Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Das Jugend-KZ Uckermark – 1942 bis 1945 | Ravensbrück – Überlebende erzählen | bpb.de

Frauen-KZ Ravensbrück Biografien der Überlebenden Rosa D. Philomena Franz Kató Gyulai Ilse Heinrich Lisl Jäger Anita Köcke Irmgard Konrad Elisabeth Kunesch Gertrud Müller Stella Nikiforova Genowefa Olejniczak Georgia Peet-Taneva Zofia Pocilowska Barbara Reimann Edith Sparmann Schura Terletska Essays zum historischen Kontext Illegaler Brief aus dem KZ Zeichnungen von Violette Lecoq Gedenkstätte Ravensbrück Audio-Interviews Dokument: Bewerbung als Aufseherin Lagepläne Links ins Internet Redaktion Bildnachweis

Das Jugend-KZ Uckermark – 1942 bis 1945

Martin Guse

/ 6 Minuten zu lesen

In unmittelbarer Nähe zum Frauenlager Ravensbrück wurde 1942 das Jugend-KZ Uckermark erbaut. Bis 1945 waren 1.200 Mädchen und junge Frauen dort inhaftiert. Martin Guse schildert die Verfolgtengruppen und die Haftgründe, ebenso die Bewachung, die Schikanen und das Strafsystem im Jugend-KZ Uckermark. Nach der Auflösung 1945 wurde Uckermark Sterbe- und Selektionslager für Frauen aus dem Lager Ravensbrück.

Einleitung

Im Juni 1942 wurden die ersten Mädchen und jungen Frauen nach Uckermark eingeliefert. Sie waren zuvor von nationalsozialistischen Behörden als "gemeinschaftsfremd", "asozial" oder "politisch unzuverlässig" eingestuft worden. Sie galten der Fürsorge, der Polizei oder der SS als Jugendliche, die sich nicht in die "Volksgemeinschaft" einfügen wollten. Bis zum Kriegsende waren insgesamt etwa 1.200 Mädchen und junge Frauen im Lager Uckermark inhaftiert, das zum Lagerkomplex des KZ-Ravensbrück gehörte.

Die Debatte über den Umgang mit vermeintlich "unerziehbaren" Jugendlichen reicht bis in die Anfänge der Weimarer Republik zurück. Die Fürsprecherinnen und Fürsprecher eines letztlich nicht vollendeten "Bewahrungsgesetzes", das die Zwangsinternierung der Betroffenen in geschlossenen Anstalten vorsah, bezogen sich auf wissenschaftlich-theoretische Überlegungen von Vertreterinnen und Vertretern der Biologie, der Fürsorge und der Medizin, die eine Aussonderung der "Auffälligen" forderten. Sie folgten der Idealisierung des "gesunden, edlen, leistungsfähigen" Menschen, dem im sozialdarwinistischen Prinzip der "unedle, belastete und nicht leistungsfähige" Mensch gegenüberstehe. Diese sozialpolitische Entwicklung innerhalb maßgeblicher Kreise der Weimarer Fürsorge wurde indirekt vom nationalsozialistischen Polizei- und SS-Apparat aufgegriffen und fortan als "eigene", polizeiliche Aufgabe umdefiniert. So beschloss der Reichsverteidigungsrat am 1. Februar 1940 die Einrichtung so genannter "Jugendschutzlager" unter Federführung des Reichskriminalpolizeiamtes (RKPA) und der SS. Grundlage bildete auch das von den Nationalsozialisten "legalisierte" Prinzip der "vorbeugenden Verbrechensbekämpfung" und das ab 1939 in mehreren Entwürfen diskutierte "Gesetz über die Behandlung Gemeinschaftsfremder". Beide Maßnahmenkataloge richteten sich gegen die als "asozial" oder "kriminell" klassifizierten gesellschaftlichen Außenseiter. Neben Uckermark entstand 1940 ein Jugend-KZ für männliche Jugendliche in Moringen bei Göttingen.

Der Eingang zum Jugend-KZ Uckermark. Nach 1945 wurde es von der sowjet. Armee als Fuhrpark benutzt. Von den Mauern und Baracken ist fast nichts geblieben. (© bpb)

Organisation und Bewachung

Der Bau des Jugend-KZ Uckermark begann 1942. Als Teil des Interner Link: Lagerkomplexes Ravensbrück war der dortige Kommandant gleichzeitig Befehlshaber des Jugendlagers. Als ihm direkt unterstellte Lagerleiterin fungierte bis 1945 die Kriminalrätin Charlotte Toberentz. In ihrem Mitarbeiterinnenstab fungierte eine Reihe von weiteren Kripobeamtinnen, die wie sie dem RKPA angehörten. Daneben gab es die etwa 100 SS-Aufseherinnen, offiziell als "Erzieherinnen" angesprochen, die die jungen Häftlinge in den Unterkunftsbaracken und bei den Arbeitskommandos beaufsichtigten. Die äußere Bewachung des Jugend-KZ erfolgte durch die Wachkompanie des KZ Ravensbrück.

