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Grüne Gentechnik – eine gesellschaftliche Kontroverse

Dr. Mathias Boysen Mathias Boysen

/ 7 Minuten zu lesen

1996 wurden gentechnisch veränderte Pflanzen (GVP) erstmals kommerziell angebaut. Seitdem sind die Anbauflächen jährlich gewachsen. Mathias Boysen erklärt die grüne Gentechnik in Grundzügen – und, warum sie ein Kristallisationspunkt für eine Vielzahl gesellschaftlicher Kontroversen ist.

Ein Landwirt zeigt am Donnerstag, 27. September 2007, auf einem Feld im brandenburgischen Badingen zwei Kolben des umstrittenen genmanipulierten Mais MON 810 des US-Konzerns Monsanto, rechts, und zwei von Schaedlingen befallene normale Kolben, links. (© AP)

Namensgebend für die so genannte Grüne Gentechnik ist das Chlorophyll der Pflanzen, deren Genom verändert wird. Gleichzeitig reicht das Thema weit über die reine Technik hinaus, mit der diese Veränderungen vorgenommen werden. (1) Der Einsatz der Gentechnik in der Pflanzenzüchtung bildet vielmehr einen Kristallisationspunkt für eine Vielzahl gesellschaftlicher Kontroversen, die seit langem geführt werden.

Heutige Anwendung der Grünen Gentechnik in der Landwirtschaft

Erstmals wurden gentechnisch veränderte Pflanzen (GVP) im Jahr 1996 kommerziell angebaut. Seitdem sind die Anbauflächen jährlich angestiegen. Weltweit wurden im Jahr 2007 GVP auf 114 Mio. Hektar kultiviert. Das entspricht der dreifachen Gesamtfläche Deutschlands bzw. 5% der Weltanbaufläche. Gut die Hälfte (58 Mio. ha) der globalen Anbauflächen liegt in den USA. Wichtige Anbauländer sind außerdem Argentinien, Brasilien, Kanada, Indien und China. In der EU dagegen sind die Anbauflächen mit GVP bis heute sehr gering, der Schwerpunkt liegt hier in Spanien mit 80.000 Hektar. In Deutschland konnten 2008 lediglich ca. 3200 Hektar GVP verzeichnet werden; die kommerzielle Nutzung begann im Jahr 2005.(2)

Weltweit konzentriert sich der Anbau fast ausschließlich auf vier Nutzpflanzen: Die wichtigste Kulturart ist Soja, dessen weltweite Anbaufläche im Jahr 2007 zu fast zwei Dritteln mit gentechnisch veränderten (gv) Sorten bestellt wurde. Am zweithäufigsten wurde gv-Mais angebaut, der 31% der weltweiten Maisanbaufläche einnahm. An dritter Stelle folgt gv-Baumwolle; der Anteil an der Weltanbaufläche von Baumwolle betrug sogar 43%. Die vierte zu nennende Nutzpflanze ist mit 20 % gv-Sorten Raps. Noch existieren nicht für alle Nutzpflanzen gv-Sorten, und gegenwärtig werden keine gv-Sorten von Weizen und Reis kultiviert.

Bei den aktuell angebauten gv-Sorten sind fast ausschließlich agronomische Eigenschaften verändert, die relevant beim Anbau der Nutzpflanzen sind. Gegenwärtig dominieren zwei Eigenschaften:

GVP mit einer Insektenresistenz tragen ein Gen in sich, das ein Toxin produziert und auf bestimmte Schadinsekten giftig wirkt. Da die Toxine von dem im Boden lebenden Bakterium namens Bacillus thuringiensis stammen, werden diese GVP auch als Bt-Pflanzen bezeichnet. Dieselben Toxine kommen auch im ökologischen Landbau zum Einsatz und wirken sehr spezifisch auf bestimmte Schädlinge. Allerdings wird das Toxin laufend von den Bt-Pflanzen gebildet und tritt damit verstärkt auf. Dies wiederum ist für die Schädlingsbekämpfung ein Vorteil: Herkömmliche Methoden der Schädlingsbekämpfung haben die Schwierigkeit, von außen gegen Schädlinge zu wirken, die sich überwiegend im Inneren von Pflanzen aufhalten (z.B. Maiszünsler).

GVP mit einer Herbizidresistenz besitzen ein Gen, das sie unempfindlich gegen bestimmte Herbizide macht. Dabei handelt es sich um Totalherbizide, die alle anderen Pflanzen abtöten, die nicht gegen das Herbizid immun sind. Beim Anbau haben herbizidresistente Pflanzen damit den Vorteil, dass die Bekämpfung von Unkräutern weniger zeitaufwendig ist. Die in Kopplung mit den GVP eingesetzten Totalherbizide gelten zwar als umweltverträglicher (hinsichtlich Toxizität und Persistenz) als die zuvor eingesetzten Herbizide, allerdings ist die angewendete Menge pro Hektar angestiegen.

