Einleitung
Im Gegensatz zu der bis in die Gegenwart reichenden politischen und emotionalen Aufladung der Debatten über die 68er-Revolte in Westdeutschland beschäftigt das Jahr 1968 die gesamtdeutsche Öffentlichkeit hinsichtlich der DDR fast ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der repressiven Ordnungspolitik der SED-Obrigkeit: ihrer Beteiligung an der Unterdrückung der Politik des Sozialismus mit menschlichem Antlitz seitens der tschechoslowakischen KP sowie der breiten Demokratiebewegung in der CSSR. Vergleicht man das Jahr 1968 in Bezug auf öffentlich gewordene innenpolitische Konflikte etwa mit dem Jahr der Biermann - Ausbürgerung 1976, dann muss 1968 tatsächlich als ein unscheinbares Jahr der DDR-Geschichte gelten.Ausgangspunkt der folgenden Skizze zur DDR-Geschichte ist die Feststellung, dass das Jahr 1968 nicht etwa wegen einer west- oder ostdeutschen Generationenbildung historische Bedeutung erlangt hat, sondern als Jahr der ersten globalen Revolte, die sich von Südostasien über Lateinamerika, Afrika, über die USA sowie West-, Süd- und Mittelosteuropa bis nach Japan erstreckte.
Da das Jahr 1968 auch in der DDR ein Jahr zahlreicher Proteste war, und diese weit überwiegend von der Jugend getragen waren, wird diese "Protest-Jugend" im Folgenden im Mittelpunkt stehen, allerdings die komplexe Problematik einer Generationsbildung ausgeblendet bleiben. Zudem wird sich diese Skizze auf die Proteste gegen die militärische Intervention der Sowjetunion und ihrer Verbündeten in der CSSR, deren Akteure sowie jene Ereignisse konzentrieren, die das Jahr 1968 zu einem äußerlich unscheinbaren, aber dennoch zu einem Schlüsseljahr für die Konfliktgeschichte der DDR werden ließen.
Politisierung vor dem Prager Frühling
Nur wenige Ausnahmen der Proteste sind ins kollektive Gedächtnis gedrungen und wurden Jahrzehnte lang in der Erinnerungskultur aufbewahrt. Dies war nur möglich, weil die SED-Diktatur 1968 noch ein fast vollständiges Informationsmonopol besass. 1968 - das war nur sieben Jahre nach dem Mauerbau und der ihn begleitenden Unterdrückung jeden Anzeichens von Widerstand dagegen mit der gewalttätigen Abschreckungskampagne "Die Faust aufs Schandmaul!".
Ein deutliches Anzeichen dafür, dass auch 1968 die Unruhe unter der Jugend nicht befriedet werden konnte, war, dass sich schon seit dem Vorjahr wieder langhaarige Jugend-Cliquen in der großstädtischen Öffentlichkeit gezeigt hatten. Damit signalisierten sie das Scheitern des seit dem Herbst 1965 mit rabiaten Methoden unternommenen Versuches des Regimes, die jugendliche Beat-Kultur zu unterdrücken. Aus einer zuvor zum Teil akzeptierten jugendlichen Teilkultur war hierdurch lediglich eine bedrängte Subkultur geworden, die nun immer mehr zum Abgrenzungsmerkmal nonkonformer Jugendlicher wurde. Damit wurde deren Milieubildung außerhalb des staatlich kontrollierten sozialen Raumes geradezu befördert.
Über den Kreis der die Beat-Kultur ursprünglich prägenden Cliquen der Arbeiterjugend hinaus gehörten zu den Szenen dieser jugendlichen Subkultur inzwischen auch die Nonkonformen der jungen Intelligenz, Kinder aus Parteielternhäusern wie aus christlichen.
So war es kein Wunder, dass unter Oberschülern und Studierenden, aber auch unter sich oppositionell politisierenden Lehrlingen im Frühjahr 1968 Diskussionen über die seit dem Vorjahr eskalierte Jugendrevolte im Westen stattfanden und die Revolten in Warschau, Westberlin, Paris oder in den USA aufmerksam in den Medien verfolgt wurden. Mehr und mehr rückte jedoch der Prager Frühling in den Vordergrund. Vor diesem Hintergrund kam es in Leipzig und Potsdam bereits im Frühjahr 1968 zu Protesten gegen Kirchenabrisse, die im Zusammenhang mit der Neugestaltung der Stadtzentren standen. Besonders in Leipzig erreichten diese Proteste eine große Öffentlichkeit und waren zum Teil spektakulär. Mehr als 1 000 Personen waren an den Protesten beteiligt, rund 40 wurden verhaftet. Studierende spielten eine herausragende Rolle bei den Protesten.
