Einleitung
In den USA wirken sich religiöse Einstellungen der Bürger auf das politische Wahlverhalten aus wie in keiner anderen Demokratie des "Westens". Religiös-moralische Orientierungen waren bei den Kongress- und Präsidentschaftswahlen 2004 einmal mehr ein entscheidender Faktor. Welche Rolle spielen christlich-rechte Interessengruppen bei der Beschaffung republikanischer Mehrheiten im Kongress und für das Weiße Haus? Gelingt es der so genannten "religiösen Rechten",
Religion und Politik in den USA
Die religiöse Landschaft der USA ist durch Vielfalt geprägt, wobei die Anteile der verschiedenen Konfessionen an der Gesamtbevölkerung in den vergangenen Jahrzehnten relativ konstant geblieben sind:
Der Anteil der säkular orientierten Bevölkerung hat sich seit Mitte der sechziger Jahre beinahe verdoppelt und beträgt heute 16,3 %. Dieser Säkularisierungstrend gab überzeugten Glaubenshütern - vor allem evangelikalen Protestanten - Anlass, der gesellschaftlichen "Dekadenz" und dem "Verfall moralischer Werte" entgegenzuwirken. Evangelikale Protestanten, vor allem die Traditionalisten unter ihnen, haben eine auf das Jenseits gerichtete individuelle Heilserwartung, lehnen sozialreformerische Ideen ab und engagieren sich dafür, traditionelle Glaubenssätze und -praktiken zu bewahren und gegen die Moderne und den Liberalismus zu verteidigen. "Rechtgläubige" (true believers)
Die Distanz zwischen Religion und Politik wurde in den letzten drei Jahrzehnten deutlich geringer:
Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Konfession ist oft ein Indiz für die politische Einstellung der Menschen, die ihr angehören. Die Tiefe der persönlichen Überzeugung und der Grad des Engagements sind weitere wichtige Indikatoren. "Engagierte" Vertreter unterscheiden sich von "anderen" durch Häufigkeit von Kirchenbesuch und Gebet, die herausragende Bedeutung, die sie dem Glauben für ihr eigenes Leben zumessen, und das Festhalten an traditionellen Glaubenssätzen wie zum Beispiel den Glauben an Himmel und Hölle.
Diese Koppelung ist den Wahlkampfstrategen des Präsidenten nicht verborgen geblieben. Ihr Kopf Karl Rove genießt das Vertrauen des Präsidenten. "An erster Stelle", so Rove, "existiert ein großer Unterschied (im politischen Verhalten) bei religiösen Menschen. (...) Man hat dies in den Umfragen der Wahlen 2000 gesehen, bei denen regelmäßige und häufige Kirchgänger mit überwältigender Mehrheit Bush wählten. Sie bilden einen wichtigen Teil der republikanischen Wählerbasis."
Entsprechend ausgeprägt sind auch Selbstverständnis und Selbstbewusstsein politischer Strategen der so genannten "Christlichen Rechten", wie sich an den Aussagen des christlich-rechten Wortführers und Präsidenten der Organisation American Values, Gary Bauer, ablesen lässt: "Für einige in den liberalen Medien ist die Bezeichnung Christliche Rechte beinahe ein Schimpfwort, aber das ist meiner Meinung nach eine treffende Beschreibung." Tatsächlich handelt es sich laut Bauer "um Leute, die regelmäßig in die Kirche gehen und politisch konservativ sind"
Empirische Regressionsanalysen - mit denen sich der Einfluss bestimmter Faktoren isoliert betrachten lässt - kommen zu dem Ergebnis, dass in den USA "der Einfluss religiöser Zugehörigkeit auf das Wahlverhalten beträchtlich ist und dem Einfluss demographischer Faktoren wie Einkommen und Bildungsniveau gleichkommt"
Im Wahlkampf 2004 wurde deutlich, dass religiöse Motivie eine wahlentscheidende Rolle spielen würden: In einer Umfrage vom November 2003 bekundeten etwa die Hälfte (48 %) der Republikaner oder der ihnen nahe stehenden Wähler, dass Religion ein wichtiger Faktor bei ihrer Wahlentscheidung ist, bei den Demokraten waren es nur 28 %.
