Seit Ende des Ersten Weltkrieges glaubten die indischen Nationalisten, es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis Britisch-Indien in die Unabhängigkeit entlassen werden würde. Die Briten dachten jedoch zu keiner Zeit an eine Unabhängigkeit für ihre Kronkolonie. Bestenfalls – so die Annahme – würde der künftige Status Britisch-Indiens verändert und dem eines Dominion gleichen, wie Australien oder Kanada.
Mit dem Verlauf des Zweiten Weltkrieges spitzten sich die Positionen weiter zu. Auf das Debakel der mit mangelhaften Kompetenzen ausgestatteten "Cripps-Mission", die Fragen der Unabhängigkeit nach dem Krieg erörtern sollte, reagierten die Mitglieder des Indischen Nationalkongresses (Indian National Congress, INC) am 8. August 1942 mit der so genannten Quit-India-Resolution (Resolution "Raus aus Indien"). Unter dem Motto Do or Die (Jetzt oder Nie) brachen landesweit und durch alle Schichten der Bevölkerung gehend Unruhen aus, die die Briten nur mit massivem Militäreinsatz niederschlagen konnten.
Die Lage geriet für die Briten immer weiter außer Kontrolle. Als nach Ende des Krieges eine Interimsregierung gebildet wurde, die bis zur endgültigen Regelung der Unabhängigkeit amtieren sollte, weigerte sich der Führer der Muslim-Liga, Mohammad Ali Jinnah, ihr anzugehören. Da sie nun nur aus Mitgliedern des INC bestand, rief Jinnah für den 16. August 1946 zu einem nicht näher bezeichneten "Tag der direkten Aktion" auf. In Kalkutta (heute Kolkata) brachen daraufhin schwere Unruhen zwischen Hindus und Muslimen aus, bei denen nach offiziellen Angaben 4000 Menschen – überwiegend Hindus – getötet wurden.
Politischer 'Hinduismus' und Zwei-Nationen-Theorie
Dass es überhaupt zu einer solchen Eskalation zwischen zwei Religionsgruppen kommen konnte, hing mit der britischen Wahrnehmung der südasiatischen Gesellschaften zusammen. Die Kolonialbürokratie hatte sie in den vorausgegangenen Jahrzehnten auf Religionsgruppen reduziert. Unter Hindus subsumierten die Briten alle, die nicht Christ, Jude, Buddhist oder Muslim waren. So entstand allmählich ein mehr oder weniger homogener 'Hinduismus', nicht zuletzt in der gezielten Abgrenzung
Im Zuge der Bildung der indischen Nation am ausgehenden 19. Jahrhundert instrumentalisierten einzelne indische Politiker Symbole und Figuren dessen, was als bald als 'Hinduismus' galt, auch politisch. Einer der wohl promoinentesten Agitatoren war dabei sicherlich Bal Gangadhar Tilak. Zur selben Zeit redeten auch Schriftsteller wie Bankim Chattopadhyay und (Re-)Former des 'Hinduismus' wie Dayanand Saraswati einer Hindu-Nation das Wort, die die Muslime nicht erwähnte oder offen ausgrenzte.
Diese Marginalisierung der Muslime bot Jinnah und seiner Muslim-Liga im Jahr 1940 schließlich die Möglichkeit, von einer Zwei-Nationen-Theorie zu sprechen. Jinnah argumentierte, dass Muslime und Hindus historisch-kulturell zwei völlig verschiedenen Nationen angehörten. Ein Ausweg aus dem Dilemma war seiner Ansicht nach deshalb die Teilung des indischen Subkontinente in zwei separaten Territorien.
Im Jahr 1946 entsandte die britische Regierung Lord Louis Mountbatten nach Indien, der dort als letzter Vizekönig die Unabhängigkeit zuwege bringen sollte. Um die indischen Verhandlungspartner unter Druck zu setzen, verlegte er den anvisierten Zeitpunkt des britischen Abzugs um ein Jahr vor – auf den 15. August 1947. Eine Einigung zwischen der Muslim-Liga, die inzwischen das alleinige Sprachrohr der Muslime in Britisch-Indien geworden war, und dem INC brachte Mountbatten nicht mehr zustande. Nachdem die führenden Mitglieder des INC schließlich resigniert der Teilung zugestimmt hatten, setzte Mountbatten das Verfahren fest.
Ein weltweit nie da gewesener Bevölkerungsaustausch
In den bevölkerungsreichen Provinzen Punjab und Bengalen sollte Britisch-Indien entlang religiöser Mehrheiten und auf der Ebene von Verwaltungsdistrikten geteilt werden. Danach würde der künftige muslimische Staat aus zwei Landeshälften bestehen: West- und Ost-Pakistan. Den über 500 Monarchen, Maharajas, Rajas, Sultanen und den vielen "Duodezfürsten" (Herrscher eines Zwergstaates) stand es frei, welchem Staat sie sich anschließen oder ob sie unabhängig bleiben wollten.
