Einleitung
Am 22. Januar 2003 feiern Deutschland und Frankreich das vierzigjährige Bestehen des "Vertrages über die deutsch-französische Zusammenarbeit", des so genannten "Elysée-Vertrags" von 1963.
Ein wesentlicher Faktor für das Funktionieren des deutsch-französischen Tandems ist die doppelte Abhängigkeit vom Partner und von der EU, der "komplementäre" Bilateralismus. Zwar scheint die Zusammenarbeit beider Länder auf den ersten Blick im Widerspruch zur multilateral ausgerichteten Außenpolitik Deutschlands zu stehen. Sie hat sich aber immer dann bewährt, wenn sie nicht als Alternative angelegt war.
Nach einem kurzen Abriss der Entstehungsgeschichte des Vertrags und seiner Bedeutung für die deutsch-französische Partnerschaft werden im Folgenden die bisherigen Erfolge und die Strukturprobleme seit der Wiedervereinigung bilanziert. Die Analyse mündet in eine Reflexion über die Zukunft des Partnerschaftsvertrages in einem stark veränderten Kontext.
I. Entstehungsgeschichte
An einen deutsch-französischen Freundschaftsvertrag war nach Kriegsende nicht zu denken.
Die deutsch-französische Verständigung ist dabei nicht nur als eine Politik der symbolischen Gesten, sondern auch als Mittel zur friedlichen Durchsetzung der eigenen Interessen zu verstehen. Eines der Motive für die Bereitschaft beider Länder, sich vertraglich langfristig zu binden, war die wechselseitige Furcht vor den negativen Folgen einer Ostpolitik im nationalen Alleingang: Während Paris sich sorgte, dass die Bundesrepublik trotz Anlehnung an den Westen in den Sog der Sowjetunion geraten könnte, fürchtete Bonn eine französische Entspannungspolitik auf deutsche Kosten. Beide Regierungen lehnten zwar die Stalin-Note vom März 1952 und den Vorschlag eines neutralen Gesamtdeutschlands ab. Aber dies geschah vor dem Hintergrund höchst unterschiedlicher nationaler Interessen.
Für eine enge Kooperation beider Länder gab es weitere außen- und interessenpolitische Motive. So bestand das Ziel Frankreichs darin, die Bundesrepublik aus dem Machtkreis der USA herauszulösen, um die eigene Rolle in Europa und den besonderen Rang als "grande nation"
Die Unterzeichnung des Elysée-Vertrages 1963 ist als Höhepunkt der Verständigungspolitik von Bundeskanzler Konrad Adenauer zu verstehen. Ihr waren einschneidende Ereignisse vorausgegangen: 1952 begründete der Schuman-Plan die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, Montanunion), die erste supranationale Einrichtung in Europa. Damit war Deutschland als gleichberechtigtes Mitglied wieder in den Kreis der westeuropäischen Nachbarn aufgenommen, was entscheidend zur Überwindung des deutsch-französischen Gegensatzes beitrug. Am 1. Januar 1958 traten die Verträge über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom) in Kraft, welche die europäische Integration vertieften. Geplant war auch eine weit reichende Zusammenarbeit im Bereich der Verteidigungspolitik; die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) scheiterte jedoch 1954 an der französischen Nationalversammlung. Die Übertragung von Kompetenzen in einem solch zentralen nationalen Souveränitätsbereich wie der Verteidigung ging den französischen Abgeordneten noch zu weit.