Mit Erfolg: Der amtierende Präsident konnte seine ohnehin starke Wählerbasis evangelikaler Christen erweitern. Bushs Wähleranteil unter weißen Evangelikalen erhöhte sich von 71 % im Jahre 2000 auf 76 % bei seiner Wiederwahl 2004 (78 % laut CNN National Exit Polls).
Die von den Republikanern und der Religiösen Rechten angestrebte "moralische Mehrheit" zeichnete sich auch in Umfragen bei den Wahlen ab: Auf die Frage, welches Thema am wichtigsten für die persönliche Wahlentscheidung war, wurden "moralische Werte" am häufigsten genannt, gefolgt von den Themenbereichen Wirtschaft/Arbeitsplätze, Terrorismus und Irak. Amerikaner, denen die Irakfrage und Wirtschaftsfragen am wichtigsten waren, entschieden sich mit überwältigender Mehrheit für den Herausforderer John Kerry. Der amtierende Präsident Bush hingegen fand die größte Unterstützung bei Wählern, denen moralische Wertfragen am Herzen lagen und denen der Terrorismus Sorgen bereitete (vgl. Tabelle 2 der PDF-Version).
Nach der Wahl wurde eine heftige Debatte geführt, ob "moralische Werte" wirklich ausschlaggebend waren. Kritiker der oben genannten CNN Exit Polls führten ins Feld, dass die gewählte Fragemethode mit vorgegebenen Antworten suggestiv gewesen sei und dadurch "moralische Werte" höher eingestuft worden wären, als dies bei offener Fragestellung der Fall gewesen wäre. Ausgewiesene Statistikexperten waren sich in dieser Frage ebenso uneinig. Um die wahlentscheidenden Faktoren genauer zu bestimmen, führte das renommierte Gallup-Institut eine weitere Umfrage durch, in der die Teilnehmer einer Umfrage unmittelbar vor den Wahlen nach dem Urnengang (vom 3. November bis 12. Dezember 2004) erneut befragt wurden - ohne dabei vorgegebene Antwortkategorien zu verwenden. Erwartungsgemäß kamen moralische Gründe insgesamt nicht mehr so häufig zur Sprache (15 %). Eine genauere Analyse der Daten verdeutlichte jedoch einmal mehr, dass die Wähler des Wahlsiegers George W. Bush am häufigsten moralische Werte/religiöse Überzeugungen (mit 25 %) als wichtigstes Kriterium ihrer Wahlentscheidung nannten, gefolgt vom Thema Terrorismus (21 %).
Freilich bleibt es schwierig, diese Themenkomplexe analytisch voneinander zu trennen: Ging Präsident Bush doch auch mit "moralischer Klarheit" (moral clarity) gegen die Terroristen vor und demonstrierte seinen Anhängern Führungsstärke und Entschlossenheit, indem er - anders als sein Herausforderer Senator Kerry, dem Wankelmütigkeit unterstellt wurde - klar zwischen richtig und falsch, ja zwischen "Gut" und "Böse" unterschied.
Symbiose zwischen Republikanern und Christlich-Rechten
"Wenn die Republikanische Partei konservative religiöse Wähler benötigt, so gilt auch umgekehrt: Evangelikale, Sozial-/Moralkonservative und vor allem die Christliche Rechte benötigen die Republikaner. Religiöse Konservative sind am einflussreichsten, wenn sie Teil einer größeren konservativen Koalition sind."
72 % der Evangelikalen glauben denn auch, dass es ihnen gelungen ist, die Gesellschaft zu verändern. Sieben von zehn sind auch davon überzeugt, dass sie Einfluss auf die Politik der Bush-Administration haben. Diese Perzeption ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sich christlich Rechte weiterhin politisch engagieren und mit den Republikanern arrangieren: Jene evangelikalen Christen, die glauben, dass sie "viel Einfluss" auf die Bush-Administration haben, können ebenso vermehrt dem Wählerpotenzial des amtierenden Präsidenten zugerechnet werden.
