Einleitung
Demokratien führen keine Kriege gegeneinander, oder jedenfalls "fast" keine. Dieser statistische Befund ist ziemlich robust gegenüber Veränderungen in den Definitionen von "Demokratie" und von "Krieg".
Im Folgenden möchte ich mich nicht mit der wissenschaftlichen Debatte über die Gründe auseinandersetzen.
Außenpolitische Zielsetzungen
Wenn Demokratien keine Kriege führen und Hungersnöte vermeiden würden, dann wäre eine ausschließlich demokratisch verfasste Welt eine nahezu paradiesische Veranstaltung. Der Wunsch, die Demokratie weltweit auszubreiten, ist daher verständlich - er ist, wenn man so will, eine Neubelebung des jahrhundertealten westlichen Missionarstums. So ist Demokratieförderung als ein erstrangiges Ziel in die westliche Außen- und Entwicklungspolitik eingegangen. In nichtdemokratischen Ländern eine demokratiefreundliche Zivilgesellschaft zu fördern, Menschenrechtsverletzungen gegebenenfalls auch mit Sanktionen einzudämmen, über die Konditionierung von Entwicklungshilfe Demokratisierungsprozesse mehr oder weniger sanft zu erzwingen, friedenserhaltende Missionen nach Bürgerkriegen (oder Kriegen) mit dem Aufbau demokratischer Strukturen zu kombinieren - all das ist heute gängige Praxis westlicher Politik. Diese Verfahren sind als Leitlinien auch in internationalen Organisationen durchgesetzt worden, und sie genießen hierzulande breite, überparteiliche und gesellschaftliche Unterstützung.
Freilich wäre es übertrieben, in ihr das dominierende Politikziel zu sehen. Dazu ist die Palette außenpolitischer Interessen dann doch zu vielfältig. Manche Nichtdemokratien werden als "Partner im Krieg gegen den Terror" gebraucht, weshalb die Stabilität dieser Regime erwünscht ist und durch Demokratisierungsprozesse oder gar eine demokratische Revolution nicht riskiert werden soll. Auch hat die Erfahrung ernüchtert, dass von der Autokratie befreite Völker oft genug die Neigung haben, die "Falschen" in Regierungsämter zu wählen; man denke an die westliche Entrüstung über die Wahlsiege der "Islamischen Heilsfront" FIS in Algerien, der Hamas in Palästina, Mahmud Ahmadinedjads im Iran oder auch von Hugo Chavez in Venezuela. In anderen Fällen führen wirschaftliche Interessen dazu, dass über undemokratische Regierungsformen und Menschenrechtsverletzungen hinweggesehen wird. Rohstoffreiche Länder sind überwiegend nicht demokratisch. Gleichwohl kommt der Westen nicht umhin, mit ihnen Handel zu treiben und wünscht sich nichts so sehr wie stabile Verhältnisse dort. Anderswo - beispielsweise in Lateinamerika - hat die Mobilisierung zuvor marginalisierter Bevölkerungsgruppen Regierungen an die Macht gebracht, die Glaubenssätze westlicher Wirtschaftspolitik in den Wind schlagen und stattdessen linkssozialdemokratische Wohlfahrtsprogramme verfolgen, gelegentlich auch zum Nachteil westlicher Unternehmen und des "Investitionsklimas".
Demokratieförderung steht also stets in Konkurrenz mit anderen außen- und sicherheitspolitischen Belangen. Das wirkt zum Teil sehr scheinheilig und zynisch, zum Teil reflektiert es einfach ein unlösbares politisches Dilemma. Dennoch kann konstatiert werden, dass diese Politik heute in höherem Maße als je zuvor einen unbestrittenen Platz auf der außenpolitischen Agenda praktisch aller westlicher Demokratien behauptet.
Wir und "die Anderen"
Die Teilung der Welt in "Demokratien" und "Nichtdemokratien" ist - wie alle Polarisierungen zwischen "uns" und "denen" - politisch höchst problematisch. Erinnert sei daran, dass die Praxis der Zweiteilung, des Ein- und des Ausschlusses, eine lange Geschichte hat (und natürlich nicht nur im westlichen Lager, sondern auch anderswo intensiv stattfindet): Die Christenheit und die Heiden, der "weiße Mann" und die "unzivilisierten Wilden", die "freie Welt" und der Totalitarismus - und heute eben "the west" und "the rest": In all diesen Entgegensetzungen diente bzw. dient der "Andere" als Feindbild, der das eigene Lager zusammenschweißen soll. Häufig stellte er die Gefahr dar, gegen die man das "Pulver trocken halten musste". Im heutigen westlichen, namentlich im amerikanischen Diskurs zeichnet sich diese Zweiteilung einmal mehr ab.
