Aktuelle Konfliktsituation
Seit dem Überfall der palästinensischen Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem Einmarsch der israelischen Armee in den Gaza-Streifen haben die jemenitischen Huthis zwischen Oktober 2023 und Juni 2024 mehr als 100 Angriffe auf Israel und die internationale Schifffahrt im Roten Meer durchgeführt. Als Reaktion auf die Angriffe kam es zu Gegenschlägen der USA, Großbritanniens und Israels auf Ziele in den von den Huthis kontrollierten Gebieten. Ihr proklamiertes Eintreten für die Bevölkerung Gazas hat den Huthis eine bisher nie dagewesene Popularität in der pro-palästinensischen Bevölkerung der arabischen Welt eingebracht. Die seit Mitte 2024 verstärkte Zusammenarbeit mit anderen Akteuren der vom Iran geführten „Achse des Widerstands“ gegen Israel, darunter der Hisbollah im Libanon sowie der Kata’ib Hisbollah und dem „Islamischen Widerstand“ im Irak, zeugen vom Anspruch der Huthis, künftig eine bedeutendere Rolle in der Region spielen und ihre Verhandlungsposition gegenüber den anderen Akteuren innerhalb des Jemens stärken zu wollen.
De facto ist der Jemen in zwei Landesteile gespalten: Der bevölkerungsreiche Norden steht unter der Kontrolle der Huthis; der Süden und Osten stehen unter der sehr fragilen Kontrolle der international anerkannten Regierung (IAR). Diese wird in ihrem Bemühen, die politische Macht im Jemen wiederzuerlangen, seit 2015 von einer von Saudi-Arabien geführten politischen und militärischen Koalition (SGK) unterstützt. Das militärische Eingreifen der Koalition wurde durch Resolution 2216 des UN-Sicherheitsrats von 2015 legitimiert, die u.a. den Rückzug der Huthis aus allen Gebieten, einschließlich der Hauptstadt Sanaa, fordert. Die Koalition ist jedoch in sich gespalten. Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) verfolgen zunehmend konkurrierende Interessen zu Saudi-Arabien, insbesondere im südlichen Jemen. Dort werden inzwischen große Landesteile mit der Hauptstadt Aden vom „Südübergangsrat“ und den mit ihm affiliierten Sicherheitskräften kontrolliert. Der 2017 gegründete Rat strebt langfristig die Etablierung eines unabhängigen „Südarabiens“ an. Der Südübergangsrat und die mit ihm verbündeten Sicherheitskräfte werden von den VAE unterstützt.
Eine Anfang April 2022 vom UN-Sondergesandten Hans Grundberg ausgehandelte Waffenruhe zwischen den Huthis und der IAR konnte im Oktober 2022 aufgrund von neuen kurzfristigen Forderungen der Huthis nicht verlängert werden, hält aber dennoch mehr oder weniger. Seitdem hat sich der Konflikt auf die wirtschaftliche Ebene verlagert. Ende 2022 bombardierten die Huthis von der IAR kontrollierte Häfen, um die Regierung dazu zu zwingen, Einkünfte aus Öl- und Gasexporten mit den Autoritäten in Sanaa zu teilen. Der Einbruch an Einnahmen aus den Exporten hat die IAR schon mehrfach an den Rand des Bankrotts gebracht, der nur durch finanzielle Unterstützung von Saudi-Arabien verhindert werden konnte. Gegenmaßnahmen der IAR, zuletzt Restriktionen der Zentralbank in Aden Mitte 2024, welche die Huthis finanziell in Bedrängnis brachten, wurden auf Druck Saudi-Arabiens zurückgenommen.
Das saudische Königreich strebt einen Ausgleich mit den Huthis an und verfolgt daher einen konzilianteren Kurs. Seit April 2022 steht Saudi-Arabien in Verhandlungen mit den Huthis, die im April, September und Dezember 2023 zu gegenseitigen Besuchen hochrangiger Delegationen in Sanaa und Riad geführt haben. Der Abschluss eines Abkommens zwischen den beiden Kriegsparteien, welches die zeitweilige Zahlung von Gehältern im öffentlichen Sektor, inkl. der Sicherheitskräfte, beinhaltet, befindet sich in der Diskussion.
Ursachen und Hintergründe
Die wichtigsten Konfliktparteien sind die Huthis auf der einen Seite und IAR auf der anderen Seite. Die Huthis waren 2014 eine Allianz mit dem 2011 gestürzten Präsidenten Ali Abdallah Salih eingegangen. Diese Allianz kontrollierte ab September 2014 die Hauptstadt Sanaa. Im Dezember 2017 wurde Salih von den Huthis getötet, die seitdem die alleinige Kontrolle über Sanaa und den Norden des Landes ausüben. Dort haben sie in den letzten Jahren zunehmend ihre Macht konsolidiert und einen repressiven Polizeistaat aufgebaut. Zuletzt verhafteten sie Mitte 2024 in einer konzertierten Aktion zahlreiche jemenitische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter humanitärer und zivilgesellschaftlicher Organisationen unter dem Vorwurf, Mitglieder in einem „amerikanisch-zionistischen Spionagenetzwerk“ zu sein.