In den 1960er Jahren wurde die CSSR bei der Jugend und der kritischen Intelligenz außerordentlich beliebt. Die Jugend nutzte mehr und mehr die nach dem Mauerbau geschaffenen Reisemöglichkeiten "Richtung Osten" und fuhr nach Prag, Warschau oder Budapest, genoss dort die größere Liberalität in der Kultur. Für die vom Geist des Dritten Weges im Sinne eines demokratischen Sozialismus infizierte kritische Intelligenz wurde mehr und mehr deutlich, dass in der CSSR die Freiheiten in Wissenschaften und Kultur und die Diskussionsmöglichkeiten für auch in der DDR anstehende Grundsatzprobleme erheblich zunahmen. So war es kein Wunder, dass die Entwicklung in der CSSR seit der Wahl Alexander Dubceks zum Vorsitzenden der KP von Anfang an auf großes Interesse und starke Sympathien seitens der kritischen Jugend wie der Intelligenz in der DDR stieß. Namentlich bei der jungen Intelligenz waren nicht nur Wünsche nach einem Erfolg der Prager Reformpolitik, sondern auch Hoffnungen auf ähnliche Entwicklungen im eigenen Land entstanden. Die große Mehrzahl der Bevölkerung, vor allem die Arbeiterschaft blieb aber skeptisch. Doch als der Demokratisierungsprozess in der CSSR voranschritt, sich eine unabhängige Presse entwickelte und Wirtschaftsreformen diskutiert wurden, die zu unabhängigen Gewerkschaften und zur Arbeiterselbstverwaltung der Betriebe führen sollten, um so mehr erfasste die Sympathie mit der Entwicklung in der CSSR auch die breiten Schichten der Bevölkerung und damit der Arbeiterschaft. Doch je mehr sich im Sommer 1968 die Nachrichten über sowjetische Militärmanöver und Spekulationen über eine militärische Intervention verdichteten, um so größer wurde der Zweifel an den Realisierungschancen.
Ausmaß und Art der Proteste
Die wenigen durch Ost- wie Westmedien bekannt gewordenen Fälle eines Protestes gegen die militärische Intervention am 21. August 1968 ließen das Bild eines winzigen, nicht nennenswerten Protestes entstehen, der zudem vom Nachwuchs der Parteiintelligenz bestimmt wurde. Bekannt wurde vor allem die Verhaftung und die Verurteilung einer Gruppe um Frank und Florian Havemann. Sie hatten gegen die Unterdrückung des "roten Prags" Flugblätter verfasst und vor allem deshalb Aufmerksamkeit hervorgerufen, weil sie Kinder hoher SED-Funktionäre, von Künstlern oder eben des bekanntesten DDR-Oppositionellen waren. Doch das Jahrzehnte lang bestehende Bild der Proteste war falsch.
Angesichts der voll mobilisierten politischen und militärischen Macht des Sowjetblockes ist es nicht verwunderlich, dass die Intervention keine Revolte hervorbrachte, sondern dass angesichts der absehbaren unmittelbar-praktischen Aussichtslosigkeit von Widerstand es überhaupt zu Protesten kam. Der Schwerpunkt der noch am 21. August 1968 beginnenden Protestwelle lag im Zeitraum unmittelbar danach. In einer Analyse nach ihrem Abflauen wurden Anfang Oktober 1968 seitens des MfS 2 129 "Protestbekundungen" aufgeführt, 1 360 wurden zu den "wesentlichen Vorkommnissen" gezählt. Die wichtigsten Deliktgruppen "feindlicher Handlungen" waren das "Anschmieren" von 1 690 "Hetzlosungen" und die "Verbreitung selbstgefertigter Hetzschriften" in einer Anzahl von 7 587 Stück. Zusammen mit den "bei der Festnahme sichergestellten Hetzschriften" waren das insgesamt 10 487 Stück. Neben 294 Fällen von "anonymer Hetze", also Telefonanrufen oder Briefen wurden aber auch 74 "organisierte Sympathiekundgebungen" gezählt.
