APO – Außerparlamentarische Opposition
Bezeichnung für die antiautoritäre Protestbewegung, die in der Bundesrepublik Deutschland Mitte bis Ende der 1960er Jahre vor allem von Studenten und Jugendlichen getragen wurde und die versuchte, (neue radikale) politische Vorstellungen und gesellschaftliche Reformen (z.T. mittels provokativer Protestaktionen) durchzusetzen bzw. restriktive Maßnahmen zu verhindern (z.B. Notstandsgesetzgebung). Vergleichbare Protestbewegungen gab es in anderen westlichen Ländern. Die APO wurde durch die Schwäche der parlamentarischen Opposition nach 1966 zu einer wichtigen politischen Kraft und verlor nach Ende der Großen Koalition (1969) rasch an politischer Bedeutung.
Quelle: Schubert, Klaus/Martina Klein: Das Politiklexikon. 4., aktual. Aufl. Bonn: Dietz 2006.
AUSS – Aktionszentrum Unabhängiger und Sozialistischer Schüler
Vom antiautoritären SDS-Vorstand ging im Sommer 1967 auch die Gründung einer eigenen Schülerorganisation mit dem Namen "Aktionszentrum Unabhängiger und Sozialistischer Schüler" (AUSS) aus, die die Unruhe von den Universitäten in die Schulen tragen sollte. Das AUSS gewann rasch ebenso viele Mitglieder wie der SDS.
Quelle: Axel Schildt: Rebellion und Reform. Die Bundesrepublik der Sechzigerjahre, Bonn 2005. Aus der bpb-Reihe "Zeitbilder".
Gruppe 47
Die Gruppe '47 war eine von Hans Werner Richter 1947 gegründete lockere Vereinigung von Autoren und Literaturkritikern. Sie strebten in ihrem literarischen Schreiben eine Reinigung der durch den Nationalsozialismus verseuchten Sprache an und wollten zu neuen, realistischen und betont nüchternen Beschreibungskategorien gelangen. Bei den regelmäßigen Herbsttreffen der Gruppe lasen die meisten bedeutenden Schriftsteller der Bundesrepublik ihre Manuskripte vor und stellten sich der Kritik des Kreises. Seit 1950 wurde in unregelmäßigen Abständen der "Preis der Gruppe 47" vergeben. Die Treffen, auf denen auch wichtige Verleger anwesend waren, wurden zur tonangebenden Literaturmesse. Den Forderungen nach einem klaren politischen Standpunkt, wie er in den 60er-Jahren von jüngeren Schriftstellern vertreten wurde, konnte die Gruppe 47 nicht mehr entsprechen. Das letzte öffentliche Treffen fand 1967 statt.
Quelle: Axel Schildt: Rebellion und Reform. Die Bundesrepublik der Sechzigerjahre, Bonn 2005. Aus der bpb-Reihe "Zeitbilder".
Notstandsgesetze
Die so genannten Notstandsgesetze gehen zurück auf eine Forderung der Alliierten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, die ihre dort stationierten Truppen geschützt sehen wollten. Diese gesetzlichen Vorbehalte wurden im Besatzungsstatut von 1949 und im Deutschlandvertrag von 1952 geregelt, bis die Bundesrepublik 1955 ihre volle staatliche Souveränität erhielt. Das Grundgesetz hatte ursprünglich mit Rücksicht auf die schlechten Erfahrungen aus der Zeit der Weimarer Republik nur wenige und lückenhafte Bestimmungen enthalten, auf deren Grundlage die staatlichen Organe Notstandssituationen – Unruhen, Spannungen etc. – begegnen konnten. Heftige Auseinandersetzungen entwickelten sich in den 60er-Jahren vor allem deshalb, weil unter Federführung des Innenministeriums – zunächst – geheime Pläne ("Schubladengesetze") entwickelt wurden. Danach sollte im Verteidigungsfall, im "Spannungsfall", beim inneren Notstand und im Katastrophenfall die vollziehende Gewalt auf die Bundesregierung übergehen. Die sozialdemokratische Opposition im Bundestag hatte die Notstandsgesetze deshalb strikt abgelehnt. In den Verhandlungen zur Bildung der Großen Koalition wurde dagegen vereinbart, dass der Bundestag in einem Rumpfparlament von 33 Abgeordneten gemäß seiner politischen Zusammensetzung als Kontrollorgan vorzusehen sei. Das Notstandsgesetz wurde als 17. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes am 24. Juni 1968 mit den Stimmen der Parteien der Großen Koalition gegen einige Abweichler aus den Reihen der SPD und gegen die Stimmen der FDP-Fraktion mit der notwendigen Zweidrittel-Mehrheit verabschiedet.
