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Anita Augspurg | Frauenbewegung | bpb.de

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Anita Augspurg

Dr. Elke Schüller Elke Schüller

/ 6 Minuten zu lesen

Anita Augspurg (1857 - 1943) war Deutschlands erste promovierte Juristin und setzte sich ab dem Ende des 19. Jahrhunderts für soziale und politische Rechte der Frauen ein. Die Einführung des Frauenwahlrechts war ihr vorrangiges Ziel.

Anita Augspurg.Interner Link: Bildnachweis (© AddF (Bild 23))

Anita Augspurg wurde am 22. September 1857 in Verden an der Aller geboren. Sie entstammte einer politisch interessierten, liberalen Gelehrtenfamilie, dennoch wurden ihr als Mädchen eine weiterführende Schulausbildung und ein Studium verweigert. Deshalb arbeitete sie nach dem Besuch der Höheren Töchterschule zunächst in der väterlichen Anwaltspraxis mit, durfte dort aber nur untergeordnete Hilfsarbeiten ausführen, was die geistig interessierte junge Frau in keiner Weise befriedigen konnte. Anita Augspurg besuchte deshalb 1878 in Berlin ein privates Lehrerinnenseminar, da dies die einzige gesellschaftlich akzeptierte, anspruchsvollere Ausbildungsmöglichkeit für bürgerliche Frauen darstellte. 1879 legte sie das Lehrerinnen- und das Turnlehrerinnenexamen ab. Volljährig und durch eine Erbschaft unabhängig geworden, widmete sie sich danach ihrem damaligen Hauptinteresse, dem Theater, und nahm privaten Schauspielunterricht. Zwischen 1881 und 1885 folgten kleinere Engagements an Bühnen; sie gab die Schauspielerei allerdings bald wieder auf, da immer mehr der Wunsch in den Vordergrund rückte, an der Gestaltung des gesellschaftlichen und politischen Lebens teilzuhaben.

Anita Augspurg zog nach München und eröffnete 1887 nach einer Ausbildung zur Fotografin gemeinsam mit ihrer Freundin Sophie Goudstikker das Fotostudio "Hofatelier Elvira", das künstlerisch und kommerziell erfolgreich wurde. Das selbstbewusste und unkonventionelle Auftreten der beiden Frauen mit Kurzhaarfrisuren und Reformkleidung sowie ihr freier Lebensstil erregte nicht wenig Aufsehen – zumal sie sich auch öffentlich zum Kampf der Frauenbefreiung bekannten.

Engagement in der Frauenbewegung und erste Juristin Deutschlands

Dieser Kampf wurde denn auch immer mehr zum Lebensinhalt Anita Augspurgs, und so widmete sie sich ab den 1890er Jahren kontinuierlich dieser Arbeit in der bürgerlichen Frauenbewegung. Ihr Einstieg fand über die Bildungsfrage statt: Im Frauenbildungsverein Reform setzte sie sich für eine Verbesserung der Mädchenbildung und insbesondere für das Recht der Frauen auf eine akademische Ausbildung ein. U.a. war sie 1893 mitbeteiligt an der Gründung eines Mädchengymnasiums in Karlsruhe, an dem die Hochschulreife erworben werden konnte.

Mit der Diskussion um ein neues, für das gesamte Reich allgemein verbindliches Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), das keine ehe- und familienrechtlichen Verbesserungen für Frauen, teils sogar noch eine weitere Entrechtung der Frauen vorsah, erwachte Augspurgs Interesse für die Frauenfrage als Rechtsfrage. Um sich die ihrer Meinung nach dringend nötigen Kenntnisse im Zivil- und Staatsrecht anzueignen und so die Rechte der Frauen besser verteidigen und einfordern zu können, begann sie 1893 als Mitdreißigerin ein Jurastudium. Dafür musste sie nach Zürich gehen, denn in Deutschland war Frauen das Studium noch nicht erlaubt; 1897 kehrte sie als Deutschlands erste promovierte Juristin nach Berlin zurück. Als solche beteiligte sie sich verstärkt am Frauenrechtskampf und brachte ihre juristische Kompetenz in weibliche Belange unterstützende Gesetzesänderungsvorschläge im Reichstag ein und leistete Aufklärungsarbeit über die juristische Stellung der Frau.

Auf dem ersten internationalen Frauenbewegungskongress in Deutschland, dem Internationalen Kongress für Frauenwerke und Frauenbestrebungen, der im September 1896 in Berlin stattfand, lernte Anita Augspurg die zehn Jahre jüngere Lida Gustava Heymann kennen, die ihre Lebens- und Arbeitsgefährtin werden sollte. Gemeinsam mit ihr begann Augspurg nun auch, sich in der Internationalen Abolitionistischen Bewegung zu engagieren, die sich für die Abschaffung der staatlichen Reglementierung der Prostitution einsetzte – ein damals ausgesprochen kühnes Unterfangen.

Mittelpunkt des radikalen Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung

Anita Augspurg gehörte zu dieser Zeit gemeinsam mit Lida Gustava Heymann zum Kern des so genannten radikalen Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung. Ab 1899 arbeitete sie an Minna Cauers Zeitschrift "Die Frauenbewegung" mit und redigierte deren Beilage "Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung". Auch dem Vorstand des radikalen Vereins Frauenwohl gehörte sie einige Zeit an und war Mitbegründerin sowie zweite Vorsitze des Verbands fortschrittlicher Frauenvereine (VFF), der sich als radikaler Gegenpol zum gemäßigten Bund deutscher Frauenvereine verstand. Den Radikalen ging es vor allem um eine Angleichung der Frauen an die Stellung des Mannes; ihr heute noch modern wirkendes rechtspolitisches Konzept beinhaltete das Ringen um Geschlechtergerechtigkeit und die Kritik an einer patriarchal organisierten kapitalistischen Gesellschaft und reichte weit über einen Kampf um formale Gleichberechtigung hinaus.

