Der Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 war für Israel eine Zäsur. Israel reagierte mit einem Angriff auf den Gazastreifen und einer Bodenoffensive.
Die Gräueltaten der Hamas und anderer bewaffneter Gruppierungen am 7. Oktober 2023, bei denen rund 1.200 Menschen brutal ermordet und etwa 250 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden, erschütterten die israelische Bevölkerung zutiefst. Sie werden von jüdischen Israelis ganz überwiegend als Pogrom wahrgenommen. Damit rühren sie an das kollektive Trauma der Judenverfolgung und -vernichtung während des Holocausts. In der Folge war für die israelische Regierung und Bevölkerung klar, dass es ein „Weiter so“ nicht geben kann. Vom Gazastreifen sollte nie wieder eine Bedrohung für Israel ausgehen. Deshalb sollen die militärischen Kapazitäten der Hamas und anderer bewaffneter Gruppierungen zerstört und die Geiseln befreit werden. Die Hamas soll das Küstengebiet nicht länger regieren.
Infolge des Krieges kam es bislang es auf palästinensischer Seite zu einer großen Zahl an Toten (Ende Mai 2024 rund 36.000) und Verwundeten (über 80.000), mit einem vermutlich sehr hohen Anteil an Zivilistinnen und Zivilisten. Im Mai 2024 waren zudem rund 1,7 Mio. Menschen – und damit rund drei Viertel der Einwohnerinnen und Einwohner des Gazastreifens – Binnenflüchtlinge; viele von ihnen waren bereits mehrfach vor den Bombardierungen geflüchtet. Die humanitäre Lage spitzte sich extrem zu. Die Bombardierungen führten zudem zu großflächigen Zerstörungen und machten weite Teile des Gazastreifens auf absehbare Zeit unbewohnbar.
Auch in der palästinensischen Gesellschaft rührt der Krieg an das kollektive Trauma – das der „Nakba“. Das arabische Wort für Katastrophe steht für die Flucht und Vertreibung von Hunderttausenden von Palästinenserinnen und Palästinensern im Zusammenhang mit der israelischen Staatsgründung und dem ersten arabisch-israelischen Krieg im Jahr 1948. Zudem wird die Furcht, dass es sich nicht um eine temporäre Evakuierung aus Kampfgebieten handelt, sondern um eine permanente Vertreibung, durch entsprechende martialische Drohungen und Forderungen aus der israelischen Regierung und Öffentlichkeit verstärkt.
Israel konnte seine Ziele in den ersten Monaten des Krieges nur eingeschränkt erreichen. Zwar gelang es der israelischen Armee bis Mai 2024 nach eigenen Angaben das Gros der Hamas-Bataillone zu zerschlagen und rund 14.000 Hamas-Kämpfer zu töten. Doch nach wie vor wurden israelische Soldaten in Gebieten angegriffen, die die Armee bereits unter ihre Kontrolle gebracht hatte. Aus diesen Gebieten wurden auch weiterhin Raketen auf Israel abgefeuert. Im Frühsommer 2024 befanden sich noch 120 Geiseln in der Gewalt der Hamas und anderer bewaffneter Gruppierungen, wobei israelische Medien vermuteten, dass viele von ihnen nicht mehr leben. Von den rund 60.000 Israelis, die aus den an den Gazastreifen angrenzenden Ortschaften und Kibbuzim evakuiert worden waren, konnten bis Mitte März 2024 nur ca. 30.000 ins Grenzland von Gaza zurückkehren. Auch aus dem nördlichen Grenzgebiet wurden infolge von Angriffen durch die Hisbollah vom Libanon aus über 60.000 Israelis evakuiert, die noch nicht in ihre Häuser zurückkehren konnten.
Der 7. Oktober 2023 und der Gaza-Krieg haben gravierende Auswirkungen auf die regionale und internationale Sicherheit. Die von Iran angeführte „Achse des Widerstands“ hat mit koordinierten Operationen das israelische Territorium angegriffen. Die Hamas wurde dabei nicht nur (wie schon 2006) von der libanesischen Hisbollah, sondern unter anderem auch von den jemenitischen Huthi unterstützt. Die Huthi weiteten im November 2023 ihre Angriffe auf die zivile Schifffahrt in der Meerenge Bab al-Mandab und später auch im Roten Meer aus – mit direkten negativen Auswirkungen auf die internationale Sicherheit und den Welthandel.
