Unversehens mussten die Freiburger Delegierten dieser Tage beim Bundeskongress der Grünen richtig kämpfen, um nicht völlig bloßgestellt zu werden. Der Dresdner Kreisverband hatte einen Antrag eingebracht,
der die "Politik des Ausverkaufs" bei kommunalen Wohnungen geißelt. Die Breisgauer konnten wenigstens die Formulierung durchsetzen, dass "Teilprivatisierungen" ein geeignetes Mittel zur Entschuldung einer Gemeinde sein können. Aber im Kern lautet die Botschaft der Grünen jetzt so: "Umfangreiche Verkäufe öffentlichen Wohnungsbestandes sind in aller Regel abzulehnen", solche Strategien seien "nicht nachhaltig".
Dieser Konflikt in der Partei kommt nicht von ungefähr. Freiburgs grüner Oberbürgermeister Dieter Salomon und die schwarz-grüne Mehrheit im Gemeinderat wollten die Gesellschaft Stadtbau mit rund 8.000 Wohnungen versilbern, um mit dem Erlös die bei der Kommune und ihrem Unternehmen aufgelaufenen Schulden von 510 Millionen Euro zu tilgen. Doch dieses Abenteuer ging gründlich schief: Nach einem hitzigen Abstimmungskampf lehnten 70 Prozent der Wähler Mitte November bei einem Bürgerentscheid sensationell eine solche Veräußerung ab. Gegen den Verkauf hatten eine Bürgerinitiative, die SPD, linke Listen im Lokalparlament, Gewerkschaften, Mieterbund und sogar die FDP mobilisiert. Tenor der Kritik: Mieterinteressen geraten unter die Räder, eine soziale Stadtentwicklung wird gefährdet.
Seit diesem Referendum, das republikweit erste über dieses Thema, weht ein etwas anderer Wind beim Streit um die Privatisierungswelle bei staatlichen Wohnungen. Nach südbadischem Beispiel wollen derzeit in Heidenheim SPD, IG Metall und Mieterverein ebenfalls einen Bürgerentscheid durchsetzen, um die von CDU-Rathauschef Bernhard Ilg eingefädelte Veräußerung des knapp 30-prozentigen städtischen Anteils bei einer Wohnungsgesellschaft, die an die zum Investmentfonds Fortress gehörende Gagfah ging, doch noch zu kippen. Franz-Georg Rips, Direktor des Deutschen Mieterbunds, registriert nach dem Freiburger Paukenschlag Aufwind für die in Nordrhein-Westfalen gestartete Unterschriftensammlung gegen den geplanten Verkauf von 100.000 landeseigenen Wohnungen. Gleiches passiert in Velbert, wo sich Widerstand gegen die Privatisierung kommunaler Wohnungen regt. Jüngst kündigte Saarbrückens SPD-OB Charlotte Britz an, keine städtischen Wohnungen mehr losschlagen zu wollen.
Folkert Kiepe, Bau-Dezernent beim Deutschen Städtetag: "Bürgermeister und Gemeinderäte sollten künftig vor einem Verkaufsbeschluss die soziale und städtebauliche Bedeutung eines kommunalen Wohnungsbestands stärker in Betracht ziehen." Zudem mahnt er vor der Annahme, auf diese Weise ließen sich die Ursachen der Finanznöte in den Rathäusern beheben. Anke Fuchs, Präsidentin des Mieterbunds: "Ich hoffe, dass Kommunen und Länder, die ebenfalls Verkaufsabsichten hegen, das Freiburger Signal verstehen und ihre Lehren ziehen." Im Breisgau prägte auf Transparenten bei Demos und an zahllosen Balkonen über Monate die durchgestrichene Heuschrecke als symbolische Kampfansage an gewinnfixierte Investoren das Stadtbild.
Bislang war die Privatisierung eine Art Selbstläufer. Natürlich gab es auch kritische Stimmen, doch die konnten sich nicht viel Resonanz verschaffen. Wie viele Wohnungen von Staats- in Privateigentum und dabei besonders in die Hand großer Kapitalfonds übergingen und noch übergehen sollen, ist nicht genau bekannt. Für den Städtetag erstellt momentan das Berliner Institut für Urbanistik eine Bestandsaufnahme. Jedenfalls handelt es sich um riesige Bestände. Nach Berechnungen des Mieterbunds wurden bisher rund 850.000 öffentliche Unterkünfte losgeschlagen. Deutschlands größte Vermieter seien inzwischen mit zusammen etwa 600.000 Wohnungen internationale Fonds und Kapitalgesellschaften wie Annington, Fortress, Cerberus, Blackstone oder Corpus. Zum Verkauf steht vor allem Kommunalbesitz, aber auch Landeseigentum, dem Bund gehören inzwischen kaum noch Wohnungen. In Berlin veräußerte der Senat rund 140.000 Unterkünfte, 270.000 sind noch unter den Fittichen von sechs Landesunternehmen. Dresden versilberte 48.000 Wohnungen. Kiel hat sich schon 1999 von über 10.000 Unterkünften getrennt.
Das Motiv mutet durchschlagend an: Die Erlöse sollen Löcher in defizitären Etats stopfen oder überschuldete Haushalte völlig sanieren. Dresden kassierte von Fortress 1,7 Milliarden Euro und ist nun als erste deutsche Großstadt schuldenfrei. CDU-Finanzbürgermeister Hartmut Vorjohann: "Dresden hat es aus eigener politischer Kraft geschafft, die kommunale Selbstverwaltung zurückzugewinnen." Wirtschaftsliberale Politiker und Wissenschaftler lehnen aus prinzipiellen Erwägungen Staatsbesitz an Wohnungen ab. Der Wohnungsmarkt zähle nicht zur staatlichen Daseinsvorsorge, meint der grüne Finanzpolitiker Oswald Metzger. Der kommunale Wunsch nach Entschuldung sei "der Anlass, aber nicht der Kern der Debatte", so der Weimarer Professor Ramon Sotelo, Privatisierungen seien vielmehr ordnungspolitisch notwendig.
