Eine vom NS-Staat erlassene Anordnung verwehrt jüdischen Badegästen den Eintritt in öffentliche Schwimmbäder – eine der Maßnahmen zur Diskriminierung und Ausgrenzung. Hier am Eingang des Freibads Wannsee in Berlin 1934. (© ullstein bild – Süddeutsche Zeitung Photo)
Als die NSDAP mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 an die Macht kam, begann sie sogleich damit, die noch so junge rechtliche Gleichstellung der deutschen Jüdinnen und Juden mittels verschiedener gesetzgeberischer Schritte rückgängig zu machen. Dieser umfassende Entrechtungsprozess gipfelte in der Vertreibung und Ermordung der deutschen und europäischen Juden. Der Antisemitismus wurde wieder allgegenwärtig und begann erneut die Lebenswelt der deutschen Juden zu bestimmen – zunächst in alltäglichen Momenten wie Verbotsschildern, die sich gegen Juden auf Parkbänken richteten, alltäglichen Hetzereien in Zeitungen wie dem "Stürmer" oder im bereits im April 1933 erlassenen Verbot des Schächtens. Ziel war es, Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben hinauszudrängen wie sie der gesellschaftlichen Teilhabe Schritt für Schritt wieder auszuschließen.
Zwischen Ende November 1938 und dem 1. September 1939 ermöglicht Großbritannien rund 10.000 jüdischen Kindern aus dem NS-Herrschaftsbereich die Einreise. Die meisten sahen ihre Eltern nie wieder und überlebten als einzige ihrer Familien die Vernichtung. (© picture-alliance, picture alliance/AP Images | Kirsty Wigglesworth)
In diesen Anfangsjahren gehörten die Ausgrenzung und Verdrängung der jüdischen Minderheit zu den NS-Leitprinzipien, das dementsprechende, schrittweise Vorgehen wurde von Zeitgenossen bereits als "kalter Pogrom" erkannt. Zu diesen frühen Regelungen gehörten erste Ausbürgerungen, zunächst auf Grundlage des Ausbürgerungsgesetzes vom Juli 1933. Dies führte die Möglichkeit ein, alle als illoyal angesehenen Staatsangehörigen sowie während der Weimarer Republik eingebürgerte Juden wieder auszubürgern. Dies traf vor allem tausende vorwiegend osteuropäische Juden, aber auch Prominente wie die Publizistin und politische Theoretikerin Hannah Arendt (1906–1975), die daraufhin schlagartig staatenlos wurden.
Der Machtantritt der Nationalsozialisten setzte auch der beschriebenen Veränderung und Auffächerung des jüdischen Berufsprofils ein schnelles Ende. Besonders einschneidend war das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933, mit dem Juden nach nur einem Jahrzehnt Zugänglichkeit zum Staatsdienst wieder aus diesem ausgeschlossen wurden. Einzig eine aktive Beteiligung im Ersten Weltkrieg konnte deutsche Juden noch eine Zeit lang vor dieser rechtlichen Ausgrenzungspraxis und Verfolgung schützen. So waren verdiente Frontkämpfer, organisiert im Reichsbund jüdischer Frontsoldaten, zunächst von einigen Regelungen ausgenommen.
Die Kaliski-Waldschule in Berlin wurde von der jüdischen Pädagogin Lotte Kaliski nach einem koedukativen Reformkonzept als Privatschule gegründet und mehrheitlich von jüdischen Schülerinnen und Schülern besucht. In der NS-Zeit fanden sie dort zeitweilig Schutz und Ermutigung angesichts einer zunehmend feindlichen Umwelt. (© bpk)
Mit Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze von 1935 veränderten sich obendrein die Kriterien, nach denen deutsche Juden gezählt wurden. Nach den neuen NS-Rassekriterien galten nun außer den 500.000 Juden, die Mitglieder jüdischer Gemeinden waren, auch diejenigen als Juden, die keiner Gemeinde angehörten oder längst christlich getauft oder zu ihrer jüdischen Zugehörigkeit vollständig auf Distanz gegangen waren. Die nationalsozialistische Rassenideologie unterschied zwischen "Voll-, Dreiviertel- und Halbjuden" und schuf zudem die Sondergruppe der "Mischlinge".
Die Gewalttätigkeit der NS-Politik trat etappenweise zutage. Einschneidend waren die Novemberpogrome, in denen in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 Synagogen in Brand gesetzt und zerstört, tausende Geschäfte demoliert und unzählige Wohnungen verwüstet wurden. Etwa 100 Juden starben, zahlreiche wurden verletzt und rund 30.000 Jüdinnen und Juden wurden verhaftet und in Konzentrationslager gebracht. Vor allem nach den traumatischen Ereignissen während der Novemberpogrome nahm die Auswanderung deutscher Jüdinnen und Juden zu.
Wenige Monate zuvor hatte nach dem "Anschluss" Österreichs im schweizerischen Evian-les-Bains eine internationale Konferenz mit Vertretern einiger Einwanderungsländer stattgefunden. Doch mit nur wenigen Ausnahmen blieben die vertretenen Länder in ihrer Aufnahmepraxis restriktiv. Die USA behielten ihre Begrenzung der Einwanderungsquote auf jährlich 27.370 Immigrantinnen und Immigranten aus Deutschland und Österreich bei. In Lateinamerika fanden zwischen 1933 und 1943 etwa 10.000 Jüdinnen und Juden aus Deutschland und Österreich Zuflucht. Ab Dezember 1938 konnten zudem mit den "Kindertransporten" nach Großbritannien und Schweden etwa 15.000 jüdische Kinder gerettet werden.
Die jüdische Bevölkerung verringerte sich bis Kriegsausbruch infolge der starken Auswanderung um rund 250.000.
