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El Salvador – jüngste Geschichte und Gegenwart | Lateinamerika | bpb.de

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El Salvador – jüngste Geschichte und Gegenwart

Peter Peetz

/ 6 Minuten zu lesen

Mehr als 40 Prozent der Bevölkerung in El Salvador lebt unterhalb der Armutslinie. Die Regierung von Präsident Saca versucht, Arbeitslosigkeit durch ein verstärktes Wirtschaftswachstum zu reduzieren. Die USA sind dabei ein wichtiger Partner.

Präsident Antonio Elías Saca am Tag seiner Amtseinführung, 1. Juni 2004. (© AP)

Für El Salvadors jüngste Geschichte und Gegenwart stellt der Bürgerkrieg von 1980 bis 1992 den zentralen Ausgangspunkt dar. Die heutige Parteienlandschaft, viele staatliche und nicht-staatliche Institutionen ebenso wie zahlreiche gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Charakteristika des Landes sind nur vor dem Hintergrund des bewaffneten Konfliktes und seiner Beendigung zu verstehen. Der Krieg hat mehr als 70.000 Menschen das Leben gekostet; keine der beiden Konfliktparteien konnte sich am Ende uneingeschränkt als Sieger sehen.

Bürgerkrieg und Friedensprozess

In den Jahrzehnten vor Kriegsausbruch hatten sich Militärdiktaturen mit Scheindemokratien abgewechselt, in denen die rechtskonservativen Parteien alle links orientierten Kräfte als "kommunistisch" unterdrückten und beispielsweise durch Parteiverbote und Wahlfälschungen von der Macht ausschlossen. Die wirtschaftlichen Fäden zogen rund 20 extrem reiche Familien (vor allem Besitzer von Kaffeeplantagen). Die politischen Machthaber entstammten entweder selbst diesen Familien oder waren, etwa durch Geschäftsbeziehungen, eng mit ihnen verbunden.

Im Laufe der 1970er-Jahre verstärkte sich in der Bevölkerung der Widerstand gegen diese Verhältnisse, unter anderem weil große Teile der katholischen Kirche im Zuge des Aufkommens der "Theologie der Befreiung" Partei für die Armen ergriffen hatten und sich für eine gerechtere Verteilung von Macht und Reichtum im Land einsetzten. 1980 wurde einer der bekanntesten und beliebtesten Kirchenvertreter - der Erzbischof von San Salvador, Óscar Arnulfo Romero - von Todesschwadronen (geheime Killerkommandos, die von Mitgliedern der Regierung oder der politischen und wirtschaftlichen Elite beauftragt und bezahlt werden) ermordet. Dieses Ereignis gilt allgemein als einer der Auslöser dafür, dass sich bald immer mehr Menschen Guerilla-Gruppen anschlossen und den bewaffneten Kampf gegen die Regierung und das Militär aufnahmen.

Die vielen verschiedenen, zumeist marxistisch orientierten oppositionellen Gruppen schlossen sich schließlich zu einer übergreifenden politischen und militärischen Organisation zusammen, die sich nach Farbundo Martí, dem Anführer eines Arbeiter- und Bauernaufstandes aus den 1930er-Jahren benannte: FMLN (Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional / Farabundo-Martí-Front für die Nationale Befreiung). Neben der militärischen Auseinandersetzung mit den Rebellen verstärkte die Regierung auch die gewaltsame Verfolgung jeder zivilen Opposition. Dabei unterstützen die USA das salvadorianische Regime nicht nur finanziell, sondern auch durch die Entsendung von Beratern, die beim Militär, bei der Geheimpolizei und unter den Mitgliedern von Todesschwadronen für die Beherrschung der Techniken (Töten, Foltern, "Verschwindenlassen") dieses so genannten "Schmutzigen Krieges" sorgten.

Erst 1992 konnte der Krieg durch einen Friedensvertrag beendet werden. Dieser Kontrakt beinhaltete unter anderem eine erhebliche Verkleinerung des Militärs, eine Unterstellung der Polizei unter zivile Kontrolle, die Umwandlung der FMLN von der Guerilla-Organisation zur politischen Partei und die Einführung fairer demokratischer Wahlen unter internationaler Beobachtung. Da der Friedensschluss auch vorsah, dass die sozialen und wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten, die zu seinem Ausbruch geführt hatten, bekämpft werden sollen, ist bis heute umstritten, ob der Vertrag in allen Teilen umgesetzt wurde.

