Intro
Wir sind ein Zusammenschluss afro-deutscher Hip-Hop-/Soul- und Reggae-Künstler, die in der Debatte um rassistische Gewalt 2001 ein Statement abgaben. Unsere Arbeit und die unseres Vereins beschäftigt sich nach wie vor mit dem Thema Gewalt gegen Ausländer und "People of Color". Ausgehend von dem Skinhead-Mord an Alberto Adriano definierten wir afro-deutschen Rapper und Sänger unsere Standpunkte neu.
Die Anfänge
Es begann als kleine Idee bei "Nitty Gritty Music" in Köln. Hier sitzen Label und Verlag meiner Hip-Hop/Reggae-Band "BANTU". Zusammen mit meinem Bruder Don Abi und unserer damaligen Gruppe "Weep Not Child" traten wir bereits 1994 in Hoyerswerda bei einer Protestaktion gegen Faschismus auf. Seither beschäftigt mich sehr das Thema Gewalt gegen Menschen afrikanischer Herkunft. Als Ende der Neunziger wiederum die Welle der Gewalt zunahm, beschloss ich meine künstlerischen und politischen Energien mit der Veröffentlichung eines gemeinsamen Albums hörbar zu machen: "Die Zeit war lange überreif – wir afro-deutschen Musiker mussten endlich Position beziehen."
Mein alter Mitstreiter TORCH, der 1992 "Fremd im eigenen Land" schrieb, war sofort dabei und ebenfalls D-FLAME. Erste Schritte zu gemeinsamen Aufnahmen wurden im Sommer 2000 gemacht und viele schlossen sich in den darauf folgenden Wochen an. Am 3. Oktober 2000 fand die erste Jam-Session in unserem Studio statt. In den darauf folgenden Monaten entstanden die 14 einzelnen Tracks. Bis Dezember 2001 produzierte der afro-deutsche Hip-Hop-Produzent Dj Desue die gängigen Beats.
So entstand die kleine Idee zum großen Projekt. Zum wummernden, melancholischen Beat von Dj Desue gehen Textstrophen von Rappern wie Samy Deluxe und D-Flame unter die Haut:
Im Landtag diskutiert man über einen Antrag
Und währenddessen plant der nächste Nazi seinen Anschlag
Die Schandtat wird bedauert, doch was ich mich dann frag:
'Warum steht schon wieder 'ne schwarze Familie am Grab?'
Deine Seele muss am Arsch sein, wenn Du Umstände beklagst
und Kanaken dafür jagst.
Und Torch fügt hinzu:
In all den Jahren, in denen wir Airplay verschwendet haben
Man könnte denken, wir Rapper hätten nichts zu sagen.
Mitglieder der Brothers Keepers im November 2001. (© ddp/AP)
Mitglieder der Brothers Keepers im November 2001. (© ddp/AP)
Brothers Keepers-Verein
In den vergangenen zehn Jahren sind geschätzte (die genauen Zahlen werden von der Bundesregierung verschleiert) 120 ausländische und andersdenkende Menschen Todesopfer von rechter Gewalt in Deutschland geworden. Sie hinterlassen neben ihren Lebenspartnern zum Teil mehrere Kinder. Viele Hinterbliebene benötigen dringend finanzielle Unterstützung (u.a. für Beerdigung, Rückführung des Leichnams, Umzug). Viele Opfer rassistischer Gewalt haben ihr Leben lang an den Folgen der Misshandlungen zu leiden.
An dieser Stelle halfen wir im Rahmen unserer Möglichkeiten und leisteten mit den Erlösen aus Konzerten, Plattenverkäufen, etc. Opferhilfe. Darüber hinaus wurde der Verein zum Ansprechpartner von Bewegungen, die dem rechten Alltagsterror entgegenstehen. Wir wollten alternative Projekte unterstützen, denn gerade diese Initiativen sind vereinzelt unterwegs in den so genannten "National Befreiten Zonen" und sie müssen wissen, dass sie nicht alleine sind.
Brothers Keepers-Schultour 2002
Als wir im Frühjahr 2002 eine Schultour durch die neuen Bundesländer machten, waren wir schockiert von der Apathie und Langeweile an den Schulen. Es waren Orte, wo Menschen ihre Hoffnung verloren hatten und braunes Gedankengut plötzlich zur Mode wurde. Die Mitläuferzahl von Jugendlichen, die von Neonazis in Angst und Schrecken versetzt wurden, drohte zur Gefahr für Zivilcourage und Demokratie zu werden. Uns wurde schlagartig klar, wie schnell die Verbindung von Kleinbürgertum, Rassenhass und Faschismus an diesen Orten ein Vakuum entstehen ließ, in dem Menschen afrikanischer Herkunft zur Zielscheibe wurden. Diese Jugendlichen hatten resigniert, bevor sie überhaupt Hoffnung auf ein besseres Miteinander selbst erleben konnten.