Was internationale Investoren anlockt: Im Vergleich mit vielen anderen Staaten sind Immobilien hierzulande preisgünstig zu haben. Über Mieteinnahmen, Rationalisierungen bei der Bewirtschaftung und profitable Weiterverkäufe zielen die Fonds kurzfristig auf satte Gewinne, manche peilen Renditen von bis zu 25 Prozent an. Ob solche Blütenträume reifen, steht dahin. Sotelo: "Nicht jede Rechnung wird aufgehen." Der Immobilienökonomon schätzt, dass die unter den Investoren zunächst dominierenden Private-Equity-Firmen mit ihren hohen Gewinnperspektiven zusehends abgelöst werden von langfristiger kalkulierenden Pensionskassen mit niedrigeren Renditeerwartungen.
Diese Profitorientierung stößt den Kritikern sauer auf. Aus "standortgebundenen Immobilien werden weltweit handelbare Kapitalanlageprodukte", warnt Mieterbund-Direktor Rips. Wohnungen seien auch ein "Sozialgut", mahnt Präsidentin Fuchs. "Warum", fragt Städtetag-Dezernent Kiepe, "sollen wir Investoren die Möglichkeit verschaffen, mit unseren Wohnungen enorme Gewinne zu erwirtschaften?" Gegner von Privatisierungen fürchten, dass bei großen Privateigentümern die Belange von Mietern missachtet werden. Solche Besitzer nutzten Spielräume bei Mieterhöhungen viel stärker aus als öffentliche Unternehmen, kritisiert der Mieterbund. Beispiele für spürbare Anhebungen existieren in der Tat, etwa in Stuttgart. Laut Kiepe liegen die Mieten kommunaler Gesellschaften meist zehn bis 15 Prozent unter der ortsüblichen Vergleichsmiete. Das dämpft das allgemeine Mietniveau.
Für Bewohner gelten bei Privatisierungen die Mietverträge zwar weiter, zuweilen verpflichten Städte neue Eigentümer zudem auf eine Sozialcharta. Doch der Mieterbund klagt, dass private Investoren über kurz oder lang sozial Schwache eben doch über Mietanhebungen oder preistreibende Modernisierungen loswerden. Bei Neuvermietungen sind die Besitzer nicht mehr gebunden. Aus Sicht des Kieler Mietervereins blieb nach der Wohnungsveräußerung an der Waterkant die "große Katastrophe" aus, doch schotteten sich die Eigentümer gegen einkommensschwache Familien und "Problemhaushalte" ab: Die finanziellen Verhältnisse neuer Mietinteressenten würden durchleuchtet, in Einzelfällen hätten "Wohnungspfleger" sogar bisherige Unterkünfte inspiziert.
Wohngeld könne in Einzelfällen unterstützungsbedürftigen Personen helfen, sagt Kiepe, bewirke aber keine soziale Mischung in urbanen Vierteln. In einer derartigen Stabilisierung von Wohnquartieren, zu der auch die aktive Beteiligung an kommunalen Programmen zur Aufwertung des Wohnumfelds gehöre, sieht der Städtetag-Dezernent eine große Leistung öffentlicher Unternehmen. Kiepe plädiert dafür, fünf bis zehn Prozent des örtlichen Wohnungsbestands in Staatseigentum zu belassen, um die Versorgung Einkommensschwacher und eine soziale Stadtentwicklung zu gewährleisten. Teilprivatisierungen lehnt der Baupolitiker keineswegs ab. So könne man einige Bestände an Mieter, Genossenschaften oder ortsansässige Unternehmen mit Bezug zum städtischen Leben veräußern, um die Einnahmen in die restlichen Wohnungen zu investieren. Als positives Beispiel für eine solche Politik nennt Kiepe Hamburg. Die dortige städtische Gesellschaft führt Gewinne an den Haushalt ab, verkaufen will der Senat nicht. Für Kiepe kommt es auf die jeweilige Situation an: In Dresden mit einem Wohnungsleerstand von zwölf Prozent sei eine Privatisierung anders zu beurteilen als in Freiburg mit knappem und teurem Wohnraum. Allerdings: Verkäufe entlasten marode kommunale Etats. In einer Resolution tritt jedoch das Präsidium des Städtetags entschieden der These entgegen, auf diese Weise könnten die Kommunen "problemlos ihre Schulden beseitigen und ihre Finanzprobleme lösen, da die Ursachen des strukturellen Defizits ebenso bleiben wie die Aufgaben der kommunalen Daseinsvorsorge". In der Tat sind eben die Ausgaben weiterhin meist höher als die Einnahmen. In Kiel reduzierte die Wohnungsprivatisierung zunächst den Schuldenstand, inzwischen steigt die Kreditbelastung wieder.
In Freiburg will OB Salomon nach dem Stopp des Wohnungsverkaufs rigide sparen, wozu etwa ein Einstellungsstopp bei der Verwaltung zählt. Mittlerweile gibt es indes erste Anzeichen für ganz neue Wege in der lokalen Finanzpolitik. Auf Sympathie, auch beim Rathauschef, stößt die Idee eines "Bürgerhaushalts": Nach diesem Konzept erarbeiten interessierte Bürger in quartiers- und themenbezogenen Foren die Eckdaten eines Etats, der dann im Gemeinderat zur Abstimmung gestellt wird. So entscheiden die Leute ein Stück weit selbst, was das Rathaus leisten soll und was dann auch finanziert werden muss.
Das Parlament, Ausgabe 51-52/2006