Einleitung
Die große Debatte zwischen Intentionalisten und Funktionalisten, welche die Täterforschung seit den 1970er Jahren beschäftigt, ist zwar nicht beendet, hat aber an Strahlkraft verloren.
Erstens hat die in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre geführte Kontroverse zwischen Daniel Goldhagen und Christopher Browning dazu geführt, dass Motive und Handlungsweise der Täter im Rahmen einer Debatte um "Disposition" und "Situation" erörtert werden. Zweitens ist mit der intensiven Erforschung des Holocaust in den Gebieten unter deutscher Kontrolle - man denke etwa an die bahnbrechenden Arbeiten von Christian Gerlach über Weißrussland oder von Dieter Pohl über Galizien - die Einsicht gewachsen, dass die Handlungsspielräume der deutschen Funktionseliten in den besetzten Gebieten weitaus größer waren als bisher angenommen; diese Erkenntnis hat eine anhaltende Diskussion über das Verhältnis von "Peripherie" und "Zentrum" innerhalb der Maschinerie der Verfolgung ausgelöst. Drittens haben die zahlreichen Bemühungen, neue thematische Zugänge zum Thema Holocaust zu finden, zu einer Debatte darüber geführt, wie hoch man die unmittelbaren materiellen Interessen an der Verfolgung der Juden veranschlagen soll (Raub, Ausbeutung von Arbeitskraft, Hungerpolitik): "Utilitäre" versus "ideologische" Tätermotivation lauten die Schlagworte dieser Diskussion, die maßgeblich von Götz Aly angestoßen wurde.
Meines Erachtens sind wir in der Holocaustforschung an einen Punkt gelangt, an dem eine Strukturierung der Debatten in Form solcher Dichotomien nicht mehr sinnvoll ist, da die Konfrontation jeweils eindimensionaler Erklärungen der Komplexität unseres Forschungsgegenstand nicht gerecht werden kann. Der Forschungsgegenstand, daran sei erinnert, ist der systematische Massenmord an den europäischen Juden.
Schaut man mit zeitlicher Distanz auf die Debatte zwischen Strukturalisten und Intentionalisten, so wird ihre Begrenztheit deutlich. Beide Schulen haben unterschiedliche Aspekte desselben Phänomens betont, die sich bei näherem Hinsehen gar nicht ausschließen: Menschen, die beabsichtigen, einen Massenmord durchzuführen, sind auf Strukturen angewiesen; die Strukturen handeln nicht von sich aus, sondern durch Menschen, die ihr Tun mit Absichten verbinden. Ähnlich verhält es sich mit dem Verhältnis von Zentrum und Peripherie: Die Initiative von Nazi-Potentaten in den Regionen war unabdingbarer Bestandteil einer zentral gesteuerten Politik. Die Führungsrolle des Zentrums war aber erst durch den Wettbewerb der verschiedenen Funktionsträger gesichert. Und letztlich wurden die "pragmatischen" Begründungen für die Verfolgung der Juden - Arisierung, Wohnraumbeschlagnahme, Ausbeutung von Arbeitskraft - mit ideologischen Rechtfertigungsstrategien zur Deckung gebracht, während die Ideologie wiederum aus den "Erfolgen" dieser pragmatischen Vorgehensweise eine zusätzliche Absicherung erfuhr. Weiter könnte man anfügen, dass sich menschliches Handeln nur sehr unzureichend mit Hilfe der Pole Disposition und Situation erklären lässt, wie Harald Welzer in einem viel beachteten Buch über "Täter" aus sozialpsychologischer Sicht gezeigt hat. Menschen handeln vor allem im Rahmen von sozialen Rollen; diese verändern sich mit den Anforderungen, und damit verändert sich auch die für das Handeln entscheidende Wahrnehmung von Situationen.