Weshalb war ein institutionalisierter "deutsch-französischer Bilateralismus"
Dennoch fiel die Entscheidung zu einer vertraglichen Bindung sehr kurzfristig. Bundeskanzler Adenauer hatte zunächst ein eher vertrauliches Abkommen im Sinn. Allerdings führten 1962 die Auseinandersetzung zwischen "Gaullisten" und "Atlantikern" innerhalb der CDU/CSU-Fraktion und die so genannte "Spiegel"-Affäre zu einer tiefen Koalitionskrise, die ihn ein möglicherweise baldiges Ende seiner Kanzlerschaft befürchten ließ. Der Unionspolitiker ergriff die Möglichkeit, den deutsch-französischen Bilateralismus als Kernstück in der deutschen Europa-Politik zu verankern, und kam dem Konzept des französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle von einem "Europa der Vaterländer" mit einem eigenen Vertragsentwurf weitgehend entgegen: Es war der feste Wille Adenauers, seinen Nachfolgern mit dem deutsch-französischen Freundschaftsvertrag "ein feierlich beschworenes Instrument"
So wurde der Vertragstext in kurzer Zeit verfasst und am 22. Januar 1963 in Paris feierlich unterschrieben. Der Elysée-Vertrag kann als Krönung der Adenauer'schen Kanzlerschaft verstanden werden. In der fast ausschließlich multilateral ausgerichteten deutschen Außenpolitik stellt er eine Besonderheit dar, und er lässt sich auch mit keinem anderen bilateralen Vertrag vergleichen.
Der Vertragsabschluss erfolgte zu einem Zeitpunkt, da Frankreichs Präsident de Gaulle einen Beitritt Großbritanniens zur EWG grundsätzlich ausschloss.
Der Erfolg des Elysée-Vertrages war mehr als zweifelhaft, begann doch die deutsch-französische Entfremdung bereits unmittelbar nach seinem Abschluss. Der Deutsche Bundestag, der den Staatsvertrag ratifizieren musste, und der in der Bundesrepublik hoch angesehene Jean Monnet, der nach seinem Rücktritt als Präsident der Hohen Behörde der EGKS das Aktionskomitee für die Vereinigten Staaten von Europa gegründet hatte, setzten sich mit ihrer Forderung gegenüber Frankreich durch: Dem deutschen Ratifizierungsgesetz vom Mai 1963 wurde eine Präambel vorangestellt, welche die Verpflichtung zu engen politischen, wirtschaftlichen und verteidigungspolitischen Beziehungen mit den USA, Großbritannien sowie der NATO und zur Wiederherstellung der deutschen Einheit gleichermaßen bekräftigte
II. Institutionalisierung der bilateralen Beziehungen
Auch nach Abschluss des Elysée-Vertrages haben sich die deutsch-französischen Beziehungen aufgrund der unterschiedlichen Bedrohungswahrnehmungen beider Länder gegenüber der Sowjetunion erst spät normalisiert. Der Wert des Vertrages liegt vor allem darin, die bilaterale Kooperation sowie die Koordinierung in Politik, Verwaltung und Wirtschaft zum organisatorischen Regelfall gemacht zu haben; zumindest auf höherer Verwaltungsebene wurde die Arbeit beider Länder allmählich synchronisiert.
Das wichtigste Ergebnis des Vertragswerkes bilden die seit 1963 halbjährlich stattfindenden persönlichen Konsultationen auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs. Dabei soll zu aktuellen politischen Fragen eine möglichst konvergente Haltung ausgearbeitet werden. Außerdem treffen sich die Außen- und Verteidigungsminister beider Länder alle drei Monate, leitende Beamte der beiden Außenministerien sogar monatlich. Zudem sieht der Vertrag regelmäßige Treffen zu Fragen von Erziehung und Jugend vor, wobei das Amt des "Bevollmächtigten für kulturelle Angelegenheiten" turnusgemäß der Ministerpräsident eines Bundeslandes innehat. Aus diesen Treffen ging 1964 auch das Deutsch-Französische Jugendwerk (DFJW) hervor.
Mit den beiden Zusatzprotokollen zum Elysée-Vertrag vom 22. Januar 1988, der ersten und bisher einzigen Vertragsrevision, wurde das Netz der gegenseitigen Verpflichtungen durch regelmäßige Arbeitstreffen auf allen institutionellen Ebenen noch enger geknüpft: Ein gemeinsamer Verteidigungs- und Sicherheitsrat, in dem sich die Staats- und Regierungschefs sowie die Außen- und Verteidigungsminister und die Generalstäbe beider Länder mindestens zweimal jährlich treffen, sowie ein Deutsch-Französischer Finanz- und Wirtschaftsrat, in dessen Rahmen vierteljährlich Konsultationen zwischen den Finanz- und Wirtschaftsministern sowie den Zentralbankpräsidenten stattfinden, wurden neu eingerichtet. Sie sollen gemeinsame Konzeptionen entwickeln. Ein Deutsch-Französischer Kulturrat, in dem jeweils zehn führende Persönlichkeiten des Kulturlebens beider Länder vertreten sind, verleiht der Zusammenarbeit auch in diesem Bereich neue Impulse.
