Neonazistischen Gruppen und der rechtsextremen NPD gelingt es in Sachsen-Anhalt zunehmend, sich öffentlich in Szene zu setzen:
So fand im Dezember 2006 die Störung einer Veranstaltung gegen Rechtsextremismus in der Magdeburger Staatskanzlei durch Neonazis ein breites Medienecho. Mitglieder der örtlichen Kameradschaft sowie der NPD-Jugendorganisation, Junge Nationaldemokraten, standen während des Benefiz-Konzerts von ihren Plätzen auf und warfen Flugblätter in das sichtlich überraschte Publikum. Zugleich versuchten weitere Neonazis in Richtung Bühne zu stürmen und dort ein Transparent zu entrollen. Im Januar 2006 hatte der gleiche Kreis von Neonazis als "Initiative gegen Jugendkriminalität" versucht, in der ersten Sitzung des Rundes Tisches gegen Gewalt in Pömmelte teilzunehmen. In dem Ort war zuvor ein afrodeutscher Schüler durch Rechtsextreme brutal misshandelt worden.
Solche Fälle gibt es bundesweit immer wieder. Es ist bei Diskussionsrunden aber keinesfalls zumutbar, dass beispielsweise Opfer rechter Gewalttäter mit Tätern gemeinsam diskutieren müssen.
Damit es von vornherein für Veranstalter nicht zu solchen verängstigenden oder verunsichernden Situationen kommt, hat der Verein Miteinander e.V. im Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt im März 2007 einen Ratgeber zu diesem Thema herausgegeben, der Titel:
Streiten mit Neonazis? Zum Umgang mit öffentlichen Auftritten von Rechtsextremisten. Eine Handreichung auf der Basis von: Wir aben die Wahl! Empfehlungen zum Umgang mit rechtsextremen Organisationen im Wahlkampf: Eine gemeinsame Publikation der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus inB erlin MBR), der Netzwerkstellen [moskito ] und Licht- Blicke sowie des Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum (apabiz) .V.«, Berlin 2006.
Auszüge:
In Fällen wie dem beschriebenen wird häufig die Frage gestellt, ob es nicht sinnvoller sei, mit den anwesenden Neonazis zu diskutieren, um diese zu demaskieren. Dies ist jedoch mit Blick auf die Gesprächsituation schwerlich umzusetzen. Die Erfahrungen zeigen, dass geschulte Neonazis in Diskussionen mit rhetorischen und inhaltlichen Wiederholungen arbeiten. Dies bedeutet, die immer gleiche Aussage rhetorisch so zu variieren, dass die Gesprächspartner/innen ihrerseits jedes Mal erneut zu einer eigenen Argumentation ausholen müssen. Dies verschafft den Neonazis einen nicht einholbaren Gesprächsvorteil. Dadurch gelingt es den Neonazis, nicht nur die thematische Agenda des Gesprächs, sondern auch die Rollenverteilung zu bestimmen.
Politisches Mimikry - Die Kunst der Verstellung
Um als gleichberechtigter Diskussionspartner akzeptiert zu werden, greifen Neonazis zu einer einfachen, leider aber wirksamen Form der Verstellung. Da eine öffentliche Akzeptanz unter der Flagge originär neonazistischer Themen nicht zu erlangen ist, eignet man sich Themen und Aktionsformen an, die in der Bevölkerung als vermittelbar gelten. Daher wählen neonazistische Gruppen für ihre öffentlichen Auftritte so irreführende Eigennamen wie "Jugendinitiative gegen Kriminalität" oder "Bürgerinitiative gegen Drogen". In der öffentlichen Selbstdarstellung versucht man das Klischeebild des kahlköpfigen Schlägers tunlichst zu vermeiden. Stattdessen tritt man als scheinbar normaler politischer Akteur auf, der berechtigte Interessen innerhalb des demokratischen Meinungsspektrums vorgibt. Dabei geht es aus Sicht der Neonazis immer um einen Kampf um die Deutungshoheit und die Möglichkeit, öffentliche Räume mit eigenen Themen zu besetzen. Wie also handeln?
Was tun im Vorfeld einer Veranstaltung
Veranstalten Sie keine Podien und Diskussionsveranstaltungen gemeinsam mit Vertreter/innen der NPD/JN oder anderer rechtsextremer Organisationen. Koordinieren Sie sich als Teilnehmende im Vorfeld von Veranstaltungen mit den anderen demokratischen Parteien und Podiumsteilnehmer/innen:
Versuchen Sie im Vorfeld darauf hinzuwirken, dass Veranstalter/innen und Schulen rechtsextreme Vertreter/innen nicht einladen.
Machen Sie deutlich, dass Sie eine Teilnahme an Podien und Veranstaltungen, zu denen auch Vertreter/innen rechtsextremer Organisationen eingeladen sind, ablehnen werden.
Sorgen Sie dafür, dass die Ablehnung im Schulterschluss mit allen anderen demokratischen Parteien und Teilnehmer/innen geschieht.