Je mehr sich die Forschung entfaltet, umso deutlicher wird, dass sich Gegensatzpaare wie Intention und Funktion, Rationalität und Ideologie, Disposition oder Situation, Zentrum und Peripherie nicht ausschließen, sondern dass sie unterschiedliche Aspekte der historischen Wirklichkeit beleuchten und sich ergänzen, ja sich gegenseitig bedingen. Sie stehen in einem dialektischen Verhältnis zueinander, das sich nur aufheben lässt, wenn man den Widerspruch als Ansatzpunkt betrachtet, eine übergeordnete und weitaus komplexere historische Wirklichkeit herauszuarbeiten. Begreift man ein Gegensatzpaar als dialektisch, so erscheint es als geradezu sinnlos, immer wieder zu versuchen, ein Element gegen das andere auszuspielen; eine solche Debatte muss in der Sackgasse enden. Stattdessen werden wir uns daran gewöhnen müssen, eindimensionale Erklärungen als unbefriedigend hinter uns zu lassen und die systematische Ermordung der europäischen Juden als vielschichtigen, komplexen Vorgang zu begreifen, der im Kontext der Gesamtgeschichte des Regimes gesehen werden muss.
Komplexität und Kontextualisierung - mit diesen Stichworten lassen sich die Herausforderungen beschreiben, vor denen die Holocaustforschung heute steht. Zunehmende Einsicht in die Komplexität des historischen Geschehens und in seinen historischen Kontext muss aber nicht notwendigerweise dazu führen, dass die Forschung künftig nur noch Erklärungsmodelle anbieten wird, die so kompliziert sind, dass sie etwa im Rahmen pädagogischer Arbeit nicht mehr vermittelbar sind. Im Gegenteil, diese Einsicht wird dazu führen, dass weitaus umfassendere und nachvollziehbarere Erklärungen für das Geschehen angeboten werden können, als dies bis dato der Fall war. Unter den Stichworten Komplexität und Kontextualisierung möchte ich fünf Punkte benennen, die mir für die Strukturierung künftiger Holocaustforschung besonders wichtig zu sein scheinen.
1. Zunächst kommt es darauf an, den Stellenwert der Judenverfolgung innerhalb der Gesamtpolitik des Regimes angemessen zu bestimmen. Damit stellen sich Grundfragen der Interpretation des Nationalsozialismus. Wesentlich für die Analyse des Gesamtkomplexes scheint mir zu sein, dass die Ausschließung der Juden von Anfang an für die nationalsozialistische Bewegung zentral war, ja, dass diese Zielsetzung Einzigartigkeit und Besonderheit des Nationalsozialismus als historisches Phänomen ausmacht. Im Kern des Nazi-"Projektes" ging es doch darum, eine rassisch homogene Volksgemeinschaft zu schaffen, in der das deutsche Volk sich quasi selbst verwirklichen sollte. In der Harmonie dieser angestrebten Volksgemeinschaft, so die Auffassung der Nationalsozialisten, ließen sich alle wesentlichen Probleme der Zeit (seien sie außen-, innen-, sozial-, wirtschafts- oder kulturpolitischer Art) lösen. Da die Errichtung einer solchen rassisch homogenen Volksgemeinschaft schon aufgrund der ihr zugrundeliegenden rassistischen Irrlehre nicht möglich war, konnte die auf Reinhaltung der Rasse setzende Politik nur auf eine Weise funktionieren: durch Negativmaßnahmen, durch die Diskriminierung, Entfernung, Ausschaltung und Beseitigung von Fremden, wobei aus historischen Gründen die antijüdischen Maßnahmen den zentralen Stellenwert einnahmen. Im Zuge dieses Ausschaltungsprozesses sollte es der NSDAP gelingen, diejenigen Lebensgebiete unter ihren Einfluss zubringen, die "entjudet" werden sollten. Damit wurde die antisemitische Politik für die NSDAP zum Schlüssel für die Beherrschung zunächst der deutschen Gesellschaft, später fast ganz Europas. Die antisemitische Ideologie war nicht nur "Weltanschauung", ein Sammelsurium abwegiger Ideen, sondern in ihr war der totale Herrschaftsanspruch des Nationalsozialismus begründet.
