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Frauen in der Politik Einführung

Dr.rer.soc. Beate Hoecker Beate Hoecker

/ 7 Minuten zu lesen

Seit dem 22. November 2005 regiert in Deutschland mit Angela Merkel erstmals eine Kanzlerin. Auf der Länderebene übernahmen Christine Lieberknecht (CDU) in Thüringen und Hannelore Kraft (SPD) in Nordrhein-Westfalen die Regierungsmacht; zudem wurde das Kabinett in Nordrhein-Westfalen paritätisch mit Männern und Frauen besetzt. Wie steht es generell um die Verwirklichung der politischen Gleichberechtigung von Frauen in Deutschland? Haben Frauen heute die gleichen Chancen wie Männer zur Übernahme politischer Ämter und Führungspositionen? Oder ist Politik doch nach wie vor eine männliche Domäne?

Die mit 99,0% wiedergewählte SPD-Landesvorsitzende Hannelore Kraft bedankt sich am Freitag in Dortmund bei den Delegierten. (© AP)

Um diese Fragen zu beantworten, soll zunächst ein Blick auf den aktuellen Stand der politischen Beteiligung von Frauen in Parteien, Parlamenten und Regierungen geworfen werden.

1. Die institutionelle politische Beteiligung von Frauen

Wer Politik in verantwortlichen Positionen mitgestalten will, kommt an den Parteien nicht vorbei, denn hier beginnt jede politische Karriere. Für Frauen jedoch besitzen die Parteien nur eine geringe Attraktivität. Im Jahr 2009 fanden sich unter den insgesamt knapp 1,4 Millionen Parteimitgliedern lediglich rund 386.000 Frauen. Damit stellen sie etwas mehr als ein Viertel (27,7 Prozent) aller Parteimitglieder (Niedermayer 2010, S. 429).

In den einzelnen Parteien fällt der Frauenanteil allerdings sehr unterschiedlich aus, wobei die kleineren Parteien führend sind. An der Spitze stehen Bündnis90/Die Grünen und die Linke mit einem Frauenanteil von jeweils rund 37 Prozent. Mit einigem Abstand folgen dann die SPD (31 Prozent), die CDU (26 Prozent) sowie die FDP (23 Prozent). Das Schlusslicht bildet die bayerische CSU mit einem Frauenanteil von lediglich 19 Prozent (Niedermayer 2010).

Infografik: Frauenanteil im Deutschen Bundestag nach Fraktionen

Betrachtet man die parlamentarische Ebene, dann zeigt sich Folgendes: Im Deutschen Bundestag beträgt der Frauenanteil aktuell rund 33 Prozent und hat sich damit seit 1998 (30,9 Prozent) nur geringfügig erhöht. Die derzeitigen Regierungsparteien erweisen sich hier, wie schon in den Wahlperioden zuvor, als wenig frauenfördernd. So stellen die weiblichen Abgeordneten in der Fraktion der CDU/CSU ein Fünftel, in der FDP-Fraktion nur ein Viertel aller Abgeordneten. Deutlich höher fällt demgegenüber der Frauenanteil in der SPD mit 38 Prozent aus, während bei der Linken und bei den Grünen Frauen mit jeweils 54 Prozent sogar die Mehrheit bilden (vgl. Externer Link: Deutscher Bundestag: Frauen und Männer) Im Vergleich zu 2005 konnten SPD und Linke somit ihre fraktionsinternen Frauenanteile jeweils erkennbar steigern, bei Bündnis90/Die Grünen ist der Frauenanteil – allerdings auf hohem Niveau – leicht gesunken, und für CDU/CSU und FDP ist Stagnation zu verzeichnen.

Infografik: Frauenanteil im deutschen Bundestag

Auch auf der Länderebene sind Frauen in den Parlamenten im Durchschnitt zu etwa einem Drittel vertreten, wobei zwischen den einzelnen Bundesländern aber eine große Spannweite der Frauenanteile besteht. In den Kommunalparlamenten schließlich fällt die durchschnittliche Repräsentation von Frauen am geringsten aus; lediglich ein Viertel aller Ratsmitglieder ist weiblich. Generell gilt hier allerdings: je größer die Stadt, umso höher der Frauenanteil. Dieser Trend wird im Allgemeinen mit einem für Frauen günstigeren politischen Klima in Groß- und insbesondere in Universitätsstädten erklärt. So ist die politische Kultur in Großstädten weniger durch traditionelle Rollenvorstellungen geprägt als in kleineren Kommunen, was wiederum die Rekrutierung von interessierten Kandidatinnen erleichtern dürfte.

