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Der "demokratische Frieden" und seine außenpolitischen Konsequenzen

Harald Müller

/ 14 Minuten zu lesen

Der Befund, dass Demokratien keine Kriege gegeneinander führen, dient als Rechtfertigung für einseitige Weltordnungsentwürfe. Ein globaler "demokratischer Frieden" setzt Kooperation auch mit nichtdemokratischen Staaten voraus.

Einleitung

Demokratien führen keine Kriege gegeneinander, oder jedenfalls "fast" keine. Dieser statistische Befund ist ziemlich robust gegenüber Veränderungen in den Definitionen von "Demokratie" und von "Krieg". Demokratien erfreuen sich überdies im Durchschnitt größeren Wohlstands, vermeiden erfolgreich Hungersnöte, bieten ihren Bürgerinnen und Bürgern mehr Freiheit und lassen sich eher auf internationale Organisationen und auf die Rechtsbindung in internationalen Verträgen ein als Staaten mit anderen Regierungsformen; dies sind natürlich Durchschnittswerte, von denen es Abweichungen gibt. Aber die Nachricht ist ziemlich klar: Demokratien bieten eine vergleichsweise bessere Form von "Good Governance" als andere Systeme.



Im Folgenden möchte ich mich nicht mit der wissenschaftlichen Debatte über die Gründe auseinandersetzen. Mir geht es vielmehr um die politischen Folgerungen, die aus den genannten Befunden zu ziehen sind. Diese eher praktische Frage ist sehr wichtig. Denn wie kaum ein anderes Ergebnis politikwissenschaftlicher Forschung ist die relative Überlegenheit der demokratischen Regierungsform zu einer der Grundlagen westlicher Politik geworden. Dabei spielt sicher eine Rolle, dass der akademische Befund Wasser auf die Mühlen eines überdies schon ausgedehnten westlichen Überlegenheitsgefühls bedeutete. (Jede Ideologie beinhaltet ihren eigenen Superioritätskomplex, und die westlich-liberale stellt dabei keine Ausnahme dar, wenngleich auch aus Sicht des Autors mit besseren Gründen als andere.) Überlegenheitsgefühle sind aber nicht unbedingt ein guter Ratgeber für Politik gegenüber Akteuren außerhalb der vermeintlich überlegenen Gemeinschaft. Sie können höchst unangenehme Auswirkungen zeitigen, stoßen sie auf ein materielles Unterlegenheitsgefühl auf der anderen Seite. Angesichts der wirtschaftlichen und insbesondere der militärischen Superiorität des Westens, der zusammen drei Viertel der weltweiten Militärausgaben bestreitet, könnte diese Wirkung weltpolitisch fatal sein. Darum und um mögliche Korrekturen geht es in diesem Aufsatz.

Außenpolitische Zielsetzungen

Wenn Demokratien keine Kriege führen und Hungersnöte vermeiden würden, dann wäre eine ausschließlich demokratisch verfasste Welt eine nahezu paradiesische Veranstaltung. Der Wunsch, die Demokratie weltweit auszubreiten, ist daher verständlich - er ist, wenn man so will, eine Neubelebung des jahrhundertealten westlichen Missionarstums. So ist Demokratieförderung als ein erstrangiges Ziel in die westliche Außen- und Entwicklungspolitik eingegangen. In nichtdemokratischen Ländern eine demokratiefreundliche Zivilgesellschaft zu fördern, Menschenrechtsverletzungen gegebenenfalls auch mit Sanktionen einzudämmen, über die Konditionierung von Entwicklungshilfe Demokratisierungsprozesse mehr oder weniger sanft zu erzwingen, friedenserhaltende Missionen nach Bürgerkriegen (oder Kriegen) mit dem Aufbau demokratischer Strukturen zu kombinieren - all das ist heute gängige Praxis westlicher Politik. Diese Verfahren sind als Leitlinien auch in internationalen Organisationen durchgesetzt worden, und sie genießen hierzulande breite, überparteiliche und gesellschaftliche Unterstützung.