Inhaltlich ging es bei den bilateralen Konsultationen bisher vor allem um drei große Themenkomplexe:
- die Suche nach gemeinsamen Positionen in außenpolitischen Fragen, so z.B. im Rahmen der EG/EU, der NATO und sonstigen internationalen Organisationen. Dies soll eine einheitliche Verhandlungsposition in den zuständigen Gremien ermöglichen;
- die Verteidigungspolitik und die Rüstungszusammenarbeit,
- die bewusst in die Zukunft gerichtete Zusammenarbeit in Erziehungs- und Jugendfragen. Sie gründet auf den historischen Erfahrungen. Ein reger Austausch zwischen Schülern, Studenten, Auszubildenden oder sonstigen Berufs- und Interessengruppen soll das Misstrauen gegenüber dem Nachbarn auflösen. Neben dem gesellschaftlichen Austausch sieht der Vertrag daher die Förderung des Sprachunterrichts, die gegenseitige Anerkennung von Hochschuldiplomen und die wirtschaftliche Forschungszusammenarbeit vor.
III. Der Elysée-Vertrag: Eine Erfolgsgeschichte auf Raten?
Der Schwerpunkt der europäisch-amerikanischen Beziehungen verlagerte sich im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs Europas seit den siebziger Jahren zunehmend auf die Wirtschaftspolitik. Die Institutionalisierung der deutsch-französischen Wirtschaftskooperation im Rahmen der gemeinsamen Währungspolitik, des Europäischen Währungssystems (EWS) und des Deutsch-Französischen Finanz- und Wirtschaftsrates sowie die zunehmenden industriellen Kapitalverflechtungen verstärkten die europäische Verhandlungsposition gegenüber den USA und führten zu einem Aufschwung in den deutsch-französischen Beziehungen
Je weitreichender die Kompetenzen Brüssels wurden, desto stärker grenzten sie auf der einen Seite den Verhandlungsspielraum Deutschlands und Frankreichs ein; viele Leitlinien wurden mittlerweile von der EG/EU vorgegeben, nach denen sich beide Partner richten mussten. Auf der anderen Seite wuchsen beide Länder in die Rolle des europäischen Integrationsmotors hinein, von dem wichtige Impulse für die Vertiefung der Gemeinschaft ausgingen. So entstand eine Wechselbeziehung zwischen Bonn und Paris einerseits sowie der EG/EU andererseits; der schon von de Gaulle gestellten Frage nach der zukünftigen Architektur Europas konnten beide Länder jedoch lange ausweichen.
In sicherheits- und verteidigungspolitischen Fragen war die Zusammenarbeit im Rahmen des Elysée-Vertrages wegen der gegensätzlichen Ausrichtung der Politik gegenüber den USA bis in die achtziger Jahre von Unstimmigkeiten und Blockaden gekennzeichnet. Zwar sprach das Scheitern der EVG keineswegs grundsätzlich gegen eine Verteidigungskooperation; die Sicherheits- und Verteidigungspolitik sollte auch im deutsch-französischen Freundschaftsvertrag im Mittelpunkt stehen. Die weit auseinander liegenden Ansätze beider Staaten führten aber zunächst nur zu einer begrenzten Zusammenarbeit: Während de Gaulle eine europäische, antiamerikanische Verteidigungspolitik anstrebte, setzte Adenauer nicht zuletzt aufgrund der multilateralen Verpflichtungen der Bundesrepublik und deren Vorzügen auf die Zusammenarbeit mit den USA.