Samuel Huntington hat im "Kampf der Kulturen"
In der Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen hat es eine intensive Debatte darüber gegeben, warum der "demokratische Friede" statistisch nicht eine deutlich größere Friedfertigkeit der Demokratien insgesamt, sondern nur ihren außergewöhnlichen Pazifismus gegenüber ihresgleichen beinhaltet. Denn im Ganzen sind sie ebenso kriegerisch oder nur kaum messbar friedlicher als alle anderen Staaten der Welt: Sie führen gegenüber Nichtdemokratien (fast) ebenso häufig Krieg wie diese untereinander und gegen Demokratien. Auf den ersten Blick erscheint das rätselhaft. Denn gemäß der in den Theoriedebatten zum "demokratischen Frieden" am häufigsten genannten Argumente müssten sich demokratische Staaten im Allgemeinen um friedliche Beziehungen zu allen Partnern bemühen, ungeachtet von deren Staatsform: Die Völker der Demokratien, die ihre Außenpolitik durch öffentliche Meinung und Wahlen beeinflussen können, scheuen die Risiken des Krieges - so lautet eine wichtige Begründung. Sie - wie auch ihre Politiker - sind den liberalen Werten verpflichtet, unter denen die Schonung von Menschenleben an oberster Stelle steht. Auch das spricht gegen den Krieg im Allgemeinen (außer man wird zur Selbstverteidigung gezwungen). Das dritte Argument beinhaltet die Vermutung, dass die überwiegend gewaltfreien Konfliktlösungsmethoden innerhalb der Demokratie auf deren internationales Umfeld übertragen werden: Wer zu Hause Interessenkonflikte lieber durch Verhandlungen löst oder allenfalls vor Gericht geht oder Machtfragen in Wahlen entscheidet, zieht das auch im Verkehr mit anderen Staaten vor.
Eine zunächst plausible Deutung des merkwürdigen Widerspruchs zwischen demokratischer Kriegszustimmung und wechselseitiger demokratischer Friedfertigkeit läuft darauf hinaus, dass Nichtdemokratien als intern unfriedlich verstanden werden und daraus eine latente Bedrohung der Demokratien abgeleitet wird: Eben weil die Demokratien ihre eigene gewaltfreie interne Konfliktlösung nach außen transportieren, wird Nichtdemokratien derselbe Mechanismus unterstellt - nur dass der "Transportvorgang" dort Gewaltsamkeit ins internationale Umfeld einbringt. Sie werden als dementsprechend bedrohlich wahrgenommen, und diese Wahrnehmung schaukelt die Beziehungen hoch, die im Extremfall eben kriegerisch eskalieren können.
Diese Beobachtung ist im Einzelfall zwar zutreffend, jedoch nicht zwingend. Demokratien beobachten die selektive Aggressivität anderer Demokratien; sie nehmen sie also nicht durchgehend als friedlich wahr. Zugleich müssen sie feststellen, dass unter den Autokratien nur eine Minderheit jenseits der Selbstverteidigung gewaltsam wird. Einen Automatismus der Wahrnehmung "Demokratie = friedlich", "Nichtdemokratie = gewaltsam" wird demnach nicht durch das reale Geschehen in den internationalen Beziehungen gestützt.
Auch verarbeiten Demokratien ihre Begegnungen mit Nichtdemokratien im internationalen Raum ganz unterschiedlich. Manche kommen sehr gut mit den "Anderen" aus, während einige Demokratien gegenüber Nichtdemokratien eine ausgesprochen konfrontative Politik verfolgen. Damit erweisen sich die intersystemaren Beziehungen als gestaltungsfähig; die besondere Ausprägung des aufeinandertreffenden Staatenpaares (Demokratie/Demokratie; Demokratie/Nichtdemokratie; Nichtdemokratie/Nichtdemokratie) ist nur im ersten Falle weitgehend festgelegt, erfreulicherweise in Richtung Frieden. Für die beiden anderen Paartypen ist der friedliche Pfad genauso möglich wie der Weg in den Krieg. Daher variiert die Kriegsbeteiligung zwischen Demokratien auch enorm. Ausgesprochen "kriegsfreudigen" demokratischen Staaten stehen friedfertige gegenüber; gleichfalls finden sich in der Demokratieförderung sowohl Ansätze, die eher auf Pression und Sanktion abstellen, als auch solche, die mehr auf Kooperation und sanfte Unterstützung der Zivilgesellschaft bauen.