Im April 2024 brachten direkte militärische Auseinandersetzungen zwischen Israel und Iran die Region an den Rand eines regionalen Krieges. Der Iran griff Israel erstmals direkt mit Hunderten von Kampfdrohnen und Raketen an. Damit verquickten sich der Palästinakonflikt, der Regionalkonflikt zwischen dem Iran und Israel und die Auswirkungen der internationalisierten Bürgerkriege im Jemen, im Irak und in Syrien zu einer „Krisenlandschaft“.
Ursachen und Hintergründe
Viele Ursachen des nahöstlichen Konflikts finden sich in Europa. So führte im späten 19. Jahrhundert unter anderem die Zunahme von Antisemitismus und Pogromen in Europa zur Entstehung des politischen Zionismus, der die Etablierung eines jüdischen Staates anstrebte, sowie zur Auswanderung von Jüdinnen und Juden nach Palästina, das seit dem 16. Jahrhundert zum osmanischen Reich gehörte und mehrheitlich arabisch besiedelt war. Mit zunehmender jüdischer Einwanderung, Ansiedlung und dem Aufbau von vorstaatlichen Organisationen verstärkte sich dort die Konkurrenz um Land und Ressourcen zwischen den Bevölkerungsgruppen.
Im Kern handelt es sich beim Nahostkonflikt um einen Territorialkonflikt. Die Konfliktparteien (Juden vs. Araber, ab 1948 Israelis vs. Palästinenser) erheben grundsätzlich Anspruch auf dasselbe Gebiet, nämlich das Territorium des ehemaligen britischen Mandatsgebiets Palästinas zwischen Jordan und Mittelmeer. Heute erstreckt sich Israels Souveränität auf 78 % dieses Gebietes, über die restlichen 22 % herrscht es seit 1967 als Besatzungsmacht.
Der Nahostkonflikt ist auch ein ethno-nationaler Konflikt. Die beiden ethnischen Gruppen verfolgten bzw. verfolgen mit dem politischen Zionismus und dem palästinensischen Nationalismus miteinander konkurrierende nationale Bestrebungen. Die Juden haben ihr Anliegen bereits 1948 mit der Ausrufung des Staates Israel verwirklicht und diesen seither erfolgreich gegen Angriffe verteidigt. Die nationale Selbstbestimmung der Palästinenser steht hingegen nach wie vor aus. Denn trotz der Proklamation eines palästinensischen Staates mangelt es der palästinensischen Führung an einer effektiven Kontrolle und anerkannter Souveränität über ein Staatsgebiet.
Bearbeitungs- und Lösungsansätze
Schon vor dem 7. Oktober 2023 musste der in Oslo in den 1990er Jahren vereinbarte Ansatz, den Konflikt durch Verhandlungen über eine Teilung des ehemaligen Mandatsgebiets und eine einvernehmliche Regelung der Flüchtlingsfrage zu befrieden, als gescheitert angesehen werden. Von einer Einigung haben sich die Konfliktparteien immer weiter entfernt. Sie sind vielmehr in ein Nullsummendenken und einen existenziellen Konflikt um das ganze Land zurückgefallen. Dies manifestiert sich darin, dass ein immer größerer Anteil der beiden Bevölkerungen Anspruch auf das gesamte Gebiet erhebt und jeweils bestreitet, dass auch die andere Seite legitime Ansprüche und Interessen habe. Entsprechend haben sich auch die Debatten über den Konflikt deutlich zugespitzt.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Gewalteskalation setzen sich die USA, die EU und ihre Mitgliedsstaaten sowie arabische Länder diplomatisch dafür ein, eine weitere Konflikteskalation zu verhindern, die humanitäre Situation im Gazastreifen zu verbessern, eine Freilassung der Geiseln zu erreichen und den Weg zu einer dauerhaften Stabilisierung nach dem Krieg durch eine Zweistaatenregelung und eine Integration Israels in die Region zu ebnen. Weitgehend konvergierende Ansätze finden sich in den Prinzipien, die US-Außenminister Anthony Blinken am Rande des G7-Treffens in Tokyo im November 2023 verkündete, in der sogenannten „Biden-Doktrin“, in den Verlautbarungen des Hohen Vertreters der EU und im arabischen Plan für den Tag danach.
Die regionalen und internationalen Akteure konnten allerdings nur begrenzte Fortschritte bei ihren Vermittlungsbemühungen verzeichnen. Damit ist derzeit noch offen, inwieweit der 7. Oktober und der Krieg im Gazastreifen einen Wendepunkt im israelisch-palästinensischen Verhältnis darstellen – vergleichbar etwa mit dem Oktoberkrieg 1973, der den Weg für den israelisch-ägyptischen Friedensvertrag ebnete. Bislang scheint es sich eher um eine weitere Zuspitzung der Konfrontation zu handeln. Entsprechend ist seit dem 7. Oktober auch die Gewalt im Westjordanland – nicht zuletzt durch gewalttätige Siedler – weiter eskaliert. Bis Mai 2024 kamen dort über 500 Menschen ums Leben. Auch zeichnet sich eine auf Dauer angelegte militärische Präsenz Israels im Gazastreifen ab.
Geschichte des Konflikts
Der Boden für den Konflikt wurde auch durch widersprüchliche Zusagen bereitet, die die Briten arabischen und zionistischen Vertretern während des 1. Weltkriegs in Bezug auf Selbstbestimmung in Palästina machten. Der Genozid an den europäischen Juden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verstärkte die Dringlichkeit eines Staates, der Jüdinnen und Juden effektiven Schutz gewähren würde. 1947 schlugen die Vereinten Nationen mit ihrem Teilungsplan einen solchen Staat vor.
Der Teilungsplan sah im britischen Mandatsgebiet Palästina einen jüdischen und einen arabischen Staat vor, die beide durch eine Wirtschaftsunion verbunden sein sollten. Der Großraum Jerusalem sollte als sogenanntes Corpus Separatum (gesonderte Einheit) unter internationale Verwaltung gestellt werden. Dadurch sollte der Zugang zu den Heiligen Stätten für die Angehörigen der drei monotheistischen Religionsgemeinschaften (Judentum, Christentum und Islam) gewährleistet werden.
Nahostkonflikt - Kriege und Aufstände von 1947 bis 2021 (mr-kartographie) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Am 14. Mai 1948 endete das britische Mandat über Palästina, und der Ministerpräsident der provisorischen Regierung David Ben Gurion verlas die Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel. Die arabischen Staaten lehnten die Entstehung des „zionistischen Gebildes“ in Palästina ab, verwehrten ihm die Anerkennung und griffen es direkt nach der Staatsausrufung an. Israel verteidigte nicht nur erfolgreich seine nationale Unabhängigkeit gegenüber den arabischen Armeen, es eroberte auch Gebiete jenseits des im Teilungsplan vorgesehenen Territoriums. Die Waffenstillstandslinien von 1949 (oft bezeichnet als „die Grenzen von 1967“, eigentlich die Grenzen vor dem Juni-Krieg 1967) gelten seither international als Grenzen des Staates Israel.
Im kollektiven palästinensischen Gedächtnis stehen die Ereignisse um 1948 für die „Nakba“, also die Flucht und Vertreibung von rund 700.000 Palästinenserinnen und Palästinensern. Zudem verblieben nur noch 22 % des Mandatsgebiets für einen arabischen Staat. Das Westjordanland inklusive Ost-Jerusalems wurde in der Folge des Krieges von Jordanien annektiert, der Gazastreifen von Ägypten verwaltet. Nach der Staatsgründung Israels kommt es zur Flucht und Vertreibung nahezu aller Juden aus den arabischen Ländern.
Während jüdische Israelis mit dem Begriff „Sechs-Tage-Krieg“ stolz ihren schnellen Sieg im Präventivkrieg gegen Ägypten, Jordanien und Syrien im Juni 1967 betonen, stellte sich dieser für die palästinensische Seite als weiterer Rückschritt dar. Denn die Niederlage der arabischen Staaten führte zur Besetzung des Westjordanlands (inklusive Ost-Jerusalems) und des Gazastreifens und markierte den Beginn des israelischen Besatzungsregimes und der Siedlungspolitik sowie der Flucht und Vertreibung von rund 350.000 Palästinenserinnen und Palästinensern vor allem nach Jordanien und in den Libanon.
