Einleitung
"Kein Stein wird auf dem anderen bleiben!" Diese Prognose stellte der Unternehmensberater Roland Berger im Hinblick auf die Perspektiven der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien im 21. Jahrhundert.
Die Frage nach den gesellschaftlichen und politischen Konsequenzen dieses rasanten technologischen Entwicklungsprozesses beschäftigt zwischenzeitlich auch die Politik- wie Verwaltungswissenschaft und stellt sich hier vorrangig als Frage nach den Folgen der computervermittelten Kommunikation für die Demokratie: Wie wirkt sich das neue Medium auf unser repräsentatives System aus? Kann es den Kommunikationsfluss zwischen Institutionen, Bürgern/Bürgerinnen, Parteien und Interessengruppen verbessern? Wird das Internet bestehende Beschränkungen im politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess aufheben oder ihnen zumindest entgegenwirken? Wird es die politische Beteiligung der Bürgerschaft fördern, mehr direkte Demokratie ermöglichen? Oder bedeutet das Internet im Gegenteil eine Gefahr für die Demokratie, zum Beispiel durch die Verbreitung extremer politischer Inhalte? Muss vielleicht ein "elektronischer Populismus" befürchtet werden, der sich auf Informationsdominanz und einseitige Informationen stützt? Die Antworten fallen - in Abhängigkeit vom jeweiligen demokratietheoretischen Standpunkt - höchst unterschiedlich aus und reichen von enthusiastischen bis hin zu eher skeptischen bzw. warnenden Einschätzungen.
Um Aufschluss über die tatsächlichen oder aber vermeintlichen Chancen und Risiken von elektronischer Demokratie (E-Democracy) und virtuellem Regieren (E-Government) zu erhalten, sollen im Folgenden die dem Internet zugeschriebenen Potenziale anhand empirischer Befunde für die Bundesrepublik Deutschland im Einzelnen geprüft werden. Prüfkriterium ist dabei die demokratietheoretische Frage, ob das Internet politische Gleichheit fördert und zu einer Stärkung der politischen Informations-, Diskussions- und Partizipationsschancen der Bürgerinnen und Bürger führt. Der amerikanische Politikwissenschaftler Anthony G. Wilhelm hat die Frage so formuliert: "Ultimately, the question is, will the Internet bring people into the process who have been on the margins of political engagement?"
In modernen Demokratien gilt die Vermittlung von Informationen als eine der zentralen Funktionen der Medien, denn erst auf der Basis von Information und Wissen kann sich der/die Einzelne eine eigene Meinung bilden und verantwortungsvoll am politischen Geschehen teilnehmen. Mit dem Internet steht hier nun ein neues Medium zur Verfügung, das - so die Annahme - zur Verbesserung der Informationslage der Bürger und Bürgerinnen beiträgt. Als spezifische Vorzüge gelten dabei die Verfügbarkeit, Aktualität, Kapazität sowie die Verknüpfung von Informationen. Das Internet bietet mit seiner kommunikationstechnischen Infrastruktur die nie zuvor gekannte Möglichkeit, schnell, günstig und mit geringem Aufwand an Informationen aus nahezu allen Teilen der Welt zu gelangen. Damit verkörpert es nicht zuletzt den unbestreitbaren Bedeutungszuwachs des Faktors Information in der heutigen Wissensgesellschaft. Aber führen diese Vorzüge tatsächlich zu einem besseren Informationsstand der Bevölkerung? Ergibt allein das Vorhandensein von mehr Informationen bereits einen Anstieg der Zahl gut informierter Menschen? Ein Blick auf die vorausgesetzten Basisressourcen, das soziodemographische Nutzerprofil wie die Nutzungsmuster lässt erhebliche Zweifel daran aufkommen.
Grundbedingung für ein Surfen auf dem information highway ist zunächst der Zugang zu einem Netzanschluss. Waren 1997 erst 4,1 Millionen Bundesbürger/innen "im Netz", so erhöhte sich ihre Zahl bis 2001 auf immerhin 24,8 Millionen. Der prozentuale Anteil der Internetnutzer innerhalb der bundesdeutschen Bevölkerung ab 14 Jahren stieg damit von 6,5 auf beachtliche 38,8 Prozent.
