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Geschichte der Bildkultur bis zum Visualisierungsschub im 19. Jahrhundert

Werner Faulstich

/ 13 Minuten zu lesen

Vom "Graffito" auf Höhlenwänden zum Plakat und Flugblatt: Das Medium Bild ist in den vergangenen Jahrtausenden mehr als einmal neu erfunden worden. Wie veränderten sich Nutzen und Funktion von Bildern?

Es gibt keine Bilder ohne Medien. Auch das übliche Gemälde bedarf der Lein"wand", um entstehen und präsentiert werden zu können. Deshalb muss die Geschichte der Bildkultur als Teil einer umfassenden Geschichte der Medien verstanden werden. Mediengeschichte und Bildgeschichte reichen zurück bis zu den Anfängen der Kultur- und Menschheitsgeschichte, und nicht zufällig spielt dabei das Medium Wand eine entscheidende Rolle.

Archaische Bilder

Die berühmtesten Bilder der Ur- und Frühgeschichte sind im 19. Jahrhundert unter Stichworten wie Höhlenmalerei oder frühe Anfänge der Kunst bekannt geworden. Dabei handelt es sich um Graphiken und Zeichnungen an Wänden und Decken von Höhlen wie der in Altamira in Nordspanien (ca. 15.000 vor unserer Zeitrechnung entstanden, entdeckt 1869/79), der in Externer Link: Lascaux in Frankreich (ca. 14.500 v. Chr., entdeckt 1940) oder der in Externer Link: Chauvet, ebenfalls in Frankreich (ca. 32.000 v. Chr., entdeckt 1994). Es gibt noch zahlreiche weitere Höhlen- oder Felsbilder, so etwa in Nordafrika, in Skandinavien und in Nordwestrussland.

Bei den Felsbildern handelt es sich um ein globales Phänomen, dem zeitgenössische Bedeutung zugesprochen werden muss. Natürlich sind diese Bilder nicht Kunst im Sinne der Auffassung von Kunst als Selbstzweck, wie sie erst im 19. Jahrhundert ausformuliert wurde. Vielmehr muss die Wand als ein allgemeines Kommunikationsmedium begriffen werden: das erste Schreibmedium der Geschichte, dem zuallererst kultische Funktion zuzuorden ist.

Die heutige Forschung ist von der naiven Interpretation der Felsbilder als Malerei abgerückt und versteht die Tierdarstellungen: Mammuts, Bisons und viele andere als Totems, als verehrte Schutzgeister eines jeweiligen Clans. Zum Teil wurden auch Jagdszenen, Tanzszenen oder Gravuren eines Magiers entdeckt, die als Jagdzauber oder als sonstige Zauberpraktiken gewertet werden. Auch andere Interpretationen wurden geäußert, etwa die Auffassung, die Darstellung unterschiedlicher Tiere in ein und derselben Höhle wäre als eine Fixierung der geschichtlichen Abfolge unterschiedlicher Clans mit verschiedenen Totems zu begreifen. Dementsprechend wird dem Medium Wand weniger kultische als vielmehr tradierende Funktion zugesprochen.

Bilder in frühen Hochkulturen

Beide Funktionen sind auch in den Bildern früher Hochkulturen anzutreffen, beispielsweise im alten Ägypten. In manchen Externer Link: Sargkammern ägyptischer Pyramiden finden sich an den Wänden Texte und Bilder mit sakraler Bedeutung. In den so genannten Externer Link: Totenbüchern der alten Ägypter, die faktisch keine Bücher, sondern Papyrusrollen waren, sind neben Sprüchen oft auch Abbildungen verschiedener Götter zu sehen, beispielsweise von Osiris oder vom Sonnengott Re, aber auch von einem Hohen Priester oder sogar vom Verstorbenen selbst, wenn er hoher Herkunft war.

Die Göttin Nut als Himmelsgewölbe, gestützt von ihrem Bruder, dem Luftgott Schu, und zwei widderförmigen Seelenfiguren (ca. 1000 v. Chr.)

Manche Vignetten gestalten auch komplexe religiöse Weisheiten wie beispielsweise den Glauben in der 21. Dynastie, dass Nut am Morgen die Sonne gebiert, sie am Abend wieder verschlingt, und dass die Sonne nachts durch Nuts Leib wandert.

