Ursprünge der zionistischen Bewegung
Der Zionismus betrat die Bühne der nationalen Bewegungen erst spät. Die Idee der Rückkehr der Juden in ihre historische Heimat ist jedoch so alt wie ihre Zerstreuung. Bereits vor der Zerstörung des Zweiten Tempels im Jahr 70 n.d.Z. lebten Juden in der Diaspora, die sich damals von Ägypten bis Kleinasien erstreckte. Mit dem Verlust ihres religiösen und nationalen Heiligtums und dem Ende jeglicher politischer Souveränität wurden die Juden zu einem Diasporavolk par excellence. Ihre wichtigste Schrift nach der Hebräischen Bibel, der auf Aramäisch verfasste Talmud, entstand in Babylonien. Die bedeutendsten philosophischen Schriften der Juden im Mittelalter wurden von Jehuda Halevi und Maimonides auf Arabisch in Spanien und Nordafrika verfasst. Im 18. Jahrhundert gehörte Moses Mendelssohn zu den herausragenden Denkern deutscher Sprache.
Trotz dieser engen Verbundenheit mit ihrer Umwelt verloren die Juden über die Jahrhunderte hinweg nicht ihre emotionale Bindung zu dem Land, das sie Israel nennen und das die Römer als Bestrafung für den Aufstand der Juden in Anklang an das Volk der Philister als Palästina bezeichneten. Noch in biblischer Zeit hieß es in Psalm 137: "Wenn ich dich je vergesse, Jerusalem, dann soll mir die rechte Hand verdorren". An den Ufern von Babylon, so der Psalmist, saßen die Vertriebenen und weinten, wenn sie Jerusalems gedachten. Auch wenn wir diese Legenden historisch nicht nachweisen können, hatten sie in jedem Falle eine enorme Wirkungsgeschichte für die Juden späterer Jahrhunderte, die diese Verse rezitierten und verinnerlichten. Aus allen vier Ecken der Zerstreuung beteten sie - nach Jerusalem gewandt - drei Mal täglich für ihre Rückkehr nach Jerusalem, das durch den Berg Zion symbolisiert wurde. Bewegende Dichtungen aus dem Mittelalter bezeugen den Rückkehrwillen, den einzelne Juden immer wieder erfüllten. Wenn sie nicht zum Leben nach Palästina gingen, dann zumindest um dort zu sterben. Dies trifft auf manche der spanisch-jüdischen Denker des Mittelalters zu, und selbst Moses Mendelssohn nannte seine wichtigste religionsphilosophische Schrift "Jerusalem".
Emanzipation der Juden
Mit Beginn der Integration der Juden in ihre Umwelt begann sich ihre Einstellung gegenüber der historischen Heimat zu ändern. Im Gefolge der amerikanischen Unabhängigkeit und der französischen Revolution wurden Juden erstmals in vollem Maße als Bürger der Staaten akzeptiert, in denen sie lebten. In den anderen Staaten West- und Mitteleuropas wurde während des 19. Jahrhunderts die Emanzipation der Juden als Resultat eines langwierigen Prozesses ebenfalls Realität. Nun definierten sie sich als deutsche oder französische Staatsbürger jüdischen Glaubens. Der Grundsatz der französischen Revolution, formuliert durch den Grafen Clermont-Tonnerre 1789 lautete, dass die Juden nichts als Nation, aber alles als Individuen erhalten sollten. Mit anderen Worten: sie sollten sich nicht mehr als kollektive Nation innerhalb einer anderen Nation verstehen, sondern ihr Judentum auf rein konfessioneller Grundlage neu definieren. Die deutschen Juden taten dies ebenso wie die französischen und die amerikanischen. Dazu gehörte auch, dass man dem Rückkehrwillen in das Land der biblischen Ursprünge abschwor und sich einzig und allein dem Wohl des Landes, in dem man lebte und mit dem man sich identifizierte, unterordnete.
Typisch für die neue Haltung waren die Worte, die der Kantor anlässlich der Einweihung einer neuen Synagoge in Charleston, South Carolina, in der Mitte des 19. Jahrhunderts sprach: "Diese Synagoge ist unser Tempel, diese Stadt unser Jerusalem, dieses glückselige Land unser Palästina." Ähnliche Worte hören wir aus den deutschen Ländern, wo nun etwa Düsseldorf am Rhein als "unser neues Jerusalem" bezeichnet wurde. Diese und ähnliche Worte waren ernst gemeint, die Juden Europas und Amerikas wollten sich integrieren, und nur den Glauben ihrer Vorväter bewahren. So wie die christlichen Deutschen am Sonntag in die Kirche gingen, so sollten die Juden am Samstag in die Synagoge gehen. Die anderen Unterschiede sollten langsam in den Hintergrund treten oder gänzlich verschwinden.