Diese Entwicklung ist das Ergebnis eines langwierigen Lernprozesses sowohl der republikanischen Parteistrategen als auch der Christlichen Rechten, der sie von den Anfängen fundamentalistischen Sektierertums in ein Stadium des politischen Pragmatismus führte.
Organisation der Religiösen Rechten
Schon in den siebziger Jahren bemühte sich der Katholik Paul Weyrich darum, Gläubige verschiedener Religionen zu einer politischen Ökumene zusammenzuführen. Bei einem Treffen, das der evangelikale Reverend Jerry Falwell 1979 in Lynchburg, Virginia, organisiert hatte, entwickelte Weyrich den Gedanken einer moralischen Mehrheit in Amerika, die es zu organisieren gelte. Die "Moral Majority" war aus der Taufe gehoben. Die religionsübergreifende Bewegung wollte sich im Sinne der gemeinsamen Werteorientierung - "pro-life, pro-family, pro-traditional moral, pro-America und pro-Israel" - politisch engagieren. Abtreibung zum Beispiel war nicht mehr nur ein Thema der Evangelikalen oder der Katholiken, vielmehr war es aus der Sicht dieser politischen Glaubensgemeinschaft ein moralisches, religionsübergreifendes Thema. In den Worten Jerry Falwells verstand sich die "Moralische Mehrheit" nicht nur als christliche Organisation, sie war auch willens, mit jedem zusammenzuarbeiten, "der unsere Ansichten zu Familie, Abtreibung, starker militärischer Verteidigung und Israel teilt"
Selbst wenn die Organisation der "Moral Majority" als solche seit Mitte der achtziger Jahre nicht mehr existiert, wirkt die politische Idee, eine moralische Mehrheit im Lande zu organisieren, in Form verschiedener neuer und professionellerer Organisationsformen weiter.
Permanente Kampagne
In den USA ist die Schwäche der Parteien institutionell angelegt. Im Wahlkampf wird ein Abgeordneter oder Senator in seinem Wahlkreis bzw. Einzelstaat nicht primär als Parteivertreter, sondern als politischer Einzelunternehmer wahrgenommen, der nicht zuletzt auch von Interessengruppen auf der Grundlage seines persönlichen Abstimmungsverhaltens finanziert und definiert wird. Mitgliederstarke, gut organisierte Einrichtungen und Interessengruppen haben deshalb durch ihre Wählermobilisierung und ihr effektives Bündeln von Wahlkampfzuwendungen eine starke Stimme in der politischen Debatte und in der Gesetzgebung.
Ein wirksames Mittel, um Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess und die Wiederwahl zu nehmen, sind so genannte "Wählerprüfsteine" (scorecards) und "Orientierungshilfen für Wähler" (voter guides). Die Christian Coalition, die prominenteste Organisation der Christlichen Rechten, ist wie viele andere Interessengruppen darum bemüht, ihre Anhängerschaft auf das Abstimmungsverhalten einzelner Abgeordneter aufmerksam zu machen.
Dieser externe Einfluss ist erheblich, vor allem bei Kongresswahlen. Da US-Abgeordnete und Senatoren keiner Parteidisziplin unterworfen sind, können sie sich auch nicht hinter ihr verstecken. Einzelne Politiker laufen ständig Gefahr, im Rahmen einflussreicher Kampagnen an den Pranger gestellt und gegebenenfalls bei der Kandidatur um eine Wiederwahl persönlich zur Rechenschaft gezogen zu werden. Sie wägen deshalb bei jeder einzelnen Abstimmung gründlich ab, wie sie sich bei den nächsten Wahlen für sie persönlich auswirken könnte.
