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Sozialstaat | Deutsche Demokratie | bpb.de

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Sozialstaat

Horst Pötzsch

/ 3 Minuten zu lesen

Die Sozialstaatlichkeit ist zwar im Grundgesetz verankert, ihre konkrete Ausgestaltung aber weitgehend dem Gesetzgeber überlassen. Der Staat muss jedoch allen Bürgern das Existenzminimum sichern.

In Artikel 6 des Grundgesetzes ist der Schutz von Ehe und Familie festgeschrieben. (© AP)

Die Sozialstaatlichkeit ist im Grundgesetz an zwei Stellen verankert: so in Art. 20 Abs. 1, der den sozialen Bundesstaat fordert, und in Art. 28, in dem die Bundesrepublik Deutschland als "sozialer Rechtsstaat" bezeichnet wird.

Anders als das Rechtsstaatsprinzip wird der soziale Auftrag des Staates, das Sozialstaatsgebot, nur an wenigen Stellen des Grundgesetzes im Einzelnen konkretisiert. Der Parlamentarische Rat hat davon abgesehen, ein verbindliches Modell des Sozialstaates vorzuschreiben. Er hat die Ausgestaltung weitgehend dem Gesetzgeber überlassen.

Sozialstaatsprinzip

Die Prinzipien des Rechtsstaates sind unveränderlich und zeitlos gültig. Soziale Gerechtigkeit, die zentrale Zielsetzung des Sozialstaates, lässt sich nicht ein für alle Mal verbindlich definieren. Ihre Ausgestaltung hängt ab von der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung sowie dem gesellschaftlichen Bewusstsein. Das Sozialstaatsprinzip ist somit ein dynamisches Prinzip, das den Gesetzgeber verpflichtet, die sozialen Verhältnisse immer wieder neu zu regeln.

Soziales Handeln

Das Grundgesetz sichert nur wenige soziale Grundrechte zu. Beispielsweise legt Art. 6 Abs. 4 fest: "Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft."

Mehrere Grundrechtsartikel fordern jedoch vom Staat soziales Handeln:

  • Aus der Verpflichtung der staatlichen Gewalt, die Menschenwürde zu achten und zu schützen (Art. 1), folgt, dass der Staat allen seinen Bürgern das materielle Existenzminimum sichern muss.

  • Die Gleichberechtigung von Mann und Frau und das Diskriminierungsverbot, also das Verbot, jemanden aus irgendwelchen Gründen zu benachteiligen (Art. 3 Abs. 2 und 3), verpflichten dazu, soziale Ungleichheiten zu beseitigen und für Gleichbehandlung, zum Beispiel am Arbeitsplatz, zu sorgen.

  • Der Schutz von Ehe und Familie (Art. 6) gibt dem Staat auf, die finanziellen Belastungen durch Kindergeld und Steuervergünstigungen zu erleichtern und Mütter durch Kündigungsschutz und Mutterschaftsgeld abzusichern.

  • Die Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3) garantiert Arbeitnehmern, dass sie ihre Stellung im Arbeitsleben durch Bildung von Gewerkschaften verbessern können.

  • Die Sozialbindung des Eigentums (Art. 14 Abs. 2) ist ein Teil des Sozialstaatsgebots.

Sozialpolitik

Gesetzgebung und Rechtsprechung haben das Sozialstaatsgebot auf vielfältige Weise in die Tat umgesetzt. Sozialpolitik ist nicht auf einen bestimmten Politikbereich beschränkt, sondern greift mit dem Ziel der Angleichung der Lebenschancen und der Verbesserung der Lebensbedingungen in viele Bereiche ein. Kern der Sozialpolitik sind die klassischen Systeme der sozialen Sicherung gegen Lebensrisiken: Alter, Krankheit, Unfall, Pflegebedürftigkeit, Arbeitslosigkeit. Dazu gehören ferner Maßnahmen des sozialen Ausgleichs und der Hilfe in Notlagen: Kindergeld, Kinderfreibeträge, Erziehungsgeld, Mutterschutz, Wohngeld und Sozialhilfe.

Themengrafik Sozialversicherungssystem: Durch Sozialversicherungen sichert der Sozialstaat seine Bürger gegen existenzgefährdende Risiken ab. Zum Öffnen der PDF-Version (136 KB) klicken Sie bitte auf das Bild. Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Sozialpolitik im weiteren Sinne umfasst Maßnahmen der Bildungspolitik (Ausbildungsförderung für Schülerinnen und Schüler sowie Studierende), der Wohnungsbaupolitik (sozialer Wohnungsbau, und Wohnungsbauprämien), der Arbeitsmarktpolitik (Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Fortbildung und Umschulung von Arbeitslosen, Kurzarbeitergeld), der Steuerpolitik (Steuerermäßigungen und -befreiungen für niedrige Einkommen). Durch das Sozialstaatsgebot ist der Staat schließlich dazu verpflichtet, die Arbeitsbedingungen so zu regeln, dass die schwächere soziale Position der Arbeitnehmerinnen und -nehmer gestärkt wird. Dazu gehören der Schutz im Betrieb durch Arbeitszeitregelungen, der Schutz vor Gefahren des Arbeitslebens, der Schutz vor Entlassungen sowie die oben erwähnten Maßnahmen der Ordnung des Arbeitsmarktes.

Mitbestimmung in Unternehmen. (© Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf.)

Mitbestimmung

Diese gesetzlichen Regelungen der Arbeitsbeziehungen werden ergänzt durch die Gesetzgebung über die Mitbestimmung.

Bei mittleren und kleineren Kapitalgesellschaften erfolgt die Mitbestimmung auf der Grundlage des Betriebsverfassungsgesetzes von 2004 (löst das Gesetz von 1952 ab) nach der so genannten Drittelbeteiligung, das heißt, ein Drittel der Aufsichtsratsmitglieder besteht aus gewählten Arbeitnehmervertretern, den Betriebsräten. Deren Zuständigkeiten sind im Gesetz genau festgelegt. Sie reichen von qualifizierter Mitbestimmung, besonders in sozialen Belangen, über Zustimmungs- und Widerspruchsrechte, besonders bei Personalentscheidungen, bis zum Recht auf Unterrichtung und Anhörung bei wirtschaftlichen Entscheidungen. Für Behörden und Dienststellen des Bundes, der Länder und Gemeinden sowie Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts gelten entsprechend die Personalvertretungsgesetze des Bundes und der Länder.

Nach dem Montanmitbestimmungsgesetz für den Bergbau und die Eisen- und Stahlindustrie (Montanindustrie) von 1951 und dem Mitbestimmungsgesetz von 1976 für Großunternehmen bestehen die Aufsichtsräte je zur Hälfte aus Vertretern der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer. Bei Stimmengleichheit entscheidet ein zusätzliches neutrales Mitglied bzw. der Aufsichtsratsvorsitzende.

Aus: Pötzsch, Horst: Die Deutsche Demokratie. 5. überarbeitete und aktualisierte Auflage, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2009, S. 32-33.

Fussnoten

Der Historiker und Politologe Horst Pötzsch war bis 1992 Leiter der Abteilung "Politische Bildung in der Schule" der Bundeszentrale für politische Bildung.