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Das N-Wort

Grada Kilomba

/ 9 Minuten zu lesen

Schwarze Deutsche werden alltäglich mit dem N-Wort beschimpft. Es hinterlässt psychologische Narben, die Ängste und Albträume verursachen. Sie fühlen sich zutiefst verletzt, weil sie das Opfer rassistischer Unterdrückung geworden sind. Wo liegen die psychologischen Ursachen für diese emotionale Reaktion?

Als ich diesen Text schrieb, musste ich zunächst überlegen, wie ich das N-Wort benutzen kann, denn das Wort ist schmerzhaft. Wenn ich in diesem Artikel statt des Euphemismus 'N-Wort' den Begriff 'N.' ausschreibe, dann, um ihn zu dekonstruieren. Das ist eine für mich schwierige Entscheidung, verletzend sogar, denn das N-Wort ist kein neutrales Wort, es ist ein weißes Konzept – ein Begriff, der mich in eine koloniale Ordnung zwingt.

Der Begriff 'N.' soll alle südlich der Sahara lebenden AfrikanerInnen kategorisieren und wurde während der europäischen Expansion erfunden. Das N-Wort ist also in der Geschichte der Versklavung und Kolonisierung situiert, d.h. es ist ein Begriff, welcher mit Brutalität, Verwundung und Schmerz einhergeht. Diese Erfahrungen werden in der Psychoanalyse als Trauma definiert.

Demonstration gegen das N-Wort in München am 27. Juni 2020. (© picture alliance / ZUMAPRESS.com | Sachelle Babbar)

In der Psychoanalyse beinhaltet Trauma die Idee eines gewalttätigen Schocks, der plötzlich die Beziehung mit anderen und mit der Gesellschaft auseinander reißt, und es hinterlässt psychologische Narben in Form von Alpträumen und Flashbacks oder hat zusätzliche körperliche Auswirkung. Ebenso beinhaltet es die Idee einer Zeitlosigkeit, da Gegenwart und Vergangenheit sich vermischen.

Das N-Wort bzw. Rassismus wird aber selten als Trauma wahrgenommen und benannt. Diese Absenz der Benennung liegt daran, dass die Geschichte der rassistischen Unterdrückung und ihre psychologische Auswirkung innerhalb des westlichen Diskurses bisher vernachlässigt wurde. Schwarze Menschen und People of Color sind damit jedoch tagtäglich konfrontiert. Wir müssen nicht nur auf einer individuellen Ebene, sondern auch auf einer historischen und kollektiven Ebene mit den Traumata des Kolonialismus umgehen, da Alltagsrassismus eine Reinitiierung kolonialer Szenen ist, die uns Diskurse der Unterlegenheit und Entfremdung wiederaufzwingt.

In diesem Text beschäftige ich mich daher mit dem N-Wort als eine Form von Verwundung und Trauma, und analysiere ein Interview mit einer Schwarzen Frau – Kathleen –, die über ihre rassistischen Alltagserfahrungen in Deutschland spricht. Das ist eine von 28 Geschichten des Buches "Plantation Memories. Episodes of Everyday Racism", Unrast Verlag 2008.

I. Schwarze Venus vs. Schwarze Sklavin

"Ich erinnere mich daran, dass (mein Freund) eine Klavierlehrerin hatte und ich ihn nach seiner Stunde abholte, und diese Klavierlehrerin hatte ein kleines Mädchen. Das kleine Mädchen fing an zu reden: "Die schöne Negerin, und wie toll die Negerin aussieht! Und die schönen Augen, die die Negerin hat! Die schöne Haut, die diese Negerin hat... ich will auch Negerin sein!" (...) ich hörte immer wieder nur dieses eine Wort: Neger, Neger, Neger, wieder und wieder..."

Die Wortkombination 'schöne N.' ist vieldeutig, da ein positives Wort: 'schön' vor einem traumatischen: 'N.' steht. Es ist ein Spiel süßer und bitterer Worte, das es schwer macht, Rassismus zu identifizieren. Kathleen wird 'schön' und gleichzeitig 'N.' genannt, wobei 'N.' hier ihre Position als minderwertig markiert.

Ursprünglich kommt das N-Wort aus dem Lateinischen als Bezeichnung für die Farbe Schwarz: niger. Am Ende des 18. Jh. war jedoch das N-Wort bereits ein abwertender Begriff mit verletzendem Charakter, der durchaus strategisch genutzt wurde, um das Gefühl von Verlust, Minderwertigkeit und die Unterwerfung unter weiße koloniale Herrschaft zu implementieren.