Themenspezifische Kampagnen, an denen sich oft eine Vielzahl christlich-rechter Interessengruppen, Graswurzelorganisationen und interessengebundener Think-Tanks beteiligen, werden über Netzwerke koordiniert, um den unmittelbaren Einfluss bei der legislativen Willensbildung zu erhöhen und mögliche kontraproduktive Wirkungen abzuschwächen, die den langfristigen Zusammenhalt der republikanischen Wählerkoalition gefährden könnten.
Themen und Netzwerke der Religiösen Rechten
Für die Strategen einer umfassenden republikanischen Wählerkoalition war und bleibt es eine besondere Herausforderung, die Christliche Rechte zu integrieren, ohne dabei andere Wähler zu verlieren. Denn es gilt, ein breites Spektrum von Republikanern - vom wirtschafts- und wertelibertären bis hin zum wertkonservativen, christlich rechten Pol - unter einem Dach zu halten. Strategen der Christlichen Rechten und der Republikanischen Partei konzentrieren sich deshalb auf einigende wirtschafts- und außen-, vor allem sicherheitspolitische Themen.
Republikaner sind sich einig in der Zielsetzung, den Einfluss des Staates auf die Wirtschaft zu reduzieren. "Defunding the government" ist der gemeinsame Nenner: Wirtschaftslibertär überzeugte Republikaner glauben an die unsichtbare Hand des Marktes. Für viele Born-Again-Christians und überzeugte Evangelikale sind persönliche Verfehlungen und unmoralisches Handeln die Ursache für wirtschaftliches Versagen. Die Idee staatlicher Sozialleistung und Wohlfahrt hat in diesem Denken keinen Platz.
Um diese Verbindung zu stärken, haben die Republikaner das moralische Netzwerk der Christlichen Rechten mit dem wirtschaftspolitischen verknüpft. Grover Norquist, Präsident der Americans for Tax Reform (ATR) und Vertrauter Karl Roves, organisiert in seinem zentral gelegenen Büro in Washington ein wöchentliches "Wednesday Meeting" mit mittlerweile 100 bis 150 Amtsträgern der Legislative und Exekutive sowie Vertretern von Interessengruppen und Basisorganisationen, bei dem vorwiegend über fiskal- und außenpolitische Themen diskutiert wird. Das "Lunch Meeting" von Paul Weyrich, Chairman und CEO der Free Congress Foundation, an dem regelmäßig ca. 70 Personen teilnehmen, findet ebenfalls mittwochs in der Nähe des Parlamentsgebäudes auf dem so genannten Capitol Hill statt; hier geht es um moralische Fragen der Sozialpolitik, nationaleSicherheit und andere außenpolitische Themen.
Auch im Parlament wird Politik über Netzwerke Gleichgesinnter oder Gleichinteressierter gesteuert. Aufgrund der schwachen Rolle amerikanischer Parteien im Gesetzgebungsprozess haben im Kongress informelle Gruppen, so genannte "caucuses" oder " congressional member organizations", zentrale Bedeutung. Aus Sicht der Parteiführung sind diese Gruppen berechenbar, besonders wenn es darum geht, bei bestimmten Abstimmungen Mehrheiten einzuschätzen und zu schmieden.
Abgeordnete und Senatoren mit moralisch konservativer, christlich rechter Gesinnung sind im Kongress gut organisiert: Eine der einflussreichsten Gruppen ist das 85 Mitglieder starke "Republican Study Committee" (RSC) im Abgeordnetenhaus. Die Wertkonservativen, eine Gruppe von mittlerweile 60 Abgeordneten, sind im "Value Action Team" (VAT) zusammengeschlossen. Das VAT wird vom Abgeordneten Joseph Pitts geleitet und koordiniert die Positionen verschiedener Interessengruppen, Think-Tanks und anderer externer Akteure im legislativen Prozess. In diesem informellen Netzwerk sind etwa 30 bis 40 Organisationen, insbesondere die christlich rechten, regelmäßig vertreten. Umgekehrt kann die politische Führung im Abgeordnetenhaus Unterstützung an der Basis aktivieren, um Themen mit moralischem Gehalt in ihrem Sinne zu beeinflussen.