Verständigen Sie sich vor der Veranstaltung mit allen anderen demokratischen Parteien und Teilnehmer/innen über eine gemeinsame inhaltliche Begründung für ihre Ablehnung, nd geben Sie diese entweder gemeinsam oder jeweils individuell zur Kenntnis.
Wirken Sie in der Vorbereitung gegenüber den Veranstalter /innen darauf hin, dass es sich insbesondere an Schulen um eine geschlossene Veranstaltung handeln sollte, die sich auf einen beschränkten Teilnehmer/innenkreis, bestehend aus Schüler/innen, Lehrer/innen und eigens geladenen Gästen bezieht.
Bieten Sie gegebenenfalls an, über die NPD/JN oder andere rechtsextreme Organisationen und ihre Ideologie auf einer Veranstaltung, nicht aber mit ihnen selbst zu diskutieren. Dies ist insbesondere bei Veranstaltungen an Schulen zu empfehlen.
Sollten Sie dennoch mit Rechtsextremen und ihren Positionen konfrontiert werden:
Seien Sie inhaltlich vorbereitet auf die zentralen rechtsextremen Argumentationsmuster und politischen Themenfelder.
Geben Sie vor Ihrer eigentlichen Rede eine Erklärung ab, dass es nicht Ihrem Wunsch entspricht, hier gemeinsam mit rechtsextremen Organisationen zu sitzen, da sie außerhalb des demokratischen Grundkonsenses stehen.
Gehen Sie als Moderator/in kommunikativ nicht auf deren Parolen ein. Weisen Sie diese gegenüber dem Publikum offensiv zurück, ohne sich von den rechtsextremen Akteuren in eine Diskussion verwickeln zu lassen.
Achten Sie darauf, dass rassistische, antisemitische, sexistische, menschenverachtende und den Nationalsozialismus leugnende oder verharmlosende Äußerungen nicht unhinterfragt stehen bleiben. Widersprechen Sie aktiv!
Für einen möglichst reibungslosen Ablauf von (Wahlkampf-)Veranstaltungen ohne rechtsextreme Besucher/innen oder Störer/innen können Sie vor allem durch eine sorgfältige Vorbereitung sorgen.
Aus rechtlicher Sicht bietet Ihnen das Hausrecht Möglichkeiten, unerwünschte Personen von Veranstaltungen auszuschließen.
Hausrecht durchsetzen
Für den Ausschluss von Personen auf Veranstaltungen bzw. Versammlungen gibt es nach dem Versammlungsgesetz (VersG), das auch für Veranstaltungen in geschlossenen Räumen gilt, grundsätzlich zwei Möglichkeiten:
1. In der Einladung zur Veranstaltung Können nach § 6 VersG bestimmte Personen oder Personenkreise von der Teilnahme ausgeschlossen werden.
2. Während der Veranstaltung Können nach § 11 VersG Teilnehmer/innen, Welche die Veranstaltung "gröblich stören", on der Veranstaltungsleitung ausgeschlossen werden.
In beiden Fällen wird der Ausschluss über das Hausrecht, as die Veranstaltungsleitung hat, umgesetzt. Der/die Veranstalter/in kann die Leitung und damit das Hausrecht auch einer anderen Person übertragen.
Eingrenzung des Teilnehmendenkreises
Bereits in der Einladung (in Briefen, -Mails) und in öffentlichen Ankündigungen müssen Sie darauf hinweisen, dass die betreffenden Personen (Rechtsextreme) nicht erwünscht sind. Die Ausschlussklausel könnte wie folgt lauten: Die Veranstaltenden behalten sich vor, von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen und Personen, die rechtsextremen Parteien oder Organisationen angehören, der rechtsextremen Szene zuzuordnen sind oder bereits in der Vergangenheit durch rassistische, nationalistische, antisemitische oder sonstige menschenverachtende Äußerungen in Erscheinung getreten sind, den Zutritt zur Veranstaltung zu verwehren oder von dieser auszuschließen. Ist ein solcher Ausschluss bereits in der Einladung erfolgt, kann die Veranstaltungsleitung die ausgeschlossenen Personen daran hindern, an der Veranstaltung teilzunehmen. Wollen sie den Veranstaltungsort dennoch betreten, kann die Veranstaltungsleitung mit Hilfe der Polizei die unerwünschten Personen vom Veranstaltungsort entfernen lassen.
Ausschließen von Teilnehmenden
Nach § 11 VersG kann der/die Veranstaltungsleiter/inTeilnehmende, welche die Ordnung gröblich stören, von der Veranstaltung ausschließen (Abs.1). Eine "gröbliche Störung der Versammlungsordnung" ist gegeben, wenn die Störung "nach Form und Inhalt des Verhaltens besonders schwer empfunden wird".