Die Präsenz nichtdemokratischer Staaten im internationalen Raum, allgemeiner: das Phänomen kultureller und politischer Heterogenität,
"Kosmopolitische Demokratie"
Die Idee der "kosmopolitischen Demokratie" ist in erster Linie eine Angelegenheit der politischen Philosophie und politischen Theorie: Nicht der Staat, sondern das Individuum wird als das Subjekt von Weltrecht und Weltpolitik betrachtet. Folgerichtig soll internationale Ordnung als globale Demokratie gestaltet werden. Gemäß der liberal-demokratischen Idee der Selbstgesetzgebung soll dabei jeder Einzelne über gewählte Repräsentanten an der Gestaltung der Weltordnung, insbesondere an der Produktion internationalen und transnationalen Rechts beteiligt sein. Die "Weltrepublik" enthält also neben einer Staatenkammer (im Sinne der Vollversammlung der Vereinten Nationen) als zweite Entscheidungsinstanz ein "Weltparlament". In Einzelfragen - zum Beispiel zu Krieg und Frieden oder Menschenrechtsverletzungen - kann die Republik in die Einzelstaaten eingreifen. Nach dem Subsidiaritätsprinzip behalten diese jene Kompetenzen, die nicht ausdrücklich auf die globale Ebene verlagert wurden. Freilich ist dort - etwa nach Otfried Höffe - auch die "Kompetenz-Kompetenz" verortet, das heißt, die Entscheidungsmacht darüber, welche Zuständigkeiten bei den Staaten verbleiben sollen und welche gegebenenfalls die Weltrepublik noch an sich ziehen kann. Damit wäre die Souveränität als Regelungsprinzip internationaler Beziehungen letztlich verabschiedet, der Territorialstaat könnte im Extremfall eine bloße Verwaltungseinheit mit beschränktem Gestaltungsspielraum werden.
Der Charme der "kosmopolitischen Demokratie" liegt in ihrer konsequenten Anwendung des liberalen Politikprogramms. Kompromisse mit dem Status Quo, welche die Prinzipien dieses Programms verwässern würden, gibt es nicht. Aus den Veröffentlichungen dieser Denkschule geht auch hervor, dass es sich nicht um eine ferne Utopie, sondern um ein politisches Projekt handelt, das auch unter heutigen Verhältnissen zügig und zielstrebig vorangetrieben werden soll.
Darunter fallen nicht nur die so genannten "Schurkenstaaten" Nordkorea, Iran oder Syrien, die sich ausrechnen können, dass sie noch mehr als schon heute die Parias einer solchen Ordnung wären. Es fallen auch Staaten darunter, die als Nichtdemokratien oder auch als "defekte Demokratien" für die Herstellung und Erhaltung einer friedlichen Weltordnung ungeachtet ihrer Verfasstheit unverzichtbar sind, wie China, Russland, Ägypten oder Malaysia. Die politischen Eliten dieser Länder wären kaum bereit, sich Ordnungsprinzipien zu unterwerfen, deren Geltung sie im eigenen Lande nicht anerkennen, und die Kontrolle über das Schicksal ihrer Nation aus der Hand zu geben.
Tatsächlich trifft der gleiche Einwand auch für Demokratien wie Südafrika, Brasilien oder Indien zu; für sie gilt, dass die Souveränität als Schutz der eigenen, autonom bestimmten Entwicklung nicht gerade in dem Augenblick geopfert werden wird, in dem eben diese Souveränität durch den wirtschaftlichen Erfolg erstmals reale politische Bedeutung gewinnt. Dass derartige Ideen aus dem intellektuellen und politischen Milieu der ehemaligen Kolonialmächte stammen, macht sie dort nicht attraktiver. (Doch ist auch kaum damit zu rechnen, dass souveränitätsbewusste Demokratien wie Großbritannien oder die Vereinigten Staaten dem Modell zustimmen würden).
Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Die "kosmopolitische Demokratie" nimmt sich auf den ersten Blick als ein Projekt aus, gegen das man schlechterdings nicht sein kann. Auf den zweiten Blick erkennt man, in welch hohem Maße es konfrontativ gegen all jene angelegt ist, die aus guten und weniger guten Gründen, aber jedenfalls mit Nachdruck, auf der eigenen Souveränität bestehen.
"Liga der Demokratien"
Der konfrontative Ausschluss nichtdemokratischer Staaten von weltpolitischen Entscheidungen, der im Kosmopolitismus erst im zweiten Schritt zum Vorschein kommt, ist in einem anderen Ordnungsentwurf Programm: Gemeint ist das auch beim amerikanischen Präsidentschaftskandidaten John McCain populäre Konzept der "Liga der Demokratien",
Die "Liga der Demokratien" läuft auf eine riskante Polarisierung der Staatengemeinschaft nach dem Muster der Phase vor dem Ersten Weltkrieg oder während des Kalten Krieges hinaus. Sie desavouiert die Vereinten Nationen als Weltorgansiation, denen die "Liga" ihr Entscheidungsvorrecht entwinden soll. Überdies tritt sie in der NATO-Uniform auf, die in großen Teilen der Nichtmitgliedschaft Unsicherheit, Misstrauen und Furcht erweckt.
