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Birma/Myanmar | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Birma/Myanmar

Stefan Rother

/ 9 Minuten zu lesen

Seit dem Militärputsch im Jahre 2021 befindet sich Myanmar im Bürgerkrieg und steht am Rande des Staatszerfalls. Von der internationalen Gemeinschaft kommt kaum Unterstützung zur Konfliktlösung.

Mitglieder der People's Defense Forces (PDF) in Moebye (Kayah-Staat), 20. September 2022.

(© picture-alliance, Matrix Images)

Aktuelle Situation

Vier Jahre nach dem Staatsstreich des Militärs im Februar 2021 wird der Konflikt in Myanmar hauptsächlich militärisch ausgetragen. In dem verzweifelten Versuch, an der Macht zu bleiben, greift das Militär zu brutalen Taktiken, darunter gezielte Gräueltaten und wahllose Luftangriffe gegen Zivilisten. In den von den Militärs kontrollierten Städten registrierte die Assistance Association for Political Prisoners (AAPP) mehr als 27.000 willkürliche Verhaftungen und die Ermordung von mehr als 6.200 Zivilisten. Die Zahl der Vertriebenen beläuft sich auf mehr als 4 Millionen, die Hälfte der Bevölkerung leidet an Hunger, mehr als die Hälfte hat keinen Zugang zu Elektrizität. Frauen, Mädchen und LGBTQ+ sind weit verbreiteter und systematischer sexueller Gewalt ausgesetzt. Im Februar 2024 führte die Militärjunta die Wehrpflicht ein und schickt zwangsrekrutierte und schlecht ausgebildete Zivilisten an die Front. Zu Beginn des Jahres kündigte die Junta die Freilassung von tausenden Gefangenen und baldige Wahlen an, was aber aufgrund der Konfliktlage als sehr unwahrscheinlich erscheint.

Denn laut einer Studie der BBC sind nur noch 21 % von Myanmars Territorium unter voller Kontrolle des Militärregimes – doppelt so viel wird von ethnischen Armeen und Widerstandsgruppen gehalten; der Rest ist umkämpft. Der Militärjunta (State Administration Council, SAC) stehen mehrere Konfliktparteien gegenüber. Die wichtigste politisch-militärische Kraft ist die Nationale Liga für Demokratie (NLD) der ehemaligen De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi, die bei den Parlamentswahlen im November 2020 eine klare Mehrheit der Sitze gewonnen hatte.

Als Reaktion auf den Putsch hat die Partei gemeinsam mit anderen Parlamentariern die dezentral organisierte Nationale Einheitsregierung Myanmars (NUG) gebildet. Die Gegenregierung zur Militärjunta agiert aus dem Exil heraus und ist in befreiten Gebieten präsent (Annawitt 2022). Zum Kampf gegen das Militärregime hat sie im September 2021 zum „Volksverteidigungskrieg“ aufgerufen und sich mit mehreren bewaffneten Verbänden ethnischer Minderheiten zur Volksverteidigungsstreitkraft (People’s Defence Force – PDF) zusammengeschlossen. Von der Militärregierung wird die PDF als terroristische Organisation eingestuft.

Zu den Verbündeten der Einheitsregierung zählen die Karen National Liberation Army (KNLA) und die Kachin Independence Army (KIA). Viele ethnische Armeen kämpfen aber eigenständig oder kooperieren nur punktuell mit der PDF, darunter die mächtige Arakha Army (AA). Diese hat sich mit anderen Gruppierungen zur Three Brotherhood Alliance zusammengeschlossen und im Oktober 2023 die bis heute andauernde Offensive „Operation 1027“ gestartet, die dem Regime schwere personelle und territoriale Verluste zufügt. Für die ethnischen Armeen steht der Kampf für mehr politische Autonomie im Mittelpunkt. So kämpft die AA für politische und kulturelle Selbstbestimmung des Rakhaing-Staates. Eine starke Zentralregierung ist daher nicht in ihrem Interesse.

Als vergleichsweise neue Akteure haben sich auf der lokalen und regionalen Ebene Übergangsregierungen, wie das Karenni State Interim Executive Council, gebildet, die in den von ihnen kontrollierten Gebieten administrative Aufgaben wahrnehmen (Joliffe 2023) und teils ebenfalls paramilitärische Einheiten, wie die Kayan National Army, gegründet haben. Von Seiten der Nationalen Einheitsregierung gibt es Bemühungen, mit diesen regionalen und lokalen Strukturen im Rahmen des National Unity Consultative Council (NUCC) zusammenzuarbeiten. Der Rat wird als möglicher Kern für eine spätere föderale politische Ordnung in Myanmar gesehen (Annawatt 2022).

Weitgehend zwischen allen Fronten steht die muslimische Minderheit der Rohingya. Bereits gegen die zivile Regierung von Aung San Suu Kyi wurde auf Bestreben Gambias ein Verfahren wegen Völkermords an den Rohingya vor dem Internationalen Gerichtshof eingeleitet, dem sich 2023 auch Deutschland, gemeinsam mit fünf weiteren westlichen Staaten, anschloss. Zunehmend werden Rohingya nun von der Militärregierung zwangsrekrutiert – und müssen somit für eine Armee kämpfen, die zuvor noch an ihrer Auslöschung beteiligt war. Eine Flucht nach Bangladesch, wo sich mehr als eine Millionen Rohingyas in Flüchtlingslagern befinden, ist nur noch schwer möglich, seitdem das Nachbarland Geflüchtete an der Grenze zurückweist.