Das subjektive Bedrohungsgefühl von (potenziellen) Opfergruppen kann eventuell dieses Kriterium erfüllen. Auch die Veränderung des Versammlungscharakters durch Wortergreifung ist möglicherweise eine gröbliche Störung der Versammlungsordnung. "Wer aus der Versammlung ausgeschlossen wird, hat sie sofort zu verlassen." Sollten die unerwünschten Personen nach entsprechender Aufforderung den Veranstaltungsort nicht verlassen, muss die Polizei zu Hilfe geholt werden. Ein zwangsweiser Ausschluss von der Versammlung kann ausschließlich durch die Polizei vollzogen werden. Personen, die Waffen bei sich führen, müssen von dem/der Versammlungsleitenden ausgeschlossen werden. Dies gilt gegebenenfalls auch für Teilnehmende, die gegen Strafgesetze verstoßen, die ein "von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben" oder dazu aufrufen (Zeigen verfassungswidriger Kennzeichen, Volksverhetzung, Körperverletzung, etc.), wenn sie dieses Verhalten trotz Abmahnung fortsetzen.
Checkliste für das Gelingen von Veranstaltungen in geschlossenen Räumen
Vorbereitung der Veranstaltung
Klären Sie, wer das Hausrecht hat. Grundsätzlich hat der/die Veranstaltungsleiter/in das Hausrecht, kann dieses aber an Dritte übertragen.
Verschaffen Sie sich Klarheit über Ziel und Zielgruppe sowie Art der Veranstaltung (öffentlich oder geschlossen).
Schließen Sie nach Möglichkeit Rechtsextreme bereits in der Einladung (Flyer, Plakate, Briefe etc.) aus.
Geben Sie erst eine Pressemitteilung heraus, wenn Sie sicher sind, dass die Veranstaltung öffentlich bleiben soll.
Suchen Sie im Vorfeld von öffentlichen politischen Veranstaltungen den Kontakt zur Polizei und besprechen Sie Szenarien/Strategien (Sicherheitspartnerschaft). Lassen Sie sich für den Zeitraum der Veranstaltung von der Polizei die zuständigen Ansprechpartner/innen mit eigener Telefonnummer (nicht 110) geben.
Der/die Veranstaltungsleiter/-in kann darauf bestehen, dass Polizei vor Ort ist, um die Veranstaltung zu schützen.
Bemühen Sie sich um einen Ordnungsdienst, welcher sowohl örtliche, als auch überregional agierende Rechtsextreme kennt. Holen Sie dazu rechtzeitig Unterstützung von szenekundigen Institutionen.
Besetzen Sie den Einlassbereich rechtzeitig vor Veranstaltungsbeginn mit einer ausreichenden Anzahl von Personen bzw. Ordner/innen.
Bitten Sie Teilnehmer/innen aus den eigenen Kreisen, schon früher als offiziell bekannt gegeben zur Veranstaltung zu erscheinen.
Besetzen Sie wichtige Plätze und Positionen (erste und letzte Stuhlreihe, Plätze an Gängen, Türen, Bühnenaufgängen, Saalmikrofonen, Lichtschaltern u.ä.) rechtzeitig vor Beginn der Veranstaltung mit Ihnen bekannten Personen.
Verhindern Sie das Eindringen von unerwünschten Personen – gewaltfrei, aber konsequent.
Sprechen Sie (bei Veranstaltungen in geschlossenen Räumen) den unerwünschten Personen Hausverbot aus.
Durchführung der Veranstaltung
Stellen Sie klare und transparente Diskussionsregeln auf Antidiskriminierungsregel).
Stellen Sie Transparenz über die Kriterien eines Ausschlusses her.
Lassen Sie das Saalmikrofon von einem/einer Helfer/in bzw. Ordner/in halten (ggf. an einer Verlängerungsstange) und geben Sie es nicht aus der Hand.
Legen Sie zu Beginn der Veranstaltung fest, ob fotografiert oder gefilmt werden darf – und wenn ja, von wem.
Achten Sie darauf, dass Redner/innen und Veranstaltungsleitung jederzeit Kontakt miteinander halten und die Veranstaltung überblicken können. So können Sie unmittelbar auf Störungen reagieren und ggf. die Polizei informieren.
Unterbinden Sie diskriminierende (rassistische, antisemitische, sexistische) Äußerungen (Mikrofonanlage mit einem/einer Techniker/in besetzen).
Bitten Sie auf keinen Fall Rechtsextreme auf das Podium, bzw. bieten Sie diesen nie ein Podium (keine langen Monologe ermöglichen).
Sollten sich Personen psychisch bzw. physisch bedroht fühlen, greifen Sie ein, nötigenfalls in Absprache mit der Polizei oder den Ordner/innen.
nehmen doch Rechtsextreme an der Veranstaltung teil oder outet sich eine/r erst in der "Wortergreifung", darf das nie unwidersprochen bleiben. Auch das müssen Sie vorher organisieren und ggf. üben.
Begleiten Sie gefährdete Personen (bekannte Antifaschist/innen, Personen, die aufgrund ihrer politischen oder journalistischen Tätigkeit gefährdet sind, Migrant/innen etc.) ggf. auf ihrem Weg von der Veranstaltung nach Hause.
Die vollständige Broschüre gibt es bei Externer Link: www.miteinander-ev.de oder direkt als Download unter: Externer Link: http://www.miteinander-ev.de/pdf