Haftgründe und Verfolgtengruppen

Zuständig für die Einweisungen in die Jugend-KZ war die "Reichszentrale zur Bekämpfung der Jugendkriminalität" im RKPA. Vor allem Erziehungsheime und Jugendämter machten regen Gebrauch von der Möglichkeit, 14 bis 25 Jahre alte weibliche Jugendliche aus dem eigenen Arbeits- und Blickfeld abzuschieben. Grob skizziert lassen sich drei Häftlingsgruppen unterscheiden: Die mit Abstand größte Häftlingsgruppe bildeten weibliche Jugendliche, die als "asozial" und "gemeinschaftsfremd" eingestuft wurden. Heime, Jugendämter und Jugendgerichte hatten sie zur Haft in Uckermark vorgeschlagen. Die Haftbegründungen waren äußerst vielschichtig. Sie reichten von "Unerziehbarkeit", "Renitenz", Kriminalität, "sexuelle Verwahrlosung" bis zu "Arbeitsverweigerung", "Arbeitsbummelei" und "Sabotage". Geistige Behinderungen, psychische Erkrankungen oder eine in der Fürsorgeerziehung angeordnete und vollzogene Zwangssterilisierung konnten ebenfalls einen Haftgrund darstellen. Oft wurden mehrere dieser "sozialpädagogischen Befunde" zu einem pauschalen jedoch vernichtenden "Gesamturteil" gebündelt. Es blieb den jeweiligen Sachbearbeiterinnen und -bearbeitern in den Heimen und Fürsorgebehörden, bei der Polizei oder den Gerichten vorbehalten, das jugendliche Verhalten als "gemeinschaftsfremd" bzw. "asozial" zu klassifizieren.

Auf dem Gelände des ehemaligen Jugend-KZ Uckermark. Nur Fundamentreste sind geblieben - diese wurden mit Ziegelsteinen abgedeckt und zur Denkmalpflege gesichert. (© bpb)

Die zweitgrößte Häftlingsgruppe wurde mittels eines "Schutzhaftbefehls" der Gestapo wegen "politischer Widersetzlichkeit" oder konkreten Widerstandshandlungen eingewiesen. Über 40 junge Frauen aus dem österreichisch-slowenischen Grenzgebiet wurden zu Häftlingen des Lagers, weil sie der dortigen Partisanenbewegung angehört hatten oder der Unterstützung dieses Widerstandes bezichtigt worden waren. Oppositionell eingestellte junge Frauen aus dem Umfeld der sozialistischen Arbeiterbewegung inhaftierte man ebenso in Uckermark wie mehrere Anhängerinnen der englisch-amerikanischen Jazzmusik ("Swing-Jugend"). Zu Gestapo-Häftlingen des Lagers wurden in großer Zahl auch Mädchen und junge Frauen, die wegen "Geschlechtsverkehrs mit fremdvölkischen Staatsangehörigen" angezeigt und verhaftet worden waren. Zu der dritten und kleinsten Gruppe der Lagerhäftlinge gehörten rassisch Verfolgte, junge Sinti- und Roma-Frauen und Mädchen sowie so genannte "Judenmischlinge".

Kriminalbiologische Untersuchungen

Eine besondere Aufgabe – gleichzeitig markanteste Besonderheit der Jugend-KZ – übernahmen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des "Kriminalbiologischen Institutes der Sicherheitspolizei (KBI)" beim RKPA. Ihre Arbeit war ausschlaggebend für das weitere Schicksal der Häftlinge. Anhand der Akten und fragwürdiger Untersuchungsmethoden – insbesondere zum familiären Umfeld der Betroffenen – sollte die gesellschaftliche "Gemeinschaftsfähigkeit" diagnostiziert werden. Grundlage war dabei die wissenschaftlich widerlegte These, wonach Asozialität und Kriminalität erblich bedingt seien. Das KBI stand unter Leitung von Dr. Dr. Robert Ritter, der als "Gutachter" zuvor bereits maßgeblich an der Vorbereitung des Völkermordes an den Sinti und Roma mitgewirkt hatte.

Nach Lagerleiterin Toberentz ergab die Untersuchung der ersten 500 Uckermark-Häftlinge, dass 288 zuvor in Heimeinrichtungen der Fürsorge gelebt hatten. Bei 220 war zuvor eine Geschlechtskrankheit diagnostiziert worden, insgesamt 156 waren ein- bzw. mehrmals vorbestraft, 38 bereits vorher sterilisiert worden. Die andere Hälfte der Beurteilungskriterien bezog sich auf die Eltern. Dazu zählten uneheliche Geburten (102) und Vorstrafen der Eltern (103) ebenso wie die Frage, ob der Vater Trinker war (52) oder die Eltern in Scheidung lebten (52). 22 Häftlinge wurden nach Ritters "Urteil" in Heil- und Pflegeanstalten überstellt, was im Rahmen des dort durchgeführten Euthanasie-Mordprogramms der Nationalsozialisten einem Todesurteil entsprechen konnte. Die Kriminalbiologinnen und -biologen veranlassten diverse Sterilisierungen an jungen Häftlingen, und aufgrund ihrer pseudowissenschaftlichen Prognose wurden mindestens 71 junge Frauen in das Frauenlager Ravensbrück überstellt.