Auch auf Wachstafeln sowie Vasen und Steinscherben sind zahlreiche Bilder überliefert, die im Laufe der Geschichte zunehmend profaner wurden. Berühmt sind die erotischen Darstellungen aus dem alten Griechenland: die Gottheiten Aphrodite und Dionysos, die Paarungsspiele der Mänaden und Silenen oder die Verbindung von Göttern mit Sterblichen wie die des Zeus mit Danae, mit Europa oder mit Leda.

Ganz alltags-, informations- und unterhaltungsbezogen wird auch die Erotik zwischen Mann und Frau oder mehreren Männern und Frauen gestaltet. Solche erotischen Bilder markieren den Übergang von eher kultischen zu eher allgemein kommunikativen Funktionen der Bildkultur.

Wand und Buch, Bildmedien des Mittelalters

Noch im christlichen Mittelalter, vom 11. bis Mitte des 14. Jahrhunderts, hat die Wand sakrale Bedeutung als Bildmedium, insbesondere in Gestalt des Glasfensters in Kirchen. Neben Fensterrosen, Figuren- und Medaillonfenstern gab es komplexe Darstellungen von Szenen aus dem Alten und Neuen Testament oder auch Lebensgeschichten von Heiligen. Nicht wenige sind in einer Abfolge mehrerer Einzelbilder narrativ entfaltet. Ein gutes Beispiel dafür ist das Gleichnis vom verlorenen Sohn in der Kathedrale von Bourges (zwischen 1210 und 1215). Andere Bilder wie die Auferstehung Christi (um 1350) weisen mitunter schon als Einzelbild einen hohen programmatischen Charakter. [Abb. 4: Auferstehung]

Der Tod holt sich den König, die Königin, den Papst, den Bischof, den Ratsherrn, den Arzt, den Kaufmann, die Jungfrau, den Bettler, den Narren, den Juden, den Bauern und alle anderen Standesgruppen, hier auch den Ritter, der sich vergeblich sträubt.

Für das breite Volk, das zu 99 Prozent des Lesens und Schreibens unkundig war, muss der Kirchenbesuch und der Anblick der lichtdurchfluteten farbigen Glasfenster atemberaubend gewesen sein. Geistliche Belehrung und Trost wirkten in solch sinnlicher Veranschaulichung als explizite Werbung und Propaganda. Das mittelalterliche Glasfenster war ein Informations- und Herrschaftsmedium der Kirche – Vorläufer der späteren Plakatwände, Litfaßsäulen und Videotafeln, die freilich andere Botschaften transportieren.

Das Bild eroberte sich im Mittelalter weitere Medien, allen voran das Buch. Ein gesellschaftlich bedeutsames Buch wie die Schedelsche Weltchronik (1493) beispielsweise enthielt rund 1.800 Holzdruck-Abbildungen, ähnlich das berühmte Narrenschiff von Sebastian Brant (1494). Die Illustration setzte sich in vielen Arten von Büchern durch, vom Messbuch und anderen liturgischen Büchern über kirchliche Propagandaschriften und Liederhandschriften bis zur Visualisierung diverser naturwissenschaftlicher, landwirtschaftlicher und medizinischer Erkenntnisse. Und gelegentlich wurden solche Bilder auch im Medium Blatt verbreitet.

Insbesondere zur Zeit des Verfalls der mittelalterlichen Ordnung und der Verbreitung der Pest, der Millionen Menschen in ganz Europa zum Opfer fielen, fand die bildliche Veranschaulichung den Weg in eine breitere Öffentlichkeit. Der Externer Link: Baseler Totentanz kann das gut exemplifizieren: Ursprünglich ein Wandgemälde im Kreuzgang eines Klosters (um 1440), entstand daraus im Holzschnitt das Totentanz-Alphabet von Hans Holbein (1538), woraus dann in Basel die Kupferstiche von Matthäus Merian (1621) hergestellt und publiziert wurden. Bis zu 39 Figurenpaare symbolisieren, dass die ganze Welt sterben muss – memento mori (bedenke, dass du sterblich bist). Damals waren viele Menschen überzeugt, das Jüngste Gericht stünde unmittelbar bevor.