Quelle: Axel Schildt: Rebellion und Reform. Die Bundesrepublik der Sechzigerjahre, Bonn 2005. Aus der bpb-Reihe "Zeitbilder".
Prager Frühling
Dieser Begriff kennzeichnet den Versuch der neuen Parteiführung der tschechoslowakischen Kommunisten unter Alexander Dubcek von Januar bis August 1968, einen "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" zu verwirklichen, d.h., unter Vorbehalt der "führenden Rolle der Partei" bürgerliche Freiheiten (Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit usw.) zu realisieren. Die Sowjetunion betrachtete den Prager Frühling jedoch als eine Gefahr für die Einheitlichkeit des Ostblocks. Auch die Einheitspartei der DDR, die SED, griff den Kurs der neuen tschechoslowakischen Parteiführung als konterrevolutionär und friedensgefährdend an. Durch den Einmarsch von Truppen der Sowjetunion und weiterer Staaten des Warschauer Pakts (Truppen der Nationalen Volksarmee der DDR überschritten die Grenze nicht) am 20./21. August 1968 wurde das Reformexperiment gewaltsam beendet.
Quelle: Axel Schildt: Rebellion und Reform. Die Bundesrepublik der Sechzigerjahre, Bonn 2005. Aus der bpb-Reihe "Zeitbilder".
Rudi Dutschke (1940-1979)
Geboren als Sohn eines Postbeamten aus Luckenwalde bei Berlin, wurde ihm wegen seines Engagements in der evangelischen Jugend seiner Gemeinde und der Verweigerung des Wehrdienstes in der DDR das Studium verwehrt. Kurz vor dem Mauerbau siedelte er nach West-Berlin über und begann dort ein Studium der Soziologie an der Freien Universität. 1962 war er Mitbegründer der "Subversiven Aktion". Diese Gruppe von Intellektuellen und Künstlern betrachtete antiautoritäre Aktionen, z.B. das Durchbrechen von universitären Verordnungen und Feierritualen, als geeignetes Mittel zur Weckung von kritischem Bewusstsein in einer bereits weitgehend "manipulierten" Gesellschaft. Auch die Propaganda für eine von bürgerlichen Zwängen befreite Gesellschaft durch gelebte Vorbilder wie in der Kommune-Bewegung wurde in den Diskussionen der "Subversiven Aktion" entwickelt. Die Gruppe schloss sich 1964 dem SDS an und übernahm an vielen Orten die Führerschaft. Rudi Dutschke wurde der in der Öffentlichkeit weitaus bekannteste Vertreter der radikalen linken Studentenbewegung, der durch seine utopischen, von religiösen Elementen nicht freien Entwürfe eines Sozialismus Sympathien weit über die Studentenbewegung hinaus erhielt. Das Attentat auf ihn 1968 überlebte Rudi Dutschke nur knapp; er lebte zeitweise mit seiner Familie in Großbritannien und Dänemark und starb an den Spätfolgen 1979.
Quelle: Axel Schildt: Rebellion und Reform. Die Bundesrepublik der Sechzigerjahre, Bonn 2005. Aus der bpb-Reihe "Zeitbilder".
SDS – Sozialistischer Studentenbund
Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) wurde nach dem Zweiten Weltkrieg als Studentenorganisation der SPD gegründet. Zahlreiche spätere Parteifunktionäre, etwa Helmut Schmidt, begannen ihre politische Karriere im SDS. Nach der Verabschiedung des sozialdemokratischen Godesberger Programms 1959 begann sich der SDS - im schroffen Gegensatz zur SPD - immer weiter nach links zu wenden, woraufhin die SPD ihren Studentenverband ausschloss. In den folgenden Jahren wurde der SDS zum Sammelbecken verschiedener linker Strömungen, die jeweils die relativ kleinen Gruppen der Universitätsstädte dominierten: Vertreter einer sozialistischen Neuen Linken zwischen Sozialdemokratie und Kommunismus, Mitglieder der illegalen Kommunistischen Partei und zunehmend Anhänger einer antiautoritären Bewegung, die nicht mehr im Proletariat, sondern in gesellschaftlichen Randgruppen, etwa den noch nicht ins "System" integrierten Studenten, das Subjekt revolutionärer Veränderungen erblickten. Vor allem die zuletzt genannte antiautoritäre Strömung wurde zum Kern der spektakulären Jugendproteste, die das letzte Drittel der 60er Jahre prägten, obwohl sie wohl nur etwa die Hälfte der wiederum 2 000 bis maximal 4 000 Mitglieder des SDS stellte.