GVP in der Kritik

In dem höheren Preis des gv-Saatguts sehen Kritiker der Grünen Gentechnik einen Beleg dafür, dass GVP in erster Linie Konzernen wie Monsanto oder Bayer Gewinne einbringe. Verbraucher und Landwirte hingegen hätten nur Nachteile. Vor allem letztere gerieten in die Abhängigkeit der Agrarkonzerne, da sie bei herbizidresistenten GVP Saatgut und Pflanzenschutzmittel aus derselben Hand beziehen müssen und weil der Patentschutz von GVP weitreichender ist, als der sonst übliche Sortenschutz. (3) Befürworter der Grünen Gentechnik bestreiten, dass Landwirte ihre Unabhängigkeit beim Kauf des Saatguts verlören und verweisen auf die freie Entscheidung von Millionen Farmern weltweit, GVP zu kultivieren.

Derzeitige GVP bieten Konsumenten bislang keine greifbaren Vorteile. Für Landwirte hingegen kann der Anbau von GVP trotz des höhern Saatgutpreises Vorteile haben. Im Wesentlichen hängt dies davon ab, ob das Anbausystem mit gv-Saatgut bei der Bekämpfung von Unkräutern oder Schädlingen effektiver ist, als das konventionelle Anbausystem aus dem bisherigen Saatgut und den bisherigen Pestiziden. Beispielsweise ist der Anbau von Bt-Mais erst bei einem besonders starken Schädlingsbefall wirtschaftlich. (4)

Neben ökonomischen Einwänden werden zusätzlich ökologische Bedenken geäußert. (5) Ein Beispiel ist der Pollenaustrag, der zur Verbreitung und zur Einkreuzung der gentechnischen Veränderung in andere Pflanzen der gleichen oder einer nah verwandten Art führen kann. Während die Einen Pollenaustrag und Auskreuzung per se als Risiko beurteilen, auf die unvorhersehbare Dynamik von Ökosystemen verweisen und einen Anbaustopp fordern, verlangen Andere den tatsächlichen Nachweis eines ökologischen Schadens; erst dann sei ein Eingreifen zu rechfertigen. Ähnliche Argumentationsmuster treten auch bei der Beurteilung möglicher gesundheitlicher Effekte durch Lebensmittel aus GVP in Erscheinung.

Lebensmittel im Supermarkt können auf sehr unterschiedliche Weise mit der Gentechnik in Verbindung stehen: Der einfachste Fall ist, wenn GVP direkt als Lebensmittel dienen, z.B. eine Papaya-Frucht. Häufig werden jedoch die Pflanzen zu Lebensmitteln weiterverarbeitet. Dies kann soweit gehen, dass die gentechnische Veränderung der Rohstoffe nicht mehr nachgewiesen werden kann, wie etwa im Fall des Lecithins aus Sojabohnen, das in vielen Tausend Produkten als Emulgator eingesetzt wird. Ferner spielen GVP auch beim Tierfutter eine wichtige Rolle (z.B. Soja-Schrot); die Produkte dieser Tiere wie Fleisch, Milch und Eier sind somit indirekt mit Hilfe der Gentechnik entstanden. Bei verarbeiteten Lebensmitteln kommt außerdem eine Vielzahl von Hilfs- und Zusatzstoffen wie Aminosäuren, Farbstoffe oder Geschmacksverstärker zum Einsatz, die sehr oft aus gv-Mikroorganismen gewonnen wurden. (6)

Die Aufzählung illustriert die Schwierigkeit beim Ziehen exakter Grenzen, die für eine Kennzeichnung von Lebensmitteln aus GVP festzulegen ist. Die USA als Hauptanbauland von GVP kennen überhaupt keine solche Kennzeichnung. In der EU müssen Produkte aus GVP hingegen deklariert werden, selbst wenn der Gentechnikeinsatz nicht direkt nachweisbar ist. Ausgenommen sind Produkte von Tieren wie Fleisch oder Milch, die mit GVP gefüttert wurden, sowie Lebensmittel, die mit Hilfe von Stoffen aus gv-Mikroorganismen gewonnen wurden. Gleichzeitig gilt ein Schwellenwert von 0,9% für "technisch unvermeidbare" Anteile von zugelassenen gv-Sorten; nicht in der EU zugelassene gv-Sorten dürfen überhaupt nicht enthalten sein. (7) Anders als bei Grenzwerten für chemische Substanzen soll der Schwellenwert keine bekannten gesundheitlichen Gefahren ausschließen.