Darüber hinaus zeigt das soziodemographische Profil der Internetanwender erhebliche Abweichungen von der Gesamtbevölkerung. Nach wie vor dominiert der formal besser gebildete männliche Nutzer mit überdurchschnittlichem Einkommen in der Altersgruppe der Zwanzig- bis Vierzigjährigen. Eine Minderheit unter den Anwendern stellen dagegen ältere Menschen, formal eher niedrig Gebildete und Nicht-Berufstätige dar. Der "ARD/ZDF-Online-Studie 2001" zufolge sind von den 14- bis 29-Jährigen inzwischen zwei Drittel online. Unter den 50- bis 59-Jährigen dagegen verfügt nur jeder Dritte über einen Netzzugang, und bei den Menschen ab 60 Jahren beträgt der Anteil lediglich acht Prozent.
Zwar hat sich das soziodemographische Profil der Nutzerschaft in den letzten Jahren der Gesamtbevölkerung etwas angeglichen - so stiegen Frauenanteil und Durchschnittsalter, während der Anteil der Studierenden zugunsten von Angestellten gesunken ist
Eine weitere Voraussetzung für die Entfaltung des Informationspotenzials besteht darin, dass politische Informationen wahrgenommen werden müssen, ehe sie Anschlusskommunikation oder partizipative Handlungen bewirken können. Wie Medienanalysen jedoch zeigen, stellen politische Informationen keineswegs das Primärinteresse der Anwender dar. Zwar sind die beiden stärksten Nutzungsmotive für das Internet: "Weil ich mich informieren möchte" und: "Weil es mir Spaß macht",
Im Hinblick auf die Wahrnehmung der Angebote der Parteien im Netz gibt es gleichwohl eine neue Entwicklung. Noch Ende der neunziger Jahre stellten Lutz Hagen und Klaus Kamps fest: "Die Vermutung, Internet und kommerzielle Online-Dienste könnten dazu beitragen, dass Bürger in größerem Umfang direkt auf Informationsangebote - etwa von Behörden oder Parteien - zugreifen, bestätigt sich ... bislang nicht."
Unbestritten jedoch ist, dass Quantität wie Qualität der Online-Angebote besondere Anforderungen an die Kompetenzen der Anwender/innen stellen. Da potenziell jeder zum Informationsanbieter werden kann und von dieser Möglichkeit auch vielfältig Gebrauch gemacht wird, explodiert der Umfang des Angebots im Netz. Die Nutzer stehen somit vor dem Problem, die gesuchte Information aus dem "digitalen Heuhaufen" entweder gar nicht oder nur sehr aufwändig herausfiltern zu können. Zwar erleichtern professionelle Suchmaschinen die Recherche, indem sie die Informationsflut eindämmen, doch die so erhaltenen Daten sind das Ergebnis einer Selektion durch Dritte, so dass das theoretische Prinzip des direkten und ungefilterten Datenzugriffs in der Praxis an seine Grenzen stößt.
Neben der erforderlichen "Navigationskompetenz" benötigen die Nutzer zudem Kompetenzen zur Abschätzung der Relevanz bzw. Zuverlässigkeit der im Netz gewonnenen Informationen. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die Quellen als auch auf die Aussagekraft der Inhalte, über die sich der Anwender ein eigenständiges Urteil bilden muss. Bei dieser Reduktion vom Komplexitität ist das Internet - im Unterschied zu den anderen Medien - nur wenig hilfreich. Medienkompetenz und Wissensmanagement stellen somit wichtige Nutzungsvoraussetzungen dar und beruhen auf sozialen Vorerfahrungen und in anderen Kontexten erworbenen Fähigkeiten.
Die skizzierten anspruchsvollen Kompetenzen konstituieren für Menschen mit einer eher geringen formalen Bildung zweifellos eine hohe Zugangsbarriere, wofür das beschriebene soziodemographische Profil der "Internet-Gemeinde" ein Beleg ist. Eine frühzeitige technologische Sozialisierung der nachwachsenden Generationen mag die Probleme einer effizienten Nutzung des Informationsangebotes zukünftig zwar abmildern; gleichwohl stellt sich grundsätzlich die Frage, warum die Bürgerinnen und Bürger im digitalen Zeitalter auf einmal ein ausgeprägtes politisches Interesse entwickeln und zu gut informierten und bis ins Detail kenntnisreichen Wählern/Wählerinnen werden sollten. Da das Internet die intensive Verfolgung gerade auch nichtpolitischer Interessen erlaubt, ist hier vielmehr mit einer verschärften Konkurrenz für den Bereich der Politik zu rechnen. Insofern erscheint die Prognose des Politikwissenschaftlers Manfred Küchler, dass längerfristig gesehen das politische Interesse in der Bevölkerung eher sinken als ansteigen wird, durchaus plausibel: "Die Schere zwischen einer relativ kleinen Gruppe von politisch interessierten und der großen Mehrheit von politisch bestenfalls mäßig interessierten BürgerInnen wird weiter auseinander gehen; während in der ersten Gruppe der durchschnittliche Kenntnisstand steigen wird, wird er in der zweiten Gruppe fallen."
