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Segregierte Stadt

Dr. Hartmut Häußermann

/ 3 Minuten zu lesen

Segregation wird dann zum Problem, wenn Mechanismen des Wohnungsmarktes und Diskriminierungen bei der Wohnungsvergabe dazu beitragen, dass Armut und Perspektivlosigkeit in bestimmten Stadtvierteln dominieren. Eine Einführung von Hartmut Häußermann.

Kinder-Karneval der Kulturen, Görlitzer Park, Berlin-Kreuzberg, 2002 (© Umbruch Bildarchiv e. V)

Zu allen Zeiten und in allen Kulturen existierte in den Städten eine räumliche Segregation verschiedener Standes- oder Berufsgruppen. In feudalen Gesellschaften war und ist dies Ausdruck und Sicherung der Herrschaftsstruktur. Aber auch in demokratischen, marktwirtschaftlich regulierten Gesellschaften gibt es keine vollkommene Gleichverteilung der sozialen Gruppen im städtischen Raum. Während der Phase der Hochindustriali-
sierung in Deutschland zwischen 1870 und 1910 bildeten sich in den großen deutschen Städten krasse Unterschiede in der Wohnqualität zwischen dem Proletariat und anderen Klassen und Schichten heraus. Dies war eine der Grundlagen für die antikapitalistische Propaganda der Arbeiterbewegung und wurde daher auch als politische Bedrohung der bürgerlichen Gesellschaft angesehen. Seit der Einführung einer sozialen Wohnungspolitik nach 1918 ist der Abbau der sozialen Segregation zu einem festen Ziel von Stadt- und Wohnungspolitik geworden. In den großen Neubausiedlungen, die im Laufe des 20. Jahrhunderts entstanden, wurde immer eine 'soziale Mischung' sozialer Gruppen angestrebt.

Was ist Segregation?


Segregation bedeutet, dass Bewohner, die eine soziale, kulturelle oder ethnische Gemeinsamkeit haben, nicht wahllos vermischt mit anderen Gruppen wohnen, sondern konzentriert in bestimmten Quartieren. Die Reichsten wohnen in den begehrtesten Gegenden, die Ärmsten in den Wohnvierteln, in denen andere nicht wohnen wollen. Es gibt also eine freiwillige und eine erzwungene Segregation. Ausländer bzw. ethnische Minderheiten werden auf dem Wohnungsmarkt häufig diskriminiert und in bestimmten Quartieren zusammengedrängt, wo sie dann eine auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Infrastruktur aufbauen und ein lebendiges Gemeinschaftsleben entwickeln. Traditionell ist in den europäischen Städten die soziale und ethnische Mischung das Leitbild von Politik und Stadtplanung. Die sichtbare Absonderung von Bevölkerungsgruppen wird als Zeichen mangelnder sozialer Integration gesehen – wobei diese Sorge vor allem den unteren sozialen Schichten und den Migranten gilt. Anders ist dies z.B. in den amerikanischen Städten, wo die Segregation von Angehörigen einer ethnischen Minderheit als völlig normal angesehen wird. Allerdings wird die krasse Segregation von Afro-Amerikanern in innerstädtischen Ghettos auch in den USA kritisch beurteilt, weil angenommen wird, dass damit Benachteiligungen verbunden seien.

Benachteiligung durch Segregation?


Eine zusätzliche Benachteiligung durch den Wohnort kann bei einer sozial marginalisierten Bevölkerung dadurch zustande kommen, dass die Informations- und Kontaktmöglichkeiten der Bewohner sehr beschränkt sind, weil sie im lokalen Umkreis ebenfalls nur auf Leute treffen, die über keine Ressourcen verfügen. Bei Jugendlichen, für die die Nachbarschaft ein wichtiger Sozialisationsraum ist, wird angenommen, dass sie im depravierten Milieu des Quartiers Normen lernen und Vorbildern folgen, die sie zu deviantem Verhalten verleiten. Benachteiligte Bewohner, die sich ihren Wohnort nicht selbst aussuchen können, geraten damit in einen Kreislauf der Ausgrenzung, der aus eigener Kraft kaum mehr zu durchbrechen ist. Auf diese Problemlage hat das Bund-Länder-Programm "Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die Soziale Stadt" reagiert und Mittel für Maßnahmen bereitgestellt, die in einer integrierten Quartierspolitik die Situation in der Nachbarschaft verbessern und den Bewohnern Eingriffsmöglichkeiten sowie neue Perspektiven bieten sollen. Die Abkoppelung von Quartieren sowie die Ausgrenzung ganzer Bewohnergruppen soll damit verhindert werden.

Parallelgesellschaften?


Mit dem Begriff 'Parallelgesellschaft' werden von lokalen Politikern Quartiere mit einem hohen Anteil von Migranten belegt. Damit ist gemeint, dass die räumliche Segregation auch eine soziale Segregation bedeute, d.h. dass keine Kontakte zur Mehrheitsgesellschaft gepflegt werden, von denen aber der Prozess der Integration als abhängig gesehen wird. Einerseits wird mit solchen Behauptungen die Bedeutung des lokalen Umfeldes für die Integration unterschätzt. Andererseits werden dabei soziale Probleme insofern 'ethnisiert', als es vor allem die Unterschicht bei den Migranten ist, die räumlich segregiert wohnt und dazu auch keine Alternative hat. Am besten wird die Segregation bekämpft, indem die dahinter liegenden sozialen Ursachen von Diskriminierung und Ressourcenmangel beseitigt werden.

Fussnoten

Dr. Hartmut Häußermann, geboren 1943, studierte Politik, Soziologie und Volkswirtschaft an der Freien Universität Berlin. Er ist Professor für Stadt- und Regionalsoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin.