Es sind nur noch ein paar Tage bis zu den iranischen Präsidentschaftswahlen am 12. Juni. Dennoch werden die Abendnachrichten von den skandalösen Enthüllungen um die Spesenabrechnungen britischer Abgeordneter bestimmt. Die Programmgestalter der staatlichen Medien in Iran halten es anscheinend für angebracht, die iranische Öffentlichkeit über viele Details dieses Skandals auf dem Laufenden zu halten.
Eine Spesenabrechnung für den Austausch eines undichten Rohrs unter einem Tennisplatz in Höhe von rund 2.300 Euro, die von einem führenden britischen Politiker namens Oliver Letwin getätigt wurde, stellt zweifellos unterhaltsames Fernsehen dar. Abgesehen davon passt der Skandal in Großbritannien perfekt ins Weltbild des staatlichen Fernsehens von einem dekadenten, lächerlichen, korrupten Westen.
Diese sinnstiftende Feindschaft mit dem Westen wird auch vom iranischen Revolutionsführer Ajatollah Ali Chamenei befürwortet. Das Geistige Oberhaupt forderte während einer Rede am 18. Mai in der westlich gelegenen Stadt Bidschar die Wähler auf, ihre Stimme nicht denen, "die sich dem Feind unterwerfen" zu geben. Chamenei nannte keine Namen, aber man benötigt keinen ausgeprägten detektivischen Spürsinn, um zu erkennen, dass dies eine klare Befürwortung des Präsidenten Mahmoud Ahmadinedschad darstellt.
Das Geistige Oberhaupt Ajatollah Chameini hat an Einfluss gewonnen
Ahmadinedschad kann anscheinend auf die Unterstützung von Ajatollah Ali Chamenei setzen, der ihn gegen Ende 2008 als "leuchtendes Vorbild" der Regierung lobte und ihn öffentlich dazu aufforderte, sich auf eine zweite Amtszeit vorzubereiten. Eine derartige Unterstützung des Präsidenten hat es während der Amtszeit des Reformers Mohammed Chatami (1997-2005) nie gegeben. In einem politischen System, in dem sich Bündnisse gegenseitig stützen und die Schwäche einer Seite ein Risiko für alle Beteiligten darstellen kann, hat die Präsidentschaft Ahmadinedschads auch die Position des Revolutionsführers gestärkt.
Während der Amtszeit der Reformer (1997-2005) galt Ajatollah Chamenei weithin als Haupthindernis für die demokratischen Bestrebungen der Wählerschaft; heutzutage ist er der "gerechte Vermittler", an den sich die Reformer angesichts der Politik von Ahmadinedschad demütig wenden. Die landesweiten studentischen Unruhen, die 1999 begannen und der darauf folgende sozial-liberale Aktivismus ereigneten sich während der Regierungszeit der Reformer. Die Macht des Revolutionsführers Chamenei sollte nie wieder als so geschwächt dargestellt werden wie im Juli 1999, als er im staatlichen Fernsehen die Basidsch-Miliz, eine paramilitärische Einheit, bat, im Umgang mit den Studenten "geduldig" zu sein und sich zurückzuhalten, "selbst wenn sie mein Bild verbrennen oder zerreißen". Wie die Folgejahre und das brutale Vorgehen gegen Aktivisten gezeigt haben, gibt es unter den hochrangigen Konservativen in Iran keine Nachsicht mehr im Bezug auf eine Wiederholung dieser Ereignisse.
Der Frust schafft sich Luft
Doch so einfach ist es nicht. Die iranische Amir Kabir-Universität weist eine langjährige Geschichte des studentischen Aktivismus auf, vor und nach der Revolution. Als der iranische Präsident Ahmadinedschad der Universität im Jahre 2006 einen Besuch abstattete, wurde er von den Studenten, die "Tod den Diktatoren" riefen, verspottet und verhöhnt. Danach wurden viele verhaftet.
Als am 30. Mai 2009 eine Wahlversammlung des Reformers Mehdi Karroubi abgesagt wurde, ließen sich die Studenten nicht abschrecken und rissen unter "Tod den Diktatoren"-Sprechchören Externer Link: die Absperrungen nieder. Trotz der strikten Medienüberwachung in Iran waren die Externer Link: Bilder des Protestes kurz darauf im Internet zu sehen. Die eisernen Tore am Eingang zur Universität, die niedergerissen wurden, haben eine Geschichte: Sie wurden schon öfter eingerissen und immer wieder neu aufgestellt.
Es ist kein großes Geheimnis, dass die meisten Staatschefs im Nahen Osten mit ihrer Jugend in Konflikt stehen, und in Iran ist es nicht anders. In einer der jüngsten Gesellschaften des Mittleren Ostens mit einem der höchsten Bildungsniveaus hat die Obrigkeit aber keine andere Wahl, als zumindest die Tore der Universitäten für immer offen zu lassen.
Aus dem Englischen von Martina Heimermann