Infografik: Frauenanteil in den Kommunalparlamenten

Blickt man schließlich noch auf die mit besonderer Macht ausgestattete Regierungsebene, dann sind die Kabinette in den letzten Jahren zwar durchaus "weiblicher" geworden, gleichwohl dominieren nach wie vor die Männer. In der ersten von Angela Merkel geführten Bundesregierung betrug der Frauenanteil 40 Prozent, im zweiten Kabinett Merkel liegt er aktuell bei 38 Prozent (Externer Link: REGIERUNGonline: Das Bundeskabinett Stand: 10/2010). Demgegenüber sind Frauen in den Regierungen der Länder mit durchschnittlich einem Viertel deutlich schlechter vertreten. Eine Ausnahme bildet hier das neue Kabinett von Nordrhein-Westfalen, in das Ministerpräsidentin Hannelore Kraft fünf Frauen berufen hat; das entspricht einem Frauenanteil von 50 Prozent.

Bei der Ressortvergabe bestehen zudem noch immer geschlechtsspezifische Muster. Zwar hat sich die Dominanz der so genannten "weichen" Politikfelder (z.B. Soziales, Bildung, Gesundheit) insbesondere auf der Länderebene inzwischen abgeschwächt, doch auf der Bundesebene gab es bislang keine Innen-, Außen-, Verteidigungs- oder Finanzministerin. Entsprechendes gilt für das Ministerpräsidentenamt. Unter den 16 Regierungschefs finden sich mit Christine Lieberknecht und Hannelore Kraft derzeit lediglich zwei Frauen. Festzuhalten bleibt: Auch heute stellen Frauen nur eine Minderheit in der Politik, und noch immer besteht zwischen den Geschlechtern ein deutliches politisches Machtgefälle.

2. Die Gründe der Unterrepräsentation von Frauen

Die knappe Bestandsaufnahme führt zu der Frage nach den Gründen der anhaltenden Unterrepräsentation von Frauen in der Politik. Fünf Hauptgründe lassen sich hier nennen:

Frauen haben weniger Interesse an (institutionalisierter) Politik als Männer

Wahlbeteiligung nach Geschlecht und Altersgruppen

Repräsentative Umfragen belegen immer wieder, dass sich Frauen für Politik deutlich weniger interessieren als Männer. Nach einer jüngsten Umfrage des Allensbacher Instituts zeigen sich nur 39 Prozent der Frauen, aber 59 Prozent der Männer an Politik interessiert. Da das politische Interesse aber als Voraussetzung für ein politisches Engagement gilt, dürfte hier ein wichtiger Grund für die Unterrepräsentation von Frauen in der Politik liegen. Einschränkend ist allerdings anzumerken, dass sich dieses geringere politische Interesse von Frauen in erster Linie auf Politik in ihrer institutionalisierten Form (z.B. Mitgliedschaft in einer Partei, Bereitschaft zur politischen Amtsübernahme) bezieht, denn im so genannten unkonventionellen Bereich (z.B. Demonstrationen, Mitarbeit in einer Bürgerinitiative oder Sammeln von Unterschriften) fallen die Geschlechterdifferenzen deutlich geringer aus (Politische Partizipation in Deutschland 2004).

Die Formen politischer Arbeit sind männlich geprägt und Frauen eher fremd

Bis zum Jahr 1908 war Frauen durch das preußische Vereinsgesetz von 1850 die Mitgliedschaft in Parteien untersagt, und auch das allgemeine Frauenwahlrecht erhielten sie erst 1919 und damit 50 Jahre später als die Männer. Insofern hatten Frauen an der Gestaltung des politisch-parlamentarischen Systems keinen Anteil. Vielmehr fanden sie beim Eintritt in die politische Sphäre eine bereits verfestigte Grundstruktur vor, und auch heute noch sind die Formen der politischen Arbeit, also die Organisationsstrukturen sowie die Versammlungs- und Kommunikationsstile männlich geprägt. Wenn Frauen sich in diesem Politikfeld engagieren, dann sind ihnen die Abläufe und Kommunikationsstrukturen somit oftmals fremd. Studien über Frauen in Parteien belegen beispielsweise, dass die weiblichen Parteimitglieder eine Distanz zu den routinierten Versammlungsabläufen haben. Sie beklagen den Formalismus der Parteiversammlungen, aber auch manche Endlosdiskussion, in der ein roter Faden und der inhaltliche Kern der Auseinandersetzung nicht mehr zu erkennen sind. Darüber hinaus werden ein ausgeprägtes Konkurrenzdenken sowie männliche Profilierungssucht kritisiert. (Vgl. hierzu u.a. Schöler-Macher 1994; Hoecker, 1999; Kürschner 2009) Vor diesem Hintergrund kann es nicht verwundern, dass Frauen die eher spontanen und weniger formalisierten Beteiligungsformen insbesondere der neuen sozialen Bewegungen bevorzugen.

