Lehrpersonen sind in der Regel sensibel gegenüber Gewaltprozessen und Verletzungen der Menschenwürde im schulischen Raum und verwenden viel Zeit und Aufmerksamkeit für die Konfliktregelung und für ein tolerantes Miteinander. Dass der Vertrauensvorschuss, den sie Schülern notwendigerweise entgegenbringen, hin und wieder enttäuscht wird und ihnen den Vorwurf der Blauäugigkeit eintragen kann, ist in einigen Fällen bedauerlicher Bestandteil eines pädagogischen Grundrisikos. Wenn es stimmt, was eine Tageszeitung zitiert und plakativ als Überschrift verwendet: "Das wirklich Erschütternde ist, dass bereits viele Lehrkräfte schon aus Furcht vor körperlichen Attacken die Auseinandersetzung scheuen" ("FAZ" vom 10. Oktober 2000, Angst vor körperlichen Angriffen), dann wäre zu prüfen, ob dies wirklich ein Indiz für die Ausbreitung von Rassismus und Extremismus an Schulen (einzelner Regionen) ist oder ob darin eher ein Beleg für ein allgemein verbesserungsbedürftiges Erziehungskonzept zu vermuten ist, das mehr Konsens und Solidarität des Kollegiums erforderlich macht. Bei einer Umfage belegten Rückmeldungen einzelner Schulen Vorfälle mit rechtsextremistischem Hintergrund. So berichtet eine Hauptschule:
"Rechtsextreme/neonazistische Aktivitäten:
1. Im Schuljahr 1998/99 gab es an unserer Schule eine kleine Gruppe, die durch ihr Äußeres (Springerstiefel, Bomberjacken, Tragen von Symbolen) auffiel und provozierte. Nach der Schulentlassung trat diese Gruppe nicht mehr in Erscheinung. Zur Zeit sind der Schule keine weiteren Aktivitäten bekannt.
2. Zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam es in der Schule nicht. Außerhalb der Schule gab es Reibereien und auch Schlägereien zwischen Mitgliedern dieser Gruppe und albanischen Schülern und Aussiedlerkindern.
Zu 1.: Schulleitung und Lehrer führten Gespräche, um die Schüler dazu zu bewegen, ihre Gesinnung und auch ihr Äußeres zu ändern. Das Tragen von unerlaubten Symbolen wurde verboten. Die Eltern wurden informiert und um Unterstützung gebeten.
Zu 2.: Wenn die Schule von geplanten Aktionen erfuhr, wurde die Polizei informiert, um Eskalationen zu verhindern. Die Schulleitung arbeitet in einem Arbeitskreis "Gewaltprävention" mit, bei dem Informationen ausgetauscht und Maßnahmen auf Verbandsgemeindeebene koordiniert werden."
Diese sachliche, nüchterne Beantwortung gibt Wesentliches zur Situation der Schulen wider: Rechtsextremismus tritt auch in Schulen in Erscheinung, am häufigsten durch entsprechendes "Outfit" und das Tragen rechtsextremistischer Symbole, letzteres entweder provokativ offen oder etwas unscheinbarer auf Schulranzen und Schreibmäppchen. In Einzelfällen kommt es auch zur Nutzung schulischer PC, um rechtsextremistische Inhalte zu suchen, zum Abspielen und Mitsingen rechtsextremistischer Songs, zum Hitlergruß und zum Zeigen verbotener Flaggen und zum Mitbringen von Propagandamaterial. Letzteres sind strafrechtlich relevante Propagandadelikte, die von Schulen rasch unterbunden werden können. Für Gewalttaten, Schlägereien, Aktionen ist innerhalb der Schule wenig Raum; dafür fehlt die Anonymität und auch die enthemmende Wirkung des Alkohols. Die Schüler sind rasch bekannt, und relativ schnell ist ein Kontakt zu den Eltern oder auch zum Jugendamt und zur Polizei hergestellt. Die Schule setzt sowohl Mittel der pädagogischen Überzeugung ein als auch der Repression. Verantwortungsbewusste Pädagogen werden neben der sozial-pädagogischen Einzelfallarbeit, der eine besondere Bedeutung zukommt, solche Vorgänge auch angemessen in die unterrichtliche und schulische Arbeit integrieren. Dazu kommen präventive Maßnahmen. Genannt werden zum Beispiel Fachvorträge und Diskussionen mit Experten (zum Beispiel "Rechtsextremistische Rockszene", "Strafrecht und Rechtsextremismus"), Vorbereitung und Durchführung von Gedenkstättenfahrten, Aufführungen von Theaterstücken gegen Gewalt und Menschenfeindlichkeit und die Durchführung von Projekttagen. Rechtsextremismus als – wenn auch zahlenmäßig geringer – Bestandteil der Gesellschaft kann sich auch in der Schule nicht völlig in Luft auflösen, wird aber – das liegt an den Strukturen des Systems Schule – überwiegend an der Garderobe abgegeben und erst nach Schulende wieder virulent.