Das Plakat in der frühen Neuzeit

Die Erfindung und Verbreitung des Drucks ab 1450 hat auch bestimmte Buchtypen wie das so genannte Blockbuch befördert. Das Blockbuch war meist geprägt von einer integrativen Verbindung von Text- und Bildteilen, so auch die Externer Link: Biblia pauperum, die Armenbibel für Geistliche auf dem Land, die des Lesens nicht recht kundig waren und deshalb gerne auf die Illustrationen der Geschichten aus der Heiligen Schrift zurückgriffen. Aber für die Bildkultur hat die neue Multiplikationstechnik nur in zweifacher Hinsicht eine wirkliche Revolution bedeutet: für das Medium Blatt und partiell auch für das Plakat.

Letzteres verweist darauf, dass mit der frühen Neuzeit die Wand als Kommunikationsmedium wieder neue Bedeutung erhielt. Neben kultisch-sakrale, tradierende und unterhaltende Funktionen trat nun die repräsentative und die ästhetisch-dekorative. Die so genannte Wandmalerei verbreitete sich: Fassaden von Kirchen und Rathäusern, später auch die Häuser von Patriziern und reichen Handwerkerfamilien, wurden bemalt und mit Fresken verziert. Die Motive, sofern sie nicht sakral getönt waren, entnahm man bevorzugt der antiken Geschichte und Mythologie. Diese Art von Bild diente primär dem Bestreben, Bildung und wachsenden Reichtum zum Ausdruck zu bringen: das öffentliche Bild als Nachweis des sozialen Status. Auch die Deckenmalerei war im Standesbewusstsein fundiert und zielte auf großbürgerliche Prestigemanifestation. Im 16. und 17. Jahrhundert häufte sich im Deutschen Reich die Bebilderung repräsentativer Gebäude der Reichsstädte sowie der Fürstenschlösser.

Der Bänkelsänger als Geschichtenpräsentator. Stich von A.L. Romanet, Historisches Museum Wien, abgebildet bei Wiener Volksliedwerk

Wichtiger freilich waren zwei neue Erscheinungsweisen des Mediums Wand: die Zeige- oder Schautafel des Externer Link: Bänkelsängers und das Plakat. Die Tafel der Bänkelsänger, Leute, die auch Quacksalber waren und Possenreißer, Wahrsager und Gaukler und zur großen Gruppe der Fahrenden gehörten, war Blickfang, Illustrierung und Werbung für die vorgetragenen und vorgesungenen Geschichten. Dabei handelte es sich meistens um dramatische Liebesgeschichten, Melodramen, Räuberpistolen sowie Schauerballaden zur Unterhaltung und moralischen Belehrung des gemeinen Volkes. Beim Vortrag jeder Strophe wurde auf das entsprechende Bild auf der Tafel gedeutet.

Später wurden die gedruckten Blätter samt den Liedtexten, parallel zum inszenierten Vortrag mit seiner Visualisierungsstrategie, den Umstehenden zum Kauf angeboten.

Das Plakat muss als das erste symbiotische Medium der Geschichte gelten, weil es nur im Verbund mit der Wand seine Funktionen entfalten kann. Als öffentlichen Anschlag etwa für Verordnungen der Obrigkeit gab es das Plakat schon seit langem, doch in der frühen Neuzeit wurde es erstmals mit Bildelementen bereichert. Das gilt für Werbeanzeigen der unterschiedlichsten Art – eher subtil die Wasserzeichen der Drucker-Verleger als Signet auf ihrem Papier, eher markant aufdringlich die Abbildungen von Missgeburten oder Wundertieren als lokale Ankündigungen von Schaustellern und Artisten, auch von Schützenfesten, Lotterieziehungen oder Pferderennen. Noch heute kennen wir die so genannten Reiter als eine mobile Variante des Mediums Wand, worauf ein Zirkus seinen Besuch in der Stadt ankündigt oder Politiker mit ihren Köpfen für ihre Wiederwahl werben.

Flugblatt in der frühen Neuzeit

Beispiel für ein Unterhaltungsflugblatt: "Abreissung eines ungestalten Kinds" (1578), eine Missgeburt mit einem Schweinskopf, sechs Fingern, sechs Zehen, einem großen Bauch mit eingewachsener Hand und einem ungewöhnlichen Geschlechtsteil, ergänzt rechts durch ein missgeborenes Kalb, angeblich als Folge der Unzucht eines Spaniers mit einer Kuh.