Quelle: Axel Schildt: Rebellion und Reform. Die Bundesrepublik der Sechzigerjahre, Bonn 2005. Aus der bpb-Reihe "Zeitbilder".
"Spiegel"-Affäre
Die als "Spiegel"-Affäre bekannte Episode war in Wirklichkeit eine Strauß-Affäre. Franz-Josef Strauß hatte sich seit seiner Ernennung zum Verteidigungsminister 1956 immer wieder energisch für das Konzept der "massiven Abschreckung" und für eine Bewaffnung der Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen eingesetzt. Dazu gehörte auch der Plan, daß die NATO im Falle "als sicher erkannter" sowjetischer Angriffsabsichten diesen mit einem vorbeugenden Schlag ("preemptive strike") zuvorkommen sollte. Strauß hielt an diesem Konzept auch fest, als die US-Regierung unter John F. Kennedy 1961 zur Verteidigungskonzeption der flexiblen Reaktion ("flexible response") überging. Diese Strategie sollte im Konfliktfall den Einsatz von Atomwaffen möglichst lange aufschieben, um Zeit für Verhandlungen zu gewinnen.
Die beiden unterschiedlichen Verteidigungskonzepte wurden in der deutschen Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Die schärfsten Kritiker von Strauß saßen in der "Spiegel"-Redaktion in Hamburg. Der "Spiegel" lehnte nicht nur die Verteidigungskonzeption von Franz-Josef Strauß ab, er griff ihn auch politisch-persönlich an, indem er über vermeintliche und tatsächliche Unregelmäßigkeiten und Affären berichtete, in die Strauß oder Verwandte und Freunde von ihm verwickelt waren.
Am 10. Oktober 1962 analysierte ein "Spiegel"-Artikel unter dem Titel "Bedingt abwehrbereit" das NATO-Stabsmanöver "Fallex 61". Er kam zu dem Schluß, daß die Verteidigung der Bundesrepublik im Falle eines Angriffs des Warschauer Pakts keineswegs gesichert sei und daß das Konzept des vorbeugenden Schlages den Frieden eher gefährdete als sicherte.
In der Nacht vom 26. zum 27. Oktober 1962, achtzehn Tage nach dem Erscheinen des Artikels, wurden die Redaktionsräume des "Spiegel" in Hamburg, die "Spiegel"-Redaktion in Bonn und mehrere Privatwohnungen im Hamburg von Beamten des Bundeskriminalamtes und der Hamburger Polizei durchsucht. Der "Spiegel"-Herausgeber Rudolf Augstein, der Verlagsdirektor und mehrere leitende Redakteure wurden verhaftet. Angeordnet hatte diese Maßnahmen die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, nachdem ein von ihr angefordertes Gutachten des Bundesverteidigungsministeriums am 19. Oktober zu dem Ergebnis gekommen war, daß der "Spiegel"-Artikel "Bedingt abwehrbereit" geheimzuhaltende Tatsachen veröffentlicht habe, die er durch Verrat von Angehörigen des Bundesverteidigungsministeriums erhalten habe. Die Begründungen für die Haftbefehle lauteten auf Tatverdacht des Landesverrats, der landesverräterischen Fälschung und der aktiven Bestechung.
Der eigentlich zuständige Bundesjustizminister Wolfgang Stammberger (FDP) wurde ebenso wie der Hamburger Innensenator Helmut Schmidt (SPD) gar nicht oder erst verspätet informiert. Die Verhaftung des Artikelschreibers Conrad Ahlers während seines Urlaubs in Spanien hatte - wie sich später herausstellte - Verteidigungsminister Strauß unter Umgehung des Auswärtigen Amtes über den Militärattaché an der deutschen Botschaft in Madrid veranlaßt, auch wenn er noch am 7. und 8. November versichert hatte, er habe mit der Sache "im wahrsten Sinne des Wortes nichts zu tun".