Das vor kurzem etablierte Pendant auf der Senatsseite wird von Senator Sam Brownback geleitet und hat einen guten Draht zur Senatsführung.
Die Zirkel auf beiden Seiten des Kapitols bestehen zu etwa einem Drittel aus Kongressmitarbeitern und zu zwei Dritteln aus Externen: Graswurzelorganisationen, Interessengruppen, Lobbyisten und Think-Tanks.
Außenpolitik
Moralische Positionen spielen auch in der Außenpolitik eine zunehmende Rolle. Indem Strategen der Republikaner heiklen Themen wie Aids oder Abtreibung die Spitze in der innenpolitischen Auseinandersetzung nehmen und die Themen in die außenpolitische Arena verschieben, entstehen neue Betätigungsfelder für die Christliche Rechte, ohne dass dabei gemäßigtere Wähler abgeschreckt werden. Auch in anderer Hinsicht spielt Außenpolitik - in der eigenen Wählerkoalition - eine Konsens stiftende Rolle. Mit dem Terrorismus wurde eine neue Bedrohung virulent, die ein enges Zusammenrücken im Kampf gegen den äußeren Feind notwendig erscheinen lässt.
Irakkrieg
Für Präsident Bush und seine Parteigänger war der Waffengang im Irak nur eine weitere Schlacht im langwierigen Krieg gegen den Terrorismus. Dennoch blieben vor der Intervention Zweifel, ob Amerika dem Kurs seines Obersten Befehlshabers geschlossen folgen würde. Die Amerikaner standen nicht einmütig hinter ihrem Präsidenten, sie waren in der Irakfrage geteilter Meinung.
Angesichts der mangelnden parteiübergreifenden Unterstützung war Präsident Bush umso mehr auf den Rückhalt seiner Basis angewiesen. Es hing also sehr viel davon ab, wie er seine Anhänger auf den Waffengang gegen den irakischen Diktator einstimmte. George W. Bush assoziierte schließlich nicht nur die Lage im Irak mit der existentiellen Bedrohung Amerikas durch Massenvernichtungswaffen in den Händen von Terroristen, sondern machte seinen Landsleuten auch die historische Mission Amerikas deutlich: "Wir gehen mit Zuversicht voran, weil dieser Ruf der Geschichte das richtige Land erreicht hat. (...) Die Freiheit, die wir schätzen, ist nicht Amerikas Geschenk an die Welt, sie ist das Geschenk Gottes an die Menschheit. (...) Möge Er uns jetzt leiten. Und möge Er weiterhin die Vereinigten Staaten von Amerika segnen."
Mit seiner wegweisenden Rede zur Lage der Nation wollte der Oberbefehlshaber seine Anhänger auf den Waffengang vorbereiten. George W. Bush ist nicht der erste Präsident, der religiöse Rhetorik bemüht, um seine Politik zu legitimieren und Unterstützung zu mobilisieren. Gerade in Krisenzeiten - Amerika sieht sich seit dem 11. September 2001 im Krieg - fand das Bemühen um eine religiöse Sinngebung immer wieder Eingang in "historische" Reden amerikanischer Präsidenten. Diese Rhetorik ist darüber hinaus identitätsstiftend und rückt das "von Gott beinahe auserwählte" (almost chosen) Amerika (so schon Abraham Lincoln) in die unmittelbare Nähe des auserwählten Volkes Israel.
"Jüdisch-christliche Schicksalsgemeinschaft"
Indem Präsident Bush mit "moralischer Klarheit" gegen Terroristen vorgeht, sehen ihn seine politischen Verbündeten auch fest an der Seite Israels - ein Kernanliegen der christlich-rechten wie der jüdischen Lobby. Vor der Zäsur "9/11" fanden bei allzu deutlicher Parteinahme für Israel vielerorts und selbst im eigenen Lager kritische Stimmen Gehör, die zwischen dem nationalen Interesse Amerikas und jenem Israels differenzierten. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 betonen mehr Amerikaner die "jüdisch-christliche Schicksalsgemeinschaft" und suchen gemeinsam Sicherheit im Kampf gegen den Terrorismus.