Freilich wäre es übertrieben, in ihr das dominierende Politikziel zu sehen. Dazu ist die Palette außenpolitischer Interessen dann doch zu vielfältig. Manche Nichtdemokratien werden als "Partner im Krieg gegen den Terror" gebraucht, weshalb die Stabilität dieser Regime erwünscht ist und durch Demokratisierungsprozesse oder gar eine demokratische Revolution nicht riskiert werden soll. Auch hat die Erfahrung ernüchtert, dass von der Autokratie befreite Völker oft genug die Neigung haben, die "Falschen" in Regierungsämter zu wählen; man denke an die westliche Entrüstung über die Wahlsiege der "Islamischen Heilsfront" FIS in Algerien, der Hamas in Palästina, Mahmud Ahmadinedjads im Iran oder auch von Hugo Chavez in Venezuela. In anderen Fällen führen wirschaftliche Interessen dazu, dass über undemokratische Regierungsformen und Menschenrechtsverletzungen hinweggesehen wird. Rohstoffreiche Länder sind überwiegend nicht demokratisch. Gleichwohl kommt der Westen nicht umhin, mit ihnen Handel zu treiben und wünscht sich nichts so sehr wie stabile Verhältnisse dort. Anderswo - beispielsweise in Lateinamerika - hat die Mobilisierung zuvor marginalisierter Bevölkerungsgruppen Regierungen an die Macht gebracht, die Glaubenssätze westlicher Wirtschaftspolitik in den Wind schlagen und stattdessen linkssozialdemokratische Wohlfahrtsprogramme verfolgen, gelegentlich auch zum Nachteil westlicher Unternehmen und des "Investitionsklimas".

Demokratieförderung steht also stets in Konkurrenz mit anderen außen- und sicherheitspolitischen Belangen. Das wirkt zum Teil sehr scheinheilig und zynisch, zum Teil reflektiert es einfach ein unlösbares politisches Dilemma. Dennoch kann konstatiert werden, dass diese Politik heute in höherem Maße als je zuvor einen unbestrittenen Platz auf der außenpolitischen Agenda praktisch aller westlicher Demokratien behauptet.

Wir und "die Anderen"

Die Teilung der Welt in "Demokratien" und "Nichtdemokratien" ist - wie alle Polarisierungen zwischen "uns" und "denen" - politisch höchst problematisch. Erinnert sei daran, dass die Praxis der Zweiteilung, des Ein- und des Ausschlusses, eine lange Geschichte hat (und natürlich nicht nur im westlichen Lager, sondern auch anderswo intensiv stattfindet): Die Christenheit und die Heiden, der "weiße Mann" und die "unzivilisierten Wilden", die "freie Welt" und der Totalitarismus - und heute eben "the west" und "the rest": In all diesen Entgegensetzungen diente bzw. dient der "Andere" als Feindbild, der das eigene Lager zusammenschweißen soll. Häufig stellte er die Gefahr dar, gegen die man das "Pulver trocken halten musste". Im heutigen westlichen, namentlich im amerikanischen Diskurs zeichnet sich diese Zweiteilung einmal mehr ab.

Samuel Huntington hat im "Kampf der Kulturen" den Startschuss gegeben, und die immer stärkere Thematisierung des Gegensatzes von Demokratie und Nichtdemokratie drängt zur Auflösung von Differenzierungen, die weltpolitisch bitter nötig sind. Schon wird auf die Kollaboration zwischen den "Schurkenstaaten" Iran, Sudan, Birma einerseits und China und Russland andererseits hingewiesen. Kein Geringerer als Henry Kissinger hat jüngst vor einer Dämonisierung der Russischen Föderation im Politikdiskurs seines Landes gewarnt.

