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Kolumbien | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Kolumbien

Christiane Schwarz und Alexandra Huck

/ 8 Minuten zu lesen

Im November 2016 unterzeichneten die kolumbianische Regierung und die FARC-Guerilla nach über 50 Jahren der bewaffneten Auseinandersetzung einen Friedensvertrag. Die Umsetzung ist von erheblichen politischen Widerständen gekennzeichnet. Die kleinere ELN-Guerilla, paramilitärische Gruppen und bewaffnete Drogenbanden sind weiter aktiv.

Bei den Kongresswahlen im März 2018 wurde die rechtskonservative Partei des ehemaligen Präsidenten Uribe stärkste Kraft, während die Partei des amtierenden Präsidenten Santos zu den Verlierern zählt. Die Partei FARC blieb weit abgeschlagen bei weniger als 1% der Stimmen. (© picture-alliance, NurPhoto)

Der bewaffnete Konflikt in Kolumbien ist einer der ältesten in Lateinamerika. Bäuerliche Guerillagruppen mit marxistischen und befreiungstheologischen Idealen begannen in den 1960er Jahren, sich gegen die extrem ungleiche Verteilung von Landbesitz, Landraub sowie die Übergriffe der kolumbianischen Armee und paramilitärischer Kommandos im Dienste von Großgrundbesitzern zur Wehr zu setzen. Aus diesem Widerstand sind 1966 die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – FARC) aus dem Zusammenschluss kleinerer Gruppen hervorgegangen.

Die FARC entwickelte sich zur größten Guerillabewegung. Geleitet von einer marxistischen Ideologie bestand ihr strategisches Ziel in der Übernahme der politischen Macht im Land, um die Politik in Richtung einer gerechteren Verteilung von Land und der Überwindung sozialer Ungerechtigkeiten zu verändern. Ihre Aktionen richteten sich hauptsächlich gegen die staatlichen Sicherheitskräfte und die mit ihnen teils verbundenen, teils von ihnen tolerierten Paramilitärs. Bis heute besteht in der kolumbianischen Gesellschaft eine extreme Kluft zwischen Arm und Reich. Die wirtschaftliche und politische Macht konzentriert sich in den Händen weniger Familien, während es großen Teilen der Bevölkerung an Möglichkeiten politischer Teilhabe mangelt.

Der Weg zum Frieden

Vor Beginn des Verhandlungsprozesses im Oktober 2012 hatten die FARC militärisch empfindliche Niederlagen hinnehmen müssen. Die Entscheidung, sich auf einen politischen Verhandlungsprozess einzulassen, wurde durch die Tatsache ermutigt, dass in mehreren Ländern Lateinamerikas Parteien mit ausdrücklich linkem Programm nach demokratischen Wahlen Regierungsverantwortung übernommen hatten. Auf der anderen Seite interessierte den damaligen Regierungschef Santos und sein Umfeld die politische Befriedung des Konflikts, um günstigere Bedingungen für die wirtschaftliche Öffnung und Entwicklung Kolumbiens und Investitionssicherheit zu schaffen.

Den Verhandlungen mit der FARC-Guerilla waren drei gescheiterte Anläufe vorausgegangen. In den 1980er und 1990er Jahren wurde die Demobilisierung kleinerer Guerillagruppen (M19, EPL, Quintín Lame) erreicht. Im Unterschied zu früheren Versuchen verhandelten FARC und Regierung nun mit internationaler Unterstützung. Dabei trugen die Garantenstaaten Norwegen und Kuba wesentlich zum Abbau von Misstrauen und zu einem sicheren Verhandlungsumfeld bei – auch durch die Wahl der kubanischen Hauptstadt Havanna als Verhandlungsort. Die Verhandlungen liefen zunächst parallel zur militärischen Konfrontation, bis im Dezember 2014 die FARC einen einseitigen Waffenstillstand erklärte, der im Juni 2016 in einen beidseitigen, unbefristeten mündete.

Unterstützt durch die katholische Kirche, die Nationaluniversität in Bogota und das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) konnten fünf zivilgesellschaftliche Opferdelegationen nach Havanna reisen und den Verhandlungsdelegationen ihre Anliegen direkt vortragen. Zusätzlich konnten Vorschläge per Internet und in Anhörungen in Kolumbien eingereicht werden – ein Novum bei Friedensverhandlungen.