Paris sah zudem die Gefahr, dass die Bundesrepublik im Sinne einer engeren Anbindung an Moskau nach Osten abdriften könnte - besonders vor dem Hintergrund der Verständigungspolitik von Willy Brandt. Es wollte den Nachbarn daher stärker in die westliche Gemeinschaft einbinden. Bonn hingegen versuchte darauf hinzuwirken, dass die eigenen Interessen in der französischen Ostpolitik stärker Berücksichtigung fanden.
Neben den außen- und machtpolitischen Interessen waren sicher auch die zwischenmenschlichen Sympathien der Staats- und Regierungschefs beider Länder ein weiteres Erfolgsrezept des "couple franco-allemand". So kam es jenseits der parteipolitischen Couleur immer wieder zu einer weitgehend harmonischen und emotional freundschaftlichen Zusammenarbeit. Genannt seien hier die Paare Adenauer - de Gaulle, Schmidt - Giscard d'Estaing oder Kohl - Mitterrand. Allerdings kann das zwischenstaatliche Verhältnis auch leiden, wenn die "Chemie" zwischen den Partnern nicht stimmt, was offensichtlich bei Willy Brandt und Georges Pompidou sowie gegenwärtig bei Gerhard Schröder und Jacques Chirac der Fall war bzw. ist.
Aber nicht nur die Arbeit auf höchster zwischenstaatlicher Ebene hat die deutsch-französische Partnerschaft bisher geprägt; sehr wichtig ist auch die Zusammenarbeit auf der bürgernahen Ebene. Kommunalverwaltungen und gesellschaftliche Institutionen wie Vereine, Jugendwerke und Universitäten sowie unzählige Städtepartnerschaften haben ihren besonderen Anteil an der Festigung der Beziehungen.
Nicht allein die formalisierte Regierungszusammenarbeit macht also den Kernbestandteil des Elysée-Vertrages aus. Auch die Zivilgesellschaft mit der unübersehbaren Vielfalt ihrer Netzwerke erhielt nach der Aussöhnung ein größeres Gewicht.
IV. Strukturelle Veränderungen seit der Wiedervereinigung
Eine Zäsur in den deutsch-französischen Beziehungen stellt das Ende des Ost-West-Konflikts dar. Deutschland war wiedervereinigt, die Bedrohung und der Wettstreit mit dem Osten waren entfallen, die USA blieben als einzige Weltmacht übrig. Das geopolitische Machtverhältnis zwischen Deutschland und Frankreich hatte sich gewandelt: War Deutschland zuvor auf politischer Ebene stets der Juniorpartner gewesen, so hatte es nach der Vereinigung eine weit größere Einwohnerzahl und Fläche aufzuweisen als in der Vergangenheit. Dies stellte die bisherigen Parameter der deutsch-französischen Zusammenarbeit in Frage: Paris sah sich durch die anstehende Osterweiterung der EG/EU zunehmend an den geographischen Rand Europas gedrängt, während Berlin nun im Zentrum stand und quasi als Bindeglied zwischen Ost und West fungierte. Diese neue Konstellation veränderte die Rolle und das Gewicht Deutschlands erheblich; Frankreich musste nun seinerseits befürchten, zum Juniorpartner degradiert zu werden. Aus Sicht der politischen Eliten in Deutschland war dagegen erstmals eine Gleichwertigkeit mit Frankreich erreicht.
Um die erfolgreiche bilaterale Kooperation nicht zu gefährden, setzten beide Seiten auf eine verstärkte europäische Integration: Im Rahmen der Maastrichter Beschlüsse von 1992, welche die EU begründet hatten, wurde die Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) sowie die Einführung einer gemeinsamen Währung für alle teilnehmenden Länder beschlossen. Der Euro ist das wichtigste Projekt der deutsch-französischen Zusammenarbeit der vergangenen Dekade.
Doch auch diese freiwillige Vergemeinschaftung der nationalen Währungspolitik konnte die weiterhin bestehenden Divergenzen zwischen der Bundesrepublik und Frankreich nicht überdecken. Denn im Gegenzug drängte Deutschland auf eine baldige Erweiterung der EU nach Osten, während Frankreich eine weitere institutionelle Vertiefung als vorrangig ansah - nicht zuletzt, um eine Machtverschiebung zugunsten Deutschlands zu verhindern oder zumindest zu verzögern.