In der Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen hat es eine intensive Debatte darüber gegeben, warum der "demokratische Friede" statistisch nicht eine deutlich größere Friedfertigkeit der Demokratien insgesamt, sondern nur ihren außergewöhnlichen Pazifismus gegenüber ihresgleichen beinhaltet. Denn im Ganzen sind sie ebenso kriegerisch oder nur kaum messbar friedlicher als alle anderen Staaten der Welt: Sie führen gegenüber Nichtdemokratien (fast) ebenso häufig Krieg wie diese untereinander und gegen Demokratien. Auf den ersten Blick erscheint das rätselhaft. Denn gemäß der in den Theoriedebatten zum "demokratischen Frieden" am häufigsten genannten Argumente müssten sich demokratische Staaten im Allgemeinen um friedliche Beziehungen zu allen Partnern bemühen, ungeachtet von deren Staatsform: Die Völker der Demokratien, die ihre Außenpolitik durch öffentliche Meinung und Wahlen beeinflussen können, scheuen die Risiken des Krieges - so lautet eine wichtige Begründung. Sie - wie auch ihre Politiker - sind den liberalen Werten verpflichtet, unter denen die Schonung von Menschenleben an oberster Stelle steht. Auch das spricht gegen den Krieg im Allgemeinen (außer man wird zur Selbstverteidigung gezwungen). Das dritte Argument beinhaltet die Vermutung, dass die überwiegend gewaltfreien Konfliktlösungsmethoden innerhalb der Demokratie auf deren internationales Umfeld übertragen werden: Wer zu Hause Interessenkonflikte lieber durch Verhandlungen löst oder allenfalls vor Gericht geht oder Machtfragen in Wahlen entscheidet, zieht das auch im Verkehr mit anderen Staaten vor.

Eine zunächst plausible Deutung des merkwürdigen Widerspruchs zwischen demokratischer Kriegszustimmung und wechselseitiger demokratischer Friedfertigkeit läuft darauf hinaus, dass Nichtdemokratien als intern unfriedlich verstanden werden und daraus eine latente Bedrohung der Demokratien abgeleitet wird: Eben weil die Demokratien ihre eigene gewaltfreie interne Konfliktlösung nach außen transportieren, wird Nichtdemokratien derselbe Mechanismus unterstellt - nur dass der "Transportvorgang" dort Gewaltsamkeit ins internationale Umfeld einbringt. Sie werden als dementsprechend bedrohlich wahrgenommen, und diese Wahrnehmung schaukelt die Beziehungen hoch, die im Extremfall eben kriegerisch eskalieren können.

Diese Beobachtung ist im Einzelfall zwar zutreffend, jedoch nicht zwingend. Demokratien beobachten die selektive Aggressivität anderer Demokratien; sie nehmen sie also nicht durchgehend als friedlich wahr. Zugleich müssen sie feststellen, dass unter den Autokratien nur eine Minderheit jenseits der Selbstverteidigung gewaltsam wird. Einen Automatismus der Wahrnehmung "Demokratie = friedlich", "Nichtdemokratie = gewaltsam" wird demnach nicht durch das reale Geschehen in den internationalen Beziehungen gestützt.

Auch verarbeiten Demokratien ihre Begegnungen mit Nichtdemokratien im internationalen Raum ganz unterschiedlich. Manche kommen sehr gut mit den "Anderen" aus, während einige Demokratien gegenüber Nichtdemokratien eine ausgesprochen konfrontative Politik verfolgen. Damit erweisen sich die intersystemaren Beziehungen als gestaltungsfähig; die besondere Ausprägung des aufeinandertreffenden Staatenpaares (Demokratie/Demokratie; Demokratie/Nichtdemokratie; Nichtdemokratie/Nichtdemokratie) ist nur im ersten Falle weitgehend festgelegt, erfreulicherweise in Richtung Frieden. Für die beiden anderen Paartypen ist der friedliche Pfad genauso möglich wie der Weg in den Krieg. Daher variiert die Kriegsbeteiligung zwischen Demokratien auch enorm. Ausgesprochen "kriegsfreudigen" demokratischen Staaten stehen friedfertige gegenüber; gleichfalls finden sich in der Demokratieförderung sowohl Ansätze, die eher auf Pression und Sanktion abstellen, als auch solche, die mehr auf Kooperation und sanfte Unterstützung der Zivilgesellschaft bauen.

Die Präsenz nichtdemokratischer Staaten im internationalen Raum, allgemeiner: das Phänomen kultureller und politischer Heterogenität, stellt die Demokratien vor ein strategisches Dilemma. Einerseits müssen sie an einer Ordnung dieses Raums interessiert sein, andererseits kommen sie aufgrund des in ihrer Weltanschauung verankerten Universalismus nicht umhin, sich die weltweite Ausbreitung ihrer liberalen Ideen, also die universale Demokratisierung zu wünschen. Aus diesem Dilemma heraus sind mehrere Ordnungsentwürfe entstanden.