Unsere Konzerttour und die Gespräche mit Schülern öffneten einen Weg zur Seele, der nicht zuletzt durch unsere provokanten Lyrics und fetten Beats überzeugte. Mit auf Tour waren die "Brothers & Sisters Keepers" Samy Deluxe, Afrob, Meli, Germ, Blaise, Don Abi und Ono sowie Helfer und Freunde unserer immer größer werdenden Initiative. Über Berlin-Marzahn, Ludwigslust, Rostock-Lichtenhagen, Pirna und Prenzlau ging es fünf Tage quer durch Ostdeutschland. Nicht nur für die Schüler war diese Reise überaus spannend, auch wir brannten darauf, etwas über die Verhältnisse im Osten zu erfahren. Wir wollten erfahren, wie die Jugendlichen leben, welche Träume und Probleme sie haben, was sie zum Thema Nazis, Ausländer und rechte Gewalt dachten.
Berlin
An der Eröffnungs-Pressekonferenz nahm Bundestagspräsident Wolfgang Thierse teil. Er verwies an der Otto-Nagel-Oberschule in Berlin-Marzahn auf die Bedeutung von "Brothers Keepers" und der Schultour: "Mit ihren Charts-Erfolgen setzen die 'Brothers Keepers' ein wichtiges Zeichen gegen rechte Gewalt und für mehr Einmischung der Jugend." Gemeinsam mit Samy Deluxe diskutierte Thierse im Anschluss an die Pressekonferenz mit den Schülerinnen und Schülern über alltäglichen Rassismus und den Aufbau einer Gegenkultur zur rechten Gewalt.
Jeweils zwei Musiker gingen gleichzeitig in die Schulklassen und diskutierten mit den Schülern von der 8. bis zur 12. Klasse. In Berlin-Marzahn trafen wir uns mit "Peerleadern", einer Initiative von Jugendlichen, die über zwei Jahre ausgebildet werden, um Gewaltsituationen zu entschärfen und interkulturelle Kommunikation zu erlernen.
Rostock
Wir besuchten nicht nur Schulen. Die gesamte Reise war zusammen mit örtlichen Initiativen geplant und umgesetzt. In Rostock und Ludwigslust war es die RAA (Regionale Arbeitsstelle für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule e.V.), die zahlreiche Unterstützungsprojekte für Ausländer betreibt. Am Mittag gingen wir mit dem Afrikanischen Verein in Rostock essen und ließen uns anschließend in Lichtenhagen erklären, wie vor fast zehn Jahren die unglaublich krassen Übergriffe von Nazis und Anwohnern gegen die dort lebenden Flüchtlinge und Vietnamesen abliefen.
Deutlich spürten wir immer wieder die Rat- und Hilflosigkeit der Schüler, manchmal aber auch eine totale Perspektivlosigkeit und Langeweile. So erlebten wir beispielsweise in Ludwigslust eine Situation, in der sich die Jugendlichen schon als "links" oder "alternativ" definierten, nur weil sie sich gegen die Nazis, die versuchten die öffentlichen Räume der Innenstadt zu dominieren, zur Wehr setzten. Frustrierend war für diese Kids das Gefühl, allein da zu stehen und weder von der Stadt, den Parteien oder den Eltern Unterstützung zu finden. Über rechte Gewalt, von der nicht nur Ausländer, sondern häufig auch sie selbst betroffen sind, wurde meistens von offizieller Seite geschwiegen. Wir bemerkten Hilflosigkeit und lähmendes Schweigen, damit der Ruf der Stadt nicht gefährdet werden sollte. So berichteten die Kids, dass Aktivitäten gegen die Nazis oft als eine "Provokation" bezeichnet werden.
Pirna
Krasser als alles, was wir bisher gesehen hatten, war die Situation an der Heinrich-Heine-Schule in Pirna. Dort prallten unsere Diskussionsversuche wie an einer Wand ab. Vielleicht kein Wunder, wenn die Arbeitslosigkeit bei über 20 Prozent liegt, die ganze Region frustriert und perspektivlos ist. Das alles sind zwar sicherlich keine Gründe, um Ausländer und Schwarze zu überfallen, aber es sind auch keine Bedingungen, in denen Jugendliche eigene Träume entwickeln können und sich für Ziele engagieren möchten. Da passte es allzu gut ins Bild, dass wir bereits von einigen Skins vor dem Schultor begrüßt wurden und die Polizei die Umgebung kontrollierte.