Innerhalb von nur sechs Jahren hatte sich damit die jüdische Minderheit in Deutschland mehr als halbiert. Bis zum Auswanderungsverbot im Oktober 1941 konnten 300.000 Juden aus Deutschland emigrieren bzw. fliehen. Danach begann die letzte Phase der Judenverfolgung, die planmäßige Ermordung in den KZs und Vernichtungslagern.
Der jüdische Kulturbund wurde gegründet als Institution der Selbstbehauptung, um entlassenen jüdischen Kunstschaffenden eine Existenzgrundlage zu sichern. Er organisierte noch bis 1941 Konzerte. Im Bild eine Aufführung des „Bajazzo“, einer Oper von Ruggiere Leoncavallo, mit dem Orchester des Jüdischen Kulturbundes in Berlin 1940. (© Bildarchiv Pisarek /akg-images)
Inmitten der Verfolgungsmaßnahmen bestand jüdisches Kulturleben dennoch fort. Im Interesse der Absonderung jüdischen Lebens war diesem von den NS-Behörden ein abgegrenzter Raum zugedacht, in dem die Rahmenbedingungen zunehmend eingeschränkt wurden. Im September 1933 gründete sich die Reichsvertretung der deutschen Juden unter Leitung von Rabbiner Leo Baeck (1873–1956), die erste Organisation überhaupt, die für alle deutschen Juden sprechen sollte. 1935 musste sie sich in "Reichsvertretung der Juden in Deutschland" umbenennen. Mit dieser nur auf den ersten Blick geringfügigen, von NS-Behörden angeordneten Umstellung wurde klar signalisiert: Sie sollten fortan keine "deutschen Juden", sondern nur noch "Juden in Deutschland" sein dürfen. Auch war die Mitgliedschaft in dieser Reichsvertretung (ab 1939: Reichsvereinigung) für jüdische Organisationen und Gemeinden verpflichtend. Damit wurde die Reichsvereinigung letztlich zu einem Kontroll- und auch Durchsetzungsorgan des NS-Staates. Dennoch war sie zugleich ein Rahmen, in dem jüdische Kulturarbeit weiter stattfinden konnte, von dem aber auch die zunehmend dringlicher werdenden sozialen Aufgaben wie etwa die Auswandererberatung organisiert wurden.
Eine explizit für die Fortführung jüdischen Kulturlebens gegründete Organisation – der Kulturbund Deutscher Juden, der 1939 in Jüdischer Kulturbund in Deutschland umbenannt und ebenfalls der Reichsvereinigung unterstellt wurde – organisierte noch bis 1941 Konzerte. Diese sind ein Beispiel für die Bemühungen der deutsch-jüdischen Minderheit, die Verfolgungszeit selbstbewusst und unter größtmöglicher Ausnutzung aller noch so verengten Spielräume selbst zu gestalten. Dies zeigte sich auch in den Auswandererlehrgütern der Hachschara (hebr. für Vorbereitung, Tauglichmachung), in denen junge Jüdinnen und Juden auf die Alija (hebr. für Aufstieg, Einwanderung in den Jischuw / nach Israel) vorbereitet wurden. Auch zionistisch ausgerichtete Organisationen erhielten unter steigendem NS-Verfolgungsdruck verstärkt Zulauf. Nach Palästina konnten bis zum Verbot der Auswanderung etwa 70.000 deutsche Jüdinnen und Juden auswandern. Hauptzielland waren die USA, doch Jüdinnen und Juden flohen überall dorthin, wo sie Aufnahme fanden.
Jüdinnen und Juden suchten verschiedene Auswege aus der NS-Verfolgung, manche schlossen sich Widerstandsgruppen an, andere entschieden sich, versteckt in den Untergrund zu gehen. Rund 10.000 bis 12.000 Jüdinnen und Juden überlebten auf diese Weise, davon allein rund 5000 in Berlin. Dieses Untertauchen unter schwierigsten Bedingungen, in völliger Abhängigkeit von den nicht-jüdischen Unterstützern und in ständiger Furcht vor Verrat oder Entdeckung, überlebten etwa ein Drittel der Versteckten.
Jugendliche KZ-Häftlinge vor einer Baracke in Buchenwald fünf Tage nach der Befreiung durch die Alliierten am 16. April 1945. Sie sammeln ihre Kräfte für den Weg in eine noch ungewisse Zukunft. (© bpk |Bayerische Staatsbibliothek |Archiv Heinrich Hoffmann)
Die meisten Jüdinnen und Juden, die auf deutschem Boden im Frühjahr 1945 befreit wurden, waren aufs Schwerste traumatisierte Überlebende der Todesmärsche. Diese begannen ab Anfang 1945 in den Konzentrations- und Vernichtungslagern im Osten, als die verbliebenen Häftlinge von der SS vor der näher rückenden Front immer weiter westwärts getrieben wurden. Schätzungen zufolge kamen bei diesem letzten Massenverbrechen des NS rund 60 Prozent der noch lebenden Häftlinge ums Leben. Für Buchenwald geht die Forschung davon aus, dass in den letzten vier Kriegswochen allein 10.000 Menschen auf diesen Todesmärschen umgekommen sind. Die Überlebenden wurden entlang der Front in Deutschland befreit und starben teilweise auch dann noch vor Erschöpfung. Sie blieben als Displaced Persons nach der Befreiung in den vier deutschen Besatzungszonen. Diejenigen, die weder in ihre Heimat zurückkehren wollten noch weiter nach Israel oder in andere Länder auswanderten, bildeten die Grundlage für die neu entstehende jüdische Gemeinschaft in West- und Ostdeutschland nach 1945 (siehe IzpB 348, Kapitel Nesselrodt).