"Kosmopolitische Demokratie"

Die Idee der "kosmopolitischen Demokratie" ist in erster Linie eine Angelegenheit der politischen Philosophie und politischen Theorie: Nicht der Staat, sondern das Individuum wird als das Subjekt von Weltrecht und Weltpolitik betrachtet. Folgerichtig soll internationale Ordnung als globale Demokratie gestaltet werden. Gemäß der liberal-demokratischen Idee der Selbstgesetzgebung soll dabei jeder Einzelne über gewählte Repräsentanten an der Gestaltung der Weltordnung, insbesondere an der Produktion internationalen und transnationalen Rechts beteiligt sein. Die "Weltrepublik" enthält also neben einer Staatenkammer (im Sinne der Vollversammlung der Vereinten Nationen) als zweite Entscheidungsinstanz ein "Weltparlament". In Einzelfragen - zum Beispiel zu Krieg und Frieden oder Menschenrechtsverletzungen - kann die Republik in die Einzelstaaten eingreifen. Nach dem Subsidiaritätsprinzip behalten diese jene Kompetenzen, die nicht ausdrücklich auf die globale Ebene verlagert wurden. Freilich ist dort - etwa nach Otfried Höffe - auch die "Kompetenz-Kompetenz" verortet, das heißt, die Entscheidungsmacht darüber, welche Zuständigkeiten bei den Staaten verbleiben sollen und welche gegebenenfalls die Weltrepublik noch an sich ziehen kann. Damit wäre die Souveränität als Regelungsprinzip internationaler Beziehungen letztlich verabschiedet, der Territorialstaat könnte im Extremfall eine bloße Verwaltungseinheit mit beschränktem Gestaltungsspielraum werden.

Der Charme der "kosmopolitischen Demokratie" liegt in ihrer konsequenten Anwendung des liberalen Politikprogramms. Kompromisse mit dem Status Quo, welche die Prinzipien dieses Programms verwässern würden, gibt es nicht. Aus den Veröffentlichungen dieser Denkschule geht auch hervor, dass es sich nicht um eine ferne Utopie, sondern um ein politisches Projekt handelt, das auch unter heutigen Verhältnissen zügig und zielstrebig vorangetrieben werden soll. Wer indes die kosmopolitische Demokratie von einem liberalen Leitbild zu einem pragmatischen politischen Projekt zu transferieren versucht, begibt sich unversehens in die direkte Konfrontation mit all denen, die einem solchen Leitbild nichts abgewinnen können.

Darunter fallen nicht nur die so genannten "Schurkenstaaten" Nordkorea, Iran oder Syrien, die sich ausrechnen können, dass sie noch mehr als schon heute die Parias einer solchen Ordnung wären. Es fallen auch Staaten darunter, die als Nichtdemokratien oder auch als "defekte Demokratien" für die Herstellung und Erhaltung einer friedlichen Weltordnung ungeachtet ihrer Verfasstheit unverzichtbar sind, wie China, Russland, Ägypten oder Malaysia. Die politischen Eliten dieser Länder wären kaum bereit, sich Ordnungsprinzipien zu unterwerfen, deren Geltung sie im eigenen Lande nicht anerkennen, und die Kontrolle über das Schicksal ihrer Nation aus der Hand zu geben.

Tatsächlich trifft der gleiche Einwand auch für Demokratien wie Südafrika, Brasilien oder Indien zu; für sie gilt, dass die Souveränität als Schutz der eigenen, autonom bestimmten Entwicklung nicht gerade in dem Augenblick geopfert werden wird, in dem eben diese Souveränität durch den wirtschaftlichen Erfolg erstmals reale politische Bedeutung gewinnt. Dass derartige Ideen aus dem intellektuellen und politischen Milieu der ehemaligen Kolonialmächte stammen, macht sie dort nicht attraktiver. (Doch ist auch kaum damit zu rechnen, dass souveränitätsbewusste Demokratien wie Großbritannien oder die Vereinigten Staaten dem Modell zustimmen würden).

Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Die "kosmopolitische Demokratie" nimmt sich auf den ersten Blick als ein Projekt aus, gegen das man schlechterdings nicht sein kann. Auf den zweiten Blick erkennt man, in welch hohem Maße es konfrontativ gegen all jene angelegt ist, die aus guten und weniger guten Gründen, aber jedenfalls mit Nachdruck, auf der eigenen Souveränität bestehen.

