Am 31. Juli 1919 nahm die Nationalversammlung mit überwältigender Mehrheit - gegen die Stimmen von USPD, DVP und DNVP - die Weimarer Verfassung an, die nach ihrer Unterzeichnung durch den Reichspräsidenten am 14. August in Kraft trat. Sie beruhte weitgehend auf dem Entwurf von Hugo Preuß. Bei den Nationalsymbolen (Artikel 3) kam es zu einem Kompromiss: Schwarz-rot-gold, die Farben der bürgerlich-demokratischen Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts, wurden die Reichsfarben der Republik. In der Handelsflagge blieben die schwarz-weiß-roten Farben des Kaiserreiches erhalten - mit einer kleinen schwarz-rot-goldenen Gösch in der inneren oberen Ecke.
Zentrale Verfassungsprinzipien waren die Volkssouveränität (Artikel 1), die Gewaltenteilung und die Grundrechte, darunter erstmals die staatsbürgerliche und familienrechtliche Gleichstellung der Frauen (Artikel 109, 119 - siehe auch Seite 37). Darüber hinaus führte die Verfassung verschiedene Strukturelemente aus deutschen und internationalen demokratischen Traditionen zusammen: die repräsentative Demokratie mit einer dem Parlament verantwortlichen Regierung, die plebiszitäre Demokratie mit Volksabstimmungen (Schweiz) und die Präsidialdemokratie mit einem starken, direkt gewählten Präsidenten (USA, Frankreich). Der deutsche Föderalismus blieb in abgeschwächter Form erhalten: Die Kompetenzen des Reiches wurden erweitert; das übermächtige Land Preußen blieb zwar bestehen, aber das Amt des preußischen Ministerpräsidenten wurde vom Vorsitz in der Ländervertretung und vom Amt des Reichskanzlers abgekoppelt. Die Bismarcksche Sozialgesetzgebung wurde beträchtlich ausgebaut. Die verschiedenen Verfassungselemente plebiszitären und autoritären Zuschnitts ergaben jedoch kein harmonisches Ganzes.
Plebiszitäre und autoritäre Elemente
Die Grundrechte waren kein unmittelbares, die Gewalten (Legislative, Exekutive, Jurisdiktion) bindendes Recht (wie im Grundgesetz von 1949). Statt Richtschnur für die Gesetzgebung zu sein, galten sie selbst nur nach Maßgabe der Gesetze. Auch fehlte eine dem heutigen Bundesverfassungsgericht vergleichbare Institution als Hüterin der Verfassung. Die Volkssouveränität fand keine Entsprechung in einer klaren Parlamentssouveränität. Zwar war die Gesetzgebung Sache des vom Volk für vier Jahre gewählten Reichstages; und anders als im Kaiserreich ließen sich Einsprüche der Vertretung der Länderregierungen (des Reichsrates) mit einem Zweidrittelvotum des Parlamentes überstimmen; aber ein Volksbegehren von zehn Prozent der Wahlberechtigten konnte den Reichstag dazu zwingen, einen ihm zugeleiteten Gesetzentwurf unverändert zu beschließen oder einem Volksentscheid zu überlassen (Artikel 73). Fünf Prozent der Wahlberechtigten vermochten einen Volksentscheid über ein vom Parlament bereits verabschiedetes Gesetz zu erzwingen, wenn ein Drittel der Abgeordneten verlangte, die Verkündigung des Gesetzes um zwei Monate zu verschieben (Artikel 72). Diese zusätzlichen Möglichkeiten direkter Demokratie stellten die Kompetenz des Parlamentes, das heißt die repräsentative Demokratie, infrage.
Der vom Volk auf sieben Jahre direkt gewählte Reichspräsident war auf Betreiben der bürgerlichen Parteien mit einer solchen Machtfülle ausgestattet worden, dass man ihn nicht zu Unrecht als "Ersatzkaiser" bezeichnet hat. Er konnte den Reichstag fast beliebig ("nur einmal aus dem gleichen Anlass") auflösen (Artikel 25) - ein Recht, das in den USA undenkbar ist. Jedes vom Parlament verabschiedete Gesetz, mit dem er nicht einverstanden war, durfte er einem Volksentscheid überantworten (Artikel 73) - eine nie praktizierte Regelung, die gleichwohl den Parlamentarismus ständig bedrohte.
Der Reichspräsident ernannte und entließ den Reichskanzler und, auf dessen Vorschlag, die Reichsminister (Artikel 53). Alle Kabinettsmitglieder bedurften des Vertrauens des Reichstages. Dieses wurde vorausgesetzt, solange das Parlament kein Misstrauensvotum abgab, mit dem es den Kanzler oder einen Minister stürzen konnte (Artikel 54). Eine Kanzlerwahl durch den Reichstag, die das Parlament gegenüber der Regierung und beide zusammen gegenüber dem Reichspräsidenten gestärkt hätte, war demgegenüber nicht vorgesehen.