Entscheidender Vorläufer des visuellen Zeitalters in der frühen Neuzeit waren weder Wand noch Plakat, sondern das Medium Blatt in seiner Gestalt als Flugblatt: Es konnte in größeren Auflagen gedruckt und verbreitet werden und hatte gegenüber der Wand vor allem den Vorzug der Mobilität. Schon im frühen 16. Jahrhundert waren Flugblätter in den Städten und auf dem Land verbreitet: Flugblätter über Sensationen und Wunder, zur Unterhaltung, als Andachtsblatt zur katechetischen Unterweisung und Erbauung und als Informationsträger politischer und kriegerischer Ereignisse. Die Fülle der verschiedenen Text-Bild-Kombinationen lässt sich hier nicht einmal andeuten.

Selbstverständlich wurden Bildflugblätter auch zur Agitation und Propaganda eingesetzt, insbesondere in den Bauernkriegen und zur Zeit der Reformation. Dabei wurde die Information meist ersetzt durch Überredung und Indoktrination. Bei solcher Bildpublizistik war äußerste Parteilichkeit angesagt. Eingesetzt wurden Komik, Spott, Ironie und Schmähungen ebenso wie Pathos, Bissigkeit und Übertreibungen. Beliebte Themen entstammten den Bereichen des Essens, Trinkens, der Ehe, der Sexualität, des Schlaraffenlandes und diversen Motiven des Tierreichs. Bevorzugte Objekte der Polemik waren Papst und Klerus.

Später, im 18. Jahrhundert, dem Beginn der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, erlebte das bebilderte Flugblatt neue Höhepunkte. Zum einen als Instrument der politischen Revolte und Auseinandersetzung – im Verlauf der Französischen Revolution wurden immerhin mehr als 35.000 verschiedene Flugblätter aufgelegt und das Bildflugblatt war dabei ein wichtiges Instrument zur emotionalen Mobilisierung und Politisierung. Zum andern wurde es für kommerzielle Werbung funktionalisiert. Häufig im Verbund mit ähnlich gestalteten Plakaten warben Künstler, reisende Schausteller, aber auch lokale Händler und Geschäftsleute in Text-Bild-Kombinationen für ihre Angebote. Die ersten Vorläufer der späteren Werbeindustrie kamen auf, die sich in besonderem Maße der vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten des Bildes annehmen sollte.

Der Visualisierungsschub

Mit der Ausbildung der Presse zum arbeitsteiligen Journalismus setzte, vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, im wichtigsten Informationsmedium der Zeit eine systematische Bebilderung ein. Speziell die Massenpresse wurde vom Bildjournalismus geprägt, und überall entstanden entsprechende neue Meinungsträger: in England u.a. Externer Link: The Illustrated London News (ab 1842), in Frankreich u.a. L´Illustration (ab 1843), in Deutschland u.a. die Leipziger Illustrirte Zeitung (ab 1843), in den USA u.a. Harper´s Weekly (ab 1850). Kriegs-, Ereignis-, Sensationsbilder waren besonders beliebt, aber in zunehmendem Maße auch Sportbilder. Die dafür üblichen Kupferstiche, Holzdrucke und Hochdrucke wurden erst ab der Jahrhundertwende vom Foto abgelöst, nämlich mit Beginn der Pressefotografie als Symbiose der beiden Medien Zeitung und Fotografie. Ullsteins "Tempo" führte 1928 die aktuelle Foto-Bildberichterstattung in Deutschland ein.

Gravierender freilich als die Zeitung war, nach dem Vorbild etwa des Externer Link: "Pfennig-Magazins der Gesellschaft zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse" (ab 1833), die Zeitschrift betroffen. Die auflagenstärkste unter ihnen, die Berliner Illustrirte Zeitung hieß zwar noch Zeitung, muss tatsächlich aber als Zeitschrift bzw. frühe Illustrierte gelten. [Abb. 9: Duell]

Solche visualisierten Meinungsträger wurden äußerst beliebt und konnten gemäß ihrem Charakter als Bildzeitung und aufgrund ihres (werbefinanziert) günstigen Preises auch in minderbemittelten Gruppen der Gesellschaft und in Unterschichten gelesen werden.

