Der bewaffnete Konflikt
Die FARC entwickelte sich zur größten Guerillabewegung. Geleitet von einer marxistischen Ideologie bestand ihr strategisches Ziel in der Übernahme der politischen Macht im Land, um die Politik in Richtung einer gerechteren Verteilung von Land und der Überwindung sozialer Ungerechtigkeiten zu verändern. Ihre Aktionen richteten sich hauptsächlich gegen die staatlichen Sicherheitskräfte und die mit ihnen teils verbündeten, teils von ihnen tolerierten Paramilitärs
Die großzügige Unterstützung zur Aufrüstung der Streitkräfte seitens der USA im Rahmen des „Plan Colombia“
Der Weg zum Frieden
Der 2016 in Havanna geschlossene Friedensvertrag
Nachdem die Bevölkerung den Vertrag in einem landesweiten Referendum zunächst knapp abgelehnt hatte, wurde die überarbeitete Vereinbarung im Dezember 2016 vom Kongress angenommen. Die heftigen innenpolitischen Kontroversen zwischen Befürwortern und Gegnern des Vertrags von Havanna, die sich im Ausgang des Referendums zeigten, verdeutlichen die bis heute bestehende tiefe Spaltung der kolumbianischen Politik und Gesellschaft über die Grundausrichtung und die Inhalte des Friedensprozesses.
Der für seine umfassenden Regelungen und innovativen Ansätze weltweit hochgelobte Vertrag sieht die Überwindung wesentlicher Konfliktursachen vor. Dazu gehören die ungleiche Landverteilung, die mangelnde politische Teilhabe und die Drogenökonomie, die eine wichtige Einnahmequelle für die FARC und andere bewaffnete Gruppen darstellte. Eine weitere zentrale Festlegung des Abkommens war die Demobilisierung der FARC. Mehr als 13.000 Kämpfer legten die Waffen nieder. Die FARC formierte sich unter dem Namen „Comunes“ als politische Partei und erhielt für zwei Legislaturperioden (2018-2026) je fünf garantierte Sitze im Senat und im Repräsentantenhaus.
Ein Kapitel des Abkommens ist den Opfern des Konflikts und der Aufarbeitung der Gewalt gewidmet. Das dafür geschaffene „Integrale System für Wahrheit, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Garantien der Nicht-Wiederholung“ (SIVJRNR)
Die Wahrheitskommission (CEV) hatte die Aufgabe, die Ursachen und gesellschaftlichen Auswirkungen des Konflikts zu analysieren, die Hintergründe zu verstehen und Empfehlungen für die Aufarbeitung und eine friedliche Zukunft zu formulieren. Die Kommission hat umfangreiche Daten und Zeugenaussagen von mehr als 27.000 Personen gesammelt, Hunderte von öffentlichen und privaten Anhörungen durchgeführt und dabei eng mit lokalen Organisationen und internationalen Beobachtern zusammengearbeitet. Ihr Abschlussbericht (Juni 2022) enthält 189 Empfehlungen für den Aufbau des Friedens.
Die „Einheit zur Suche nach als vermisst geltenden Personen“ (UBPD) hat die Aufgabe, den Verbleib von landesweit mehr als 121.000 gewaltsam Verschwundenen aufzuklären. Sie suchen Massengräber, führen forensische Untersuchungen durch und klären die Identität der aufgefundenen menschlichen Überreste. Die Verantwortlichen für willkürliche Tötungen und Massenhinrichtungen, insbesondere in rechten Parteien und unter den Paramilitärs, versuchen, die Arbeit der Suchtrupps zu diskreditieren und zu verhindern (vgl. z.B. Schäfer 2022).
Die Sondergerichtsbarkeit für den Frieden (JEP) hat die Aufgabe, die strafrechtliche Verantwortung für schwere Verbrechen zu klären, die im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt begangen wurden. Der Fokus liegt dabei auf der Anerkennung der Rechte der Opfer von Gewalt. Die JEP kann Amnestien für weniger schwere Vergehen gewähren. Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der juristischen Verfolgung von schweren Straftaten und Versöhnungsinitiativen soll den kollektiven Heilungsprozess und die soziale Stabilität fördern. Bisher wurden 11 Makro-Prozesse zu übergeordneten Themen eröffnet, z.B. zu Entführungen durch die FARC-Guerilla und zu außergerichtlichen Hinrichtungen durch staatliche Sicherheitskräfte.
Die Regierung von Gustavo Petro, der im August 2022 als erster linksgerichteter Präsident Kolumbiens gewählt wurde, unternimmt große Anstrengungen, um den Friedensprozess nach der Blockadepolitik der rechtskonservativen Vorgängerregierung unter Iván Duque (2018–2022) wieder in Gang zu bringen. 2021 war es u.a. wegen der neoliberalen Steuerreform Duques, aber auch wegen der stockenden Umsetzung des Friedensabkommens zu den größten landesweiten Streiks und sozialen Protesten in der Geschichte Kolumbiens mit mehr als 80 Toten, hauptsächlich durch Polizeigewalt, gekommen.