Ohne um die Einzelheiten der Teilung zu wissen, gab es in den besagten Gebieten schon in den Monaten davor Unruhen. Vor allem den Sikhs im Punjab wurde mehr und mehr bewusst, dass sie bei einer Teilung ihrer Provinz am stärksten betroffen sein würden.
Der Grenzverlauf der neuen Staaten wurde schließlich erst einen Tag nach der offiziellen Unabhängigkeit bekannt gegeben. Juristisch hatten sich die Briten damit der Verantwortung entzogen, moralisch freilich nicht, denn die Folgen waren verheerend.
Dorfgemeinschaften und Familien wurden auseinander gerissen, als sich im neuen West-Pakistan Hindus und Sikhs auf den Weg in die Indische Union machten und Muslime nach West-Pakistan auswanderten. Die Metropole Amritsar, wo der Goldene Tempel der Sikhs steht, verlor nicht nur sein fruchtbares agrarisches Hinterland, sondern mit Lahore ein weiteres wichtiges urbanes Zentrum. In Bengalen verlor Kalkutta sein agrarisches Hinterland und Ost-Pakistan seine ehemalige Kultur- und Handelsmetropole.
Zwischen 1947 und 1950 wanderten nach Schätzungen mehr als 10 Millionen Menschen über die neuen Grenzen – ein weltweit nie da gewesener Bevölkerungsaustausch.
Mehr als eine Million Tote
Der auf beiden Seiten politisch geschürte Hass entlud sich im Zuge der Teilung entlang religiöser Trennlinien. In den ersten Monaten nach der Unabhängigkeit fielen der Gewalt mehr als eine Million Menschen zum Opfer. Die Folgen dieses Risses durch den südasiatischen Subkontinent sind bis heute in vielen Bereichen der Gesellschaft zu spüren, vor allem aber der Politik zwischen der Indischen Union und der Islamischen Republik Pakistan.
Flüchtlinge nach der Teilung des Subkontinents in Indien und Pakistan 1947.
Flüchtlinge nach der Teilung des Subkontinents in Indien und Pakistan 1947.
Auch die Literatur hat sich dem Trauma der Teilung immer wieder angenommen. Kushwant Singh etwa ist es in seinem Roman "Train to Pakistan" (Zug nach Pakistan) in wohl einzigartiger und beeindruckender Weise gelungen, die politische, kulturelle und gesellschaftliche Katastrophe widerzugeben. Er hat eingefangen, was sich an Unfassbarem abspielte, an Gräueln in Dorfgemeinschaften, die bislang friedlich zusammen lebten, und unter Menschen auf dem Weg in ein Land, in das niemand wollte.
Besonders tragisch waren die Folgen der Teilung im Punjab. Vor allem bewahrheiteten sich hier die Befürchtungen der Sikhs, die bei dem Teilungsplan nicht berücksichtigt worden waren. Bei ihrem Abgang von der kolonialen Bühne reduzierten die Briten ein letztes Mal die indische Gesellschaft auf gerade einmal zwei Religionsgruppen. Nahezu alle Sikhs verließen daraufhin den pakistanischen Teil des Punjab, denn sie wollten nicht in einem muslimisch definierten Staat leben. Für immer verloren ging durch die Teilung des Punjab dessen kulturelle Identität.
Im indischen Teil des Punjab litt Delhi, das an der Ostgrenze der Provinz lag, unter dem Exodus von 330.000 muslimischen Einwohnern – nur wenige Tausend Muslime blieben in der Stadt. Gleichzeitg strömten über 500.000 Sikhs und Hindus aus dem pakistanischen Punjab in die Metropole. Noch weit bis in die 1950er Jahre befanden sich Flüchlingslager im Zentrum der indischen Hauptstadt. Angesichts der dramatischen Zuwandererzahlen im Großraum Delhi meisterte die Regierung die Probleme recht gut, indem sie unkompliziert Wohnsiedlungen errichten ließ. Diese prägen heute noch die städtische Geografie Delhis und erinnern an die Teilung.
In Pakistan werden bis in die Gegenwart die insgesamt 7,5 Millionen muslimischen Flüchtlinge, die seit der Teilung aus den nordindischen Städten geflohen oder abgewandert sind, als eine eigene Gruppe wahrgenommen und als Muhajirs (Migrannten) bezeichnet. Sie ließen sich meist in den Städten der Provinz Sindh am Unterlauf des Indus nieder, vor allem in Karachi, wo sie bald zur stärksten Bevölkerungsgruppe wurden, eine eigene Identität entwickelten und nach politischer Repräsentanz verlangten.