Auch der Boom der Familienzeitschriften, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum wichtigsten Unterhaltungsmedium avancierten, verstärkte den Siegeszug der illustrativen Darstellung. Hauptvertreter waren die "Gartenlaube" (1853-1944) von Ernst Keil und "Daheim" (1865-1944) von August Klasing als dem christlichen Gegenstück. Zwischen 1852 und 1890 sollen in Deutschland über 150 Familienzeitschriften neu gegründet worden sein. In expliziter Leserorientierung wurde hier höchst erfolgreich kleinbürgerliche Familienideologie transportiert: Entspannung, Konservatismus, Harmoniesucht, Trost im Happy End, Volkstümlichkeit und Idylle häuslicher Gemütlichkeit, Plüsch, Friedlichkeit und Romantik, auch Zucht und Sitte des deutschen Hauses sowie Nationaltümelei.

Werbeplakat für die "Allgemeine Ausstellung für Jagd, Fischerei und Sport" (1889) von Carl Brünner. (© DHM)

Witzblätter und Karikaturen im Medium Zeitschrift folgten frühen Vorbildern wie den komischen Volkskalendern, politischen Flugblättern und satirischen Flugschriften und gehörten zur prägenden Erscheinung der Medienkultur des 19. Jahrhunderts. Die wichtigsten Witz- und Satirezeitschriften waren damals die Fliegenden Blätter (1844-1944) von Kaspar Braun, Externer Link: Kladderadatsch (1848-1944) von David Kalisch, Ulk (1872-1934) von Kurt Tucholsky und Simplicissimus (1896-1944) von Thomas Theodor Heine. Daneben gab es entsprechende lokale Zeitschriften wie z.B. die Illustrierten Berliner Witzblätter oder die Münchener satirischen Blätter, und nicht zuletzt überregional verbreitete Witzblätter als pikante Unterhaltung mit bevorzugt erotischen Themen.

Neben der zunehmenden Bebilderung der Pressemedien Zeitung und Zeitschrift entwickelte sich das Plakat endgültig zum Bildplakat. Bereits ab 1855 begann die Litfaßsäule in Berlin die traditionelle Wand als Anschlagfläche abzulösen. Spätestens ab den 1880er Jahren wurden politische ebenso wie kommerzielle und künstlerisch-kulturelle Plakate zunehmend vom Bild beherrscht. Eine supramediale Werbeindustrie etablierte sich.

Selbst im Bereich der vom Brief bestimmten medialen Individualkommunikation nahm die Visualisierung zu: Aus der Externer Link: Postkarte (ab 1872) entwickelte sich die Bildpost- oder Ansichtskarte (ab 1875). Von nun an war es jedermann möglich, Bildthemen der verschiedensten Art zweck- und adressatenorientiert für standardisierte Schmalspur-Kommunikation zu nutzen: Ansichtskarten, Themenkarten, Kunst- und Künstlerkarten, Gelegenheitskarten wie Weihnachts-, Oster-, Geburtstags-, Hochzeits-, Beileidskarten, Urlaubskarten und vieles mehr. Dabei wurde der verbale Eigenaufwand erheblich reduziert – im Extremfall bis auf die bloße Unterschrift.

Das Blatt in der Alltagskultur

Am beeindruckendsten war wohl der Visualisierungsschub im Medium Blatt. Damit sind jetzt nicht allein politische Flugblätter und Werbezettel der Wirtschaft gemeint, sondern die zahlreichen Varianten des Blatts in der Alltagskultur. Was man bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts als selbstverständlich und keiner weiteren Aufmerksamkeit für würdig erachtete, hatte sich bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu voller Blüte ausgebildet: Im kirchlich-sakralen Bereich etwa gehören dazu vor allem Andachtsbilder wie die Gebetbuchbilder, Heiligenbilder, Missionsbilder, Wallfahrtsbilder etc., aber auch Kommunionbilder, Sterbebilder und allgemein religiöse Bilder (z.B. betende Hände oder diverse Kreuzesabbildungen).