Politische Karrieremuster erschweren Frauen den Aufstieg

In unserer Parteiendemokratie beginnt eine politische Karriere üblicherweise in den lokalen Führungsgremien der Parteien, von wo aus dann der schrittweise Aufstieg ("Ochsentour") erfolgt. Neben einem akademischen Studium und beruflichem Fachwissen ist insbesondere die individuelle Abkömmlichkeit von zentraler Bedeutung, da sich die politische Arbeit von einer Feierabendtätigkeit immer mehr zum eigentlichen Hauptberuf entwickelt.

Gerade diese zeitliche Abkömmlichkeit aber bereitet Frauen größere Probleme als Männern, da Familienpflichten und Kinderbetreuung zumeist eher von Müttern als von Vätern wahrgenommen werden und sie daher weniger präsent, flexibel und verfügbar sind. Nur durch Verzicht auf eine eigene Familie können folglich viele Parlamentarierinnen das hohe Arbeitspensum bewältigen; für männliche Abgeordnete ist es dagegen normal, verheiratet zu sein und Kinder zu haben.

Diese ungleiche Lebenssituation von Männern und Frauen, die wiederum auf traditionellen Rollenvorstellungen beruht, ist zudem auch der Grund dafür, dass die Quotenregelungen der Parteien nur eine begrenzte Wirksamkeit entfalten; denn sie verändern zwar parteiinterne Nominierungsmuster zugunsten von Frauen, nicht aber die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in der Gesellschaft.

Frauen sind in informelle Entscheidungsstrukturen weniger eingebunden als Männer

Für eine erfolgreiche politische Karriere ist die Einbindung in informelle Entscheidungs- und Machtstrukturen von zentraler Bedeutung. Gerade Frauen aber sind von diesen informellen Kreisen, sei es in Parteien oder Parlamenten, oftmals ausgeschlossen. Hier üben Männer den Schulterschluss gegenüber den Ansprüchen ihrer Parteikolleginnen und verweigern oftmals eine angemessene Unterstützung. Dabei bedient man sich häufig subtiler Formen der Diskriminierung. So halten Parteifunktionäre beispielsweise an ihrem gewohnten Abstimmungs- und Nominierungsverhalten zugunsten von Männern fest; zudem werden an die politischen Qualifikationen von Frauen und Männern unterschiedliche Maßstäbe angelegt. Insbesondere Frauen in politischen Spitzenpositionen sehen sich häufig einer härteren Kritik ausgesetzt als ihre männlichen Kollegen. Umgekehrt ist die Anerkennung ihrer Leistungen als Politikerinnen nicht selten von männlicher Herablassung geprägt. (Vgl. hierzu Hoecker 1999)

Politikerinnen werden in den Medien marginalisiert und trivialisiert

Um in der Politik Erfolg zu haben, müssen sich Frauen nicht nur im innerparteilichen Konkurrenzkampf bewähren, sondern benötigen zur Wahrnehmung in der Öffentlichkeit zugleich die Medien. Wie Untersuchungen belegen (Holz-Bacha/König-Reiling 2008), entspricht die mediale Darstellung von Politikerinnen aber keineswegs der von Politikern. Zum einen werden Politikerinnen in der Berichterstattung marginalisiert, d.h. die Medien berichten quantitativ deutlich weniger über sie. Zum anderen ist eine geschlechtstypische Darstellung auffällig: neben dem sachlichen Zusammenhang richtet sich das mediale Interesse bei Politikerinnen viel stärker auch auf ihre Privatsphäre und ihr Äußeres. Diese Trivialisierung geht einher mit einer eher abwertenden Berichterstattung über die politische Rolle und die Leistungen von Politikerinnen (Holz-Bacha/König-Reiling 2008). Welche Auswirkungen diese Art der Darstellung von Politikerinnen auf das politische Interesse von Frauen und ihre Bereitschaft zur politischen Beteiligung hat, ist offen. Die Vermutung liegt allerdings nahe, dass Marginalisierung und Trivialisierung letztendlich zur Verfestigung traditioneller Geschlechterstereotype – und damit zur Unterrepräsentation von Frauen in der Politik – beitragen.