Existenzbedingungen

Die Lebensverhältnisse im Lager Uckermark waren lange Zeit durch improvisierte Rahmenbedingungen gekennzeichnet. Erst Mitte 1944 wurde das Lager fertig gestellt - mit etwa 15 streng voneinander getrennten Holzbaracken. Nach den Vorgaben der Kriminalbiologinnen und -biologen um Ritter orientierte sich die Unterbringung an einem abgestuften System von "unteren", "mittleren" und "höheren" Häftlingsblöcken. Diese Zuordnung bestimmte den pro Block unterschiedlichen Umgang mit den Häftlingen, mit Erleichterungen für "aufgestiegene" Mädchen und junge Frauen. Die durchschnittliche Belegung der spartanisch eingerichteten Wohnbaracken betrug etwa 100 Häftlinge. Die SS nahm den Jugendlichen bei der Einlieferung sämtliche persönliche Habe ab und teilte ihnen die Häftlingskleidung sowie eine Häftlingsnummer zu.

Ein wesentliches Instrument der SS-Lagerhaft war die Zwangsarbeit, vornehmlich im land- und hauswirtschaftlichen Bereich. Dazu gehörten u. a. die Kultivierung von Sumpfwiesen und das Anlegen von Gemüsebeeten. Zur Rüben- und Kartoffelernte wurden die Jugendlichen auch als Hilfskräfte an Bauern im Umland vermietet. Andere Uckermark-Häftlinge arbeiteten in den Arbeitskommandos des Lagers Ravensbrück, beispielsweise in der Schneiderei, oder sie mussten als Haushaltshilfen in der SS-Siedlung arbeiten. Ab 1944 leisteten außerdem etwa 100 junge Häftlinge des Lagers Uckermark Zwangsarbeit für den Siemens-Konzern.

Die vollkommen unzureichende Verpflegung kam aus der Küche des Frauenlagers. Zwangsarbeit, Mangelernährung, Strafsystem und miserable Bekleidung führten zu zahlreichen Erkrankungen: von Hautausschlägen über Blasentzündungen bis hin zu Tuberkulose, Ruhr und Typhus. Eine eigene, kleine Krankenstation erhielt das Jugend-KZ erst Anfang 1944. Bis dahin kamen Schwersterkrankte in das Krankenrevier im Frauen-KZ. Eine wirkliche medizinische Versorgung erhielten sie aber in keinem der beiden Fälle. Einige der Häftlinge starben aufgrund der miserablen Haftbedingungen aber auch durch Vergiftungen, Schläge und Erschießen. Aufgrund der Quellenlage können zu den Todesopfern des Jugend-KZ allerdings keine exakten Angaben gemacht werden.

Schikanen und Strafsystem

Der Tagesablauf im Jugend-KZ Uckermark war minutiös durchstrukturiert und stark an militärischen Vorbildern orientiert. Angesichts eines engen Kataloges penibler Vorschriften galt hier: Je zahlreicher die Vorschriften, desto mehr Möglichkeiten, sie zu "übertreten"; je stärker der militärische Drill, desto größer die Gefahr zu "versagen". Neben dem Entzug von Vergünstigungen und diversen Ordnungsstrafen waren vor allem der Essensentzug, das "Strafstehen" als Einzelstrafe, mehrstündiges Appellstehen als Kollektivstrafe sowie die offizielle Prügelstrafe und der so genannte "Strafsport" besonders gefürchtet. Arreststrafen wurden im berüchtigten Zellenbau des Frauen-KZ vollzogen. Die von der Haft betroffenen Mädchen und jungen Frauen waren vom frühmorgendlichen Wecken bis zum abendlichen Einschluss in der Baracke der ständigen Beanspruchung, den andauernden Leistungsanforderungen, der permanenten Reglementierung und Bestrafung unterworfen.

Teilräumung und Auflösung

Mit der Überstellung von 211 Jugendlichen in das benachbarte Frauen-KZ am 24. Januar 1945 begann die Auflösung des Jugend-KZ Uckermark. Übrig blieben die jungen Sloweninnen, die am 30. April offiziell aus der Haft entlassen wurden. Das Gelände des Jugend-KZ diente nunmehr in erster Linie als Sterbe- und Selektionslager für das Interner Link: KZ Ravensbrück.

Fussnoten

Martin Guse, geb. 1961, Diplom-Sozialpädagoge/ Sozialarbeiter in Jugendhilfe und Bildungsarbeit. Seit 1982 Recherchen zu den Jugend-KZ Moringen und Uckermark; Gründungsmitglied der Lagergemeinschaft und Gedenkstätte KZ Moringen; Autor und Kurator der Wanderausstellung "Wir hatten noch gar nicht angefangen zu leben" zur Geschichte der Jugend-KZ; 1997/98 Autor der Ausstellung zum "frühen" KZ Moringen und Frauen-KZ Moringen; seit 1999 ehrenamtl. Geschäftsführer der "Dokumentationsstelle Pulverfabrik in Liebenau und Steyerberg e.V."