Das Gros lag außerhalb der Betriebe. Häufig wurden sie konspirativ, sei es einzeln oder in kleinen Gruppen vorgenommen, insbesondere, wenn es sich um schriftliche Äußerungen handelte. Flugblätter, die oft in Briefkästen, aber auch in öffentliche Verkehrsmittel geworfen wurden, waren hauptsächlich eine Angelegenheit der Intelligenz. Losungen wie "Dubcek" und "Svoboda" oder die Fahne der CSSR wurden auf Strassen und Wände gemalt. In den Bezirken Karl-Marx-Stadt und Neubrandenburg sind von verschiedenen Menschen und ohne Wissen von einander sogar die Nachrichtenkabel zwischen der NVA und den in der DDR stationierten sowjetischen Streitkräften durchgetrennt worden. Andererseits beschimpften Cliquen der Arbeiterjugend wie in Leipzig-Taucha oder Torgau vorbeifahrende sowjetische Truppen, oder auch Polizisten und Staatsbedienstete offen und provozierend.
Der Protest innerhalb von Betrieben war vorwiegend mit jenen betrieblichen Versammlungen verzahnt, die von Vertretern des Regimes einberufen wurden, um den Belegschaften sogenannte Zustimmungserklärungen abzupressen. Daher wurde der innerbetriebliche Protest überwiegend mündlich geäußert. So hatten sich beispielsweise 17 von 23 Kollegen der technischen Gebäudeausrüstung in Wanzleben geweigert, eine vorgelegte Zustimmungserklärung zum Einmarsch zu unterschreiben und erklärt, dass sie dies nur tun würden, wenn die Erklärung "für die CSSR und gegen die Russen" gerichtet wäre.
Der Öffentlichkeitsgrad war bei den Demonstrationsversuchen am größten. So versammelten sich am Tage nach dem Einmarsch auf dem Erfurter Angereck 150 bis 250 Jugendliche, die versuchten, mit Passanten über den Einmarsch zu diskutieren. 36 Jugendliche wurden verhaftet. In Gotha, Erfurt, Weimar, Potsdam, Berlin und anderen Städten kam es ebenfalls zu Demonstrationenversuchen. Außerhalb dieser Städte war jedoch nur gerüchteweise davon etwas bekannt. Für Ostberlin, wo ein großer Teil der Flugblätter verteilt worden war, konnte die SED zur Wirksamkeit der Proteste erfolgreich feststellen: "In keinem Fall wurde Massenwirksamkeit erreicht, da gestreute Flugblätter sofort eingesammelt und geschmierte Losungen rasch entfernt wurden."
Der politische Inhalt der Proteste
Die Breite der politischen Losungen reichte von "Russen raus" bis zu "Solidarität mit dem roten Prag". Die Hauptrichtungen der Forderungen fasste das MfS aus seiner gegnerischen Sicht wie folgt zusammen: "Aufwiegelung" gegen die Intervention und Versuche zu einer Kampagne für deren Rückgängigmachung; "Propagierung und Verherrlichung der konterrevolutionären Umtriebe in der CSSR und der sie fördernden und begünstigenden Politik rechter Kräfte in der KPC als Beispiel zu erstrebender Veränderungen in der DDR." "Hetze" gegen die SED-Führung und besonders gegen Ulbricht; "Aufwiegelung" gegen die Politik der Sowjetunion sowie Forderungen nach Abzug der sowjetischen Truppen aus der CSSR und der DDR. Aber auch die "Anspornung weiterer Kreise der Bevölkerung zu feindlichen Aktionen" und die Solidarisierung "mit den konterrevolutionären Kräften in der CSSR" führte das MfS auf. Hervorgehoben wurde, dass neben "schlagwortartigen Feindparolen" wie "Russen raus" auch "in relativ breitem Umfang" Losungen und Forderungen verbreitet waren, die "die konterrevolutionären Umtriebe als Verteidigung' des Sozialismus dargestellt" hätten, weshalb "die Maßnahmen der fünf verbündeten sozialistischen Staaten als gegen die Sache des Sozialismus gerichtet oder als völkerrechtswidrige Aktionen wie Okkupation, Intervention oder Aggression bezeichnet" wurden. Hinzu kamen wiederholt "Vergleiche mit dem Vorgehen der Faschisten nach dem Münchner Diktat bzw. der amerikanischen Aggression in Vietnam".