3. Perspektiven

Soll Politik nicht eine männliche Domäne bleiben, dann stellt eine konsequente Politik der Geschlechtergleichheit mit die wichtigste Aufgabe dar. Insbesondere die Parteien sind aufgefordert, Frauen nicht nur in Wahlkampfzeiten als relevante Zielgruppe zu umwerben, sondern ihren Lebenslagen und Interessen in der politischen Praxis permanent Rechnung zu tragen. Darüber hinaus kann Gleichberechtigung nur gelingen, wenn die Politik auch Männer in den Blick nimmt und einen Wandel des männlichen Rollenverständnisses intendiert. Erste Ansätze, wie z.B. das Elterngeld oder das Netzwerk "Neue Wege für Jungs", gibt es inzwischen. Und schließlich müssen auch die Medien ihrer Sozialisationsfunktion nachkommen und neue Gechlechterrollenbilder vermitteln. Die Verwirklichung der Geschlechterdemokratie bleibt somit eine Herausforderung auch für das 21. Jahrhundert.

Wahlberechtigte und Wahlbeteiligung nach Geschlecht und Altersgruppen

Wahlberechtigte, Wählerinnen und Wähler in absoluten Zahlen und Wahlbeteiligung in Prozent, Bundestagswahl 2009

Altersgruppen Wahlberechtigte, in Tsd. Wählerinnen und Wähler, in Tsd. Wahlbeteiligung, in Prozent
Frauen
unter 21 1.163 729 62,7
21 bis <25 1.745 1.027 58,9
25 bis <30 2.130 1.321 62,0
30 bis <35 1.938 1.278 65,9
35 bis <40 2.188 1.530 69,9
40 bis <45 3.033 2.219 73,2
45 bis <50 3.205 2.364 73,8
50 bis <60 5.337 4.013 75,2
60 bis <70 4.486 3.574 79,7
70 und älter 7.064 4.880 69,1
zusammen 32.289 22.935 71,0
 
unter 70 25.225 18.055 71,6
 
Männer
unter 21 1.217 769 63,2
21 bis <25 1.782 1.058 59,4
25 bis <30 2.179 1.315 60,3
30 bis <35 2.001 1.286 64,2
35 bis <40 2.244 1.525 68,0
40 bis <45 3.105 2.222 71,6
45 bis <50 3.255 2.362 72,6
50 bis <60 5.262 3.912 74,3
60 bis <70 4.149 3.335 80,4
70 und älter 4.685 3.675 78,4
zusammen 29.880 21.459 71,8
 
unter 70 25.195 17.784 70,6

Quelle: Statistisches Bundesamt: Repräsentative Wahlstatistik

Quellen / Literatur

Bertelsmann-Stiftung (Hrsg.) (2004): Politische Partizipation in Deutschland. Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage, Gütersloh.

Hoecker, Beate (1999): Frauen, Männer und die Politik, Bonn.

Hoecker, Beate (2008): 50 Jahre Frauen in der Politik: späte Erfolge, aber nicht am Ziel. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, 24-25/2008, S. 10-18.

Hoecker, Beater/Scheele, Alexandra (2008): Feminisierung der Politik? Neue Entwicklungen und alte Muster der Repräsentation. In: Femina Politica. Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft, Heft 2/2008.

Holtz-Bacha, Christina/König-Reiling, Nina (Hg.) (2008): Warum nicht gleich? Wie die Medien mit Frauen in der Politik umgehen, Wiesbaden.

Kürschner, Isabelle (2009): Den Männern überlassen wir´s nicht! Erfolgreiche Frauen in der CSU, Baden-Baden.

Niedermayer, Oskar (2010): Parteimitgliedschaften im Jahr 2009. In: Zeitschrift für Parlamentsfragen, Heft 2/2010.

Schöler-Macher, Bärbel (1994): Die Fremdheit der Politik. Erfahrungen von Frauen in Parteien und Parlamenten, Weinheim.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Die Soziologin und Privatdozentin Dr. Beate Hoecker forscht und publiziert seit vielen Jahren zu Frauen in der Politik. Zurzeit vertritt sie an der Leibniz Universität Hannover die Professur "Politische Systeme und Vergleichende Regierungslehre".