Das Internet bietet nicht nur eine Fülle von Informationen, sondern es ermöglicht auf Grund seiner Interaktivität zugleich direkte Kommunikation. Die Bürger/Bürgerinnen können sich beispielsweise mit ihren Anliegen direkt an die Parteien, Parlamente, Verwaltungen oder auch ihre Abgeordneten wenden; sie können den Chat in (Partei-) Foren suchen oder aber mit Gleichgesinnten in lose strukturierten virtuellen Gemeinschaften politische Themen diskutieren. Diese wahrhaft neue Errungenschaft markiert den grundlegenden Unterschied zu früheren technischen Innovationen - vor allem Telefon und Fernsehen - und hat zu teilweise hochgespannten Erwartungen geführt.
Politische Entscheidungen würden demnach nicht mehr vorrangig von den politischen Akteuren getroffen, vielmehr wären sie das Ergebnis einer breiten sachorientierten Diskussion auf den verschiedensten Ebenen unseres politischen Systems. Zudem würde der politische Einfluss des/der Einzelnen größer, was "ein geschärftes demokratisches Bewusstsein und Verantwortungsgefühl und insgesamt eine verbesserte Staatsbürgerlichkeit"
Überprüft man diese Erwartungen, dann finden sich dafür allerdings kaum empirische Belege. Die bisherigen Kenntnisse weisen eher in die entgegengesetzte Richtung:
Zunächst ist festzustellen, dass der bereits genannte Vorbehalt im Hinblick auf den Zugang zum Netz als Informationsquelle auch für die Netzkommunikation gilt. Nach wie vor ist die große Mehrheit der deutschen wie der Weltbevölkerung offline und damit von dieser neuen Kommunikationsform ausgeschlossen. Die Onliner selbst zeigen sich an einer direkten Kommunikation zum Beispiel in den öffentlichen Parteiforen oder mit den Abgeordneten bislang nur mäßig interessiert. Zwar schwankt die Zahl der Teilnehmer/innen zwischen den Parteien und je nach Diskussionsthema, gleichwohl ist es letztlich nur ein kleiner Personenkreis, der diese Möglichkeit aktiv nutzt.
Darüber hinaus sind die Effekte ihrer Kommunikation für die Teilnehmenden kaum ersichtlich. Mit Blick auf die Foren der Bundestagsparteien stellt Arne Rogg hier fest, "das die Mehrzahl der Foren zwar redaktionell begleitet, aber nicht wirklich ausgewertet wird und dass selbst dort, wo diese Auswertung stattfindet, sie nicht in die Foren zurück vermittelt wird"
Betrachtet man schließlich noch die Qualität der Diskussionen im Netz, dann stellt sich auch hier Ernüchterung ein. Insbesondere die Annahme, dass auf Grund von Anonymität nur noch das rationale Argument zähle und nicht mehr der soziale Status einer Person, hat sich als Trugschluss erwiesen. Nach Hubertus Buchstein wirkt Anonymität vielmehr als "Schutzschild für verbale Grausamkeiten",
Eine weitere an das Internet geknüpfte Hoffnung richtet sich darauf, die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger am politischen Geschehen zu stärken. Die Befürworter einer elektronischen bzw. digitalen Demokratie nach amerikanischem Muster wollen - in einem grundsätzlich repräsentativen System - mit Hilfe des Internets nicht nur die Informationslage der Bevölkerung verbessern und politische Diskussionen anregen, sondern das Internet auch als Instrument für politische Entscheidungen nutzen und Wahlen zu den Volksvertretungen sowie Abstimmungen über politische Streitfragen durchführen. Zudem wünschen sie, dass erheblich mehr Abstimmungen als bisher stattfinden und die Bürgerinnen und Bürger häufiger zu politischen Sachthemen befragt werden und ihre Meinung in den Prozess der politischen Entscheidungsfindung einfließt. Auf diese Weise könne die Demokratie "direkter" und damit stärker werden. Eine solche Demokratie werde folglich wieder mehr Spaß machen; Politik- und Parteienverdrossenheit würden abgebaut und (Wahl-)Beteiligung angeregt. Darüber hinaus sei die Wahl vom häuslichen Computer aus nicht mit dem Risiko von Zählfehlern und Betrug behaftet, - ein Argument, das angesichts der Probleme bei der Stimmenauszählung im Rahmen der amerikanischen Präsidentschaftswahl durchaus an Bedeutung gewonnen hat.