Anhaltende Polarisierung in Gesellschaft und Politik

Der Fortbestand der FMLN in Form einer politischen Partei prägt bis heute die politische Entwicklung und auch die politische Kultur des Landes. Letztere zeichnet sich durch eine starke Polarisierung der gesamten Gesellschaft in zwei politische Lager aus: die Linke, repräsentiert durch die FMLN, und die Rechte, vor allem vertreten durch die Regierungspartei ARENA (Alianza Republicana Nacionalista, Republikanisch-Nationalistische Allianz). ARENA war Anfang der 1980er-Jahre von Roberto D'Aubuisson gegründet worden, dessen Verwicklung in die Todesschwadronen und speziell in die Ermordung von Erzbischof Romero allseits bekannt ist. Die Partei gilt heute nicht mehr als so rechtsextrem wie noch zu D'Aubuissons Zeiten und steht heute vor allem für eine neoliberale Wirtschaftspolitik (Öffnung der Märkte, Privatisierung von Staatsunternehmen) und eine enge Anbindung an die USA. Neben FMLN und ARENA gibt es noch einige kleinere Parteien. Von denen, die im Parlament vertreten sind, unterstützen die PCN (Partido de Conciliación Nacional, Partei der Nationalen Versöhnung) und die PDC (Partido Demócrata Cristiano, Christdemokratische Partei) in Abstimmungen meistens die Regierungspartei, während CD (Cambio Democrático, Demokratischer Wechsel) eher der gemäßigten Linken zugerechnet wird und damit der FMLN näher steht.

Seit 1989 stellt ARENA ununterbrochen den Präsidenten. Zuletzt wurde 2004 Antonio Elías Saca gewählt. Saca war zuvor Sportmoderator und Unternehmer in der Medienbranche. Sein Hauptkonkurrent bei den Wahlen von 2004 war Schafik Handal, ein ehemaliger Guerilla-Kommandeur und eine der charismatischsten und populärsten Führungspersönlichkeiten der FMLN; er verstarb 2006.

Innere Sicherheit und Armut

Eines seiner zentralen Wahlversprechen hat Saca bislang nicht eingelöst: die Kriminalität und Gewalt im Land zu reduzieren. El Salvador gilt als eines der gefährlichsten Länder Lateinamerikas; nur das noch immer im Bürgerkrieg befindliche Kolumbien weist noch höhere Mordraten auf. Jeden Tag sterben in El Salvador im Durchschnitt etwa zehn Menschen eines gewaltsamen Todes. Die Schuld daran wird häufig einer in El Salvador weit verbreiteten Art von Jugendbanden, den so genannten Interner Link: "maras" gegeben. Die Regierung versucht, mit einer Politik der "Harten Hand" gegen diese Unsicherheit anzugehen. Polizei und Militär gehen mit äußerster Härte gegen mutmaßliche Straftäter vor, die Gesetze werden immer weiter verschärft und die Gefängnisse, in denen teilweise unmenschliche Zustände herrschen, sind heillos überfüllt. Die Opposition und viele zivilgesellschaftliche Organisationen fordern, mehr Geld für Präventionsprogramme und Resozialisierungsmaßnahmen auszugeben, anstatt die Militär- und Polizei-Etats weiter aufzustocken. Die Politik der "Harten Hand" jedenfalls, die schon 2003 unter Sacas Vorgänger Francisco Flores eingeführt wurde, hat nicht verhindert, dass die Gewaltrate weiter angestiegen ist.