"Liga der Demokratien"

Der konfrontative Ausschluss nichtdemokratischer Staaten von weltpolitischen Entscheidungen, der im Kosmopolitismus erst im zweiten Schritt zum Vorschein kommt, ist in einem anderen Ordnungsentwurf Programm: Gemeint ist das auch beim amerikanischen Präsidentschaftskandidaten John McCain populäre Konzept der "Liga der Demokratien", die schlagwortartig auch als "globale NATO" bezeichnet wird. Die Grundüberlegung setzt an dem - wiederum von liberal-demokratischen Überzeugungen getragenen - Legitimitätsbegriff an: Demokratischen Regierungen ist eine höhere Legitimität zuzuschreiben als ihren nichtdemokratischen Partnern. Deshalb besitzen sie einen privilegierten Anspruch, die internationale Ordnung zu gestalten, Weltrecht zu setzen, anzuwenden und durchzusetzen. Dies betrifft insbesondere die Frage von Krieg und Frieden und die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung westlicher Grundsätze über das "gute Regieren". In den Worten von Senator McCain: Eine Organisation der Demokratien könnte Tyrannen unter Druck setzen "mit oder ohne die Zustimmung Moskaus und Beijings".

Die "Liga der Demokratien" läuft auf eine riskante Polarisierung der Staatengemeinschaft nach dem Muster der Phase vor dem Ersten Weltkrieg oder während des Kalten Krieges hinaus. Sie desavouiert die Vereinten Nationen als Weltorgansiation, denen die "Liga" ihr Entscheidungsvorrecht entwinden soll. Überdies tritt sie in der NATO-Uniform auf, die in großen Teilen der Nichtmitgliedschaft Unsicherheit, Misstrauen und Furcht erweckt. Die Nerven sind in manchen Ländern ohnehin angespannt, seit die NATO (1999 im Kosovo) und eine "Koalition der Willigen", die überwiegend aus NATO-Mitgliedern bestand (2003 im Irak), im Alleingang ohne Mandat des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen in relativ kurzer Zeit zu den Waffen gegriffen haben. Wie immer man die Verdienste dieser beiden Interventionen bewerten mag - für den Rest der Welt ist damit eine Erfahrungsgrundlage geschaffen worden, wonach der Westen zum Angriff übergeht, wenn er es für richtig hält. Fügt man der Erfahrung gewissermaßen die Konstitutionalisierung des Anspruchs auf ein Entscheidungs- und Handlungsoligopol hinzu, dürften in zahlreichen Hauptstädten die Alarmglocken läuten.

Versuche der Gegenmachtbildung bzw. des Auf- und Ausbaus wirksamer Abschreckungsmittel wären die wahrscheinlichste Reaktion. Für die Bemühungen, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen einzudämmen, wäre das eine denkbar schlechte Entwicklung. Während nichts dagegen spricht, dass die Demokratien untereinander besonders enge und freundschaftliche Beziehungen pflegen und sich in wichtigen Fragen absprechen, geht der Anspruch, eine selbsternannte Staatenelite dürfe für und über alle anderen entscheiden, einen Schritt zu weit. Der "demokratische Frieden" wäre dann tatsächlich nur noch die Kehrseite des "demokratischen Krieges".