So faszinierend dieses Bild einer digitalen Demokratie auch scheint, gibt es gleichwohl ernstzunehmende Bedenken. Diese beziehen sich zum einen auf wahltechnische Aspekte, zum anderen auf die unterstellte partizipationsfördernde Wirkung der neuen Medien. Ein computergestütztes Wahlverfahren kann nur dann zur Anwendung kommen, wenn es mindestens ebenso sicher ist wie die bisherige Wahlordnung, das heißt die Grundsätze der allgemeinen, gleichen, freien und geheimen Wahl müssen gewährleistet sein. Diese Bedingungen aber verursachen gegenwärtig noch Probleme, insbesondere was die Geheimhaltung der Wahlentscheidung angeht.
Gewichtiger erscheint demgegenüber der Einwand, ob eine Wahl via Internet tatsächlich die Wahlbeteiligung steigern kann. Gleiches gilt auch für die von den Verfechtern der digitalen Demokratie gewünschte Ausweitung der Abstimmungsangelegenheiten. Führen mehr Abstimmungen über politische Sachthemen zwangsläufig zu einer höheren Beteiligung der Bürger und Bürgerinnen am politischen Entscheidungsprozess und damit zu mehr Demokratie?
Kritischen Stimmen zufolge beruht die These von den partizipationsfördernden Effekten der neuen Medien auf der falschen Annahme, dass die vorherige Nicht-Teilnahme vorrangig ein technisches Problem war.
Jenseits dieser Einflussgrößen ist es jedoch zuallererst die individuelle Ressourcenausstattung, welche die Chancen für eine politische Mitwirkung massiv beeinflusst. Das von Sidney Verba und Norman Nie in den siebziger Jahren entwickelte und nach wie vor gültige Standardmodell besagt: Je höher die Bildung und je qualifizierter der Beruf, desto größer ist die Chance für eine politische Partizipation.
Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse erscheint es überaus fraglich, ob sich allein auf Grund einer neuen Technik gerade ressourcenschwache Bevölkerungsgruppen mobilisieren und in den politischen Prozess integrieren lassen. Solange die gesellschaftlichen Voraussetzungen hierfür fehlen, ist vielmehr auch im Netz eine Reproduktion der bisherigen Muster der politischen Beteiligung zu erwarten - "auf einem neuen technischen Niveau und eventuell mit zunehmender Ungleichverteilung von Partizipationschancen"
Fraglich ist aber auch, ob Onlinewahlen ausschließlich vom privaten PC aus überhaupt wünschenswert sind, stellt doch der Gang zur Wahlurne für die Mehrzahl der Menschen die einzige Form ihrer politischen Beteiligung dar. Diese vollständig in den privaten Raum zu verlagern, würde das Prinzip der Öffentlichkeit von Demokratie verletzen. Dieser Einwand gilt auch dann, wenn die Wähler die Option für Präsenzwahl oder Onlinewahl hätten. In diesem theoretischen Fall würden die "User" zu Hause per Mausklick ihr Votum abgeben, während sich die "Looser" im Wahllokal - und damit in der Öffentlichkeit - träfen. Eine sinkende Wahlbeteiligung wäre bei diesem Szenario wohl sehr wahrscheinlich.
Während im Hinblick auf Wahlen und Abstimmungen im Netz noch keine verlässlichen empirischen Befunde vorliegen, bestätigen erste Untersuchungen zur Beteiligung der Nutzer/innen beispielsweise an Mailinglisten, Newsgroups oder Projekten den Zusammenhang zwischen Online- und Offline-Beteiligung. Die Partizipationsofferten stoßen in der Regel nur auf ein mäßiges Interesse; zudem handelt es sich zumeist nicht um eine nachhaltige und längerfristige Partizipation, sondern eher um eine Ad-hoc-Beteiligung. Solange die politischen Wirkungen des Online-Engagements unklar bleiben, sind die Bürgerinnen und Bürger nur schwer zu einer politischen Beteiligung zu motivieren.