Neben Kriminalität und Gewalt sind Armut und soziale Ungleichheit, die Wirtschaftsentwicklung und die Außenpolitik, hier insbesondere die Politik gegenüber den USA und den zentralamerikanischen Nachbarstaaten, die wichtigsten politischen Themen in El Salvador. Externer Link: Laut Entwicklungsbericht der Vereinten Nationen weist El Salvador im weltweiten Vergleich ein mittleres Niveau menschlicher Entwicklung auf. Dennoch leben immer noch um 40 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutslinie. Die Regierung Saca versucht, Armut, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung durch ein verstärktes Wirtschaftswachstum und ein auf den internationalen Markt ausgerichtetes Entwicklungsmodell zu reduzieren. Die volkswirtschaftlichen Zahlen sind in den jüngsten Jahren dementsprechend recht positiv ausgefallen; so lag das Wirtschaftswachstum 2006 etwa bei mehr als neun Prozent und damit auch im lateinamerikanischen Vergleich sehr hoch. Auch die Inflationsrate fällt mit 4,9 Prozent (2006) moderat aus. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass El Salvador im Jahr 2001 den US-Dollar als offizielles Zahlungsmittel eingeführt hat.

Enge Anbindung die USA

Die Dollarisierung muss auch im Zusammenhang mit der Außenpolitik und Außenwirtschaftspolitik der ARENA-Regierungen gesehen werden. Das Land richtet sein Auftreten auf internationaler Bühne stärker als kaum ein anderer lateinamerikanischer Staat an dem Ziel aus, die engen Beziehungen zu den USA weiter zu verbessern. Hierdurch entsteht eine enorme Abhängigkeit vom "großen Bruder" im Norden, aber El Salvador profitiert auch auf manche Art und Weise davon. Der "Däumling Zentralamerikas" (wie El Salvador wegen seiner kleinen Fläche zuweilen genannt wird) hat als letztes lateinamerikanisches Land noch Truppen (derzeit etwa 300 Mann) im Irak stationiert. Und auch sonst können sich die USA der Unterstützung aus San Salvador in internationalen Fragen sicher sein. So gehört es zu der Handvoll von Ländern weltweit, die Taiwan diplomatisch anerkennen und damit gegen die Volksrepublik China Stellung beziehen. El Salvador war das erste Land Zentralamerikas, das den Freihandelsvertrag DR-CAFTA (Dominican Republik-Central America Free Trade Agreement) ratifizierte und seine Märkte damit konsequent für US-amerikanische Importe und Investoren öffnete. Die ohnehin seit Jahren negative Handelsbilanz hat sich seitdem weiter verschlechtert: El Salvador importiert Waren in weit höherem Wert, als es exportiert. Aber durch die Heimatüberweisungen (auf Spanisch "remesas" genannt) von Salvadorianern, die in den letzten Jahrzehnten hunderttausendfach in die USA emigriert sind, wird der Devisenabfluss zum größten Teil wieder aufgefangen. Die freundliche Haltung gegenüber den USA hat sich in der jüngeren Vergangenheit nicht nur durch die intensive Investitionsbereitschaft nordamerikanischer Wirtschaftsunternehmen ausgezahlt, wodurch etwa in der so genannten Maquila-Industrie ("Lohnveredelungsindustrie", hauptsächlich im Textilbereich) Tausende - wenn auch schlecht bezahlte - Arbeitsplätze entstanden sind. Auch die Entwicklungshilfe der USA ist ein nicht zu vernachlässigender Faktor; zum Beispiel erhielt El Salvador 2006 die Zusage über ca. 460 Millionen US-Dollar im Rahmen der Externer Link: "Millennium-Challenge"-Initiative der US-Regierung. Die Mittel fließen in soziale Projekte und vor allem in den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur des besonders "unterentwickelten" Nordens des Landes. Damit soll der Anschluss dieses Landesteils an die wirtschaftliche Entwicklung und die Einbindung in die wirtschaftliche Verflechtung Zentralamerikas mit den USA gefördert werden.

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Peter Peetz, M.A., hat an den Universitäten Göttingen, Hamburg und Mexiko-Stadt Politikwissenschaft, Geschichte und Spanisch studiert. Von 2002 bis 2003 koordinierte er die Arbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung in Honduras und arbeitete danach als freier Mitarbeiter u.a. für das Institut für Iberoamerika-Kunde (Hamburg) und die InWEnt gGmbH (Bad Honnef). Seit 2005 ist er Referent der Institutsleitung am GIGA German Institute of Global and Area Studies (Hamburg).