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Geschichte des Rechtsextremismus von 1945 bis 2005 | Rechtsextremismus | bpb.de

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Geschichte des Rechtsextremismus von 1945 bis 2005

Prof. Dr. Richard Stöss Richard Stöss

/ 6 Minuten zu lesen

Wie hat sich der Rechtsextremismus in Deutschland zwischen 1945 und 2005 entwickelt? Richard Stöss erkennt in seinem geschichtlichen Abriss vier markante Phasen.

Beschlagnahmte Waffen während einer Pressekonferenz des Landeskriminalamts in Kiel. "Combat 18" ist der bewaffnete Arm der im Jahr 2000 verbotenen rechtsextremistischen Gruppe "Blood and Honor". (© AP)

Die Entwicklung des Rechtsextremismus lässt sich in vier Phasen einteilen.

1945 bis 1961

Der Rechtsextremismus profitierte zunächst in gewissem Umfang von den tief greifenden ökonomischen, sozialen und politischen Nachkriegsproblemen, insbesondere von der Teilung Deutschlands und den Vertreibungen aus den ehemaligen Ostgebieten. Bei der Bundestagswahl 1949 erzielten die zugelassenen rechtsextremen Parteien insgesamt 5,7 Prozent (7 Mandate). Die 1952 verbotene Sozialistische Reichspartei (SRP) brachte es 1951 in Niedersachsen auf 11 Prozent (16 Mandate) und in Bremen auf 7,7 Prozent (8 Mandate). In Süddeutschland verbündeten sich Rechtsextremisten mit Vertriebenengruppen und konnten so 1950 einige Vertreter in die Landtage von Bayern und Württemberg-Baden entsenden. Aber die Integrationskraft des politischen und wirtschaftlichen Systems der Bundesrepublik wuchs rasch ("Wirtschaftswunder") und entzog dem Rechtsextremismus weithin die soziale Basis. Wahlerfolge waren nur der Deutschen Reichspartei (DRP) in Niedersachsen (1955: 6 Mandate) und in Rheinland-Pfalz (1959: 1 Mandat) beschieden. Die Anzahl der organisierten Rechtsextremisten sank von 76.000 (1954) auf 21.000 (1964).

1962 bis 1982

Anfang der sechziger Jahre setzten innerhalb des mittlerweile bedeutungslosen und zersplitterten rechtsextremen Lagers Sammlungsbemühungen ein, die 1964 zur Gründung der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands führten. Das Ende des "CDU-Staats", die Bildung einer Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD Ende 1966 und die erste größere Wirtschaftskrise 1966/67 begünstigten den Aufstieg der NPD, die zwischen 1966 und 1968 in sieben Landesparlamente (insgesamt 61 Landtagsmandate) einzog und 1969 mit 4,3 Prozent nur knapp den Sprung in den Bundestag verfehlte. Das entscheidende Resultat der Bundestagswahl 1969 war die Bildung der sozialliberalen Koalition aus SPD und FDP unter Bundeskanzler Willy Brandt. Die während des Wahlkampfes sichtbar gewordenen Repolarisierungstendenzen zwischen CDU/CSU und SPD setzten sich nach 1969 verstärkt fort.

Die Unionsparteien sahen sich auf Bundesebene erstmalig in die Opposition verwiesen und nahmen durch einen politischen Rechtsruck ihren alten Platz im Parteiensystem wieder ein. Indem sie mehr oder weniger vehement gegen die neue Ostpolitik der Bundesregierung und deren Reformpläne kämpften, konnten sie jenes Vakuum wieder ausfüllen, das durch ihren Eintritt in die Große Koalition entstanden war und den vorübergehenden Auftrieb der NPD ermöglicht hatte. In der Folgezeit fielen der CDU/CSU etwa vier Fünftel der Wählerschaft der NPD zu, der sie buchstäblich das Wasser abgrub. Die NPD geriet nach der Bundestagswahl in eine tiefe innere Krise. Hatte der Zusammenhalt der Partei bis dahin auf dem Zwang zur Geschlossenheit beruht, um den Wahlsieg nicht zu gefährden, so brachen mit der Wahlniederlage die internen Gegensätze mit voller Wucht auf: Es ging um Programm und Taktik der "nationalen Opposition" im allgemeinen und insbesondere um das Problem der angemessenen Widerstandsformen gegen den angeblichen "Ausverkauf Deutschlands" durch die Ostpolitik der Regierung Brandt.