Wie der Jahresbericht des US-amerikanischen Kroc-Instituts, das für das Monitoring der Umsetzung des Abkommens von Havanna verantwortlich zeichnet, für den Zeitraum 2022/23 feststellt, sind sieben Jahre nach Unterzeichnung des Abkommens, das eine Laufzeit von 15 Jahren hat, nur 32 % der 578 Vereinbarungen vollständig und 49 % minimal oder gar nicht umgesetzt. Besonders große Defizite bestehen zum einen in Bezug auf die Sicherheit von ehemaligen FARC-Kämpfern sowie Menschenrechts- und Umweltaktivisten und zum anderen bei den Themen Landrückgabe und ländliche Entwicklung.
Das kolumbianische Friedensforschungsinstitut INDEPAZ dokumentierte vom Abschluss des Friedensvertrages im Oktober 2016 bis zum 14. März 2025 insgesamt 628 Massaker mit 2.314 Opfern, darunter weit über 100 Kinder und Jugendliche, 1.745 ermordete Menschenrechtsverteidiger und soziale Führungspersönlichkeiten sowie 451 getötete Ex-Kombattanten der FARC.
Erfolge und Fortschritte
Präsident Petro und seine „Regierung des Wandels“
Die weitreichende Entwicklungsagenda für die Jahre 2022 bis 2026 des Präsidenten zielt auf die Überwindung des neoliberalen Politikansatzes der bisherigen rechtskonservativen Regierungen. Zentrale Anliegen sind: eine Agrarreform, der Umbau in eine CO2-neutrale Wirtschaft, die Einführung eines Mindestlohns, die Durchführung einer Renten-, Gesundheits- und Bildungsreform, die Förderung des sozialen Wohnungsbaus sowie die Reform der Justiz und des Sicherheitsapparates.
Doch Petros Pläne, insbesondere jene, die auf die Reduzierung der sozialen Ungleichheit, den Klimaschutz und eine grüne Wirtschaftsentwicklung hinarbeiten, stoßen auf starken Widerstand aus den etablierten politischen und wirtschaftlichen Kreisen, besonders der mächtigen traditionellen Eliten, die um ihre Privilegien fürchten. In ihrem Auftrag versuchen die Oppositionsparteien im Kongress nach Kräften die Umsetzung der Reformagenda zu torpedieren.
Die Regierung führt derzeit Verhandlungen mit insgesamt zehn verschiedenen bewaffneten Gruppen, um den proklamierten „Totalen Frieden“ zu erreichen (Breda 2024). Jede Gruppierung, für die jeweils eine eigene Verhandlungskommission gebildet wurde, hat eine eigene Agenda mit spezifischen Verhandlungspositionen und Forderungen vorgelegt. Die Verhandlungen haben zwar bereits mit einigen Gruppen zu zeitlich befristeten bilateralen Waffenruhen geführt; substanzielle Friedensabkommen wurden bislang jedoch nicht erreicht.
Probleme und Defizite
Nach einer Phase der Beruhigung ist seit Mitte 2024 die Gewaltkurve wieder steil angestiegen. Der Januar 2025 war der tödlichste Monat seit der Amtsübernahme von Gustavo Petro.
Das Internationale Rote Kreuz hat 2024 in Kolumbien acht bewaffnete Konflikte mit gravierenden humanitären Folgen für die Zivilbevölkerung identifiziert.
Ein weiteres Reformprojekt der Regierung, die Drogenpolitik, scheitert nicht nur an internen Schwierigkeiten, sondern auch an der fehlenden internationalen Unterstützung. Päsident Petro hat eine Legalisierung vorgeschlagen, um die Gewinnmargen der kriminellen Organisationen zu schmälern. Im Mittelpunkt seines Vorschlags steht nicht mehr die Zerstörung von Anbauflächen
Das Aufgabenspektrum, das sich Präsident Petro und seine Regierung mit den zahlreichen parallellaufenden Friedensgesprächen, den sozialen und politischen Reformen und der Umsetzung des Vertrages von Havanna selbst auferlegt haben, ist so umfangreich, dass die Realisierung darunter leidet. Die Regierung ließ von Beginn an eine stringente strategische Ausrichtung und Priorisierung ihrer Aktivitäten vermissen. Inzwischen kämpft der Präsident um sein politisches Überleben. Sein Kabinett ist von internen Konflikten zerrissen; seit August 2022 wurden 43 Minister ausgetauscht.
Die Sicherheitslage ist in vielen Regionen äußerst angespannt. Derzeit sind 9,1 Mio. Menschen im Land auf humanitäre Hilfe angewiesen, 72 % davon aufgrund der Kämpfe zwischen bewaffneten Gruppen.