Besonders für evangelikale Christen ist das Wohlergehen Israels eine Frage der nationalen Sicherheit Amerikas: "Amerika wird keine freie Nation bleiben, wenn wir Israels Freiheit nicht verteidigen."
Das politische Interesse Christlich-Rechter am Heiligen Land bedeutet, dass "die Pro-Israel-Lobby in den letzten zehn Jahren deutlich stärker geworden ist"
Für Elliott Abrams bleibt es wichtig, dass Juden verstehen lernen, "dass künftig konservative Christen Israels Lobby sein müssen, weil es dafür nicht genug Juden geben wird"
Christlich-rechte Leitfiguren wie Gary Bauer legen ihr ganzes Gewicht in die politische Waagschale, damit gewährleistet wird, dass Israel der terroristischen Bedrohung in gleicher Manier begegnen kann wie Amerika: "Nach unserem Empfinden ist die so genannte Bush-Doktrin für den Umgang mit Terroristen sehr gut: Man soll nie mit Terroristen verhandeln, man soll ihnen nie Konzessionen machen. Jede Nation, die Terroristen beherbergt, unterstützt oder in irgendeiner Weise fördert, ist genauso schuldig wie die Terroristen."
Aids-Hilfe und Abtreibung
Auch in der Aids-Politik betrieb die Christliche Rechte massives Lobbying und fand beim Präsidenten und seinen Beratern ein offenes Ohr: "Frühere republikanische Administrationen erwiderten häufig unsere Telefonanrufe. (...) Diese Administration hingegen ruft uns an, um uns zu fragen: ,Was haltet ihr davon?`"
Das wurde auch bei der Initiative des Präsidenten deutlich, 15 Milliarden US-Dollar zur Verfügung zu stellen, davon fast zehn Milliarden neuer Mittel,
Bei genauerem Hinsehen wird jedoch deutlich: Vor- und außereheliche Enthaltsamkeit haben in dem Gesetz oberste Priorität, ein Drittel der bilateralen Hilfe zur Aids-Prävention soll für Abstinenzprogramme verwendet werden. Es war einmal mehr der Abgeordnete Joseph Pitts (R-PA), Leiter des Value Action Team (VAT), der den entsprechenden Gesetzänderungsantrag im Abgeordnetenhaus einbrachte.
Des Weiteren versagte Präsident Bush dem multinationalen Globalen Hilfsfonds zur Aids-Bekämpfung (Global Fund) eine üppigere Zuweisung von Mitteln. Dafür erhalten nationale religiöse Organisationen mehr staatliche Mittel; ihnen ist es freigestellt, im Kampf gegen die Epidemie auf die Bereitstellung von Kondomen zu verzichten. Indem die Vereinigten Staaten nunmehr auf nationale Hilfskanäle (vor allem die U.S. Agency for International Development, USAID) setzen, können sie die Art der Hilfe kontrollieren: So gehen zum Beispiel auch keine Gelder an Organisationen, die in irgendeiner Form in anderen Bereichen oder Projekten Abtreibung unterstützten. Als einer seiner ersten Amtshandlungen reaktivierte Bush die von seinem Vorgänger Clinton außer Kraft gesetzte "Mexico City"-Politik, wonach es USAID untersagt ist, Gelder an Organisationen zu geben, die in ihren Familienplanungsprogrammen Abtreibung nicht ausschließen.