  • Ein aktionistischer Flügel befürwortete und praktizierte illegale Methoden und bildete den Ausgangspunkt für die Mitte der siebziger Jahre entstehenden neonazistischen Kampfgruppen, die sich auch terroristischer Methoden bedienten: Zum Beispiel die Aktionsfront Nationaler Sozialisten (ANS), die Volkssozialistische Bewegung Deutschlands (VSBD), die Deutschen Aktionsgruppen (DA) und die "Wehrsportgruppe Hoffmann".

  • Ein eher linker, von Intellektuellen dominierter Flügel arbeitete an der geistigen Erneuerung der theoretischen Grundlagen des Rechtsextremismus. Daraus erwuchsen 1974 verschiedene nationalrevolutionäre Gruppierungen, die sich teilweise auch im Rahmen der Ökologiebewegung engagierten.

  • Schließlich verselbständigten sich auch jene national-konservativen Kräfte, die eine Kooperation mit den rechten Flügeln von CDU und CSU gegen die Reformpolitik der sozialliberalen Koalition anstrebten. So entstand 1971 beispielsweise die Deutsche Volksunion (DVU).

Charakteristisch für die siebziger Jahre war die starke Fragmentierung des Rechtsextremismus bei gleichzeitigem Anwachsen neonazistischer Gewaltbereitschaft und Militanz. Die Mitgliederzahlen des organisierten Rechtsextremismus wuchsen zunächst bis 1967 auf 39.000 an, sanken dann aber kontinuierlich auf den bisherigen Tiefststand von 17.000 im Jahr 1979.

1983 bis 1990

Die dritte Entwicklungsphase des Rechtsextremismus setzte Anfang/Mitte der achtziger Jahre ein, und wieder waren es Momente eines gesellschaftlich-politischen Umbruchs, die seinen Auftrieb beförderten. Anders als früher handelte es sich nun aber um Faktoren, die mehr oder weniger in allen westeuropäischen Staaten wirksam waren (und weiterhin sind), womit dieser "neue" Rechtsextremismus zu einem europäischen Phänomen wurde. Sozialer Wandel, technologische Modernisierung, geringes Wirtschaftswachstum, hohe Massenarbeitslosigkeit, Beschneidung der Sozialausgaben, die politischen und sozialen Umwälzungen in Osteuropa, das Abschmelzen des Ost-West-Gegensatzes, Migrationsbewegungen und Asylproblematik sind nur einige Stichworte, die den Problemhaushalt aller westeuropäischen Staaten prägen.

Hinzu kommt der Bedeutungsverlust der Nationalstaaten angesichts der wirtschaftlichen und politischen Globalisierung. Unter dem Druck der veränderten Verhältnisse zerbrach im Oktober 1982 die sozialliberale Koalition. Als die neue Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP das marode DDR-Regime mit einem Milliardenkredit unterstützte, gründeten neo-konservative Kreise im Umfeld der Unionsparteien Ende 1983 die Partei Die Republikaner (REP). Als weiteres Gründungsmotiv wurde das nicht eingelöste Versprechen der Unionsparteien, bei der Ablösung der sozialliberalen Koalition eine "geistig-moralische Wende" einzuleiten, angeführt. Der neue Aufwärtstrend des Rechtsextremismus deutete sich bereits bei der Europawahl 1984 an, als die NPD mit 0,8 Prozent ein für ihre damaligen Verhältnisse beachtliches Resultat verbuchen konnte. 1986 verabredeten NPD und DVU eine Zusammenarbeit beider Organisationen, die weitere Wahlerfolge zeitigte, 1987 sogar erstmalig seit 1968 wieder ein parlamentarisches Mandat (für die DVU) auf Landesebene (Bremen). Den eigentlichen Durchbruch schafften jedoch die Republikaner: Sie nahmen die Fünf-Prozent-Hürde 1989 gleich zweimal mit Leichtigkeit: In Berlin (West) fielen ihnen mit 7,5 Prozent der Stimmen elf und bei der Europawahl mit 7,1 Prozent sechs Mandate zu.