Ausgrenzung der Juden
Die erhoffte gesellschaftliche Integration der Juden wurde jedoch im Laufe des 19. Jahrhunderts durch immer neue Hürden erschwert. Über lange Zeit hinweg standen gesetzliche Einschränkungen der Gleichberechtigung im Wege. Als diese wegfielen, entstand ein neuer rassisch motivierter Judenhass, der sich den pseudowissenschaftlichen Namen des "Antisemitismus" zulegte. Erstmals fiel dieser eigentlich irreführende Ausdruck im Jahr 1879 in einer Debatte um die judenfeindlichen Schriften des Journalisten Wilhelm Marr. Im gleichen Jahr machte der konservative Historiker Heinrich von Treitschke den Judenhass salonfähig, indem er in einem Beitrag in den angesehenen "Preußischen Jahrbüchern" vor der Überfremdung Deutschlands durch "hosenverkaufende Jünglinge" warnte, die angeblich aus dem Osten hereinströmten. Erstmals fiel in diesem Zusammenhang das Wort: "Die Juden sind unser Unglück". Um die gleiche Zeit gründete ein Hofprediger von Kaiser Wilhelm I. eine "Christlich-Soziale Arbeiterpartei", die versuchte, der Sozialdemokratie die Arbeiterschaft zu entreissen. Als dieses Ziel misslang, wandte er sich vor allem den kleinbürgerlichen Schichten zu und schrieb die Ausgrenzung der Juden aus der Gesellschaft auf seine Fahnen. All dies muss im größeren Zusammenhang gesehen werden: Bereits 1850 hatte Richard Wagner (zunächst noch anonym) gegen das "Judenthum in der Musik" gewettert, und ebenfalls in der Mitte des Jahrhunderts hatten französische Frühsozialisten die Juden als Kapitalisten identifiziert. Karl Marx, als Sohn jüdischer Eltern geboren, aber als Kind christlich getauft, folgte dieser Argumentation willig.
Moses Heß
Moses Heß, ein enger Vertrauter von Marx, teilte die Kritik an den Juden nicht. Ihre noch immer beklagenswerte Situation führte der Bonner Jude darauf zurück, dass sie keinen eigenen Staat besäßen. Ganz unter dem Eindruck des italienischen Risorgimento verfasste Heß 1862 seine Schrift "Rom und Jerusalem". So wie es den Italienern gelang, um Rom herum einen neuen Staat zu bauen, so könnten die Juden um Jerusalem herum ihr neues Reich errichten. Der rassisch begründete Antisemitismus war dabei bereits schon in den sechziger Jahren Heß' Hauptantriebskraft, Europa zu verlassen: "Die Deutschen hassen weniger die Religion der Juden, als ihre Rasse, weniger ihren eigentümlichen Glauben, als ihre eigentümlichen Nasen", schrieb er in seinem Buch.
Die Situation in Osteuropa
In Osteuropa war die Situation für die Juden eine gänzlich verschiedene. Die Emanzipation blieb hier aus. Juden wurden nicht als russische Staatsbürger jüdischen Glaubens integriert. Sie blieben Teil eines jüdischen Volkes, das seine eigene Sprache (Jiddisch) pflegte, sich in seiner Kleidung und seinen kulturellen Traditionen von der polnischen, ukrainischen oder rumänischen Umwelt unterschied. Während sich im Westen die wirtschaftliche Situation der Juden entscheidend besserte, lebte die wesentlich zahlreichere Judenheit in Osteuropa in großer Armut. Hinzu kamen vor allem am Ende des 19. Jahrhunderts Pogrome, gewalttätige Ausschreitungen gegen die jüdische Minderheit, die von den Behörden des Zarenreichs oftmals toleriert wurden. Unter den gebildeten jüdischen Schichten entstand eine Aufklärungsbewegung (Haskala), die die hebräische Sprache als moderne literarische Sprache wiederbelebte. Hebräisch war nie ausgestorben, sondern wurde im Gebet, aber auch im täglichen Studium verwendet. Nun aber schrieben Autoren ihre Romane und Gedichte in einem modernisierten Hebräisch, das auch als Alltagssprache wieder benutzt werden sollte.
Leon Pinsker
Nachdem die Juden im Zarenreich für die Ermordung des Zaren Alexander II. 1881 als Sündenbock auserkoren wurden und eine Pogromwelle die jüdischen Gemeinden erschütterte, erhielt die Idee einer Errichtung des Judenstaats politischen Auftrieb. Wie im Falle von Moses Heß, kam auch hier der Aufschrei von einem gut integrierten Juden, der sich durch den neuartigen Antisemitismus in seiner Stellung gefährdet sah. Leon Pinsker, ein angesehener jüdischer Arzt aus Odessa, reagierte mit seinem Pamphlet Auto-Emancipation (1882) direkt auf die Pogrome. Pinsker betrachtete den Weg der Emanzipation als gescheitert und forderte stattdessen die Selbstemanzipation der Juden als Nation. Wo genau sie ihre Heimat finden sollten, ließ Pinsker zunächst offen und dachte ebenso an Argentinien wie an Palästina.
Die fehlgeschlagene Emanzipation im Westen mit der neuen Bedrohung eines rassisch gefärbten Antisemitismus sowie die Bewahrung der nationalen Merkmale der Juden in Osteuropa vor dem Hintergrund einer wirtschaftlichen und politischen Krise waren die Geburtshelfer des politischen Zionismus am Ende des 19. Jahrhunderts. Sein wichtigstes Ziel war die Errichtung einer nationalen Heimstätte für die in Europa bedrohten Juden.