Im Juli 2003 fror die Bush-Administration den vom Kongress bewilligten
Etablierung eines religiös-moralischen Weltbildes
Ein außenpolitischer Themenfokus ist für Amtsinhaber Bush besonders wichtig, um dauerhafte republikanische Mehrheiten auf religiös-rechter Basis zu gewährleisten. Für die Strategen der Republikaner bleibt es ein schwieriger Balanceakt, die Christliche Rechte gewogen zu halten, ihr Wähler- und Wahlkampfpotenzial zu mobilisieren, ohne dabei die Unterstützung gemäßigter, werteliberaler Republikaner aufs Spiel zu setzen. Die Aufrechterhaltung der Allianz mit der Republikanischen Partei ist auch für die Strategen der Christlichen Rechten nach wie vor eine heikle Gratwanderung: Das Ringen um politische Macht erfordert pragmatische Zugeständnisse. Vor allem in der innenpolitischen Auseinandersetzung läuft man Gefahr, die moralischen Prinzipien preiszugeben, die zur Mobilisierung der eigenen Basis wichtig waren und die insofern eine Grundvoraussetzung für die politische Arbeit bilden.
Konsensfähige außenpolitische Themen sind wichtig, um eine dauerhafte Koalition zu schmieden. Besonders Fragen der nationalen Sicherheit bieten eine tragfähige Plattform, auf der sich konservative Eliten und Wähler verschiedener Richtungen versammeln können - und ein Bindemittel, um die Kohäsion einer breiteren, dauerhaften republikanischen Mehrheit zu gewährleisten. Angesichts der terroristischen Bedrohung scheint ein inneres Zusammenrücken im Kampf gegen den äußeren Feind notwendig.
Karl Rove, der strategische Kopf der Republikaner und Vertraute des Präsidenten, versucht, eine permanente republikanische Mehrheit aufzubauen. Diese strukturelle Mehrheit würde ein "realignment", eine dauerhafte Veränderung der Wählerstruktur und damit des Wahlverhaltens voraussetzen.
Die politische Sprengkraft der Anschläge vom 11. September 2001 wird umso deutlicher erkennbar, wenn man sich vergegenwärtigt, dass frühere massive Umstrukturierungen von Parteiloyalitäten im Gefolge nationaler Krisen erfolgten.
Für den wahrscheinlichen Fall, dass sich der Kampf gegen den Terrorismus noch lange hinziehen wird, werden die Wahlkampfstrategen der Republikaner und vor allem die Christliche Rechte sicherheitspolitische "Existenzfragen" sowie moralische und religiöse Themen im Zentrum der politischen Agenda zu halten versuchen und damit auch den Rahmen für die Auseinandersetzung um die politische Macht in den Vereinigten Staaten festlegen.
Aus der historisch fundierten Perspektive Walter Russell Meads vom Council on Foreign Relations, eines der scharfsinnigsten Beobachter amerikanischer Außenpolitik, bildet das politische Erstarken konservativer evangelikaler und fundamentalistisch-religiöser Bewegungen die Grundlage für ein neuartiges (außen)politisches Establishment. Dieses neue religiöse Establishment werde zusehends versuchen, seiner Weltsicht politische und militärische Kraft zu verleihen: "In dem Maße, wie sich amerikanische Außenpolitik um den Kampf mit Fanatikern im Mittleren und Nahen Osten (Middle East) dreht, die ihrerseits daran glauben, einen religiösen Krieg gegen die Vereinigten Staaten zu führen, wird die religiöse Führung konservativer Protestanten eine Hauptrolle dabei spielen, die Werte und Ideen zu artikulieren, für die viele Amerikaner bereit sein werden zu kämpfen."
Damit bleiben Faktoren eines möglichen "realignment" im nationalen wie internationalen Kontext wirksam. Der Kampf gegen den Terrorismus könnte neue Macht- und Wertestrukturen etablieren, die langfristig wirkmächtig bleiben: Ein derartiges religiöses Establishment würde nicht nur weiterhin versuchen, das Weltbild und den Kurs amerikanischer Außenpolitik zu beeinflussen, sondern auch für den innenpolitischen Rückhalt zur militärischen Durchsetzung seiner Werte sorgen.