Bei allen Differenzen gibt es eine Reihe gemeinsamer Merkmale des modernen politischen Extremismus. Hierzu gehören der Absolutheitsanspruch der eigenen Auffassungen, Dogmatismus, die Unterteilung der Welt in Freund und Feind, aber auch Verschwörungstheorien und Fanatismus (Backes 1989: 298ff.). Extremistische Ideologien sind geschlossene Denkgebäude, die von ihren Anhängern angewandt oder ausgelegt, nicht aber reflektiert und fortentwickelt werden. Sie haben einen quasi-religiösen Status, sie werden nicht diskutiert sondern geglaubt. Politik besteht nicht aus einer Programmatik, Politik ist vielmehr Weltanschauung, die alle Lebensbereiche regelt.
Sie gilt als ewiggültig oder von Natur aus wahr. Der Glaube an Volksgemeinschaft und Nation oder an die historische Mission der Arbeiterklasse und die Diktatur des Proletariats oder an die Vorschriften des Koran und den islamischen Gottesstaat treten an die Stelle politischer Programmatiken, denen es um die Diskussion und Durchsetzung von rationalen Zielen geht. Der ewige Überlebenskampf – gegen die "Verräter" und "Ungläubigen" oder die "jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung" oder die "kapitalistische Ausbeutung" und den "Imperialismus" – und die Utopie einer "homogenen Volksgemeinschaft", einer "klassenlosen Gesellschaft" oder eines "Gottesstaates" gelten nicht als diskussionswürdige Programme, sondern als substantielle und unverrückbare Grundfesten des politischen Glaubensbekenntnisses.
Die demokratische Idee der Herrschaft auf Zeit und der beständigen Legitimation und Kontrolle der politischen Führung durch ein institutionelles System von checks and balances ist dem politischen Extremismus fremd, denn sie unterläuft das Bild eines starken Staates. Das Führerbild der extremen Rechten basiert auf der Idee der organischen Entwicklung der Volksgemeinschaft. Führer ist, wer sich durchsetzt, ihm gebührt unbedingte Treue und Gehorsam. Auch die extreme Linke agiert mit einem Führerbild, das jedoch anders legitimiert ist. Arbeiterführer ist der am meisten klassenbewusste unter den Arbeitern, die Staatsführung soll in den Händen eines Gremiums liegen, das die Interessen der Arbeiterklasse monolithisch verkörpert und repräsentiert. Das Führerbild auf beiden Seiten ist elitär. Das sozialdarwinistisch-organische Modell der Auslese durch Kampf, Sieg und Niederlage prägt rechtsextreme Vorstellungen. Auf der extremen Linken dominiert die Idee einer besonders klassenbewussten Schicht von Berufsrevolutionären, wie sie Lenin vor der russischen Revolution 1917 entworfen und propagiert hatte.
Trotz dieser Gemeinsamkeiten gibt es im Hinblick auf Entstehungsgeschichte, Ziele und Mittel erhebliche Unterschiede. Sie zeigen sich besonders deutlich in ihrer historischen Stellung zum Anfangspunkt der modernen demokratischen Gesellschaft, der Französischen Revolution und der von ihr ausgehenden modernen europäischen Verfassungsgeschichte. Sozialistische und kommunistische Bewegungen teilen die liberalen Ideen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, interpretieren sie auf ihre Weise und sehen ihre Ziele durchaus im Einklang mit den revolutionären Ideen. Vor allem erweitern sie die liberale Forderung nach Rechtsgleichheit um die Dimensionen wirtschaftlicher und sozialer Gleichheit. Das Menschenbild der extremen Linken ist davon ebenso stark geprägt wie von der Idee der in solidarischer Aktion der Arbeiterklasse durchgeführten Emanzipation des Menschen aus den Fesseln der kapitalistischen Ausbeutung, wie es Marx und Engels in ihren Werken dargelegt haben. Im Unterschied zum reformorientierten demokratischen Sozialismus sieht die extreme Linke den Kapitalismus in einer tiefen Krise und ist bestrebt, durch revolutionäre Aktion den Sturz des Kapitalismus herbeizuführen um dann die sozialistische Gesellschaftsordnung zu errichten.