Im Unterschied zu Indien, wo überwiegend Flüchtlinge aus dem ländlichen Raum in die urbanen Zentren Nordindiens wanderten, fanden in Pakistan städtische Auswanderer in einer strukturell eher vertrauten Umgebung Zuflucht. In begrenztem Rahmen existierten Optionen, die sich aus dem Umstand individueller oder kollektiver Vorgeschichten ergaben – vielen Flüchtlingen eröffneten sich solche Chancen freilich nicht.
Fehlende territoriale Einheit des neues Staates Pakistan
Die fehlende territoriale Einheit versprach nichts Gutes für den neuen Staat Pakistan, zu heterogen waren seine Landesteile im Westen und im Osten. Ohnehin betrachtete sich Bengalen als eine kulturell und wirtschaftlich eigenständige Region. Die politische Führung, die sich aus den Eliten West-Pakistans rekrutierte, sah das freilich ganz anders. An der Frage nach kultureller und sprachlicher Identität – die Mehrheitssprache war im gesamten Staat Bengali, Amtssprache aber nur das von einer kleinen Minderheit gesprochene Urdu West-Pakistans – sollte sich der Konflikt 1951 erstmals entzünden.
Zwei Jahrzehnte später eskalierte der Konflikt und mündete 1971 in der Teilung Pakistans. Im Jahr zuvor hatte das pakistanische Militär geputscht und die vorausgegangenen Wahlen annulliert, bei denen eine bengalische Regionalpartei die absolute Mehrheit der Parlamentssitze errungen hatte. Als daraufhin in Ost-Pakistan Unruhen ausbrachen, entsandte West-Pakistan Truppen, um den Widerstand zu brechen. Innerhalb eines knappen Jahres fanden zwischen einer und drei Millionen Menschen den Tod. Erst als Indien militärisch intervenierte, war der Weg frei für die Gründung des Staates Bangladesch.
Kaschmir als Zankapfel der südasiatischen Atommächte
Auch in
Als die indische Regierung 1948 Truppen nach Kaschmir entsandte, um einem vermuteten Präventivschlag Pakistans zuvor zu kommen, brach der erste Krieg zwischen den beiden Nachfolgestaaten Britisch-Indiens aus. Auf Vermittlung der Vereinten Nationen kam ein Waffenstillstand zustande. Ein zweiter Krieg um Kaschmir folgte 1965. Seit 1972 trennt eine "Line of Control" genannte Waffenstillstandslinie die Himalayaregion, ohne dass das Konfliktpotential dadurch gemindert werden konnte.
Das von den Vereinten Nationen festgelegte Referendum über den Verbleib Kaschmirs lehnt die indische Regierung ab. Bei den gegenwärtigen demografischen Verhältnissen befürchtet sie nicht zu unrecht, haushoch zu unterliegen. Stattdessen betrachtet sie den Konflikt als eine innere Angelegenheit der beiden betroffenen Staaten und verbittet sich jegliche Einmischung Dritter.
In nicht zu unterschätzendem Maße definiert sich über Kaschmir das nationale Selbstverständnis der beiden großen südasiatischen Staaten. Ein einseitiger Verzicht auf die Region käme einem politischen Selbstmord gleich – oder der tatsächlichen Ermordung des jeweiligen politischen Entscheidungsträgers.
Die Terrorangriffe auf New York und Washington am 11. September 2001 haben auch dem Konflikt in Kaschmir eine internationale Dimension gegeben. In Indien gab es davor und auch danach immer wieder spektakuläre Anschläge mit mutmaßlich pakistanisch-islamistischem Hintergrund – etwa der Angriff auf das indische Parlamentsgebäude im Dezember 2001 und die Terrorserie von Mumbai (Bombay), bei der im November 2008 mehr als 170 Menschen ums Leben kamen.
Aufgrund der verfahrenen politischen Situation tauchen inzwischen wieder Forderungen nach einem unabhängigen Staat Kaschmir auf. Im Jahr 2010 kam es zu einer Serie von Unruhen, die im (indischen) Kaschmir-Tal vom "Quit Jammu Kashmir Movement" (Raus aus Kaschmir und Jammu Bewegung) gelenkt wurden. Nur mit Waffengewalt, der über 100 Menschen zum Opfer fielen, gelang es der indischen Regierung, die Unruhen zu unterdrücken.
Das Atomwaffenarsenal, über das beide Staaten seit 1998 verfügen, birgt zudem die Gefahr, dass der Kriensenherd sich je nach Weltlage auch zu einem überregionalen Konflikt ausweiten könnte. Das hat sich besonders beim Kargil-Konflikt in Kaschmir 1999 gezeigt, der nur durch massive Intervention der USA beendet werden konnte. Diese haben sich jedoch unter der Regierung von Barack Obama als Mediator zurückgezogen. Die Gesprächsbereitschaft zwischen Pakistan und Indien ist momentan nicht sehr ausgeprägt, was belegt, wie schwelend die Wunden noch sind, die die Teilung Britisch-Indiens 1947 geschlagen haben.