Das vorrangige Ziel der Radikalen war die Erreichung des Frauenwahlrechtes, und diesem Anliegen widmete auch Anita Augspurg ab der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert den größten Teil ihre politischen Energie. 1902 konnte sie – eine Gesetzeslücke ausnutzend – den ersten Frauenstimmrechtsverein Deutschlands, den Deutschen Verband für Frauenstimmrecht, mitgründen. Dessen Präsidentin war sie bis 1911 und redigierte bis 1914 die Zeitschrift "Frauenstimmrecht". Ab 1904 hatte sie auch im Weltbund für Frauenstimmrecht den stellvertretenden Vorsitz inne. Kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges trug sie dann aber zur vorübergehenden Spaltung der deutschen Frauenstimmrechtsbewegung bei, indem sie Mitbegründerin und Erste Vorsitzende des neuen Deutschen Bundes für Frauenstimmrecht wurde.

Aufsehenerregender Politik- und Lebensstil

Anita Augspurg wurde als leidenschaftliche und anerkannte Rednerin, vor allem aber durch ihre umfangreiche journalistische Tätigkeit in in- und ausländischen Fachzeitschriften sowie der Tagespresse, in denen sie für die sozialen und politischen Rechte der Frau stritt, und durch die Herausgabe eigener publizistischer Organe zu einem wichtigen Motor für die Öffentlichkeitsarbeit der radikalen Frauenbewegung. Sie begründete dabei aber ihr Ziel, die Gleichberechtigung in allen Bereichen des privaten und öffentlichen Lebens herzustellen, nicht nur theoretisch, sondern ließ es – orientiert an den Methoden der englischen Suffragetten – mit einer "Propaganda der Tat" öffentlichkeitswirksam und praktisch werden. Sie verfasste spektakuläre Aufrufe, z.B. zum Eheboykott im Kampf gegen das Eherecht, und inszenierte Aktionen zivilen Ungehorsams, die einmal sogar zu einer von ihr beabsichtigten Verhaftung durch die Sittenpolizei führten.

Auch ihr Privatleben mit der Millionenerbin Lida Gustava Heymann war extravagant und aufsehenerregend. Die beiden unkonventionellen Frauen zogen 1907 nach Bayern, lebten erst in München, dann auf dem Land in gemeinsamen Domizilen und betrieben teilweise einen nur mit weiblichem Personal bewirtschafteten Gutshof. Zudem praktizierten sie Sportarten, die als unweiblich galten, machten beide 1928 den Führerschein und bereisten ganz Deutschland im selbstgesteuerten Auto.

Pazifistisches Engagement

Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges richtete Augspurg ihre Energien gemeinsam mit Heymann vor allem auf die Friedensarbeit. Mit seiner scharfen Kritik am Krieg stand das Paar aber in der kriegseuphorisierten Nation selbst in Frauenrechts- und Intellektuellenkreisen nahezu allein da. 1915 gehörte es zu den Initiatorinnen der Internationalen Frauenfriedenskonferenz in Den Haag (Niederlande) und beteiligte sich an der Gründung der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF). Bis 1933 gehörte Anita Augspurg dem Vorstand des deutschen Zweigs der Liga an und gab von 1919-1933 gemeinsam mit Heymann die pazifistische Zeitschrift "Die Frau im Staat" heraus. Wegen ihrer pazifistischen Aktivitäten und ihres Aufrufs zum Eheboykott schloss der BDF Anita Augspurg aus, sie hatte während des Weltkrieges öffentliches Redeverbot und musste Hausdurchsuchungen hinnehmen.

1918 gehörte sie als Vertreterin der Frauenbewegung dem provisorischen Bayerischen Rätekongress an und kandidierte 1919 erfolglos auf Listen der sozialistischen USPD für den Bayerischen Landtag. Nach Zerschlagung der Räterepublik setzte Augspurg keine großen Erwartungen mehr in die Weimarer Republik und konzentrierte sich auf ihre Arbeit für den Pazifismus.

Aufgrund ihrer demokratischen Haltung und ihres antimilitaristischen Engagements erkannte Anita Augspurg sehr früh die faschistische Gefahr. 1933, nach der "Machtergreifung" der Nationalsozialisten, kehrten Augspurg und Heymann, die seit 1923 auf der Liquidationsliste der Nazis standen, in kluger Voraussicht des Kommenden von einer Auslandsreise nicht mehr nach Deutschland zurück. Sie lebten bis zu ihrem Tod im Züricher Exil und arbeiteten dort weiter für die IFFF. Da ihr Vermögen in Deutschland konfisziert wurde, lebte das Paar unter schwierigsten Bedingungen von publizistischen Tätigkeiten und von der Unterstützung durch Freundinnen aus der internationalen Frauenbewegung. Auch ihr umfangreiches Frauenarchiv und ihr gesamter Nachlass wurden von den Nationalsozialisten zerstört. Am 20. Dezember 1943 starb Anita Augspurg 86-jährig in Zürich – nur fünf Monate nach dem Tod ihrer Lebensgefährtin.

Weitere Inhalte

geb. 1954, Sozialwissenschaftlerin, zzt. freiberuflich tätig, Arbeitsschwerpunkte: Geschichte der Frauenbewegung, politische Partizipation von Frauen, Frauenpolitik und Biographien bedeutender Kämpferinnen für die Interessen der Frauen.