In der Nacht zuvor hatten Nazis Plakate mit der Aufschrift "White Aryan Brotherhood against the alien negros of Brothers Keepers" an Wände und Zäune der Schule gekleistert. Auch an der Schule im 19 Kilometer von Pirna entfernten Porschdorf, wo ein Team von uns mit Schülern diskutierte, waren diese Plakate aufgehängt. Am Nachmittag besuchten wir mit Polizei-Eskorte (!) dann noch den Laden (Antalya-Grill) der Familie Sendilmen in Pirna. Seit Jahren wurde der türkische Besitzer, dessen inzwischen erwachsenen Kinder allesamt in Deutschland geboren sind, von Nazis terrorisiert. Immer wieder wurden die Schaufensterscheiben eingeworfen. Der Familie, die über dem Laden wohnte, wurden Brandanschläge angedroht. Die Polizei kümmerte sich nur wenig um diesen Terror. Häufig kamen die Beamten aus der nur fünf Minuten entfernten Polizeiwache erst nach einer halben Stunde oder legten den Hörer gleich auf, nachdem sie erfahren hatten, wer sie um Hilfe anrief. Jede Nacht, so erzählte der Sohn des Besitzers, würde die gesamte Familie ans Fenster stürzen, wenn es ungewöhnliche Geräusche in der Fußgängerzone gebe.
Der Terror der Nazis hatte Erfolg: Die Familie hat den Grill aufgegeben und ist vollkommen verschuldet zurück nach Berlin gezogen. Und die verbotene SSS (Skinheads Sächsische Schweiz) hat mit Hilfe ihrer "ehrenwerten Bürger" wieder ein Stück mehr "befreite Zone". Durch die Zusammenarbeit mit den lokalen Initiativen wollten wir deutlich machen, dass es möglich ist, gegen alltäglichen Rassismus und rechte Gewalt vorzugehen. Gerade Gruppen, die – wie z.B. die "Aktion Zivilcourage" in Pirna – unter schwierigsten Bedingungen, mit wenig Leuten und viel zuwenig Geld eine großartige Arbeit leisten, verdienen unseren Respekt und unsere Achtung!
Prenzlau
Noch heftiger ging es am nächsten Tag in Prenzlau, nördlich von Berlin, zu. Bereits am Nachmittag marschierten Nazis gegen uns auf. Dort kursierte ein Nazi-Flugblatt, in dem gegen den Besuch und vor allem gegen das am Abend geplante Konzert mobilisiert wurde. Mit Infoständen und einer Aktion, welche die Einreise für Flüchtlinge nach Deutschland nachspielte, versuchte der linke "Pfeffer und Salz"-Verein die Bevölkerung über die Situation von Flüchtlingen aufzuklären. In Prenzlau besuchten wir das dortige Flüchtlingsheim, wir ließen uns die Wohn- und Lebenssituation der Bewohnerinnen und Bewohner zeigen und diskutierten über gemeinsame Projekte gegen Rassismus.
Ein massives Polizeiaufgebot war nötig, um die Nazis unter Kontrolle zu halten und die Aktion durchzuführen. Am Abend fand das ersehnte Konzert unter starkem Polizeischutz statt. Über 50 Polizisten waren vor dem Schulgelände und in der Aula im Dienst, um Naziübergriffe auf die Besucher zu verhindern. Für die Kids aus Prenzlau, die teilweise mit Bussen aus den Nachbarorten angefahren waren, war der Abend ein voller Erfolg. Samy Deluxe, Afrob, Bantu, Meli, Blaise, Germ, Ono und Sam Meffire heizten mächtig ein. Und als Samy Deluxe "Weck mich auf, aus diesem Alptraum" rappte, sangen Hunderte Fans begeistert mit. Es wurde klar, dass diese Kids von ihrem eigenen Alptraum singen!
Outro
Die Gegenaktionen der Nazis auf die BK-Schultour machten klar, dass sie unsere Aktivitäten fürchteten. Nicht nur, dass "Brothers Keepers" mit "Adriano (Letzte Warnung)" eine klare Ansage gegen den Terror der Nazis gemacht hat und als "Stars" möglicherweise die Kids besser erreicht; sie fürchten, dass der direkte Kontakt zu uns afro-deutschen Künstlern, die rassistischen Vorurteile abbaut und überwindet.
Für Samy, Afrob, Sam, Meli, Blaise und Germ war die Schultour eine wichtige Aktion und Erfahrung. Trotz mancher bedrückender Erlebnisse hat die Tour und haben die Kids an den Schulen deutlich gemacht, wie notwendig, aber auch wie interessant der Dialog sein kann. Klar ist: "Adriano (Letzte Warnung)" war das Statement, die Schultour der Auftakt und nun soll es weiter gehen!