Die extreme Rechte lehnt die Ideen der französischen Revolution ab. Im Mittelpunkt steht nicht die Idee gleichberechtigter und selbstbewusster Bürger, sondern die Volksgemeinschafts-Ideologie. Volk ist hier nicht die Gemeinschaft der Staatsbürger, sondern lebendiger Organismus. Der Einzelne ist Teil eines Volkes, er steht ihm aber auch in seiner individuellen Existenz gegenüber. Aus dieser Spannung entwirft die extreme Rechte ein Menschenbild, das sich an vorgeblich ewigen Naturgesetzen und der historischen Größe und Überlegenheit des Volkes orientiert. Gegen die emanzipativen Bewegungen seit der Aufklärung und der Französischen Revolution setzt die extreme Rechte die Verwurzelung des Individuums in Familie, Volk, Nation und Tradition einerseits und seine genetische Determination andererseits. Der Einzelne ist Diener seines Volkes, dem er ethnisch und kulturell unaufhebbar angehört. Biologische, angeborene Grundausstattung und althergebrachte, im Volk verwurzelte Verhaltensmuster begrenzen einen Verhaltensspielraum, der mythisch aufgeladen wird: Ehre und Treue, Hingabe an den Führer, heldische Tugenden wie Wagemut und Opferbereitschaft ästhetisieren das rechtsextreme Menschenbild zu einem vorgeblich natürlichen, der kritischen Reflexion entzogenen Verhaltensstil.
Rechts- und Linksextremismus haben eher reservierte bis ablehnende Einstellungen gegenüber der Religion und dem Christentum, bei beiden gilt der Primat der Politik. Hier ist der zentrale Unterschied zu sehen gegenüber dem Islamismus. Er betont die Einheit von Religion und Politik, die Idee des islamischen Gottesstaates basiert gerade darauf, dass es keine Trennung gibt und dass die Religion des Islam alle staatlichen und gesellschaftlichen Bereiche durchdringt. Doch Rechts- und Linksextremismus führen religiöse Momente auf eine andere Weise in ihre Ideologie wieder ein: Man könnte sie als politische Religionen betrachten, indem sie nämlich zentrale weltanschauliche Grundlagen quasi-religiös verfestigen: den Glauben an den Führer, an die historische Mission der Partei oder der Arbeiterklasse. Die politische Ästhetik der Massenveranstaltungen etwa der NSDAP vor und nach 1933, besonders bei den Reichsparteitagen, gleicht im Ablauf in frappierender Weise kirchlichen Zeremonien.
Der Islamismus betont die Einheit von Religion und Staat und er politisiert und instrumentalisiert die Religion des Islam. Die Grundprinzipien der westlichen Staats- und Gesellschaftsordnung sind ihm nicht nur fremd, er lehnt sie in militanter Weise ab: Grund- und Menschenrechte, Demokratie und Gewaltenteilung, Rechtsstaat. Man könnte noch einen Schritt weiter gehen und die Differenzen ausweiten auf andere gesellschaftliche Teilbereiche. Schon Max Weber hat in seiner 1905 erschienenen berühmten Abhandlung über "Die protestantische Ethik und den Geist des Kapitalismus" auf fundamental unterschiedliche Entwicklungspfade verwiesen: wissenschaftlich-experimentelles Denken, rationales Verwaltungshandeln, Expertentum, juristische Kasuistik und wirtschaftlich-kapitalistisches Denken und Verhalten – all dies gab es nur im Okzident, nicht aber, oder nur schwach ausgeprägt, in anderen Kulturkreisen (Weber 2005: 7ff.). Von daher macht es durchaus Sinn, nicht allein von einer politisierten Religion beim Islamismus auszugehen, sondern von einer viel tiefer reichenden Frontstellung gegen den Westen, gegen den gesamten westlichen way of life.
Aus: Hans-Gerd Jaschke: Politischer Extremismus, Wiesbaden 2006, VS Verlag für Sozialwissenschaften. Der Band aus der Reihe "Elemente der Politik", hrsg. v. Hans-Georg Ehrhart, Bernhard Frevel, Klaus Schubert und Suzanne S. Schüttemeyer ist als Lizenzausgabe bei der Bundeszentrale für politische Bildung erschienen und kann hier bestellt werden.