Die genannten Einwände gegen eine vorrangig technikdeterministische Sicht der politischen Partizipation gelten zweifellos auch im Hinblick auf die Befürworter einer direkten Demokratie. Wer die repräsentative Demokratie in eine direktdemokratische transformieren will, muss nicht nur die demokratietheoretische Frage beantworten können, wie in einer komplexen, durch Spezialisierung und Ausdifferenzierung gekennzeichneten Demokratie eine anspruchsvolle und auf gesellschaftlichen Interessensausgleich bedachte Entscheidungsfindung gewährleistet werden kann, sondern er muss auch die vorausgesetzte hohe Partizipationsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger gut begründen können. Die bisherigen empirischen Ergebnisse jedenfalls sprechen eher gegen die These einer unendlichen politischen Beteiligungsbereitschaft der Bevölkerung.
Resümierend bleibt somit festzuhalten: Das Internet stellt zwar eine Vielzahl von Informations-, Kommunikations- und Partizipationsangeboten bereit, doch diese Offerten entsprechen - zumindest derzeit - eher den Bedürfnissen wie Fähigkeiten einer kleinen Minderheit von zumeist gut ausgebildeten Menschen. Wer bereits politisch interessiert, motiviert und aktiv ist, der schöpft auch die neuen Potenziale des Internets aus; wer aber bislang politisch unbeteiligt war, den vermag die neue Technik allein weder zu motivieren noch zu mobilisieren. Insofern trägt das Internet nicht, wie von vielen erhofft, zu mehr politischer Gleichheit bei, sondern reproduziert, ja verschärft soziale Ungleichheit. IV. E-Government
Die vorrangig aus politikwissenschaftlicher Sicht dargestellten Erwartungen wie Einwände gegenüber dem Internet gelten weitgehend auch für das Verhältnis von Bürgern/Bürgerinnen und öffentlicher Verwaltung. Unter E-Government ist dabei generell "die Optimierung von Verwaltungsprozessen durch den Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien im öffentlichen Sektor zu verstehen"
Seit September 2000 gibt es zumindest für den Bund das Programm "BundOnline 2005", wonach alle internetfähigen Dienstleistungen der Verwaltungseinrichtungen des Bundes bis zum Jahr 2005 online verfügbar sein sollen.
An solchen Transaktionen aber fehlt es bislang; zudem bestehen in der Bevölkerung an der Sicherheit online übermittelter persönlicher Daten wie Kreditkarten- oder Kontonummer derzeit noch erhebliche Zweifel. "85 Prozent der Bundesbürger halten das Internet für zu unsicher, um damit online behördliche Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen"; zu diesem Ergebnis kommt die repräsentative Studie "Government Online 2001" von TNS EMNID.
Festzuhalten bleibt hier: Auch im Hinblick auf die Schnittstelle Bürger/Bürgerinnen und Verwaltung bietet das Internet neue Chancen zum bürgerschaftlichen Empowerment. Gleichwohl sind insbesondere die interaktiven Potenziale noch längst nicht ausgeschöpft; Verwaltungsabläufe müssen vollständig auf elektronischer Basis abgewickelt werden können, und eine wirkliche Einflussnahme der gesellschaftlichen Akteure muss seitens der Verwaltung gewollt und umgesetzt werden. "E-Government wird sich nur verwirklichen lassen, wenn dieser Prozess tatsächlich zu einem Reengineering des öffentlichen Sektors führt und dabei der Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien im Zusammenhang mit den finanziellen und organisatorischen Reformen der öffentlichen Verwaltung gesehen wird."