Erfolge und Fortschritte

Der am 26. September 2016 unterzeichnete Friedensvertrag wurde der kolumbianischen Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt – und scheiterte knapp. Dieser Erfolg der Kritiker und Gegner des Friedensprozesses verdeutlicht die tiefe Spaltung der kolumbianischen Gesellschaft über die Grundausrichtung und die Inhalte des Friedensprozesses, auch wenn der überarbeitete Vertrag noch im November unterzeichnet wurde.

Der international hochgelobte Friedensvertrag sieht die Überwindung wesentlicher Konfliktursachen vor. Dazu gehören die ungleiche Landverteilung, die mangelnden Möglichkeiten politischer Teilhabe sowie die Drogenökonomie, die eine wichtige Einnahmequelle für die FARC sowie andere bewaffnete Gruppen darstellt(e). Ein eigenes Kapitel ist den Opfern des Konflikts und der Aufarbeitung der Gewalt gewidmet. Das dafür geschaffene "Integrale System für Wahrheit, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Garantien der Nicht-Wiederholung– SIVJRNR" beinhaltet als Kernelemente eine Instanz zur Suche nach gewaltsam Verschwundenen, eine Wahrheitskommission und eine Sondergerichtsbarkeit für den Frieden. Letztere erntete neben Lob auch Kritik, vor allem wegen der vorgesehenen geringen Strafen. Es wird gleichwohl international als wegweisendes Modell betrachtet:

  • Die Opfer stehen im Zentrum.

  • Der Wahrheitsfindung wird Priorität vor der Bestrafung eingeräumt.

  • Statt langer Haftstrafen werden kürzere oder Alternativstrafen in Aussicht gestellt, wenn die Angeklagten vollumfänglich zur Wahrheitsfindung beitragen.

Trotz Rückschlägen haben die drei Instanzen des SIVJRNR ihre Arbeit aufgenommen. Die Sondergerichtsbarkeit hat eine Reihe von Makro-Prozessen zu übergeordneten Themen eröffnet, z.B. zu Entführungen durch die FARC-Guerilla und außergerichtlichen Hinrichtungen durch staatliche Sicherheitskräfte. Mehr als 12.500 Personen hatten sich bis August 2020 der Sondergerichtsbarkeit unterworfen, davon sind 78% FARC-Mitglieder und etwas mehr als 20% Angehörige der staatlichen Sicherheitskräfte.

Die Wahrheitskommission führt in vielen Regionen Anhörungen durch und nimmt Berichte aus der Zivilgesellschaft entgegen. Auch im Exil lebende Betroffene können dort ihre Aussagen machen. Aufgrund des nur dreijährigen Mandats beeinträchtigen die Verzögerungen durch die Lockdown-Maßnahmen in der Corona-Pandemie die Arbeit der Wahrheitskommission erheblich.

Laut Friedensvertrag sollte das Sondergericht für den Frieden neben den demobilisierten FARC-Guerilleros und Angehörigen der staatlichen Sicherheitskräfte auch gegen Zivilisten ermitteln können. Letzteres wurde jedoch nicht in das Gesetz zur Schaffung der Sondergerichtsbarkeit übernommen. Zivilisten können sich der Sondergerichtsbarkeit jedoch freiwillig unterwerfen, wenn ihre Straftaten im Rahmen des bewaffneten Konflikts stattgefunden haben.

Die Sammlung der FARC-Kombattant/-innen in 26 festgelegten Zonen verlief reibungslos, und im August 2017 war die Waffenabgabe an eine UN-Mission abgeschlossen. Am 01. September 2017 wandelte sich die FARC in eine politische Partei um. Die Abkürzung steht seitdem für "Alternative Revolutionäre Kraft des Volkes". So kandidierten ehemalige Kämpfer/-innen bei den Kongresswahlen im März 2018 sowie bei den Kommunalwahlen 2019 – was nur unter der Voraussetzung möglich war, dass sie sich der Sonderjustiz für den Frieden unterwerfen. FARC-Kandidat/-innen haben im Kongress die für eine begrenzte Zeit garantierten Sitze eingenommen. Die Transformation des bewaffneten in den politischen Kampf ist damit vollzogen, die Wahlergebnisse der FARC-Partei sind bisher jedoch marginal.