An dem Protest waren verschiedene soziale Schichten der DDR-Gesellschaft beteiligt: Arbeiter, Angestellte und die Intelligenz, bis hinein in die Reihen der SED. Doch das Gros der Proteste ging auf die Arbeiterjugend zurück, auf Lehrlinge und Jungarbeiter, trotz der starken Sympathien der Intelligenz für den Prager Frühling. Die soziale Zusammensetzung der aufgrund von Protesten Verhafteten ist ein wichtiges Indiz und sie zeigt, dass rund drei Viertel von ihnen der Arbeiterschaft zuzurechnen sind. Bei den zwischen dem 21. August und dem 27. November 1968 eingeleiteten Ermittlungsverfahren gegen 506 Personen betrug der Anteil von Facharbeitern, sonstigen Arbeitern und Lehrlingen zusammen 71,7 Prozent. Innerhalb der Gruppe der Arbeiterschaft waren die Facharbeiter mit 189 Personen die größte Gruppe, gefolgt von 101 sonstigen Arbeitern und 73 Lehrlingen. 4,6 Prozent der Täter entstammten dem Kreis der Kulturschaffenden und der Intelligenz. Entscheidend für alle sozialen Gruppen war aber, dass 66 Prozent derjenigen, gegen die ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, junge Leute im Alter bis zu 25 Jahren waren. Von ihnen hatten rund 20 Prozent nicht einmal das 18. Lebensjahr erreicht. Der Frauenanteil ist statistisch nicht erfasst worden, dass Frauen beteiligt waren, ist bisher nur unter den Gruppen der jungen Intelligenz belegt.
Eine genauere Analyse der Protestarten und des Protestverlaufes liefert einige wichtige Hinweise auf den politisch-kulturellen Zustand der damaligen DDR-Gesellschaft. So ist von großem Interesse, dass Flugblätter innerhalb von Betrieben bisher nirgendwo nachgewiesen wurden und selbst schriftliche Losungen im Betrieb eine Ausnahme blieben. Auch in solchen Betrieben kamen sie nicht vor, in denen in der Vergangenheit auf diese Weise um die Betriebsöffentlichkeit gekämpft wurde.
Von Interesse ist in diesem Zusammenhang auch die MfS-Einschätzung, dass in den ersten Tagen nach dem Einmarsch vorwiegend "Formen der schriftlichen Hetze" geäußert wurden. Die "mündliche Hetze" nahm erst danach wesentlich zu.
Die kleinen Gruppen der jungen Intelligenz, die innerhalb kurzer Zeit Flugblätter verfassten, hatten keine für diesen Zweck geeigneten politischen Kontakte in Betriebe hinein. Jedenfalls sind dort keine Flugblätter von außerhalb bisher belegt. Diese Gruppen stammten häufig aus dem schon zuvor politisierten Teil der jugendlichen Subkultur, hatten zumindest Teile der oppositionellen westlinken Literatur oder die Prager Volkszeitung
An Hand der Polizeiunterlagen aus Leipzig gab es noch eine dritte Gruppe von Protestakteuren: städtische Cliquen der männlichen Arbeiterjugend, die, ebenfalls in den ersten Tagen protestierten. Sie artikulierten spontan und zum Teil alkoholisiert "mündliche Hetze", indem sie Polizisten und andere Partei- und Staatsdiener offen und ohne Vorsicht beschimpften und unterschiedliche politische Losungen wie "Dubcek, Dubcek" oder auch "Russen raus" riefen.
