Ihre Eltern sind Shoa-Überlebende. Welche Rolle spielte dies für Sie als Sabra, also jemand, der in Israel geboren ist und gleichzeitig als Nachfahre von Holocaust-Überlebenden?
Etgar Keret: Ich wuchs zur Hälfte in der Sabra-Generation und zur Hälfte in der zweiten Generation auf. Jeweils eine Hälfte akzeptierte die andere nicht. Die Sabra Seite in mir versuchte meine Eltern zu verstecken und in den Sabra-Kreisen hatte ich wiederum das Gefühl ein Außenseiter zu sein.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel besuchte vor kurzem Israel. Wie ist die Haltung gegenüber Deutschland in Israel und wie ist Ihr Verhältnis zu Deutschland?
Etgar Keret: Heute sind einige meiner engsten Freunde Deutsche. Ich fühle mich den Deutschen in meinem Alter näher als den Menschen aus anderen europäischen Ländern. Deutsche und Israelis sind gezwungen sich mit ihrer Identität auseinander zu setzen. Beide müssen sich der Geschichte ihrer Eltern und ihrer Vergangenheit stellen. Das verbindet sie.
Sie sind 1967, im Jahr als der Sechs-Tage-Krieg ausbrach, geboren. Als der Jom-Kippur-Krieg ausbrach waren Sie sechs Jahre alt. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Kriegsjahre?
Etgar Keret: Ich erinnere mich daran, wie wir uns im Luftschutzkeller versteckten. Für Kinder in meinem Alter damals war es so etwas wie ein Spiel, wie ein Abenteuer. Ich wusste nicht wirklich was los war. Ich erinnere mich, dass ich meinen Vater in dieser Zeit sehr vermisste und daran, wie nervös meine Mutter reagierte, wenn ich Sie nach meinem Vater fragte.
Sie schreiben in ihren Büchern und Kurzgeschichten sehr humorvoll und ironisch über den israelisch-palästinensischen Konflikt. Wie war es bei Ihnen in der Familie. Wurde bei Ihnen über Politik gesprochen?
Etgar Keret: Ja, wir sprechen manchmal über Politik zu Hause, aber nur sehr selten sind wir uns einig. Meine Schwester ist ultra-orthodox und sie unterstützt die religiösen Parteien. Mein Bruder und seine Frau sind Anhänger des militant linken Lagers und meine Eltern sind politisch gemäßigt rechts. Ich wiederum bin links-liberal eingestellt und stehe damit bei allen politischen Familiendebatten zwischen den Stühlen und bin in der Rolle des Vermittlers.
Es scheint manchmal so, dass jeder ein selbsternannter Nahost-Experte ist.Wie erklären Sie sich dieses Phänomen und wie reagieren Sie auf gutgemeinte Ratschläge den Konflikt zu lösen?
Etgar Keret: Man sollte meinen, dass ein Land mit so vielen Experten in einer besseren Position da stehen sollte, als es zur Zeit ist. Ich nehme dabei eine sokratische Position ein: Ich glaube fest daran, dass der erste Schritt zur Lösung die ist, zuzugeben dass wir weniger wissen, als wir denken.
Wie reagieren Sie auf Aussagen, die Selbstmordattentate rechtfertigen?
Etgar Keret: Ich denke, jeglicher Angriff auf Zivilisten auf beiden Seiten ist nicht zu rechtfertigen.
Die meisten Menschen haben Schwierigkeiten den israelisch-palästinensischen Konflikt zu verstehen. Wann und wie wollen Sie mit Ihrem Sohn darüber sprechen?
Etgar Keret: Wenn er etwas älter ist und mich fragt, werde ich es ihm versuchen so zu erklären: Wenn Menschen sehr viel Angst voreinander haben, schlägt diese Angst schnell in Hass um. Und aus Hass wird Gewalt. Unser Ziel sollte sein, weniger Angst voreinander zu haben, und wir sollten unser Bestes tun, dass die andere Seite weniger Angst vor uns hat.
Sie haben ein Buch zusammen mit dem palästinensischen Autoren Samir El-Youssef geschrieben. Gibt es Kontakte zwischen palästinensischen Intellektuellen oder Künstlern? Und glauben Sie, dass sie gemeinsam die Politik beeinflussen können?
Etgar Keret: Es gibt Kontakte. Aber man muss dazu sagen, dass Künstler leicht zu überzeugen sind, wenn es um Frieden geht. Schwieriger ist es, für die anderen an den Frieden zu glauben.
Israel feiert seinen 60 Geburtstag in diesem Jahr. Wie hat sich Israel in Ihrer Meinung in den vergangenen Jahren verändert?
Etgar Keret: Das würde einige Bücher füllen, um die Frage zu beantworten. Ich bin sehr ambivalent was die Veränderungen im Land betrifft. Einiges hat sich zum Guten geändert, aber der ungelöste Konflikt, die Gewalt, der rücksichtslose Kapitalismus und die Risse in der sozialen Solidarität, werfen einen Schatten auf die wunderbaren Leistungen und Erfolge dieses Landes.
Was sind Ihre Geburtstagswünsche für Israel?
Etgar Keret: An meisten fehlt es an Empathie für den anderen. Sei es für einen Palästinenser oder einen israelischen Rentner, der sich z.B. die medizinische Versorgung nicht mehr leisten kann.
Was glauben Sie, wie wird Israel nach weiteren 60 jahren aussehen?
Etgar Keret: Um ehrlich zu sein, in Anbetracht der Gefahren, die in und um uns herum sind, ist es eine große Leistung, wenn wir in 60 Jahren immer noch eine starke Demokratie haben.
Die Interviewfragen stellte Hanna Huhtasaari.