Bekannte Risiken, z.B. allergene oder toxische Effekte, werden in der Zulassung der gv-Sorten überprüft und nach heutigem Stand des Wissens unterbunden. (8) Die Kennzeichnung verfolgt zwei andere Ziele: Erstens ermöglicht sie, die Produkte aus GVP im Auge zu behalten und unerwartete Effekte später mit dem Gentechnikeinsatz in Verbindung zu bringen. Aufgrund dieses Vorsorgeprinzips wird in der EU die Zulassung einer gv-Sorte an ein Nachzulassungsmonitoring gekoppelt. Dieses soll unerwartete Effekte bei der Kultivierung von GVP aufspüren. Zweitens soll die Kennzeichnung jedem Verbraucher ermöglichen, Gentechnikprodukte beim Einkauf zu meiden.

Das paternalistische Prinzip des Staates, durch eine Risikoprüfung bei der Zulassung Gefahren von den Bürgern abzuwenden, wird also durch das Prinzip der persönlichen Wahlfreiheit ergänzt. Wahlfreiheit bedeutet zugleich, die Nutzung der Gentechnik nicht kategorisch zu verbieten; Gentechnik-freie und Gentechnik-nutzende Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung sollen nebeneinander koexistieren können. Die Festlegung des Schwellenwertes bei 0,9% ist – ebenso wie das Erlassen von Abständen zwischen den beiden Anbautypen – das Ergebnis eines politischen Kompromisses, der diese Koexistenz gewährleisten soll. ( 9, 10, 11)

Für die Zukunft werden weitere gv-Sorten mit neuen Eigenschaften angekündigt. GVP sollen u.a. gesundheitlich vorteilhafte Inhaltsstoffe ausbilden (Functional Food, z.B. Golden Rice), Inhaltsstoffe für die Industrie bereitstellen (PMI, Plant Made Industrials) oder pharmazeutische Substanzen produzieren (PMP, Plant Made Pharmaceuticals). Auch weitere Anbaueigenschaften sind im Visier der Forscher, beispielsweise GVP mit verbesserter Salztoleranz. (12)

Es bleibt abzuwarten, ob solche GVP eine höhere öffentliche Zustimmung erhalten als bisherige gv-Sorten. Grundsätzliche Konfliktlinien werden erhalten bleiben. Hierbei nehmen Befürworter wie Gegner von GVP häufig für sich in Anspruch, den einzig wahren moralischen Standpunkt zu vertreten und unterstellen der anderen Seite eine spezifische "Anti-Moral". Und während die Befürworter vor allem Gesundheit, Vernunft und Wohlstand berücksichtigen, beziehen die Gegner vor allem die Themen Natur, Macht und Gefährdung in ihre Argumentation ein. (13)

Anmerkungen

(1) Informationen zu den gentechnologischen Methoden beim Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung unter: Externer Link: www.mpiz-koeln.mpg.de

(2) Aktuelle Anbauinformationen unter: www.isaaa.org, sowie unter: Externer Link: www.transgen.de

(3) Kritische Aufarbeitung der Grünen Gentechnik: Zarzer, B. (2006): Einfach GEN:ial. Die grüne Gentechnik: Chancen, Risiken und Profite. Heise Verlag.

(4) Informationen zur Agrarökonomie: Müller-Röber al. (2007): Grüne Gentechnologie. Aktuelle Entwicklungen in Wissenschaft und Wirtschaft. Elsevier Spektrum Akademischer Verlag, München. Unter: Externer Link: www.gentechnologiebericht.de

(5) Informationen zu ökologischen Effekten unter: http://www.biosicherheit.de/de/fokus, sowie: Externer Link: www.transgen.de

(6) Informationen zur Lebensmitteln beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit unter: Externer Link: www.bvl.bund.de

(7) Informationen zur Kennzeichnung unter: Externer Link: www.transgen.de

(8) Informationen zu Zulassung beim Bundesamt für Naturschutz unter: Externer Link: www.bfn.de

(9) Informationen zur Haftung unter: Externer Link: www.transgen.de

(10) Informationen zur Koexistenz bei der Europäische Kommission unter: Externer Link: ec.europa.eu

(11) Informationen zum Gentechnikreicht unter: http://www.transgen.de/recht/gesetze/

(12) Informationen zu transgenen Pflanzen der 2. und 3. Generation unter: Externer Link: www.tab.fzk.de

(13) Darstellung ethischer Aspekte in: Fulda, E., Jany, K.-D., Käuflein, A. (Hrsg.) (2001) Gemachte Natur. Orientierungen zur Grünen Gentechnik. Verlag G.Braun.

ist Leiter der Geschäftsstelle der Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften / Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Gentechnologiebericht.