Ursachen und Hintergründe

Vor allem von westlichen Beobachtern wird der Konflikt oft als Kampf demokratischer Kräfte gegen ein autoritäres Militärregime wahrgenommen. Dafür gibt es gut belegte Gründe: Gewählten Abgeordneten wurde das Mandat entzogen, die Militärregierung geht mit grausamen Maßnahmen gegen ihre Gegner vor und terrorisiert die Bevölkerung, viele Widerstandskämpfer und Rebellen sehnen sich nach einer demokratischen Gesellschaft. David Brenner von der University of Sussex warnt jedoch davor, den Konflikt nur aus der Perspektive des Kampfes für Demokratie zu sehen. Dies sei unterkomplex und führe zu Fehleinschätzungen (Brenner 2024). Aus seiner Sicht ist der Konflikt in Myanmar nicht in erster Linie Ausdruck einer Krise des politischen Systems, sondern vielmehr einer Krise des postkolonialen Nationalstaats.

Nach Brenners Analyse sind die ethno-nationalen Konflikte zwischen den zahlreichen Minderheiten und dem zentralistischen Nationalstaat nicht nur eine Folge des militärischen Autoritarismus in Myanmar, sondern letztlich dessen Grundlage und Ursache. Er sieht in allen bisherigen Herrschafts- und Regierungsformen in Myanmar eine Ethnokratie. Darunter versteht er eine politische Struktur, bei der der Staatsapparat von einer oder mehreren ethnischen Gruppen zulasten anderer Minderheiten kontrolliert wird. Im Falle Myanmars sind die politische und kulturell dominierende Gruppe die Birmanen (Bamar), die rund 70 % der rund 55 Mio. Einwohner ausmachen.

Auch die kurzen Phasen der demokratischen Transition wurden und werden von vielen ethnischen Minderheiten eher mit dem Fortbestehen oder sogar der Zunahme von Repression, Enteignung, Vertreibung und Genozid in Verbindung gebracht. Der Kampf für Demokratie ist für die Rebellen – so Brenner – daher untrennbar mit dem Kampf für das Ende der Diskriminierung ethnischer Minderheiten verbunden. Er schließt daraus, dass eine Demokratisierung, die ethnische Konflikte und die Notwendigkeit von Inklusion und Teilhabe ignoriert, weitere Gewalt und letztlich die Rückkehr zu autoritären Herrschaftsstrukturen nach sich ziehen wird. Das habe auch der Militärcoup von 2021 gezeigt.

Bearbeitungs- und Lösungsansätze

Die Konfliktparteien stehen sich weiterhin unversöhnlich gegenüber, woran auch partielle, von China initiierte Waffenstillstandsabkommen wenig ändern. Die Zentralregierung ist zu schwach, um von den Widerstandskräften gehaltene oder eroberte Gebiete einzunehmen – aber zu stark, um von diesen besiegt zu werden, da sie weiterhin das Zentrum und die großen Städte hält. Andrew Selth von der Griffith University bringt die Situation auf den Punkt: „Das Regime muss den Krieg nicht gewinnen, um an der Macht zu bleiben. Es muss zu vermeiden, ihn zu verlieren.“ Somit lässt sich der Konflikt wohl kaum ohne externe Einflussnahme angehen.

Eine naheliegende Institution wäre hier die Gemeinschaft südostasiatischer Staaten (ASEAN), der Myanmar seit dem Juli 1997 angehört. Diese reagierte in der Tat schnell auf den Militärputsch – allerdings weitgehend wirkungslos. Bereits im April 2021 präsentierte die Regionalorganisation ihren Fünf-Punkte-Konsensus (5PC). Dabei handelte es sich aber um keinen ausgearbeiteten Plan, sondern um ein Eckpunkte-Papier, in dem ein Ende der Gewalt und ein konstruktiver Dialog zwischen allen Beteiligten gefordert wird. Weiterhin werden humanitäre Hilfe und die Ernennung eines ASEAN-Sondergesandten in Aussicht gestellt.

Eine im Oktober 2024 vorgenommene Überprüfung der Umsetzung des Plans macht klar, dass die Organisation bis auf humanitäre Hilfe in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen kaum etwas zur Beilegung des Konflikts unternommen hat. Weiterhin wird bekräftigt, dass Myanmar von den Gipfeltreffen und Außenministertreffen der Organisation ausgeschlossen bleiben wird, solange es keine konkreten Fortschritte bei der Implementierung von 5PC geben wird. Davon abgesehen fehlt noch immer ein robuster Durchsetzungsmechanismus, sodass es für die Junta nur wenige Anreize gibt, sich am Plan zu beteiligen (Gunawan 2024). Zivilgesellschaftliche Akteure kritisieren ihn zudem als schädlich, da er letztlich die Junta stärke.