Die Durchsuchung und die Verhaftungen sowie die bis zum 26. November dauernde Besetzung der "Spiegel"-Redaktion durch die Polizei wurden von führenden CDU/ CSU-Politikern mit dem Landesverratsvorwurf gerechtfertigt. Konrad Adenauer sprach am 7. November in einer erregten Debatte vor dem Deutschen Bundestag von einem "Abgrund von Landesverrat", der sich hier aufgetan habe.
Das Vorgehen gegen den "Spiegel" nährte für viele Beobachter den Verdacht, daß der dehnbare Begriff des "Staatsgeheimnisses" benutzt werden sollte, um ein regierungskritisches Nachrichtenmagazin einzuschüchtern und in wirtschaftliche Schwierigkeiten zu bringen. Doch Redaktionen anderer Zeitungen und Zeitschriften unterstützten die "Spiegel"-Redakteure bei der Vorbereitung und Herstellung des nächsten Heftes. Schon am Tage nach der Besetzung der "Spiegel"-Redaktion protestierten Schriftstellerinnen und Schriftsteller der "Gruppe 47", ihnen folgten Proteste von Künstlern, Geistlichen und Hochschullehrern. Massenkundgebungen von Studierenden und Gewerkschaften schlossen sich an. Der Protest richtete sich gegen die Bundesregierung wegen ihrer vermeintlich massiven Eingriffe in die Presse- und Meinungsfreiheit.
Die "Spiegel"-Affäre führte zu einer Regierungskrise: Die FDP-Fraktion forderte wie die SPD den Rücktritt von Verteidigungsminister Strauß und zog ihre fünf Minister aus der Regierung zurück. Bundeskanzler Konrad Adenauer bildete am 14. Dezember ein neues Kabinett, dem Strauß nicht mehr angehörte, und kündigte seinen Rücktritt für den Herbst 1963 an. Darüber hinaus hatte die "Spiegel"-Krise weitreichende Folgen für die politische Kultur der Bundesrepublik Deutschland: Spontan hatten sich Menschen unterschiedlicher politischer Richtungen zusammengetan, um gegen die vermeintliche Verletzung von Grundrechten zu protestieren. Und erstmals war aus der Krise nicht die Staatsmacht, sondern die Öffentlichkeit als Siegerin hervorgegangen. Im August 1966 wies allerdings das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde des "Spiegel" gegen die Haft- und Durchsuchungsbefehle zurück: Militärische Geheimhaltung im Interesse der Staatssicherheit und die Pressefreiheit seien einander zugeordnet. Im Konfliktfalle seien die Gefahren, die der Sicherheit des Landes aus der Veröffentlichung erwachsen könnten, gegen das Bedürfnis der Bevölkerung, über wichtige Vorgänge auch auf dem Gebiet der Verteidigungspolitik unterrichtet zu werden, abzuwägen. Dabei konnte jedoch nicht festgestellt werden, daß seitens der öffentlichen Gewalt verfassungswidrig vorgegangen worden wäre.
Quelle: Informationen zur politischen Bildung: Zeiten des Wandels (Heft 258)
Wirtschaftskrise 1966/67
Ausgerechnet als der "Vater des Wirtschaftswunders" Ludwig Erhard Kanzler war, erlebte die Bundesrepublik ihre erste sogenannte Wirtschaftskrise. Die Bundesbürger hatten sich in den fünfziger Jahren so an ständig steigende Wachstumsraten und Löhne, an Vollbeschäftigung und kürzere Arbeitszeiten gewöhnt, daß schon eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums irritierte und eine wirtschaftliche Rezession eine psychologisch geradezu niederschmetternde Wirkung hatte. Zwischen 1960 und 1965 ging die Rate des jährlichen Wirtschaftswachstums von neun Prozent auf 5,7 Prozent zurück; die Arbeitslosenquote sank in dieser Zeit aber ebenfalls, nämlich von 1,3 Prozent 1960 auf 0,7 Prozent 1965, das heißt, es herrschte nach wie vor Vollbeschäftigung. Zwischen Herbst 1966 und Sommer 1967 kam es aber zu einem regelrechten Konjunktureinbruch; und nun stiegen auch die Arbeitslosenzahlen. Die Steigerungsrate des Bruttosozialprodukts sank 1966 auf 2,8 Prozent. 1967 gab es erstmals in der deutschen Nachkriegsgeschichte gar kein Wirtschaftswachstum, im Gegenteil: Das Bruttosozialprodukt fiel um 0,2 Prozent. Die Arbeitslosenquote stieg von 1966 0,7 Prozent auf 1967 2,2 Prozent. Die Ursachen dieser Krise, die sich 1965 bereits abzuzeichnen begann, lagen im Rückgang privater und öffentlicher Investitionen. So ließen die Inlandsbestellungen im Maschinenbau bereits im Frühjahr 1965 auffällig nach, die Baugenehmigungen im Hochbau und die öffentlichen Tiefbauaufträge gingen seit Frühjahr 1966 zurück. Es wurde mehr produziert als verkauft, Lagerbestände wuchsen, Kapazitäten wurden stillgelegt, Arbeiter entlassen.