Fasst man die drei Hauptgruppen des Protestes zusammen, so ergibt sich ein widersprüchliches Bild, bei dem sich aber die einzelnen Komponenten durchaus kompatibel auf einander beziehen lassen. Zumindest die schriftlichen Proteste von Oberschülern und Jungintellektuellen sowie die spontanen Straßenproteste von Gruppen der Arbeiterjugend waren eng mit der seinerzeit in die Subkultur verdrängten Beat-Kultur verbunden. Insofern kreuzten sich bei den Protesten zwei Entwicklungsstränge. Zum einen artikulieren die "Dubcek, Dubcek"-Forderungen mit ihrer unmittelbaren Stoßrichtung des demokratischen Sozialismus den seit den 1950er Jahren andauernde Konflikt um die Entstalinisierung und Demokratisierung im Ostblock. Die "Russen raus"-Rufe sind durchaus ein Teil dieses Entwicklungsstranges, der auch immer die Wendung gegen die diktatorische Besatzungs- oder Vormacht mit einschließt. Zum anderen schwingt wegen der Verankerung der Protestakteure in der Subkultur, aber auch wegen der Rezeption der herrschaftskritischen Literatur aus Westdeutschland eine neue politisch-kulturelle Dimension der Auseinandersetzung mit. Sie ist eng mit der Umwertung der in der DDR gültigen, sozialistisch drapierten preußisch-soldatischen Tugenden und der protestantischen Arbeitsethik verbunden. Nahtlos schließt sie sich an die sich gleichzeitig artikulierenden Konflikte in Westeuropa an, später wird sie sich mehr und mehr entfalten.
Bedeutung von 1968 für die DDR
Die unterschiedlichen Komponenten der Proteste waren nicht nur Facetten von längerfristigen Entwicklungsprozessen, sondern auch deren Generatoren. Die beiden wichtigsten Resultate des Jahres 1968 für die Konfliktgeschichte der DDR waren das Ende kollektiver Strategien der Interessenvertretung im Betrieb und damit der Untergang auch des letzten Rudimentes von eigenständiger Arbeiterbewegung. Parallel hierzu entstand eine - nach dem Mauerbau - neue Opposition, die aber nicht wie die Opposition in Polen an kollektive Kämpfe und damit größere Konflikte der gesellschaftlichen Mehrheiten anknüpfen konnte. In den Protesten hatten sich beide Wege gekreuzt.
Letztmalig hatten Arbeiter 1968 den Versuch unternommen, ihre Interessen im Betrieb kollektiv zu vertreten und dafür um die Betriebsöffentlichkeit zu kämpfen. Die Verhaftung von "Provokateuren" und der massive Einsatz von Parteiagitatoren im Verbund mit den Betriebsleitungen und Sicherheitsbehörden hatte zum endgültigen, bereits mit dem Mauerbau begonnenen Rückzug aus der Betriebsöffentlichkeit geführt. Die Folge war das große Schweigen der Mehrheitsgesellschaft nach 1968. Auf dieser Voraussetzung konnte der aufgeklärte Stalinismus in der Herrschaftszeit Erich Honeckers aufbauen und das Schweigen verstetigen, in dem er einen versorgungsdiktatorischen Herrschaftskompromiss
Parallel hierzu entstanden 1967/68 neue oppositionelle Milieus, deren Kontinuität trotz mancherlei Veränderungen bis 1989 reichte. An Personen, an der Kontinuität von Diskursen oder an Orten der Vergemeinschaftung lässt sich diese Kontinuität nachzeichnen. Diese Milieus wurden zum Träger immer wieder neuer und sich verändernder politischer Aktivitäten oder Gruppenbildungen. Die neue Opposition ging aus der Vernetzung und partiellen Überlappung von Milieus der kritisch-marxistischen und christlichen Intelligenz sowie der subkulturellen Jugendbewegung hervor.
Ihre doppelte Prägung aus westlicher wie östlicher Richtung in den Jahren 1967/68 ging gleichsam in ihre kulturellen "Gene" ein, auch wenn im Laufe von 20 Jahren sich die gesellschaftlichen Bedingungen, Diskussionen, Personen und die oppositionelle Praxis erheblich veränderten. Nach dem Ausfall der traditionellen Arbeiterschaft als oppositionelle Ressource gesellschaftlicher Konflikte, folgte nach einem Aufschwung Anfang der 1970er Jahre der Ausfall der traditionellen Intellektuellen und der Intelligenz am Ende der 1970er Jahre. Nur die Quelle der jugendlichen Aufsässigkeit und ihrer Subkulturen blieb unerschöpflich.