Im profanen und öffentlichen Alltag entwickelten sich Abziehbilder, visualisierte Etiketten, Fotografiekarten, Reklamekarten mit Logos und Darstellungen von Waren und Dienstleistungen, Visitenkarten mit Porträts, nicht zuletzt auch die Banknote, die sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts als gesetzliches Zahlungsmittel durchsetzte und ebenfalls bebildert war. Spielkarten wie Skat, Quartettspiele, Bridge, Rommé und viele andere Spielkartentypen gab es in Deutschland zwar schon seit dem 15. Jahrhundert, sie waren jedoch im 19. Jahrhundert infolge der Kleinstaaterei in erstaunlicher Vielfalt verbreitet und auf dem Lande äußerst beliebt.

Neu etabliert wurden die Sammelbilder, deren Hochzeit mit den Bildern der Schokoladenfabrik Stollwerck (ab den 1860er Jahren) begann und die mit den Bildern der Firma Liebig Fleischextrakt bis zum Ende des Jahrhunderts ihren Boom erlebten. In tausenden verschiedener Serien, in hunderttausenden von Sammelalben pro Jahr und in Millionenauflagen der Einzelbilder und Bildblöcke, die teils über Automaten vertrieben wurden, etablierte sich eine Bildkultur für die Massen des Volkes.

Ursprünglich waren die Externer Link: Sammelbilder ein Marketing-Instrument, es ging um Absatzmärkte für Kolonialwaren wie Kakao und Kaffee, später, bei Markenartikeln, um Kundenbindung. Doch rasch verselbstständigte sich das Externer Link: Sammelbild zum Kultobjekt, das speziell von Erwachsenen gesammelt, gekauft, getauscht, in Alben eingeklebt wurde und für viele einfache Menschen einen enormen Informations- und Unterhaltungswert übernahm. Es wurden Kataloge herausgegeben und Sammlervereine gegründet, um der erstaunlichen Themenvielfalt Herr zu werden. Die Wissensvermittlung dabei war affirmativ: eine heile Welt aus kindlicher und kleinbürgerlicher Sicht, ein festes soziales Statussystem, eine positivistische Lebensanschauung und bevorzugt exotische Informationen. Man hat dem Sammelbild deshalb die Funktion der Daseinsbewältigung zugesprochen.

Der Bilderbogen

Bilderbogen mit Darstellung von Haustieren, Oehmigke, Alfred: Neuruppiner Bilderbogen 1854/1855

Unterhaltung und Belehrung gab es auch beim Medium Bilderbogen, das nur die kurze Zeitspanne von etwa den 30er- bis zu den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts eine besondere Bedeutung besaß. Der Bilderbogen war größenmäßig zwischen dem Blatt und dem Plakat angesiedelt und wurde üblicherweise auch an heimischen Wänden, Türen und Schränken aufgehängt. Mit ihm wurden zumeist Geschichten erzählt, dargestellt in verschiedenen Szenen und mit moralisierendem Unterton – nach Vorbildern von etwa Max und Moritz oder Struwwelpeter. Man kann dabei verschiedene Typen unterscheiden: die Aktualitätenbogen, die über aktuelle Ereignisse der Zeitgeschichte berichteten (die Zerstörung einer Stadt, eine Feuersbrunst, Ereignisse aus dem Familienleben der Herrschenden usw.), die Lehrbogen, die Allgemeinwissen zu bestimmten Themenkomplexen anboten (Tiergruppen, Handwerksberufe, Theaterfiguren, antike Sagen usw.), und die so genannten Kinderbogen mit klar pädagogischer Funktion, die einweisen in moralisches Alltagshandeln, gute Sitten beim Essen und Trinken und allgemeine Lebensweisheiten. Der Bilderbogen war Informationsquelle, Ratgeber und moralische Instanz für das konservativ-traditionelle Kleinbürgertum. Der hier dargestellte Bilderbogen "Haus-Thiere. Vögel" soll Allgemeinwissen vermitteln: Er zeigt Gans, Hahn, Ente und andere Vögel.

In Produktion, Distribution und Rezeption war der Bilderbogen ein absolutes Massenmedium und international verbreitet. Als die wichtigste deutsche Beispiele gelten der Neuruppiner Bilderbogen (mit einer Gesamtauflage von mehreren hundert Millionen Exemplaren) und der Münchener Bilderbogen, der in Themenwahl und Gestaltung stärker mittelschichtig orientiert war.