Der Krieg im Jemen ist Resultat des gescheiterten Transitionsprozesses nach den Umbrüchen des „Arabischen Frühlings“ von 2011. Nach dem in der Golfkooperationsrats (GKR)-Initiative vereinbarten Rücktritt von Präsident Salih, gegen dessen Regime sich die Proteste hauptsächlich richteten, übernahm im Februar 2012 dessen Stellvertreter, Abd Rabbo Mansur Hadi, als Übergangspräsident die Regierungsgeschäfte. Zwar sollten eine Reform des Sicherheitssektors und eine Nationale Dialogkonferenz (NDK) dabei helfen, die im Zuge der Protestbewegung entstandene Spaltung von Bevölkerung, Politik und Militär zu überwinden. Eine neue Verfassung und Wahlen sollten folgen. Doch die in der GKR-Initiative vereinbarten Reformen wurden nur halbherzig umgesetzt. Sie krankten u.a. daran, dass neue politische Kräfte, wie die Huthis, die an den Protesten von 2011 beteiligte „Jugend“
Die Entwicklung lief auf die Fortsetzung der Herrschaft der etablierten Eliten hinaus. Im September 2014 nahm die Huthi/Salih-Allianz die Hauptstadt Sanaa ein und zwang die Übergangsregierung zum Rücktritt. Eine neue Regierung aus Technokraten unter Premierminister Khaled Bahah wurde eingesetzt, trat dann jedoch im Januar 2015 aus Protest gegen die fortgesetzte Einmischung der Huthis in die Regierungsarbeit zurück. Zuvor war bereits der Konflikt zwischen Übergangspräsident Hadi und den Regierungstruppen auf der einen Seite und Kräften der Huthi/Salih-Allianz auf der anderen Seite eskaliert.
Für Saudi-Arabien stellte das ab März 2015 andauernde militärische Engagement im Jemen eine enorme Belastung dar. Die saudische Regierung sah sich wegen der Bombardierung ziviler Ziele und der (Teil-)Blockade von Flughäfen und Häfen mit massiver Kritik aus der internationalen Gemeinschaft (darunter auch die Vereinten Nationen) konfrontiert. Insgesamt führten bis zum Beginn des Waffenstillstands im April 2022 mehr als 25.000 saudische Luftschläge zu über 9.000 Todesopfern und über 10.000 Verletzten unter der Zivilbevölkerung im Jemen.
Die Reputation des Königshauses wurde massiv beschädigt. Trotz dieses umfassenden Militäreinsatzes konnten die Huthis nicht besiegt werden. Ganz im Gegenteil: Zwischen 2021 und 2022 griffen die Huthis Ziele in Saudi-Arabien und den VAE mit Drohnen an. Aus dem Iran erhielten die Huthis militärische Unterstützung und Waffenlieferungen, die die Beziehungen zwischen der Islamischen Republik und den Huthis intensivierten. Teheran zielt mit dieser Strategie darauf ab, den eigenen Einfluss im Jemen auszuweiten und damit den Druck auf den regionalen Rivalen Saudi-Arabien zu erhöhen, ohne das Risiko einer direkten Konfrontation einzugehen.
Außerdem bestehen Spannungen zwischen den Verbündeten Saudi-Arabien und den VAE. Grund dafür ist die fortgesetzte Präsenz der VAE trotz des 2019 offiziell verkündeten Truppenabzugs und die Unterstützung für den Südübergangsrat und andere Sicherheitskräfte im Süden und Osten des Landes. Die VAE streben nach einer Vormachtstellung im südlichen Jemen, um ihre maritimen Handelswege entlang der dortigen Küste und am Horn von Afrika mit Hafenbeteiligungen in Aden, Hadhramaut, Shabwa, and Ta’iz sowie einer Präsenz auf der Insel Sokotra zu sichern. Insgesamt sollen die VAE 90.000 Sicherheitskräfte im Jemen ausgebildet haben.
Bearbeitungs- und Lösungsansätze
Der Anschlag der Huthis auf saudische Ölraffinieren im September 2019 und die sich zuspitzende Rivalität mit den VAE hat Riad die eigene Verwundbarkeit vor Augen geführt und einen schrittweisen Strategiewechsel bewirkt. Wurde bislang die Zurückdrängung des iranischen Einflusses (auch im Jemen) mit militärischer Unnachgiebigkeit und Interventionismus verfolgt, zeichnet sich inzwischen ein pragmatischerer Kurs ab: Die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zu Iran im März 2023 ist mit der Hoffnung verbunden, dass Iran seine Unterstützung für die Huthis reduziert und darauf einwirkt, Angriffe auf saudische Ziele zu unterlassen. Gleichzeitig will Riad eine erneute Eskalation mit den Huthis vermeiden.