Also wenn 'N.' gesagt wird, wird nicht nur über die (Haut-) Farbe 'Schwarz' gesprochen, sondern auch über: Animalität – Primitivität – Unwissenheit – Chaos – Faulheit – Schmutz. Diese Reihe von Entsprechungen charakterisiert Rassismus. Wir werden als die Verkörperung jeder dieser Bezeichnungen angesehen, keineswegs, weil sie in unseren Körper eingeschrieben sind oder wirklich und real wären, sondern vielmehr, weil Rassismus diskursiv ist. Rassismus ist nicht biologisch, er funktioniert durch Diskurse, durch Worte und durch eine Reihe von Entsprechungen, welche Identitäten aufrechterhalten.

II. Gegenwart vs. Vergangenheit

In dem Moment wo Kathleen als 'N.' bezeichnet wird, platziert man sie plötzlich in dieser kolonialen Ordnung, da der Begriff die Beziehung zwischen Weißen und Schwarzen beschreibt, welcher seine Wurzeln in einer Herr-Knecht-Dichotomie hat. Jene, die 'N.' rufen, wiederholen in diesem Moment eine Sicherstellung ihrer Macht als weiße HerrscherInnen, und sie erinnern Kathleen an den Ort, den sie betreten darf – den Ort der Unterlegenheit, d.h. den Platz des 'N.'.

Kathleen ist schockiert. Dieser gewaltige Schock ist das erste Element von Trauma. Die Erfahrung, als 'N.' beschimpft zu werden, umfasst einen Schock, der plötzlich die Beziehung mit anderen auseinander reißt. Kathleens Verbindung zur Gesellschaft wird also plötzlich zerrissen. Sie wird daran erinnert, dass diese Gesellschaft sich als weiß und deutsch versteht. Und in den Augen des Mädchens wird Kathleen weder als das eine oder das andere, sondern stellvertretend für eine 'Rasse' gesehen, die nicht zum weißen Territorium gehört – sie ist eine 'N.'

Diese Beschimpfung ist wie eine mise-en-scéne, wo Weiße zu symbolischen HerrscherInnen und Schwarze durch Demütigung, Verletzung und Ausgrenzung zu figurativen Sklaven degradiert werden. Es gibt eine Schande-Stolz- Dynamik in dieser kolonialen Beziehung: Während die Schwarze Frau erniedrigt und beleidigt wird, hat das weiße Subjekt die Möglichkeit, Ehre und Macht zu entwickeln, was jedoch nur durch die direkte Degradierung der Ersteren ermöglicht wird. Die Zeitlosigkeit dieser Szene ist das vierte Element eines Traumas, da Gegenwart und Vergangenheit sich vermischen. Plötzlich wird die Vergangenheit zur Gegenwart und die Gegenwart wird erlebt, als ob man/frau in der Vergangenheit ist. Auf einmal ist Kathleen wieder eine 'N.', so wie sie es in der Vergangenheit bereits gewesen war. In einem Szenario der Gegenwart wird sie in einer kolonialen Szene positioniert.

Das N-Wort re-aktualisiert also ein koloniales Trauma: die Schwarze Frau bleibt verwundbar; das weiße Mädchen, obwohl noch sehr jung, bleibt die privilegierte Autorität. Die benachteiligte Position der einen sichert die Machtposition der anderen.

III. Neid und Begehren

In Kathleens Geschichte erzählen die Worte des Mädchens allerdings nicht nur vom Prozess der Ausgrenzung, sondern enthüllen auch ihr Begehren, Schwarz zu sein. Sie betrachtet den Schwarzen Körper und gibt zu, einen solchen selbst zu wollen. Dieser Vorgang des Schwarz-Sein-Wollens ist tief in der Phantasie verstrickt, Schwarze hätten etwas, das Weißen entgeht – Authentizität, Exotik und Erotik.

Diese Phantasien sind die Grundlage eines primär unbewussten weißen Neids. Ein Neid, der gleichzeitig begehrt, bestimmte beneidete Attribute des Anderen zu besitzen und andererseits den Anderen zerstören will, weil sie/er etwas besitzt, was einem selbst zu fehlen scheint. Daher wird das Schwarze Subjekt in der weißen Welt zum Objekt der Begierde, das gleichzeitig angegriffen und zerstört werden muss.