Fotografie – ein gesellschaftsübergreifendes Medium

Familienporträt "W.H. Jackson and Family", entstanden zwischen 1880 and 1910. (© The Library of Congress)

Die wichtigste Erscheinung der Bildkultur des 19. Jahrhunderts war das neue Medium Fotografie, entstanden in der Zeit von 1826/27 und 1839. Vor allem mit ihm wurden nach einer vom Schreiben und Lesen beherrschten bürgerlichen Phase erneut Sinnlichkeit, Anschaulichkeit und Körperlichkeit in den Mittelpunkt gestellt. Damit fand Erfahrung und Erlebnis, wie immer verkürzt und relativiert, unter dem Vorzeichen des Authentischen und Dokumentarischen Eingang in die Medien- und Bildgeschichte. Bezeichnenderweise führten die Zeitgenossen jahrzehntelang eine Debatte darüber, ob es sich bei der Fotografie nun um Kunst handle oder um bloße Reproduktion von Wirklichkeit, die keinerlei Kunstcharakter für sich beanspruchen könne. Erst später setzte sich die Einsicht durch, dass das neue Bildmedium als beides zu fungieren vermag, als Speichermedium und als Gestaltungsmittel.

Das neue Medium bediente den Bildhunger der gesamten Gesellschaft. Von Anfang an dominierte die Porträt- oder Bildnisfotografie. Bei ihr ging es um die soziale Verortung des Einzelnen in der Massengesellschaft, um das Individualporträtfoto und das Selbstbild als statusorientierte Selbstinszenierung. In den Anfängen der 1840er Jahre bediente sich vor allem der Adel dieser neuen und im Vergleich zur Malerei erheblich preisgünstigeren Porträtierweise. Die großbürgerlichen Eliten folgten in den 1850er und 1860er Jahren mit ihren repräsentativen Porträts als Wandschmuck fürs Wohnzimmer. Dann setzte sich das Medium bis hinunter ins Kleinbürgertum durch. Spätestens zum Ausgang der 1880er Jahre hatte sich die so genannte Liebhaberfotografie oder das Knipsen verbreitet und eine arbeitsteilige Fotoindustrie war etabliert. Noch vor der Jahrhundertwende war das Fotografieren zum Hobby für jedermann geworden: die eigene Ahnengalerie konnte nun problemlos ins Fotoalbum geklebt werden.

Das neue Bildmedium hatte seinen Sinn aber nicht nur als Instrument für soziale Selbstinszenierung, sondern auch in seiner Multifunktionalität. Neben der Porträtfotografie entwickelte sich von Anfang an die Aktfotografie (das nackte Ich), die Reisefotografie (das fremde Ich) sowie die medizinische und die kriminalistische Fotografie (das kranke, das kriminelle Ich), schnell gefolgt von zahlreichen weiteren Einsatzmöglichkeiten wie z.B. der Tierfotografie, Sportfotografie, Landschafts- und Gebäudefotografie, der Industriefotografie, Modefotografie und Werbefotografie bis hin zur bereits erwähnten Pressefotografie.

Mit der Fotografie begann eine Bildkultur, die das Medium aus heutiger Sicht als Übergang von den Printbildern zu den elektronischen Bildern erscheinen lässt. Erstmals wurde Wirklichkeit nicht gezeichnet, gemalt oder mehr oder weniger naturalistisch abgebildet, vielmehr schien Wirklichkeit selbst wirksam zu werden. Die Fotografie war das erste technische Medium der Geschichte, das gespeicherte Live-Wirklichkeit transportierte und damit die prinzipielle Differenz zwischen Realitätsdarstellung und unvermittelter Realitätsreproduktion in Frage stellte.

Fussnoten

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Univ. Prof. Dr. Werner Faulstich, Jg. 1946; Promotion 1973 an der Universität Frankfurt; Habilitation 1981 in Tübingen, danach apl-Prof. Universität Siegen ab 1986; Lehrstuhl für Medienwissenschaft an der Universität Lüneburg seit 1989; Leiter des IfAM-Instituts für Angewandte Medienforschung seit 1990.