Völker- und menschenrechtlich relevante Punkte der Friedensvereinbarung erhielten Verfassungsrang, so wie die Übergangsjustiz, die politische Teilhabe und Wiedereingliederung der Kämpfer/-innen ins zivile Leben. Für drei Legislaturperioden sind die Regierungen zur Umsetzung des Vertrags verpflichtet. Dies sowie die weitgehende Unabhängigkeit der Institutionen des SIVJRNR und die politische und finanzielle Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft haben wesentlich dazu beigetragen, dass die Umsetzung des Friedensvertrags auch nach dem Regierungswechsel 2018 voranschreitet. Eine UN-Mission begleitet den Prozess und erstattet dem UN-Sicherheitsrat regelmäßig Bericht.

Das mit dem Monitoring des Prozesses beauftragte US-amerikanische KROC-Institut bescheinigt Fortschritte. Bei der Vorstellung seines vierten Berichts im Juni 2020 wies es insbesondere darauf hin, dass der kolumbianische Friedensvertrag einer der weltweit umfassendsten ist. Da er wesentliche strukturelle soziale Reformen vorsieht, wird die Umsetzung lange Zeit in Anspruch nehmen. Deutliche Fortschritte sieht das Institut für das Jahr 2019 bei der ökonomischen Wiedereingliederung der Ex-Kombattant/-innen.

Probleme und Defizite

Die Verhandlungen zwischen FARC und Regierung waren seit Beginn von massiver Kritik und Desinformation aus dem rechten politischen Lager um den ehemaligen Präsidenten Uribe Vélez (2002-2010) begleitet, was in der polarisierten kolumbianischen Gesellschaft auf fruchtbaren Boden fiel. Der Gesetzgebungsprozess für die Vertragsumsetzung war bereits so stark vom Wahlkampf für Kongress und Präsidentschaft 2018 geprägt, dass die vollständige Verabschiedung aller nötigen Gesetze verhindert wurde. Im neuen Kongress stehen seit Juli 2018 ca. 30% der Senatoren und Abgeordneten dem Friedensabkommen kritisch bis ablehnend gegenüber.

Mit Iván Duque hat seit August 2018 ein Kritiker des Friedensprozesses das Präsidentenamt inne. Er kündigte "Anpassungen" bei der Umsetzung des Vertrags an und verweigerte einer vom Kongress verabschiedeten gesetzlichen Grundlage für die Sondergerichtsbarkeit für den Frieden seine Unterschrift. Die Sorgen und das Misstrauen der FARC hinsichtlich der Vertragstreue der neuen Regierung stieg weiter, als die Staatsanwaltschaft das hochrangige FARC-Mitglied, Jesús Santrich, aufgrund eines Auslieferungsantrags der USA festnahm und Duque sich positiv zu dessen Auslieferung äußerte.

Fehlende Sicherheitsgarantien stellen ein wachsendes Problem dar. Das KROC-Institut bezeichnet in seinem 4. Bericht die Ermordung von zahlreichen Ex-Kombattant/-innen der FARC sowie von sozialen Führungspersonen als verheerend für den Friedensprozess und seine Wahrnehmung in der Bevölkerung. Mehr als 460 soziale Führungspersonen wurden zwischen Herbst 2016 und Mitte 2020 getötet, überwiegend in ländlichen Regionen. Ende Juni 2020 bezifferte die FARC die Zahl der getöteten Ex-Kombattant/-innen auf 214 seit Unterzeichnung des Friedensvertrags.

Noch vor der Unterzeichnung des Abkommens hatte sich eine FARC-Front im Süden Kolumbiens vom Verhandlungsprozess distanziert. In der Folgezeit bewaffneten sich auch weitere ehemalige FARC-Gruppierungen erneut. Die NRO Indepaz unterscheidet zwischen "politischen" Dissidentengruppen und solchen, die sich wesentlich auf illegale Ökonomien konzentrieren. Als bislang größter Rückschlag auf Seiten der FARC muss die Entscheidung hochrangiger FARC-Mitglieder, unter ihnen Friedensunterhändler Iván Márquez und Jesús Santrich, zum bewaffneten Kampf zurückzukehren, genannt werden. Indepaz schätzt die Zahl der Kämpfer/-innen der verschiedenen Nachfolge-Guerilla-Gruppen der FARC auf ca. 3.400 Personen.

Der Friedensprozess adressiert nur die FARC-Guerilla. Andere Gruppen blieben außen vor. Durch den Rückzug der FARC-Truppen entstand vielerorts ein Machtvakuum, das von anderen Gruppen gefüllt wurde. Das internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) benannte Ende 2018 als verbleibende bewaffnete Akteure die Guerillagruppen des Nationalen Befreiungsheeres (Ejército de Liberación Nacional – ELN) und das Volksbefreiungsheer (Ejército Popular de Liberación-EPL), die Paramilitärs (Autodefensas Gaitanistas de Colombia – AGC) sowie die nicht (mehr) am Friedensprozess teilnehmenden FARC-Einheiten.