Bislang scheint diese Strategie aufzugehen, allerdings könnte die regionale Eskalation aufgrund des Gaza-Konflikts dazu führen, dass auch saudische Ziele wieder ins Visier der Huthis geraten. Immerhin hat das Königreich bis zum Hamas-Anschlag am 7. Oktober 2023 mit der israelischen und US-amerikanischen Regierung über eine Normalisierung der Beziehungen zu Israel verhandelt. Als Gegenleistung fordert Riad Sicherheitsgarantien von den USA. Durch den Gaza-Konflikt sind die Gespräche mit Israel und den USA zwar ausgesetzt, dennoch könnten die Huthis Saudi-Arabiens angebliche „pro-israelische“ Haltung als Anlass nehmen, mit neuen Angriffen zu drohen. Zugleich üben sie weiterhin Druck auf die IAR aus, die Huthis in Bedrängnis bringende Maßnahmen auf wirtschaftlicher Ebene (siehe oben) zurückzunehmen. Damit wurde die Position der Huthis sowohl innerjemenitisch als auch gegenüber Saudi-Arabien und in den Verhandlungen mit der UNO weiter gestärkt.
Die UNO bemüht sich seit Beginn des Konfliktes vergeblich um eine Beendigung der militärischen Auseinandersetzung. Im Dezember 2023 verkündete der UN-Sondergesandte für den Jemen einen neuen „Fahrplan“ für Friedensverhandlungen.
Der Großteil dieser Punkte entspricht Forderungen der Huthis und dient damit ihrer Machtkonsolidierung. Der von Seiten Saudi-Arabiens und der internationalen Gemeinschaft immer wieder ausgeübte Druck auf die IAR, sich gegenüber den Huthis und ihren Forderungen kompromissbereit zu zeigen, schwächt ihre politische Position. Die Huthis sehen sich derzeit als Sieger – sowohl gegenüber Saudi-Arabien als auch im innerjemenitischen Konflikt. Das bestärkt sie in ihrer Entschlossenheit, nur dann Kompromisse einzugehen, wenn diese ihren Interessen dienen.
Jemen administrativ. (mr-kartographie) Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de
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Geschichte des Konflikts
Die Wurzeln der aktuellen Konflikte liegen in der zunehmend autoritären und spalterischen Herrschaft des Langzeit-Präsidenten Ali Abdallah Salih, der seit 1978 Nordjemen und seit der Vereinigung mit dem Süden 1990 den gesamten Jemen regierte. Insbesondere im Norden säte Salih Misstrauen zwischen den Stämmen, um sie gegeneinander aufzubringen und ihre Handlungsfähigkeit zu schwächen. Zudem marginalisierte er die mit dem traditionellen Herrschaftssystem verbundene schiitische Strömung der Zaydiyya, der er selbst entstammte. Das Herzland der Zaydiyya liegt in der Provinz Sa’da an der Grenze zu Saudi-Arabien. Aus der religiösen Elite der Zaydiyya, den als Haschemiten bezeichneten Prophetennachkommen, gingen bis zur Revolution in den 1960er Jahren die Imame hervor, die im Norden herrschten.
Die Marginalisierung der Zaydiyya gelang Salih u.a., indem er Saudi-Arabien erlaubte, die Ausbreitung der Wahhabiyya im Jemen zu fördern. Auch aufgrund dieser Politik entstanden die Huthis, die sich im Widerstand gegen die politische und kulturell-religiöse Marginalisierung der Zaydiyya formierten. Von 2004 bis 2010 lieferten sich die Huthis in der Provinz Sa’da mit der Regierung Salih eine Abfolge von sechs brutalen Kriegen. Der Name der Gruppe geht auf die sie anführende Familie al-Huthi zurück. Doch nicht alle Zayditen unterstützen die Huthis.
Auch die Südliche Bewegung ist aus einer systematischen ökonomischen, politischen und kulturellen Marginalisierung durch das Salih-Regime nach dem Bürgerkrieg 1994 hervorgegangen. In diesem wollte der Süden vier Jahre nach der Vereinigung der beiden Landesteile seine Unabhängigkeit zurückerlangen. Doch der Norden gewann diesen Konflikt. In der Folge entließ Salih tausende südjemenitische Bedienstete aus Militär und Verwaltung. Wichtige Posten im Süden wurden mit Nordjemeniten besetzt und strategisch wichtige Gebiete an nordjemenitische Eliten vergeben. Auch die eigenständige Geschichte des Südjemen vor 1990 wurde verleugnet. Den ersten Protesten der südlichen Bewegung 2007 schlossen sich zunehmend mehr Unterstützerinnen und Unterstützer an, auch, weil Salih diesen Proteste immer wieder mit Gewalt begegnete.