Gibt es allgemeinverbindliche Regeln, die ein Journalist beherrschen sollte, wenn er über Rechtsextremismus berichten will? Der Mainzer Publizistik-Professor Axel Buchholz hat 18 Grundprinzipien aufgestellt. Vor allen Dingen mahnt er: "Weder Betroffenheits- Journalismus ist gefragt, noch ein Journalismus mit erhobenem Zeigefinger."
Auch bei der Berichterstattung über extremistische Erscheinungen/Gruppierungen gelten selbstverständlich die allgemein anerkannten Regeln des journalistischen Handwerks wie z.B. korrekte Recherche, Objektivität und Fairness.
Zur gründlichen Recherche, wahrheitsgemäßen Berichterstattung und korrekten Information gehört auch das Aufdecken von Widersprüchen, z.B. zwischen programmatischen Aussagen und tatsächlichem Verhalten oder zwischen den wirklichen und den verlautbarten Absichten. Auch dies gilt selbstverständlich immer. Der Journalist wird sein Augenmerk aber umso mehr darauf richten, je mehr er den begründeten Verdacht hat, dass die wahren Ziele verschleiert oder Fakten falsch dargestellt werden.
Das Gebot der Fairness gilt auch für die Frage, ob überhaupt berichtet wird – nicht nur für das "Wie". Absichtliches Totschweigen aus Prinzip ist kein korrektes journalistisches Verhalten. Der Umfang der Berichterstattung richtet sich nach denselben Kriterien, die auch für andere Themen gelten.
Journalisten werden von Rechtsradikalen oft beschimpft und als System-Journalisten verächtlich gemacht. Gelegentlich werden sie eingeschüchtert oder gar bedroht. Darauf sollten sie vorbereitet sein und gelassen reagieren – wozu auch gehören kann, darüber zu berichten. Von einer fairen Berichterstattung lassen sie sich dadurch nicht abbringen – schon gar nicht davon, den Finger in die Wunde zu legen, wenn das erforderlich ist.
Journalisten dürfen auch bei der Befassung mit diesen Themen "nicht aus der (ihrer) Rolle fallen" – oder sich aus ihr herauslocken lassen. Die Herangehensweise an die Themen muss – wie auch immer sonst – distanziert und rational bestimmt sein. Die eigene politische Einstellung darf nicht zu emotionalem Verhalten verführen.
Weder Betroffenheits-Journalismus ist gefragt, noch ein Journalismus mit erhobenem Zeigefinger. Die wenigsten Hörer lassen sich gern belehren. Und triefende Betroffenheit wirkt oft abschreckend, selbst bei ähnlich Denkenden, denen man – wie allen anderen auch – lieber mit Fakten zu Denken geben sollte.
Unerwünschte Solidarisierungseffekte sind zu vermeiden. Sie können leicht entstehen, wenn Zuhörer/Zuschauer journalistisches Verhalten als unfair empfinden. Dabei müssen neben dem Inhaltlichen auch Tonfall und Körpersprache beachtet werden.
Eigene Einstellung und persönliche Betroffenheit der Journalisten sind kein Ersatz für entsprechendes Fachwissen und Kenntnis der Szene. Rechtsextreme werden zwar gerne als "Dumpfbacken" bezeichnet oder eingeschätzt, ihr Führungspersonal jedenfalls ist aber häufig geschult und rhetorisch wie inhaltlich gut vorbereitet.
Nicht jeder Journalist, auch nicht jeder "Allrounder" aus dem Politik-Ressort, wird stets auf dem erforderlichen Informationsstand sein oder sich diesen ausreichend schnell erarbeiten können. Wie für andere Gebiete auch, sollte eine Redaktion auch für diese Themen über Spezialisten verfügen.
Wer sich mit Rechtsextremismus und Rechtsextremisten befasst, darf - wie auch sonst als Journalist - keine "Berührungsängste" haben. Also: nicht nur über, auch mit Rechtsradikalen sprechen, deren Publikationen lesen und nicht nur Zitate daraus, für den nötigen Hintergrund (auch ohne darüber zu berichten) zu Wahlveranstaltungen, an Wahlstände oder zu Parteitagen gehen.
Die Wahl der Darstellungsform sollte mit Bedacht erfolgen Live-Interview oder aufgezeichnetes Interview; Meldung, Bericht oder O-Ton-Bericht; Analyse oder Kommentar. Nicht nur die journalistische Intention im Einzelfall ist dabeivon Bedeutung. Überlegt wollen auch die Risiken sein, die mit der Wahl einer Darstellungsform verbunden sind.
(Live-)Interviews geben jedem Interview-Partner zwangsläufig auch die Chance, sich in einem gewissen Umfang selbst darzustellen. Kritisches Hinterfragen erfordert genügend Zeit (die meist in aktuellen Sendungen nicht gegeben ist), entsprechende Kompetenz des Interviewers und beim Interviewten die Bereitschaft, die Spielregeln eines Interviews wenigsten im Gundsatz zu akzeptieren. Letzteres ist umso weniger der Fall, je fanatischer und agitatorischer ein Interviewpartner ist.
Werden mehrere Interview-Partner hintereinander interviewt (wie z. B. an Wahlabenden), darf nicht der Eindruck entstehen, dass Journalisten "mit unterschiedlichem Maß messen". Es sollten nicht dem einen harmlose Stichwort-Fragen gestellt werden, während der andere "hart angegangen" wird.
Kritisches Hinterfragen sollte eigentlich zum "Alltagsgeschäft" eines jeden Interviewers gehören. Tatsächlich sind kontroverse Interviews eher die Ausnahme. Deshalb ist gut möglich/wahrscheinlich, dass manche Funktionäre mehr Übung im Beantworten als manche Journalisten im Stellen von kritischen Fragen haben. Gezielte journalistische Fortbildung empfiehlt sich.
Ereignisbezogene Berichterstattung darf sich nicht instrumentalisieren lassen, darf also dem Ereignis keine unangemessene Bedeutung oder zu viel Sendezeit/Platz einräumen. Wird dies nicht beachtet, kann mit der Information unbeabsichtigte Aufwertung von Themen oder Personen verbunden sein.
Ereignisbezogene Berichterstattung muss durch einordnende Berichterstattung, also Hintergrund, Analyse und Dokumentation in angemessenem Umfang ergänzt werden. Dies sollte kontinuierlich geschehen und nicht nur sporadisch als Reaktion auf aktuelle Ereignisse.
Die Berichterstattung insgesamt darf sich nicht auf den unmittelbar politischen Bereich verengen. Sie muss sich mit dem gesamten Umfeld befassen, also z.B. mit entsprechenden Musikgruppen, der Skinhead-Szene, Kameradschaften, Publikationen usw.
Die Berichterstattung muss auch Aktivitäten von Personen, Gruppen und Institutionen aufgreifen, die sich mit der rechtsradikalen Szene auseinandersetzen. Auch wie dies geschieht, kann ein Thema sein. Dabei gilt - wie immer - der Grundsatz, dass der Journalist sich mit keiner Sache gemein machen sollte, auch nicht mit der von ihm als gut angesehenen.