2. Die gesellschaftliche Ausgrenzung der Juden, ihre Entrechtung, Enteignung, Vertreibung bzw. Deportation, ihr Einsatz als Sklavenarbeiter und schließlich ihre systematische Ermordung: Diese Etappen der Judenverfolgung stellen sich als komplexe Vorgänge dar, ihre Durchsetzung - zunächst in Deutschland, dann im besetzten Europa - erforderte Maßnahmen, die eine Vielzahl von Institutionen involvierten. Die Etappen der Verfolgung hatten - über die katastrophalen Konsequenzen für den jüdischen Lebensbereich hinaus - weit reichende Folgen und nicht kalkulierbare Rückwirkungen ökonomischer, innenpolitischer, außenpolitischer und kulturpolitischer Art. Die Täter bewegten sich weitgehend auf Neuland, sie unternahmen Experimente, verwarfen bereits eingeschlagene Lösungsansätze, sie improvisierten und entwickelten Initiativen, um das übergeordnete Ziel einer Beseitigung der Juden durchzusetzen. Es kam zu Friktionen und Kompetenzkonflikten. Die Judenverfolgung erschöpfte sich nicht in der Durchsetzung bestimmter Maßnahmen, sondern sie entwickelte sich - unter dem Einfluss dieser unterschiedlichen Faktoren - zur "Judenpolitik". Diese bildete innerhalb des Nationalsozialismus ein eigenes Politikfeld, vergleichbar mit konventionellen Politikbereichen wie der Außen-, Wirtschaft- oder der Sozialpolitik.
3. Die Judenpolitik entwickelte sich nicht autonom, sondern stand im Kontext anderer Politikfelder; ja, sie durchdrang diese und veränderte sie von Grund auf. Die Nationalsozialisten gingen mit einem rassistischen Ansatz an traditionelle Politikfelder heran und definierten sie teilweise um. So gingen sie davon aus, dass es tatsächlich so etwas wie ein "internationales Judenproblem" gebe, auf das sich die Außenpolitik zu konzentrieren habe; sie gingen davon aus, dass die Sozialpolitik im nationalsozialistischen Staat als "Volkspflege" nur "Ariern" und nicht "rassisch Minderwertigen" gelten sollte, und veränderten damit den Charakter der Sozialpolitik im "volksbiologischen" Sinn; sie unterstellten, dass jüdische Arbeit per se unproduktiv und parasitär sei, und zogen jüdische Menschen grundsätzlich nur zu besonders schweren und erniedrigenden körperlichen Arbeiten heran. In ähnlicher Weise ordneten sie die Ernährungs-, Wohnungs-, Wissenschafts- und Besatzungspolitik sowie andere Politikbereiche rassistischen Hierarchien und Denkschemata unter, in denen der Antisemitismus stets ein Hauptmotiv bildete.
4. Schließlich veränderten sich im Laufe der nur zwölf Jahre währenden NS-Herrschaft die allgemeinen Rahmenbedingungen der rassistischen Politik während des Krieges mit rasender Geschwindigkeit. Die Judenpolitik nahm in verschiedenen Phasen des "Dritten Reiches" sehr unterschiedliche Formen an. Sie wurde aus taktischen Gründen modifiziert, zurückgenommen oder beschleunigt; in kritischen Phasen vollzog sich ihre Entwicklung sprunghaft und in sich selbst dynamisierenden Handlungssequenzen. Diese Entwicklung lässt sich mit einem konventionellen Modell politischer Entscheidungsbildung (Formulierung der politischen Ziele, Entscheidungsbildung, Durchführung der Entscheidung) nicht mehr ausreichend fassen. Die Durchführung der Judenpolitik nahm vielmehr eine solche Dynamik an, dass die Entscheidungsbildung selbst, ja die Formulierung der politischen Vorgaben hiervon erfasst wurden.
5. Die abrupten Veränderungen unterworfene, widersprüchlich verlaufende, in komplexen Zusammenhängen eingebundene und vollkommen präzedenzlose Judenpolitik ließ sich nicht mit Hilfe bloßer Befehlsempfänger durchführen, sondern es bedurfte solcher Akteure, die Eigeninitiative entwickelten und intuitiv verstanden, was die Führung von ihnen wollte. Charakteristisch für die Judenpolitik sind große Handlungsspielräume der ausführenden Organe. Dieses System konnte nur funktionieren, wenn die Judenpolitik in ihren wichtigsten Aspekten unter den beteiligten Akteuren konsensfähig war. Sie konnte aber auch nur dann funktionieren, wenn sie zumindest von einem Teil der Bevölkerung, der aktiven Anhängerschaft des Nationalsozialismus, aktiv unterstützt wurde. Es war daher notwendig, Mittel und Ziele der Judenpolitik beständig, in unterschiedlichen Abstufungen der Offenheit, zu kommunizieren. Die Judenpolitik wurde - wenn auch häufig in verdeckter Form - öffentlich propagiert, debattiert und legitimiert. Gerade in der letzten Phase der Judenpolitik, in der Phase der "Endlösung", entstand eine sehr schwer nachzuvollziehende Ambivalenz zwischen Geheimhaltung und Propagierung.