Die deutsche Konsens- und Verhandlungsdemokratie ist durch eine deutliche Skepsis gegenüber den Informations- und stärker noch den Partizipationsansprüchen der Bürgerinnen und Bürger geprägt. Im Unterschied zu den USA, aber auch zu Schweden gilt freedom of information bislang nicht als Bestandteil unserer politischen Kultur,
Grundvoraussetzung für "mehr Demokratie via Internet" ist somit der politische Wille, die Bevölkerung stärker am politischen Prozess zu beteiligen. Im Hinblick auf die neuen Informations- und Kommunikationsmedien ergeben sich hier im Einzelnen folgende Konsequenzen:
(1) Eine der wohl wichtigsten Herausforderungen der Politik besteht darin, für gleiche Beteiligungschancen aller Bürgerinnen und Bürger zu sorgen. Da derzeit nur eine Minderheit vernetzt ist und sich unter den neuen Bedingungen informieren wie artikulieren kann, muss die Politik zunächst einen universellen Zugang zu Informationen und Wissen ermöglichen. Zentrale Aspekte dieser "informationellen Grundversorgung" sind der Abbau von finanziellen und technischen Zugangsbarrieren.
(2) Eine annähernd gleiche Versorgung mit moderner Medieninfrastruktur ist zwar wichtige Voraussetzung, aber keineswegs schon Gewähr für eine politisch-mediale Chancengleichheit. Erforderlich sind darüber hinaus vielmehr gezielte Anstrengungen zur Vermittlung einer spezifischen Medienkompetenz.
Politikbezogene Medienkompetenz bedeutet generell die Fähigkeit, sich kritisch-reflektierend, selbstbestimmt und verantwortungsbewusst in der Medienwelt zu bewegen und die Medien für eine eigenständige Meinungsbildung wie ein eigenständiges Handeln zu nutzen. Eine solche Medienkompetenz basiert auf einem Grundwissen über politische Zusammenhänge sowie die Rolle der Medien als Vermittler wie Akteure im politischen Prozess; sie ist folglich als Schlüsselqualifikation integraler Bestandteil einer demokratischen BürgerInnenkompetenz.
Die neuen Optionen, die das Internet eröffnet, werden nur dann demokratisch genutzt werden, wenn der Umgang mit ihnen auf neue Fähigkeiten trifft, sie anzuwenden. Insbesondere die politische Bildung ist aufgefordert, hier entsprechende Konzepte und Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen.
(3) Neben diesen Konsequenzen müssen aber nicht zuletzt Politik und Verwaltung selbst die neuen technischen Möglichkeiten positiv aufnehmen und in den politischen Gestaltungsprozess einbinden. Das heißt konkret:
- Das Informationsangebot muss ausgeweitet und vervollständigt werden; über politische Planungs- und Entscheidungsprozesse muss mehr Transparenz hergestellt werden, indem beispielsweise bisher nichtöffentliche oder halböffentliche parlamentarische Diskussions- und Abstimmungsprozesse einer medialen Öffentlichkeit verstärkt zugänglich gemacht werden. Dabei ist auf eine auch für interessierte Laien verständliche Darstellung zu achten, die nicht nur Fakten präsentiert, sondern auch Zusammenhänge erläutert.
- Die sicherlich weitreichendsten Demokratiepotenziale der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien liegen allerdings in den bislang kaum umgesetzten partizipativen und interaktiven Möglichkeiten. Wenn den Beteiligungsansprüchen der Bürgerschaft tatsächlich Rechnung getragen werden soll, dann müssen seitens der politischen Institutionen erstens mehr interaktive Angebote im Netz offeriert werden, die statt der "top-down-Kommunikation" eine von "unten" nach "oben" gerichtete Einflussnahme ermöglichen. Erforderlich sind zweitens qualitätssichernde Mechanismen sowie eine thematische Fokussierung der politischen Kommunikationsströme im Netz. Gut konzipierte und sachkundig moderierte Diskussionsforen könnten hierzu einen Beitrag leisten. Und drittens muss die Frage gestellt und beantwortet werden, wie digital vermittelte Beteiligungsinputs zu entscheidungsfähigen Alternativen umgeformt werden können. Politische Diskurse und Beteiligung, die um ihrer selbst willen stattfinden und ohne erkennbare Wirkung auf den Entscheidungsprozess bleiben, stellen letztendlich eine folgenlose Partizipation dar und sind für eine nachhaltige Mobilisierung der Bürgerinnen und Bürger kaum geeignet.
Die Politik ist somit vor die Herausforderung gestellt, die durchaus vorhandenen Demokratisierungspotenziale der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien zur Entfaltung zu bringen und sie demokratieverträglich in unser politisches System einzubinden. Ob am Ende eine digitale Demokratie steht und wie diese konkret aussieht, kann heute noch niemand beantworten. Die Optionen für "mehr Demokratie" jedenfalls sind vorhanden.