Versuche der Gegenmachtbildung bzw. des Auf- und Ausbaus wirksamer Abschreckungsmittel wären die wahrscheinlichste Reaktion. Für die Bemühungen, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen einzudämmen, wäre das eine denkbar schlechte Entwicklung. Während nichts dagegen spricht, dass die Demokratien untereinander besonders enge und freundschaftliche Beziehungen pflegen und sich in wichtigen Fragen absprechen, geht der Anspruch, eine selbsternannte Staatenelite dürfe für und über alle anderen entscheiden, einen Schritt zu weit. Der "demokratische Frieden" wäre dann tatsächlich nur noch die Kehrseite des "demokratischen Krieges".
Demokratisierung mit Gewalt
Im Zuge eines vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erteilten Mandats gegen einen Aggressor vorzugehen oder einen Völkermord zu verhindern und anschließend den Versuch zu unternehmen, in dem besetzten Land demokratische Strukturen aufzubauen, ist eine Sache. Eine ganz andere - konflikt- und kriegstreibende - ist es dagegen, aus eigener Machtvollkommenheit anderswo Regimewechsel mit Gewalt herbeiführen zu wollen. Dies ist nicht nur völkerrechtswidrig, auch die Erfolgsaussichten sind dürftig. Die positiven Beispiele Japans und Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg können dies nicht verschleiern. Der Widerstandswille war durch die totale Kriegführung beider Seiten in einem Maße gebrochen, wie es bei heutigen Interventionen undenkbar ist, weil die demokratischen Öffentlichkeiten die Brutalität jener Kriegführung nicht mehr dulden würden. Zudem hatten in beiden Ländern politische Strukturen aus den liberalen Zwischenphasen in der inneren Emigration oder im Exil überlebt, auf die beim Versuch der Demokratisierung zurückgegriffen werden konnte. Ansonsten hat Demokratisierung mit militärischen Mitteln - mit und ohne Mandat - sehr durchwachsene Ergebnisse gezeitigt, von Kambodscha bis Afghanistan, von Bosnien-Herzegowina bis zum Irak. Eine lebendige Volksherrschaft mit hoher Legitimität wächst im Allgemeinen von innen, entwickelt ihre Institutionen im Einklang mit den geschichtlichen und kulturellen Traditionen des betreffenden Landes. Der Import von Demokratie mit Hilfe einer fremden Sozialtechnologie hingegen stößt zwangsläufig auf Grenzen und wird nur gelegentlich erfolgreich sein können. Ist er das gewaltsame Werk einer fremden Macht, so ist es ziemlich wahrscheinlich, dass der vom Interventen provozierte Widerstand einen gehörigen Teil der Demokratisierungsanstrengungen neutralisiert.
Damit soll kein Verdikt über die Demokratieförderung ausgesprochen sein: Demokratie ist und bleibt eine gute Sache. Was indes die Methoden angeht, lassen sich schon Schlussfolgerungen ziehen. Die Anwendung von Gewalt ist überwiegend kontraproduktiv; geschieht sie unter Bruch von Völkerrecht und unter Umgehung der Vereinten Nationen, vermindert sie auch noch die Chancen künftiger weltpolitischer Kooperation und steigert die Risiken eines globalen Konflikts. Die beste Demokratieförderung ist vermutlich die Arbeit an vorteilhaften Umweltbedingungen, die gesellschaftlichen Kräften emanzipatorisches Handeln erleichtern. Wie Ernst-Otto Czempiel immer wieder betont hat, kommt ein sinkender Außendruck auf die Grenzen einer Autokratie der dortigen Entwicklung von Freiheit am meisten entgegen. Gerade nicht Pression oder gar Gewalt, sondern Entspannung und Kooperation, gutes Beispiel ("gewinnfreie Werbung" in der Czempiel'schen Diktion) und die sanfte Unterstützung zivilgesellschaftlicher Aktivitäten bieten die günstigsten Möglichkeiten für einen autonomen Demokratisierungsprozess.
Am Ende dieser Überlegungen steht damit die vielleicht überraschende Folgerung, dass der "demokratische Frieden" als Muster gewaltfreier innerdemokratischer Beziehungen seine besten Chancen zur Universalisierung hat, wenn das friedliche Verhalten der Demokratien sich nicht auf ihresgleichen beschränkt, sondern wenn diese sich so weit wie möglich kooperativ und entspannungsfreudig zeigen - unter gebührender Berücksichtigung der eigenen Sicherheit. Deutschland, das trotz der Beteiligung am Kosovo-Einsatz zu den eher "pazifistischen" Demokratien zählt und in seiner Demokratieförderung einen eher kooperativen Stil pflegt,