Demokratisierung mit Gewalt

Im Zuge eines vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erteilten Mandats gegen einen Aggressor vorzugehen oder einen Völkermord zu verhindern und anschließend den Versuch zu unternehmen, in dem besetzten Land demokratische Strukturen aufzubauen, ist eine Sache. Eine ganz andere - konflikt- und kriegstreibende - ist es dagegen, aus eigener Machtvollkommenheit anderswo Regimewechsel mit Gewalt herbeiführen zu wollen. Dies ist nicht nur völkerrechtswidrig, auch die Erfolgsaussichten sind dürftig. Die positiven Beispiele Japans und Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg können dies nicht verschleiern. Der Widerstandswille war durch die totale Kriegführung beider Seiten in einem Maße gebrochen, wie es bei heutigen Interventionen undenkbar ist, weil die demokratischen Öffentlichkeiten die Brutalität jener Kriegführung nicht mehr dulden würden. Zudem hatten in beiden Ländern politische Strukturen aus den liberalen Zwischenphasen in der inneren Emigration oder im Exil überlebt, auf die beim Versuch der Demokratisierung zurückgegriffen werden konnte. Ansonsten hat Demokratisierung mit militärischen Mitteln - mit und ohne Mandat - sehr durchwachsene Ergebnisse gezeitigt, von Kambodscha bis Afghanistan, von Bosnien-Herzegowina bis zum Irak. Eine lebendige Volksherrschaft mit hoher Legitimität wächst im Allgemeinen von innen, entwickelt ihre Institutionen im Einklang mit den geschichtlichen und kulturellen Traditionen des betreffenden Landes. Der Import von Demokratie mit Hilfe einer fremden Sozialtechnologie hingegen stößt zwangsläufig auf Grenzen und wird nur gelegentlich erfolgreich sein können. Ist er das gewaltsame Werk einer fremden Macht, so ist es ziemlich wahrscheinlich, dass der vom Interventen provozierte Widerstand einen gehörigen Teil der Demokratisierungsanstrengungen neutralisiert.

Damit soll kein Verdikt über die Demokratieförderung ausgesprochen sein: Demokratie ist und bleibt eine gute Sache. Was indes die Methoden angeht, lassen sich schon Schlussfolgerungen ziehen. Die Anwendung von Gewalt ist überwiegend kontraproduktiv; geschieht sie unter Bruch von Völkerrecht und unter Umgehung der Vereinten Nationen, vermindert sie auch noch die Chancen künftiger weltpolitischer Kooperation und steigert die Risiken eines globalen Konflikts. Die beste Demokratieförderung ist vermutlich die Arbeit an vorteilhaften Umweltbedingungen, die gesellschaftlichen Kräften emanzipatorisches Handeln erleichtern. Wie Ernst-Otto Czempiel immer wieder betont hat, kommt ein sinkender Außendruck auf die Grenzen einer Autokratie der dortigen Entwicklung von Freiheit am meisten entgegen. Gerade nicht Pression oder gar Gewalt, sondern Entspannung und Kooperation, gutes Beispiel ("gewinnfreie Werbung" in der Czempiel'schen Diktion) und die sanfte Unterstützung zivilgesellschaftlicher Aktivitäten bieten die günstigsten Möglichkeiten für einen autonomen Demokratisierungsprozess.

Am Ende dieser Überlegungen steht damit die vielleicht überraschende Folgerung, dass der "demokratische Frieden" als Muster gewaltfreier innerdemokratischer Beziehungen seine besten Chancen zur Universalisierung hat, wenn das friedliche Verhalten der Demokratien sich nicht auf ihresgleichen beschränkt, sondern wenn diese sich so weit wie möglich kooperativ und entspannungsfreudig zeigen - unter gebührender Berücksichtigung der eigenen Sicherheit. Deutschland, das trotz der Beteiligung am Kosovo-Einsatz zu den eher "pazifistischen" Demokratien zählt und in seiner Demokratieförderung einen eher kooperativen Stil pflegt, wird hart zu arbeiten haben, um seine eher "militanten" demokratischen Partner von dieser politischen Linie zu überzeugen. Werden Bundesregierungen den dazu erforderlichen "Mut vor dem Freund" haben?

Fussnoten

Fußnoten

  1. Der Autor dankt Jonas Wolff für die hilfreichen Kommentare. Vgl. Bruce Russett/John R. Oneal, Triangulating Peace. Democracy, Interdependence, and International Organization, New York-London 2001; Paul Huth/Todd L. Allee, The Democratic Peace and Territorial Conflict in the Twentieth Century, Cambridge 2002.

  2. Vgl. Amartya Sen, Democracy as a Universal Value, in: Journal of Democracy, 10 (1999) 3, S. 3-17.

  3. Vgl. Charles Lipson, Reliable Partners. How Democracies Have Made a Separate Peace, Princeton 2003.

  4. Vgl. Anna Geis, Diagnose Doppelbefund - Ursache ungeklärt? Die Kontroverse um den "demokratischen Frieden" in: Politische Vierteljahresschrift, 42 (2001) 2, 142-169; Anna Geis/Wolfgang Wagner, Vom "demokratischen Frieden" zur demokratiezentrierten Friedens- und Gewaltforschung, in: Politische Vierteljahresschrift, 47 (2006) 2, 276-309; Harald Müller/Jonas Wolff, Democratic Peace: Many Data, Little Explanation?, in: Anna Geis/Lothar Brock/Harald Müller (eds.), Democratic Wars. Looking at the Dark Side of Democratic Peace, Houndmills 2006, S. 41-73.