Die Einsicht in die Komplexität der nationalsozialistischen Judenpolitik lässt es als wenig sinnvoll erscheinen, weiterhin den Versuch unternehmen zu wollen, aus der Fülle des historischen Materials eine einzelne Entscheidung oder auch eine Reihe von Entscheidungen herauszufiltern, die letztlich zur "Endlösung", zum millionenfachen Massenmord geführt habe. Sinnlos erscheint diese Vorgehensweise nicht nur, weil diese Debatte ganz offensichtlich an die Grenzen des aus den Quellen Beweisbaren gestoßen ist, sondern vor allem deswegen, weil die Festlegung eines Zeitpunkts der Komplexität der Vorgänge nicht angemessen ist. Vielmehr gab es einen durch die politisch Verantwortlichen schrittweise vorangetriebenen, höchst vielschichtigen Entscheidungsprozess, in dem sich deutlich eine Reihe von Eskalationsstufen nachweisen lassen. Das hat für die Darstellung der Entwicklung, die zur "Endlösung" geführt hat, einer Reihe von Konsequenzen.
Erstens: Wenn wir das Modell aufgeben, nach dem ein Entschluss den systematischen Mord an den europäischen Juden in Gang gesetzt habe, wenn wir weiter die Vorstellung eines außer Kontrolle geratenen und ungesteuerten, kumulativen Radikalisierungsprozesses hinter uns lassen, dann erhalten die verschiedenen Phasen der Judenpolitik ein neues Gewicht: Zum einen eröffnen sich neue Perspektiven auf die Jahre 1939 bis 1941, die nun als eine Phase erscheinen, in denen das Regime bereits genozidale Projekte gegenüber den Juden erwog, die als besonders sinister erscheinen, wenn man in Betracht zieht, dass das Regime zur selben Zeit rassistisch motivierte Massenmordprogramme gegen die polnische Bevölkerung und so genannte Erbkranke durchführte. Zum anderen tritt deutlicher ins Bewusstsein, dass auch im Zeitraum ab Frühjahr 1942 das Leben von mehreren Millionen jüdischer Menschen von politischen Entscheidungen, von der weiteren Entwicklung der Judenpolitik abhing. Große jüdische Gemeinschaften konnten überwiegend gerettet werden (wie in Frankreich, Italien, Dänemark, Alt-Rumänien oder in Bulgarien), oder sie gingen unter (wie in Ungarn oder Griechenland); um das Schicksal der jüdischen Zwangsarbeiter wurden erbitterte Konflikte ausgetragen. Es ist deutlich zu machen, dass auch nach der Ingangsetzung der europaweiten "Endlösung" die Judenpolitik aus einer Kette fortgesetzter Entscheidungen bestand (und nicht als "Durchführung" einmal gefällter Beschlüsse anzusehen ist).
Wenn wir den Zeitraum von 1939 bis 1945 als einen fortgesetzter Entscheidungen in der Judenpolitik betrachten und die Analyse nicht auf einen Entscheidungszeitraum von einigen Monaten beschränken, dann kommen wir schließlich nicht darum herum, auch die Jahre 1933 bis 1939 als unmittelbare Vorgeschichte der Phase der Vernichtung verstärkt in die Analyse einzubeziehen. In der Vorkriegszeit waren die Institutionen entstanden, die in der Kriegszeit die Vernichtungspolitik organisierten; in diesem Zeitraum hatte sich die Judenpolitik entfaltet und radikalisiert. Das Regime lernte, den neuen Politikbereich auf vielfältige Weise für seine Zwecke einzusetzen.