Pädagogen werden allerdings keine Grenzziehung zwischen "innerhalb" und "außerhalb" der Schule akzeptieren, wenn ihre Schüler beteiligt sind. Schwieriger wird es, wenn Ehemalige und Jugendliche von außerhalb der Schule dabei sind. Dann gewinnt die Vernetzung der Präventionsarbeit an Bedeutung, wie die Teilnahme an einem "Kommunalen Arbeitskreis", in dem die Verwaltung, insbesondere das Jugendamt, die Polizei, der Ausländerbeirat und mit Jugendarbeit befasste Verbände und Vereine mit am Tisch sitzen. Unter Umständen ergibt sich auch eine fruchtbare "bilaterale" Zusammenarbeit zwischen der Schule und einem Verein – im allgemeinen zwar nicht mit einer speziellen Orientierung gegen rechts, aber mit der ausdrücklichen Zielsetzung der Gewaltprävention und der Integration von Aussiedlern und Ausländern. Solche Impulse werden in der Kooperation von "Schule und Verein" besonders wirkungsvoll angestrebt. Der außerschulischen Jugendarbeit kommt dabei eine große Bedeutung zu, wobei allgemeine Grundsätze an den konkreten lokalen Bedürfnissen orientiert sein müssen. Es gibt eine Fülle interessanter Projekte in vielfältigen Konstellationen. In der mittelrheinischen Stadt Andernach hat ein Projekt zum Ziel, Vorurteile und Spannungen zwischen jugendlichen Einheimischen und Aussiedlern abzubauen. Die "Sportjugend Rheinland-Pfalz" hat dafür in Kooperation mit Schulen und dem Ost-West-Integrationsprogramm der städtischen Volkshochschule, in dem junge Aussiedler auf Schulabschlüsse vorbereitet werden, ein Projekt "Sport mit Aussiedlern" organisiert. Beim Volleyball, Basketball und beim Inlineskating sollen sich Einheimische und Aussiedler kennen, respektieren und auch schätzen lernen. Das Ziel ist eine Integration in die ortsansässigen Vereine. Wie wichtig gerade diese Integrationsarbeit ist, belegen einzelne Beispiele aus einer Befragung im Sommer 2000: Konflikteskalationen gibt es vor allem dann, wenn es in einer Schule rechtsorientierte Jugendliche und Gruppen von Ausländern und Aussiedlern gibt. Eine Schule berichtet: "Am 9. Mai 2000 hat ein türkischer Schüler (Klasse neun) einem ,rechten' Schüler eine Flasche an den Kopf geschlagen. Beide Schüler wollten dann einen Tag später ,die Sache' in der Stadt klären. Am Abend trafen nach Informationen anderer Schüler etwa 30 ,Schwarze' mit der gleichen Zahl Ausländer an einer Tankstelle zusammen. Der Einsatz mehrerer Streifenwagenbesatzungen soll Schlimmeres verhütet haben.