1990 bis 2005

Die deutsche Einheit leitete die vierte Entwicklungsphase ein. Das Fundament des ostdeutschen Rechtsextremismus wurde in der "antifaschistischen" DDR gelegt. Der Staatssozialismus beförderte die Entstehung autoritärer, nationalistischer und fremdenfeindlicher Orientierungen. Mit der wachsenden Unzufriedenheit mit den Arbeits- und Lebensbedingungen in den achtziger Jahren entwickelten sich auch rechtsextreme Protestbewegungen, die sich zu subkulturellen Milieus verdichteten. Da öffentlicher Protest in einem Polizeistaat große Risikobereitschaft voraussetzt, zeichneten sich die Fußballfans und Skinheads in der DDR durch enorme Gewalttätigkeit und Brutalität aus. Mit dem Fall der Mauer schwoll der Jugendprotest an, und die Milieus breiteten sich weiter aus und neonazistische Gruppierungen fanden regen Zuspruch bei jungen Leuten. Zwischen 1991 und 1994 erlebte die Bundesrepublik insgesamt ein Anschwellen der rassistischen Gewalt in einem bis dahin unvorstellbaren Ausmaß, wobei die Hälfte der Gewalttaten in Ostdeutschland verübt wurde. Nicht selten fanden die teilweise pogromartigen Aktionen gegen Ausländer und Asylbewerber den Beifall von Anwohnern oder Passanten, was darauf hindeutete, dass die gewaltbereiten Subkulturen gerade in Ostdeutschland in ein latent rechtsextremes Umfeld eingelagert sind.

Der westdeutsche Rechtsextremismus witterte in den neuen Ländern ein attraktives Rekrutierungsfeld und begann gleich nach dem Mauerfall, in der zusammenbrechenden DDR Mitglieder und Wähler zu gewinnen. NPD und Republikaner stießen bei Wahlen zunächst jedoch auf wenig Resonanz, und die DVU begann vergleichsweise spät mit dem Parteiaufbau und nahm überhaupt erst seit 1998 an Wahlen in Ostdeutschland teil. Mit Blick auf den Organisationsgrad, die Wählerresonanz und die Verbreitung rechtsextremer Einstellungen lag das Schwergewicht des Rechtsextremismus bis Mitte der neunziger Jahre im Westen. Die DVU erzielte in Bremen 1991 sechs Mandate (6,2%) und Schleswig-Holstein 1992 ebenfalls sechs Mandate (6,3%), und die Republikaner überwanden in Baden-Württemberg 1992 und 1996 mit jeweils rund zehn Prozent und mit 14 bzw. 15 Parlamentssitzen die Sperrklausel. Erst seit 1998 erreichten die Westparteien im Osten angesichts der großen Unzufriedenheit mit den wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Systemwechsels und dem Zustand der inneren Einheit Wahlerfolge. In Sachsen-Anhalt brachte es die DVU mit 12,9 Prozent auf 16 Mandate, und in Brandenburg rückte sie 1999 mit fünf und 2004 mit sechs Abgeordneten in den Landtag ein.

Die NPD, die kleinste und radikalste unter den drei rechtsextremen Parteien, bemühte sich gezielt um einen systematischen Organisationsaufbau, vernetzte sich mit Kameradschaften bzw. Freien Nationalisten und suchte den Kontakt zu den vielfältigen Subkulturen. In Folge ih-rer Präsenz vor Ort und ihrer Arbeit mit Jugendlichen wurde sie zum organisatorischen Zentrum des ostdeutschen Rechtsextremismus. Bei Wahlen machte sich das erstmalig 2004 in Sachsen bezahlt, wo sie mit 9,2 Prozent 12 Mandate gewann. Trotz der Wahlerfolge in den letzten Jahren ist die Mitgliederentwicklung des Rechtsextremismus in Deutschland insgesamt rückläufig. Nach 1979 war zunächst ein Anstieg auf die bisherige Höchstmarke von 64.500 Personen (1993) zu verzeichnen. 2005 betrug das Personenpotenzial nur noch 39.000. Dieser Rückgang vollzog sich im Westen rascher als im Osten und bezog sich vor allem auf die Parteimitglieder. So verringerte sich die Mitgliederzahl der Republikaner von 23.000 (1993) auf 6.500 (2005) und die der DVU im selben Zeitraum von 26.000 auf 9.000. Allen die NPD verzeichnete in diesen Jahren einen Zuwachs von 5.000 auf 6.000 Personen. Mit dem Abschmelzen der Parteimitglieder nimmt die relative Bedeutung der gewalt-bereiten Subkulturen und Neonazis (einschließlich der NPD) zu. Dieses systemfeindliche Potenzial hat sich bundesweit zwischen 1993 und 2005 verzehnfacht. Die Radikalisierung des Rechtsextremismus macht sich auch dadurch bemerkbar, dass die ihm zuzuordnenden Straf- bzw. Gewalttaten zunehmen. Sie wuchsen zwischen 2004 und 2005 um 25 Prozent.

Fussnoten

Geb. 1944, studierte Politische Wissenschaft und ist seit 2004 außerplanmäßiger Professor an der FU Berlin. Forschungsschwerpunkte: Parteiensystem der Bundesrepublik, Deutschland, Rechtsextremismus, Politische Einstellungen, Wahlverhalten, Konfliktstruktur der deutschen Gesellschaft.