Zweitens: Die Erschließung neuer thematischer Zugänge macht es notwendig, die Judenpolitik systematisch mit anderen zentralen Themenfeldern zunächst der deutschen Innenpolitik, schließlich der deutschen Herrschaft auf dem europäischen Kontinent zu vernetzen. Für die Kriegszeit bedeutet dies, dass wir die deutsche Bündnispolitik, die Politik europaweiter innerer Repression, die Themen Arbeit, Ernähung und Kriegsfinanzierung in die Analyse einbeziehen müssen. Es müsste deutlich werden, wie diese Themenfelder in einem rassistischen und antisemitischen Sinn umdefiniert wurden. Es müsste gezeigt werden, wie das NS-System den Versuch unternahm, noch während des Krieges die Grundlagen für ein rassistisches Imperium zu errichten, in dem die Ermordung der Juden zum kleinsten gemeinsamen Nenner der von Deutschland geführten Allianz wurde.
Drittens: Wenn wir die Geschichte der "Endlösung" als Kette fortgesetzter Entscheidungen betrachten, die sich zum Gesamtzusammenhang einer "Judenpolitik" verdichten lässt, dann müssen wir das Schicksal der übrigen durch die Nationalsozialisten verfolgten Gruppen zumindest so weit in die Analyse einbeziehen, als sich unmittelbare Aufschlüsse und Vergleichsansätze ergeben.
Viertens: Wenn wir davon ausgehen, dass der Entscheidungsprozess in der Judenpolitik nach dem grundsätzlichen Entschluss zur "Endlösung" keineswegs zu Ende war, sondern auch ab 1942 fortlaufend Entscheidungen getroffen wurden, die das Leben von Millionen Menschen betrafen, dann wird deutlich, dass die Durchführung der Judenpolitik nicht nur auf Prioritätensetzungen der deutschen Führung zurückzuführen, sondern in zunehmendem Maße abhängig war vom Verhalten der Bündnispartner, der einheimischen Verwaltungen in den besetzten Gebieten und nicht zuletzt auch von der Einstellung der einheimischen Bevölkerung, aber auch von dem Verhalten der Kriegsgegner.
Es kommt ein weiterer, wichtiger Faktor hinzu: Die jüdische Seite, die 1941 der Ingangsetzung der "Endlösung" völlig unvorbereitet und ohnmächtig gegenüberstand, kommt in der zweiten Kriegshälfte zunehmend als ein Faktor ins Spiel, der die Vorgehensweise der Täter beeinflusste: durch Flucht, durch den Versuch, sich durch ein Leben im Versteck oder Untergrund der Verfolgung zu entziehen, aber auch durch Bemühungen, durch Verhandlung oder Bestechung das Räderwerk der Vernichtung zumindest zu verlangsamen und - wenn auch nur ansatzweise - das Verhalten der Täter zu beeinflussen.
Mit der Berücksichtigung aller dieser Faktoren stößt die reine Täterforschung an ihre Grenzen, das heißt, es wird mit Fortschreiten des Krieges immer schwieriger, den Verlauf der Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden ausschließlich mit Blick auf die Täter und ihr Handeln zu rekonstruieren. Damit ist nicht gesagt, dass die Konzentration auf die Täter für die Zeit nach 1942 historiographisch unmöglich oder sinnlos ist, sondern es geht darum, deutlich zu machen, wo präzise die Grenzen lagen, innerhalb derer die Täter einigermaßen autonom handeln konnten. Dies erfordert aber eine enge Vernetzung mit den anderen Zweigen der Holocaustforschung, die sich mit der Geschichte der Opfer, mit den verschiedenen Kräften in den besetzten und verbündeten Ländern sowie mit der Haltung der alliierten und neutralen Staaten befassen.
Diese notwendige Vernetzung zwischen den Forschungsrichtungen wird nichts daran ändern, dass innerhalb der verschiedenen Zweige der Holocaustforschung nach wie vor ganz unterschiedliche Fragegestellungen verfolgt werden. Der Beitrag der Täterforschung besteht vor allem darin, Erklärungen für das Jahrhundertverbrechen anzubieten. Einen Einblick in die Forschungsdebatte zu geben, die hinter der Formulierung solcher Erklärungsansätze steht, war der Sinn dieser Skizze.