Kathleen scheint hier begehrt zu werden – sie ist ein Objekt des Exotismus. Aber ihre Position als Objekt weißer Begierde kann nicht vom Neid getrennt werden. D.h. sie kann jederzeit von einer begehrten Schwarzen Frau zu einer gedemütigten ‘N.´ werden. Von einer exotischen Schönheit zu einer ‘Scheiß Ausländerin´. Aus gut wird böse, aus süß bitter, ganz nach Bedarf.

Daher formuliere ich den oben geschriebenen Satz noch einmal neu: Nicht nur süße und bittere Worte machen es schwer, Rassismus zu identifizieren; sondern das Spiel mit süßen und bitteren Worten ist eine Form, in der Rassismus produziert wird. Die Schwierigkeit, Rassismus zu identifizieren, ist nicht nur funktional für Rassismus, sondern ein Teil des Rassismus selbst.

IV. Der unbeschreibliche Schmerz des Rassismus

"Und dann... dann... ich erinnere mich, dass ich es das erste Mal fühlte... diese Art von physischem Schmerz, weil jemand etwas rassistisches tat oder sagte. Es gibt diesen... Schmerz in den Fingern, es gibt etwas... Ich hatte das noch nie in meinem Körper gefühlt."

Es war genau das mündliche Äußern des N-Wortes und die gesamte Bedeutung dahinter, die Kathleen schockierte und alarmierte. Ich spreche von Alarm, weil das N-Wort so effizient und so gewalttätig den Terror der rassistischen Unterdrückung beschreibt und die Erinnerung an Schmerzen hervorruft – und damit das dritte Element von Trauma beschreibt. D.h. die Idee einer unbeschreiblichen Wunde, die psychologische Narben in Form von Ängsten, Alarmsignalen, Alpträumen und Flashbacks oder zusätzliche körperlich Auswirkung hat.

Der Schmerz, der von Kathleen beschrieben wird, enthüllt die innerliche Verwundung durch Rassismus auf der Körperoberfläche. Interessanterweise hat Rassismus die Absicht, das Schwarze Subjekt schlecht zu machen, und tatsächlich: das Schwarze Subjekt fühlt sich schlecht, körperlich schlecht. Dieser Schmerz ist eine Veräußerung der Verwundung durch Rassismus. Das Bedürfnis, die psychische Erfahrung von Rassismus auf den Körper zu transferieren, enthüllt die Idee, das es keine Worte gibt, einen solchen Schmerz zu beschreiben – man/frau ist einfach sprachlos. Die Sprache von Traumata ist also visuell, graphisch und physisch. Sie artikuliert den unmittelbaren Effekt von Schmerz. Der Schwarze Psychoanalytiker Frantz Fanon (1968) z.B. beschreibt seine eigenen Rassismuserfahrungen als eine Amputation, als einen Schnitt oder eine Blutung – um in Bildern die Gewalt, den Verlust und das Trauma von Rassismus zu benennen.

Durch das N-Wort wird Kathleen willkürlich an ihre Verwundbarkeit innerhalb einer weißen Umgebung erinnert, die, wann immer sie will, mit der Wunde der Sklaverei spielt. Weißsein wird somit zu einem Alarmsignal, zu einem Signal der Bedrohung und des Terrors, denn, wie bell hooks schreibt, leben Schwarze Menschen immer "mit der Möglichkeit, durch Weiß-Sein terrorisiert zu werden" (1995: 46).

V. Das Theater des Rassismus

"Die Mutter, zuerst war es ihr sehr unangenehm, und sie versuchte darüber zu sprechen, dass alle Menschen verschieden sind und wie wunderbar das ist... (...) dass alle verschieden seien, dass es Schwarze gebe und auch Juden und dass dies die Welt großartig macht, etwas ähnliches... mein Freund wusste auch nicht, was er tun sollte... und ich weiß nicht, was ich getan habe, um darüber hinwegzukommen oder mich damit auseinanderzusetzen."