1965 stiegen die Preise um 3,4 Prozent und 1966 um 3,5 Prozent, die Bruttolöhne um 9,1 Prozent bzw. um 7,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Um die sich abzeichnende Inflationsgefahr abzuwehren, erhöhte die Bundesbank am 13. August 1965 den Diskontsatz von 3,5 Prozent auf vier Prozent und am 27. Mai 1966 auf fünf Prozent. Diese Entscheidung verteuerte Kredite und verringerte die ohnehin geringe Neigung zu Investitionen bei Unternehmern und privaten Bauherren. Die Wirtschaftspolitik der öffentlichen Hand trug das ihre zur Verschärfung der Krise bei. Durch Steuersenkungen waren 1964 und 1965 Steuerausfälle entstanden, die jährlich insgesamt 4,3 Milliarden DM betrugen; auf den Bund entfielen davon 1,7 Milliarden DM. Um die Finanzierungslücken des Bundeshaushalts zu schließen, verabschiedete das Bundeskabinett am 29. Oktober 1965 ein drastisches Sparprogramm. Die Regierung verfolgte also eine prozyklische, die Wirtschaftskrise verschärfende Politik. Die Konjunkturschwäche und die nachlassende Investitionsbereitschaft der Privatwirtschaft hätten das Gegenteil, nämlich erhöhte staatliche Investitionen, erfordert.
Die Bundesbank hat 1965 und 1966 die Konjunkturpolitik der Bundesrepublik stärker bestimmt als die Bundesregierung. Bundeskanzler Erhard lehnte es nach wie vor ab, lenkend in den Wirtschaftsprozess einzugreifen. Er beschränkte sich auf Appelle an Produzenten, Konsumenten und Lohnempfänger, in ihren Forderungen und Ansprüchen Maß zu halten und mehr zu arbeiten.
Quelle: Informationen zur politischen Bildung: Zeiten des Wandels (Heft 258)
Vietnamkrieg
Nach der Niederlage der französischen Truppen gegen die kommunistisch geführte Unabhängigkeitsbewegung in Vietnam 1954 verfestigte sich die Trennung des ehemals französischen Kolonialbesitzes in zwei Staaten: den kommunistischen Norden und den bald von korrupten Diktatoren geführten Süden. Amerikanische Truppen engagierten sich zunehmend in Südvietnam. Sie wollten die dort im Untergrund kämpfenden Vietcong-Rebellen bekämpfen, die sich für eine Vereinigung mit dem kommunistischen Norden aussprachen und von diesem unterstützt wurden. Mitte der 60er traten die USA auch offiziell in den Krieg ein und suchten eine Entscheidung durch ein Flächenbombardement Nordvietnams. Auch im Süden setzten die US-Truppen die Strategie großflächiger Entlaubung von Dschungelgebieten ein, um dem Vietcong sein Operationsfeld zu nehmen. Dennoch dominierten diese seit einer großen Offensive 1968 das Kriegsgeschehen. Der grausam geführte Krieg gilt als erster Fernsehkrieg der Geschichte. Seine Bilder ließen in den USA auch angesichts von 40 000 eigenen Opfern selbst eine mächtige Antikriegsbewegung entstehen. Der Vietnamkrieg galt für die jugendliche Protestbewegung in der gesamten westlichen Welt als Beweis für den Verrat aller humanitären Ideale durch die westlichen Kriegsparteien.
Quelle: Axel Schildt: Rebellion und Reform. Die Bundesrepublik der Sechzigerjahre, Bonn 2005. Aus der bpb-Reihe "Zeitbilder".