Würde sich ein solches Szenario bewahrheiten, wäre die Zusammenarbeit in der EU in Zukunft immer mehr auf ein intergouvernementales Niveau herabgestuft. Um dies zu verhindern, erscheint die Führungsrolle Deutschlands und Frankreichs innerhalb der Union umso wichtiger. Die beiden Länder haben bereits in der Vergangenheit entscheidende Impulse zur Integration gegeben: Mit einer vorab zwischen Deutschland und Frankreich bilateral abgestimmten Position wurde in den multilateralen Regierungskonferenzen oft ein großer Schritt hin zu einem Kompromiss innerhalb der Gesamt-EU getan.
Dennoch haben die regelmäßigen Konsultationen nicht verhindern können, dass der deutsch-französische Motor seit Maastricht ins Stottern geraten ist.
Frankreich konnte sich letztlich durchsetzen, und die Parität wurde beibehalten - aber um welchen Preis? Die geforderte zusätzliche Stimme für Deutschland im Ministerrat hätte den dortigen Entscheidungsprozess wohl kaum beeinflusst. Die Bedeutung liegt in der Symbolik. Die Bundesrepublik hätte damit aus französischer Sicht auch die politische Führungsrolle in Europa übernommen, und das traditionelle System der deutsch-französischen Gleichwertigkeit wäre zerfallen. Das französische Nein war daher nicht nur eine Frage des nationalen Selbstverständnisses, sondern auch Ausdruck der unterschiedlichen europapolitischen Präferenzen. Während die Deutschen die EU am liebsten nach ihrem föderalen Regierungssystem formen würden, verharren die Franzosen in der Denktradition der zentralistisch verfassten, homogenen Staatsnation: Europäische Institutionen können demnach nicht autonom von den Mitgliedstaaten agieren, solange es keine einigende europäische Nation gibt. Diese divergierenden Denkmuster sind der eigentliche Grund für das Stocken des deutsch-französischen Motors in der vergangenen Dekade.
V. Zur Zukunft des Elysée-Vertrags
Vor diesem Hintergrund ergeben sich für die Zukunft der deutsch-französischen Beziehungen zwei Szenarien:
- Der Intergouvernementalismus setzt sich durch, und Frankreich fällt in das überwunden geglaubte Gleichgewichtsdenken zurück. Dies würde unvermeidlich die Herausbildung von gegensätzlichen Lagern fördern, was Paris und Berlin langfristig entfremden könnte. Wechselseitige, historisch bedingte Fehlwahrnehmungen (besonders aus Sicht der französischen Regierung und Eliten) wären die Folge mit unmittelbaren Blockaden in der europäischen Politikgestaltung.
- Die politisch erwirkte Parität zwischen Berlin und Paris drängt beide Länder in das Lager der "Großen", die gegen die "Kleinen" - die Kleinst- und Mittelstaaten in der EU - opponieren, um nicht von diesen majorisiert werden zu können. Lagerübergreifende Kompromisse wären ebenso erschwert und würden stark an die historische Gemengelage im einstigen Deutschen Bund erinnern.
In jedem Fall ist der deutsch-französische Konsens, wie er bisher im Elysée-Vertrag einen Rahmen gefunden hat, durch die Veränderungen des politischen Umfeldes ernsthaft unter Druck geraten. Zentrale Akteure wie Frankreichs Staatspräsident Chirac und sein Außenminister Dominique de Villepin, aber auch Bundeskanzler Schröder hatten zunächst eine Neufassung ("refondation") des bisherigen Gründungspakts gefordert. Dieser sollte die bilateralen Beziehungen auf ein neues Kooperationsniveau heben, das durch eine gehaltvolle politische Erklärung zur Finalität der europäischen Integration abzusichern sei.
