt, die die Frauenbewegung vor 1914 nicht hatte durchsetzen können, beispielsweise erhielten nun auch uneheliche Kinder eine staatliche Unterstützung.
Zusätzlich zu den Aktivitäten des NFD richtete das Kriegsamt in der zweiten Kriegshälfte ein eigenes Referat ein, das dazu beitragen sollte, mehr Frauen für die Kriegswirtschaft zu mobilisieren – eine Aufgabe, die für die Kriegsführung immer wichtiger und gleichzeitig immer schwieriger wurde, je länger der Krieg dauerte. In diesem Referat waren Marie-Elisabeth Lüders und Agnes von Zahn-Harnack, beide prominente Mitglieder des BDF, leitend tätig.
Kriegsgegnerinnen
Der Krieg erzeugte innerhalb der Frauenbewegung eine dauerhafte Aufspaltung in denjenigen Teil, der den Krieg unterstützte, und eine kleine pazifistische Minderheit, deren Vertreterinnen zumeist dem radikalen Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung oder der proletarischen Frauenbewegung angehörten. Innerhalb der SPD trat Clara Zetkin, die Führungsfigur der proletarischen Frauenbewegung und Sekretärin der Sozialistischen Fraueninternationale, weiterhin für ihre internationalen Anschauungen ein. Diese vertrat sie auch in der von ihr redigierten Zeitschrift "Die Gleichheit", allerdings musste sie seit Kriegsbeginn massive Eingriffe durch die Zensur hinnehmen. Zetkin war maßgeblich an der Organisation einer internationalen sozialistischen Frauenkonferenz beteiligt, die Ende März 1915 in Bern abgehalten wurde. Von den 25 Teilnehmerinnen aus acht Ländern, reisten sieben Frauen aus Deutschland an. Die Konferenz verurteilte den Krieg scharf, wodurch Zetkin nicht nur in Konflikt mit dem Staat geriet – sie wurde verhaftet und danach streng überwacht –, sondern auch mit der eigenen Partei, die am nationalen Kriegskurs festhielt. Als sich Anfang 1917 die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) von der Mehrheitsposition der SPD abspaltete, trat Zetkin – ebenso wie viele andere Kriegsgegnerinnen – der USPD bei.
Auch die bürgerliche Frauenbewegung besaß aus der Vorkriegszeit intensive Kontakte zu ausländischen Frauenvereinen und war in den beiden internationalen Frauenorganisationen "Internationaler Frauenweltbund" und "Weltbund für Frauenstimmrecht" vertreten. Beide Verbände beschlossen, während der Kriegszeit keine internationalen Treffen abzuhalten.