Der Reichspräsident vertrat das Reich völkerrechtlich (Artikel 45) und hatte den Oberbefehl über die Streitkräfte (Artikel 47). Nach Artikel 48 Abs. 1 traf er allein (notfalls auch militärische) Maßnahmen gegen ein Land, das die Verfassung oder Reichsgesetze verletzte (sog. Reichsexekution). Vor allem entschied er über den "Ausnahmezustand": Stellte er fest, dass "die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet" war, so durfte er gemäß Artikel 48 Abs. 2 die "nötigen Maßnahmen" treffen, das heißt das Militär im Innern einsetzen und sogar die wichtigsten Grundrechte "vorübergehend" außer Kraft setzen, nämlich Freiheit der Person (Artikel 114), Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 115), Postgeheimnis (Artikel 117), freie Meinungsäußerung (Artikel 118), Versammlungsfreiheit (Artikel 123), Vereinsfreiheit (Artikel 124) und Eigentumsrecht (Artikel 153). Der Reichstag konnte mit einfacher Mehrheit die Aufhebung dieser Maßnahmen verlangen (Artikel 48 Abs. 3). Ein Ausführungsgesetz nach Artikel 48 Abs. 5, mit dem sich die Gefahr eines Missbrauchs dieser diktatorischen Befugnisse des Reichspräsidenten hätte beseitigen lassen, kam nie zustande. Zwar bedurften alle Anordnungen und Verfügungen des Reichspräsidenten der Gegenzeichnung durch den Reichskanzler bzw. den zuständigen Reichsminister (Artikel 50); da aber der Präsident erheblichen Einfluss auf die Regierungsbildung nehmen konnte, war ein Versagen dieses Kontrollinstrumentes nicht auszuschließen.
Gesellschaftspolitische Bestimmungen
Die Rätebewegung der Revolution fand in der Verfassung einen gewissen Nachhall. Betriebsräte, nach Wirtschaftsgebieten gegliederte Bezirksarbeiterräte und ein Reichsarbeiterrat sollten gebildet werden und mit entsprechenden Unternehmervertretungen zu Bezirkswirtschaftsräten und einem Reichswirtschaftsrat zusammentreten (Artikel 165). Mit Ausnahme des Reichswirtschaftsrates waren ihnen keine politischen, sondern rein wirtschaftliche Aufgaben zugedacht. Die überbetrieblichen Räte sollten in erster Linie bei der Durchführung von Sozialisierungen mitwirken: Artikel 153 Abs. 2 erlaubte Enteignungen "zum Wohle der Allgemeinheit" auf gesetzlicher Grundlage, und zwar "gegen angemessene Entschädigung, soweit nicht ein Reichsgesetz etwas anderes bestimmt". Da es für Sozialisierungen aber keine politischen Mehrheiten mehr gab, haben diese Räte - soweit sie überhaupt gebildet wurden - nie etwas bewirkt.
Im Vergleich zum Kaiserreich machte der Sozialstaat beträchtliche Fortschritte. Artikel 159 gewährleistete die Koalitionsfreiheit (das heißt die soziale und wirtschaftliche Vereinigungsfreiheit) und verlieh damit Gewerkschaften wie Unternehmerverbänden ein verfassungsmäßiges Existenz- und Betätigungsrecht. Artikel 161 verankerte das von Bismarck begründete Sozialversicherungswesen in der Verfassung. Darüber hinaus leitete Artikel 163 aus der "sittlichen" Arbeitspflicht des Einzelnen die Verpflichtung des Staates ab, für den "notwendigen Unterhalt" derer zu sorgen, denen eine "angemessene Arbeitsgelegenheit nicht nachgewiesen werden kann". Dies bedeutete einen Verfassungsauftrag zur Einrichtung einer staatlichen Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. Nicht zuletzt legte Artikel 146 erstmals die noch heute existierende "für alle gemeinsame Grundschule" als Basis des darauf aufbauenden gegliederten Schulwesens fest - eine bildungspolitische Konstruktion, deren Vereinheitlichungstendenz konservativen Kritikern zu weit, linken dagegen nicht weit genug ging.
Trotz ihrer strukturellen Schwächen bildete die Weimarer Verfassung ein tragfähiges Fundament für den Aufbau eines föderalistischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates. Welchen Belastungsproben sie ausgesetzt sein würde und ob sie ihnen standhalten konnte, musste sich freilich noch erweisen.
Auszug aus "Informationen zur politischen Bildung", Heft 261: Weimarer Republik.