Darüber hinaus existieren eine ganze Reihe weiterer organisierter Gewaltakteure, die – regional unterschiedlich – teils in Konkurrenz oder auch in Allianzen mit AGC, ELN und EPL auftreten. Drogenbanden, zunehmend auch Kartelle aus Mexiko, oder im illegalen Goldbergbau involvierte Akteure sind hier zu nennen. Alle Gruppen konkurrieren um Einnahmen aus illegalen Ökonomien sowie um territoriale Kontrolle von Landstrichen, sodass die Zivilbevölkerung in hohem Maße Mord, Einschüchterung und Vertreibung ausgesetzt bleibt.

Die Regierung Duque führte die Verhandlungen mit der ELN-Guerilla nicht weiter. Sie benannte nicht einmal ein Verhandlungsteam und brach nach einem Anschlag des ELN auf eine Polizeischule in Bogotá im Januar 2019 die Verhandlungen auch formell ab. Seither fordert sie von Kuba die Auslieferung der ELN-Verhandlungsdelegation. Auf Waffenstillstandsangebote des ELN zur Erleichterung der humanitären Situation in der Corona-Pandemie reagierte sie nicht.

Während ein im Friedensvertrag vorgesehenes Spezialkorps der Polizei sowie eine Sonderermittlungseinheit der Staatsanwaltschaft bei der Aufklärung von Verstrickungen zwischen Politik, Militär und paramilitärischen Strukturen einige Fortschritte verzeichnen, wurden andere, im Vertrag vereinbarte Gremien kaum einberufen – so die Nationale Kommission für Sicherheitsgarantien – oder unzureichend mit Ressourcen ausgestattet – so das Programm für die Sicherheit von Gemeinden in ländlichen Regionen.

Für die Umsetzung des Kapitels über ländliche Entwicklung sollen Programme auf lokaler Ebene (Programa de Desarrollo con Enfoque Territorial – PDET) ausgearbeitet werden. Von 16 vorgesehenen PDETs wurden bisher jedoch nur fünf verabschiedet. Dabei wäre ein zügiger Beginn von zentraler Bedeutung, um den Nutzen des Friedensvertrags insbesondere für die ländliche Bevölkerung erfahrbar zu machen.

Hinsichtlich der Umsetzung des Kapitels zur politischen Teilhabe wurden laut KROC-Institut 2019 ebenfalls kaum Fortschritte erreicht. Ein Gesetz über die zusätzliche Vertretung der am stärksten vom Konflikt betroffenen Regionen im Kongress, wie es ausdrücklich im Friedensvertrag vorgesehen ist, gibt es weiterhin nicht.

Schließlich werden auch die Programme zur freiwilligen Substitution von Koka- und anderen Drogenpflanzungen (Programa Nacional Integral de Sustitución de Cultivos de Uso Ilícito – PNIS) nur langsam umgesetzt. Durch verzögerte Auszahlungen der Unterstützung verspielt die Regierung das Vertrauen der betroffenen Bevölkerung. Außerdem wurde auf Druck der USA das gewaltsame Vorgehen gegen illegale Drogenpflanzungen wieder verstärkt und das selbst in Gegenden, in denen die Menschen sich bereits für die freiwilligen Programme angemeldet hatten.

Die Sozial- und Wirtschaftshistorikerin Christiane Schwarz ist Expertin zu Menschenrechtsfragen in Krisengebieten und Transformationsprozessen mit dem Schwerpunkt Kolumbien. Sie hat für Quaker Peace and Service in Bosnien und als Fachkraft im Zivilen Friedensdienst für Peace Brigades International in Kolumbien gearbeitet.

Alexandra Huck ist Politologin mit dem Schwerpunkt Menschenrechte und Kolumbien. Sie hat für die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (gtz) und für Peace Brigades International gearbeitet.

Christiane Schwarz und Alexandra Huck arbeiten seit 2003 als Koordinatorinnen in der Fachstelle von kolko – Menschenrechte für Kolumbien, e.V. Diese informiert in Deutschland über die Menschenrechtssituation in Kolumbien und leistet Advocacy- und Vernetzungsarbeit zu diesem Thema.