Hier beschreibt Kathleen das Szenario, in dem Rassismus aufgeführt wird, und wo jeder eine spezifische Rolle hat: das weiße Kind als "Aggressor", sie, die Schwarze Frau, als Angegriffene, und der weiße Freund und die weiße Mutter als BeobachterIn. Es ist eine typische Dreieckskonstellation von Rassismus. Ich nenne es die Triangulation von Rassismus, wegen seiner drei Rollen und den drei verschiedenen Funktionen, die Rassismus möglich machen: (1) der/die Akteur/in, der/die Rassismus spielt; (2) der/die Akteur/in, der/die Rassismus erlebt und; (3) den dominanten Konsens in der Öffentlichkeit, der diese Ausübung von Rassismus 'stillschweigend' anschaut und ermöglicht. D.h. Dominanz versus Isolation. Ich frage mich, was passiert wäre, wenn in diesem Raum nicht eine, sondern drei oder vier Schwarze Personen anwesend gewesen wären. Ich frage mich, ob das Mädchen genau dasselbe sagen würde. Nicht, weil sie als Weiße ihre Machtposition verlieren würde, sondern weil das dritte Element, der weiße Konsens, nicht mehr präsent wäre. Das bedeutet, dass ihre Worte nicht mehr als akzeptabel und harmlos für ihr neues Publikum wahrgenommen werden.

Natürlich könnte man feststellen, dass das junge weiße Mädchen, ein Kind, weder rassistisch noch brutal ist, da sie ja nur neugierig ist und keine schlechten Absichten hat. Jedoch müssen wir uns fragen: Warum wird die Erfahrung der Schwarzen Frau als irrelevant oder peripher betrachtet und das weiße Mädchen verbleibt im Zentrum des Interesses? Ist das eine Strategie, um die Schwarze Perspektive und Erfahrung als bedeutungslos darzustellen? Oder ist es gar eine Form der Legitimierung von Rassismus? Sollten wir uns nicht fragen, warum es leichter erscheint mit dem abfällig redenden weißen Mädchen zu sympathisieren, als mit der Schwarzen Frau, welche gedemütigt wurde? Wir sollten auch fragen, ob jene, die das kleine Mädchen verteidigen, auf subtile Weise nicht eigentlich sich selbst verteidigen, denn ist nicht das, was die Kinder sagen, Teil der Ansichten ihrer Eltern?

Die InformantInnen oder BeobachterInnen sind damit spezielle BeobachterInnen, da die Mutter versucht ihre eigene Tochter zu erziehen. Das ist eine peinliche Situation für Kathleen, die unter weißen Augen seziert wird. Peinlich deshalb, weil sie zuerst ein Objekt weißer Verachtung und Beschimpfung ist, und dann ein Objekt pädagogischer Belehrung, durch die das kleine Mädchen etwas über die Völker dieser Welt lernen soll. In beiden Rollen dient Kathleen den weißen ZuschauerInnen als Objekt.

Die Verwendung von 'Multi-Kulti' Argumenten, wie "dass alle verschieden seien, dass es Schwarze gäbe und auch Juden, und dass dies die Welt großartig macht" unterstützt die Weltsicht des kleines Mädchens: dass es wohl nett sein muss, eine 'N.' zu sein. Hier werden Differenzen zwischen Menschen in ästhetischen Begriffen erklärt und nicht als ein Prozess der Rassifizierung, in dem Macht, Ausgrenzung, Demütigung und Beschimpfung verwendet werden. Das kleine Mädchen lernt, dass Andere nicht dadurch verschieden werden, dass sie verschieden behandelt werden, sondern weil sie anders aussehen. Dann mag das klingen, als ob das Hauptproblem des Rassismus die Unterschiede zwischen Menschen seien bzw. die Präsenz dieser Unterschiedlichkeit. Tatsächlich ist es umgekehrt: Menschen werden durch Diskriminierungsprozesse und Ungleichbehandlung zu Abweichenden gemacht – deswegen "Don't You Call Me 'N.'!"

(This Is In Remembrance of Our Ancestors)

Literatur

Fanon, Frantz: Black Skin, White Masks, London 1968.

Hooks, Bell:. Killing Rage. Ending Racism, New York 1995.

Fussnoten

Dr. Grada Kilomba ist Schriftstellerin, Dozentin und Psychologin aus São Tomé e Príncipe und Portugal. Sie ist die Autorin des Buches: "Plantation Memories" Unrast Verlag, 2008. Ihr literarisches Werk verbindet postkolonialen Diskurs und lyrische Prosa auf den Spuren von Sklaverei, Kolonialismus und alltäglichem Rassismus. Sie lehrte an Universitäten in Deutschland und Ghana. Externer Link: www.gradakilomba.com