Auch von der Europäischen Union (EU) gibt es nur noch wenig Unterstützung jenseits der Bekräftigung des 5PC. Dabei waren die Regionalorganisation und viele ihrer Mitgliedsländer in der Phase der demokratischen Transition seit 2013 in Myanmar äußerst engagiert, rühmten sich ihrer führenden Rolle beim Übergang zur Demokratie und sprachen sich für eine special partnership for peace, democracy and prosperity aus. Doch schon bald folgte Enttäuschung darüber, dass die zuvor auch im Westen als Ikone verehrte Aung San Suu Kyi die schweren Menschenrechtsverletzungen gegenüber den Rohingya duldete (Roewer 2025).

Was für Szenarien gibt es für die Zeit jenseits des Konflikts? Während die Vertreter der NLD zunächst auf eine Rückkehr zum Status quo vor dem Staatsstreich setzten, haben viele der meist sehr jungen Widerstandskämpfer weiterreichende Ziele. Dazu zählen ein vollständiges Ende der Militärherrschaft und föderale Strukturen. Eine solche Föderale Demokratische Union wird auch in der Charter gefordert, die von einer breiten Allianz, dem National Unity Consultative Council (NUCC), entworfen wurde und als Grundlage für eine neue Verfassung dienen soll (International IDEA 2022). Auch UN-Generalsekretär António Guterres spricht sich für eine Übergabe der Macht des Militärs an eine zivile Regierung aus. Eine wichtige Rolle bei einer solchen Transition kommt der trotz aller Repressionen sehr lebendigen Zivilgesellschaft zu.

Geschichte des Konflikts

Für Aurel Croissant ist Myanmar der „exemplarische Fall eines prätorianischen Systems, in dem das Militär seit vielen Jahrzehnten Staat, Wirtschaft und Gesellschaft beherrscht“ (Croissant 2022: 322). Gerechtfertigt wurde diese Herrschaft, die ein Militärputsch im Jahre 1962 durch General Ne Win zementierte, mit der Schwäche der zivilen Institutionen und den vielfachen Konflikten mit ethnischen Minderheiten, die sich gegen den birmanisch-buddhistisch dominierten Einheitsstaat wehrten und wehren.

Die Konflikte gehen auf die Annexion durch die Briten zurück, die sehr unterschiedliche Gruppierungen zunächst als Teil von Britisch-Indien, dann als separate Provinz und schließlich als Kronkolonie Burma in eine „plurale koloniale Gesellschaft“ zwangen (Furnivall 1960). Nach dem Prinzip „Teile und herrsche“ verstärkten die Briten die ethnische Trennung. So wurden niederrangige Posten in der Kolonialverwaltung auch mit Birmanen besetzt. Dagegen wurden die Angehörigen der ethnischen Minderheiten für die Kolonialarmeen rekrutiert (Croissant 2022: 324). Auch als nach zeitweiser japanischer Besatzung im Jahr 1947 die Grundlagen für die Unabhängigkeit gelegt wurden, waren in den neugeschaffenen politischen Institutionen nur ausgewählte ethnische Minderheiten vertreten. Andere, wie die Karen und Mon, wurde ausgeschlossen und boykottierten daraufhin den Verfassungskonvent.

Es folgten Jahrzehnte repressiver und erratischer Militärherrschaft, in der von Anfang an ethnische und religiöse Minderheiten diskriminiert wurden. Ins Schussfeld staatlicher Repression gerieten vor allem die zahlenmäßig starke islamische Gemeinschaft der Rohingya. Sie wurde als illegal aus Bangladesch eingewanderte Volksgruppe diskreditiert und ihr wurde die burmesische Staatbürgerschaft verweigert.

Innerhalb der – nur sehr bedingt demokratischen ASEAN – galt das Land lange Zeit als Paria-Staat. Dies änderte sich erst, als in den 2000er Jahren vom Militär eine teilweise Demokratisierung von oben eingeleitet wurde. Nach den weitgehend als frei eingeschätzten Wahlen im Jahr 2015 konnte sogar die Nationale Liga für Demokratie (NLD) Regierungsverantwortung übernehmen, wobei sich das Militär in der Verfassung weitreichende politische Vetorechte gesichert hatte. Dennoch begann eine kurze Phase mit neuen Freiheiten für die Zivilgesellschaft, der Wiedereröffnung lange geschlossener Universitäten und der Einrichtung einer Nationalen Menschenrechtskommission (Rother 2014).

Doch auch in dieser Phase nahm die Diskriminierung der Rohingya noch weiter zu. Als die NLD-Vorsitzende und Friedensnobelpreisträgerin, Aung San Suu Kyi, die Massaker des Militärs nicht nur tolerierte, sondern diese auch noch bei einer Anhörung vor dem Internationalen Gerichtshof verteidigte, wandten sich die meisten ihrer Unterstützer im demokratischen Westen von ihr und ihrer Partei ab.

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Stefan Rother ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen, Universität Freiburg. Forschungsschwerpunkte: Migration, Regionale Integration (ASEAN). Global Governance, Theorien der Internationalen Beziehungen. Regionaler Schwerpunkt: Südostasien.