Einen fließenden Übergang von Ängsten, Unwissenheit, Vorurteilen, Sündenbocksuche und ausländerfeindlichen sowie rechtsextremistischen Parolen bringen Schüler vielfach recht schroff und teils auch aggressiv in den Unterricht ein. Da werden Thesen vertreten, dass Ausländer Arbeit und Wohnungen wegnähmen, den Sozialstaat belasteten und hoch kriminell seien. Das deutsche "Boot sei längst voll", und jeder Mensch solle in seinem Kulturkreis bleiben. Die Juden seien im übrigen an Vielem selbst schuld und mit der Berichterstattung über die Judenvernichtung im nationalsozialistischen Deutschland müsse endlich Schluss sein, ebenso mit der "Vergangenheitsbewältigung". Die Neonazis hätten den Mut, endlich einmal die Dinge beim Namen zu nennen. Solche Thesen werden in unterschiedlicher Dosis und Intensität vorgetragen; sie verlangen der Lehrperson viel Geduld und Überzeugungskraft ab. In der Regel bedarf es geeigneter unterrichtlicher Strategien, wobei Argumentation und Überzeugung wichtiger sind als Verurteilen und voreiliges Moralisieren. Die Last der Auseinandersetzung sollte dabei nicht auf eine einzelne Lehrperson abgewälzt oder von ihr alleine getragen werden. Es bedarf der kollegialen Absprachen, der Konferenzarbeit, gemeinsamer Zielvereinbarungen und ihrer Integration in der Schulkonzept (siehe auch S. 2, Allgemeine Ziele der "Erich-Maria-Remarque-Oberschule"), und wenn möglich sollten auch die Eltern einbezogen werden.
Ein Realschulleiter schreibt im Sommer 2000 an alle Eltern:
"[...] Besorgt bin ich am Ende dieses Schuljahres über fremdenfeindliche und rechtsorientierte Anzeichen unter Schülern, die seit geraumer Zeit in und außerhalb der Schule zu beobachten sind. Fehlender Respekt vor der Würde des Anderen, gerade auch des Fremden, dazu eine vielfach niedrige Toleranzschwelle einerseits und eine oft nur schwach ausgeprägte Zivilcourage bei Betroffenen andererseits fordern eine eindeutige Haltung der in der Schule Tätigen und der Elternhäuser. Wir sind jedenfalls nicht bereit, Entwicklungen dieser Art tatenlos zuzuschauen, und wir erwarten auch von den Elternhäusern ein entschiedenes Nein gegen solche Tendenzen. Im kommenden Schuljahr werden wir diesem Thema besondere Beachtung schenken und hoffentlich mit Ihrer Unterstützung die erforderlichen Präventionsmaßnahmen verstärken, allen rassistischen Ansätzen entgegenzuwirken und die große Mehrheit derer stark zu machen, die ein solches Gedankengut nicht unterstützen. Wir werden uns auch nicht scheuen, gegebenenfalls strafrechtliche Schritte einzuleiten [...]"
Das offene Bekennen der Probleme und die offensive Information sind sicherlich wichtige Schritte in der Präventionsarbeit. Die Beispiele zeigen, dass meist dort, wo Rechtsextremismus in der Schule oder im unmittelbaren Umfeld auftritt, die Schulen, die Pädagogen durchaus nicht "blauäugig", sondern recht professionell reagieren und agieren, nicht verharmlosen und auch nicht "wie das Kaninchen auf die Schlange starren". Sie treffen und unterstützen Maßnahmen, die bezogen auf den Raum der Schule, in der Regel auch wirksam sind. Doch mit schulischen Mitteln sind strukturelle Probleme der Gesellschaft nicht alleine zu lösen. Die genannten Beispiele sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei der weitaus größeren Zahl von Schulen keine Vorfälle mit eindeutigem rechtsextremistischem Hintergrund bekannt sind, ohne dass sie damit die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Präventionsarbeit negieren.