  5. Vgl. Piki Ish-Shalom, Theory as a Hermeneutical Mechanism: The Democratic-Peace Thesis and the Politics of Democratization, in: European Journal of International Relations, 12 (2006) 4, S. 565-598; Tony Smith, A Pact with the Devil. Washington's Bid for World Supremacy and the Betrayal of the American Promise, New York-London 2007.

  6. Vgl. Jonas Wolff, Turbulente Stabilität. Die Demokratie in Südamerika diesseits ferner Ideale, Baden-Baden 2008.

  7. Vgl. Hans-Joachim Spanger/Jonas Wolff, Universales Ziel - partikulare Wege? Externe Demokratieförderung zwischen einheitlicher Rhetorik und vielfältiger Praxis, in: Anna Geis/Harald Müller/Wolfgang Wagner (Hrsg), Schattenseiten des demokratischen Friedens. Zur Kritik einer Theorie liberaler Außen- und Sicherheitspolitik, Frankfurt/M. 2007, S. 261-286.

  8. Samuel P. Huntington, Der Kampf der Kulturen. The Clash of Civilisations, München 1996.

  9. Vgl. Henry A. Kissinger, Unconventional Wisdom, in: International Herald Tribune vom 2. 7. 2008.

  10. Vgl. die Diskussion in H. Müller/J. Wolff (Anm. 4).

  11. Vgl. Thomas Risse-Kappen, Wie weiter mit dem "demokratischen Frieden"?, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen, 2 (1994) 2, S. 367-379.

  12. Vgl. Harald Müller, The Antinomy of Democratic Peace, in: International Politics, 41 (2004) 4, S. 494-520; Sven Choinacki, Democratic Wars and Military Interventions, in: A. Geis/L. Brock/H. Müller (Anm. 4), S. 13-39; H.-J. Spanger/J. Wolff (Anm. 7).

  13. Vgl. Harald Müller, Wie kann eine neue Weltordnung aussehen? Wege in eine nachhaltige Politik, Frankfurt/M., 2008, Kap. 3.

  14. Vgl. zur Übersicht Daniele Archibugi, Cosmopolitan Democracy and its Critics, in: European Journal for International Relations, 10 (2004) 3, S. 437-475; zu verschiedenen Versionen und Begründungen kosmopolitischer Politikgestaltung vgl. David Held, Democracy and the Global Order. From the Modern State to Cosmopolitan Governance, Cambridge 1998; Otfried Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, München 1999; Ulrich Beck, Der kosmopolitische Blick oder: Krieg ist Frieden, Frankfurt/M. 2004.

  15. Vgl. D. Held 1998 (Anm. 14).

  16. Vgl. Liz Sidoti, McCain favours a "league of democracies", in: www.boston.com/news/nation/articles/2007/
    04/30/mccain_favors_ a_league_ of_democracies (31. 7. 2008).

  17. Vgl. Ivo Daalder/James Goldgeier, Global NATO, in: Foreign Affairs, 85 (2006) 5, S. 105-113.

  18. Zit. in: L. Sidoti (Anm. 16).

  19. Vgl. exemplarisch die Ausführungen des russischen NATO-Botschafters Dmity Rogozin, NATO propaganda, in: International Herald Tribune vom 2. 6. 2008.

  20. Vgl. Ernst-Otto Czempiel, Kluge Macht. Außenpolitik für das 21. Jahrhundert, München 1999.

  21. Vgl. H.-J. Spanger/J. Wolff (Anm. 7).

Dr. phil, geb. 1949; geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) und Professor für Internationale Beziehungen an der Goethe-Universität Frankfurt; HSFK, Leimenrode 29, 60322 Frankfurt am Main.
E-Mail: E-Mail Link: mueller@hsfk.de