Von anderer Seite wurde dagegen die Auffassung vertreten, ein Zusatzprotokoll würde diesem Ziel bereits entsprechen. Der altbewährte Elysée-Vertrag füge sich bestens als eine flexible Konstante in die erweiterten Beziehungen ein.
Unter der Fragestellung "Welches Europa wollen wir?" haben die Koordinatoren auf dem 79. Deutsch-Französischen Gipfel in Schwerin im Juli 2002 eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet. Diese sollen helfen, das zukünftige europäische Profil ("l'Europe-puissance") der deutsch-französischen Partnerschaft zu schärfen. Angestrebt wird
- ein offenes Europa, das zwar seine historische Identität zu wahren versteht, sich aber auch den globalen Herausforderungen stellt;
- ein Europa, das seine Einheit bejaht, ohne restaurativ zu wirken;
- ein selbstbewusstes Europa, das Platz für nationale und regionale Besonderheiten lässt;
- ein Europa auf der Grundlage der deutsch-französischen Partnerschaft, die ihren historischen Eigenwert behält;
- ein Europa der Bildung und Erziehung, das weniger materiellen Interessen als der menschlichen Kommunikation dient.
Hierzu haben die Koordinatoren ein Vorbereitungskomitee angeregt, das zusammen mit den Länderbevollmächtigten im Jubiläumsjahr zahlreiche Veranstaltungen planen soll.
In den letzten beiden Monaten des Jahres 2002, insbesondere nach den Bundestagswahlen in Deutschland, haben die Treffen auf oberster Ebene deutlich zugenommen. Der intensive Austausch gründet auf die Einsicht der Verantwortlichen in Berlin: "Zweck hat es nur, etwas gemeinsam mit Frankreich zu machen".
Die Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag des Elysée-Vertrags sollen den Planungen des Schweriner Gipfels und der Blaesheim-Runde in Storkow zufolge zum Anlass genommen werden, die vorhandenen Instrumentarien - insbesondere die regelmäßigen Treffen - intensiver als bisher zu nutzen und so das Arbeitsklima zwischen beiden Ländern zu verbessern.
Fortschritte auf zentralen Feldern der Europapolitik könnten die bilaterale Zusammenarbeit entscheidend wiederbeleben:
- Im Bereich von Sicherheit und Rüstung hat sich die Institutionalisierung des gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungsrates nie richtig entwickelt. Die Teilnahme erscheint den Verantwortlichen in beiden Ländern eher als lästige Pflicht denn als notwendige Abstimmung. Daher können die bisherigen Institutionen nur wenig zur Überwindung der Interessengegensätze in diesem Bereich beitragen. Ein kleines Sekretariat aus wenigen Ministerialbeamten beider Länder ist nötig, das als ständige Kontaktstelle den rechtzeitigen Informationsaustausch zwischen den Regierungen sicherstellt und vor unliebsamen Überraschungen schützt. Folglich ist es nur zu begrüßen, wenn deutsch-französische Vorschläge in diese Richtung gehen.
- Ein weiteres Feld gemeinsamen Handelns stellt die Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion dar. Gerade in der Haushalts- und Steuerpolitik wäre Deutschland gut beraten, wenn es der französischen Initiative für eine stärker institutionalisierte makroökonomische Koordinierung auf europäischer Ebene folgen würde. Auch in der Standort- und Ordnungspolitik sowie im gemeinsamen europäischen Wirtschafts- und Sozialraum, in der Wettbewerbspolitik und der sozialen wie regionalen Kohäsion liegen noch weitgehend unbeachtete Potenziale für den gemeinsamen Ausbau einer europäischen sozialen Marktwirtschaft.
- Schließlich ist die Zusammenarbeit auf Regierungsebene unbedingt durch Institutionen der Zivilgesellschaften zu ergänzen. Gerade die Arbeit im EU-Konvent bietet eine besondere Gelegenheit für gesellschaftliche Organisationen, europäische Parteien
Allerdings stößt das deutsch-französische Tandem immer dann an seine Grenzen, wenn divergierende Einstellungen zu den Grundfragen des politischen Systems (Nationsbegriff, Staatsstruktur, Regierungssystem) aufeinander prallen.