Im Dezember 1987 begann die palästinensische Bevölkerung in den besetzten Gebieten einen weitgehend zivilen und lokal organisierten Aufstand gegen die israelische Besatzung: die Erste Intifada (arabisch für «Abschütteln»). Die PLO-Führung rief Ende 1988 im algerischen Exil einen palästinensischen Staat in den 1967 besetzten Gebieten aus – ein entscheidender palästinensischer Schritt hin zu einer Anerkennung Israels.
Zu Beginn des Friedensprozesses von Oslo erkannten sich Israel und die PLO 1993 gegenseitig an und einigten sich auf eine verhandelte Konfliktregelung auf der Basis der Grenzen von 1967. In einer fünfjährigen Übergangsperiode (Mai 1994 bis Mai 1999) sollte eine Palästinensische Autonomiebehörde (PA) die palästinensischen Bevölkerungszentren verwalten, und die israelischen Truppen sollten in mehreren Etappen abziehen. Die palästinensische Führung verband den Oslo-Prozess mit der Hoffnung, ihr Recht auf Selbstbestimmung in einem souveränen Staat umsetzen zu können.
Allerdings geriet der Friedensprozess infolge der Gewalt von Extremisten beider Seiten schnell ins Stocken: Im Februar 1994 ermordete der jüdische Siedler Baruch Goldstein 29 betende Palästinenser in der Abrahamsmoschee in Hebron. Anschläge palästinensischer Extremisten töteten Dutzende von Zivilisten in Israel, so etwa im April 1994, als eine Autobombe in Afula explodierte, und in Hadera, wo sich ein Selbstmordattentäter in einem Bus in die Luft sprengte; und im Oktober 1994 in Tel Aviv. Am 4. November 1995 wurde dann der israelische Premierminister Jitzchak Rabin von dem jüdischen religiösen Fanatiker und Rechtextremisten Jigal Amir ermordet. Damit verlor der Friedensprozess einen entscheidenden Akteur.
In der ersten Regierungszeit Benjamin Netanjahus (1996-1999) gab es keine Fortschritte im Friedensprozess mehr. Erst im Jahr 2000 wurden unter Vermittlung des US-Präsidenten Bill Clinton zum ersten Mal Verhandlungen über ein sogenanntes Endstatusabkommen geführt. Sie brachten aber keine Einigung; die Verhandlungsführer Jassir Arafat und Ehud Barak lagen in fast allen Punkten weit auseinander.
Im September 2000 löste der Besuch das damaligen israelischen Oppositionsführers Ariel Scharon auf dem Tempelberg/Haram al-Scharif die Zweite Intifada aus, einen weiteren Aufstand gegen die israelische Besatzung. Zwar kehrten die israelische und die palästinensische Führung 2005 zu einem gemeinsamen Konfliktmanagement zurück, nachdem Mahmud Abbas palästinensischer Präsident geworden war. Aber die Gewalt der Zweiten Intifada führte zu einem tiefen Vertrauensverlust zwischen beiden Seiten. Ernsthafte Friedensverhandlungen gab es seither nur noch 2007/2008; seit 2014 fanden nicht einmal mehr hochrangige Gespräche über eine Konfliktregelung statt.
Dr. Muriel Asseburg (geb. 1968) ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Ihre aktuellen Forschungsschwerpunkte liegen auf Konfliktdynamiken und Friedensbemühungen im Nahen Osten (insbesondere Israel/Palästina und Syrien) und Autokratisierung als Herausforderung deutscher und europäischer Politik. Ihre wissenschaftliche Arbeit verortet sich in der Friedens- und Konflikt-, der Transformations- und Autoritarismus- sowie der Außenpolitikforschung. Asseburg hat Politikwissenschaft, Völkerrecht und Volkswirtschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München studiert und dort im Jahr 2000 promoviert. Sie hat u.a. in Jerusalem, Ramallah, Damaskus und Beirut gelebt und dort gearbeitet bzw. studiert. Aktuelle Veröffentlichungen und Interviews finden sich auf ihrem Webprofil: Externer Link: Muriel Asseburg - Stiftung Wissenschaft und Politik (swp-berlin.org)
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