I. Einführung
Die Beschäftigung mit dem Thema Rechtsextremismus unterliegt Konjunkturen. Wahlerfolge und medienwirksame Ereignisse lösen - z. B. auf Grund spektakulärer Anschläge - Wellen öffentlicher Auseinandersetzung aus. Die anhaltende Intensität zumeist fremdenfeindlich motivierter Gewalt verleiht der Frage nach organisatorischen und ideologischen Hintergründen besondere Brisanz. Neben der Diskussion um das NPD-Verbot bildet die Erörterung möglicher Gefahren der intellektuellen "Neuen Rechten" einen Schwerpunkt. Fragen wie die folgenden drängen sich auf: Was versteht man unter der "Neuen Rechten"? Seit wann gibt es sie? Welche Ideen und Konzepte werden von ihr vertreten? Liefern Schreibtischtäter die Handlungsvorlagen für jugendliche Brandstifter und Totschläger? Welchen Einfluss üben rechtsextreme Intellektuelle aus?
Die Beantwortung dieser Fragen wird durch die Schwammigkeit der Formel von der "Neuen Rechten" erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht. Von der "Neuen Rechten" spricht man schon so lange, dass Zweifel an der Neuigkeit des Phänomens nahe liegen. Und was heisst "Rechte"? Sind damit alle gemeint, die sich nicht als "Linke" verstehen? Was "links" ist, hängt wiederum vom politischen Standort des Betrachters ab. Je weiter "links" er sich selbst verortet, desto mehr "Rechte" nimmt er wahr. Oft dient die Formel als Kampfbegriff mit kollektiven Schuldzuschreibungen an die Adresse von "Nationalkonservativen", "Neoliberalen", "Globalisierungsverfechtern" oder Befürwortern einer verstärkten Immigrationskontrolle.
Um dieses Problem zu vermeiden, wird von einer "Neuen Rechten" in der folgenden Darstellung nur gesprochen, wenn es sich um Formen eines intellektuellen Rechtsextremismus handelt. Mit diesem Begriff werden politische Diskurse, Programme und Ideologien erfasst, die sich implizit oder explizit gegen grundlegende Werte und Verfahrensregeln demokratischer Verfassungsstaaten richten (Extremismus) und - im Gegensatz zu radikal-egalitären Strömungen (Linksextremismus) - das Ethos fundamentaler Menschengleichheit nicht anerkennen (Rechtsextremismus). Die Einstufung von Ideen und Orientierungssystemen als rechtsextrem erfolgt mithin am Maßstab des demokratischen Verfassungsstaates und sagt zunächst einmal weder etwas über die intellektuellen Qualitäten (gemessen etwa an Originalität, logischer Stringenz und Erklärungskraft) noch etwas über die moralische Integrität (gemessen etwa an Idealismus und Überzeugungstreue) derer aus, die sie vertreten. Die angesichts von "Auschwitz" nahe liegende Annahme, es handele sich um intellektuelle Monster, führt aus mehreren Gründen in die Irre. Sie unterstellt ein simples Verhältnis zwischen Gedanken und Taten, reduziert die - geistig vielgestaltige - extreme Rechte auf den Nationalsozialismus und ignoriert die besondere Gefährlichkeit der aus totalitären Diktaturen bekannten und für sie unerlässlichen Gruppe der "Täter mit gutem Gewissen" .
II. Entwicklung des intellektuellen Rechtsextremismus
Im Unterschied zum östlichen Deutschland, wo die sowjetische Besatzungsmacht gemeinsam mit der 1946 gebildeten "Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands" die anfänglich geduldeten Ansätze eines Mehrparteiensystems erdrosselte, boten die westlichen Besatzungszonen und die 1949 aus ihnen hervorgegangene Bundesrepublik Deutschland mit ihrem politischen Pluralismus trotz aller Restriktionen (wie NSDAP-Verbot, Lizenzierungspflicht, Verbot rechtsextremer Organisationen) vergleichsweise günstige Voraussetzungen für die Neuformierung rechtsextremer Vereinigungen und - in deren Umfeld und Einzugsbereich - intellektueller Zirkel. Dabei lassen sich - anknüpfend an das Spektrum des Weimarer Rechtsextremismus - insbesondere deutschnationale (nationalistisch, ultrakonservativ, besitzbürgerlich), völkische (ethno-nationalistisch, biologisch-rassistisch) und konservativ-revolutionäre (nationalistisch, sozial-revolutionär, volksgemeinschaftlich-egalitär) Strömungen typisierend unterscheiden.
Die intellektuell schillernde "Konservative Revolution" der Weimarer Zeit übte - wegen der höheren Aktualität ihrer Konzepte und der (im Vergleich zu den Völkischen) geringeren Belastung durch den Nationalsozialismus und seine Verbrechen - nach 1945 eine gewisse geistige Anziehungskraft aus. Das wichtigste Publikationsorgan, das sich diesen Ideen frühzeitig öffnete, war die 1951 von dem ehemaligen Waffen-SS-Angehörigen Arthur Ehrhardt in Coburg gegründete, noch heute bestehende Zeitschrift "Nation Europa" . Jene Zirkel, die sich zuerst um die Hamburger Zeitschrift "Junges Forum" (gegründet 1964) als "Neue Rechte" formierten (die Bezeichnung selbst tauchte ab 1966/67 auf), erlangten hier Zugang zu einem breiteren Leserkreis. Einer der Gründer, Wolfgang Günther (Pseudonym "Gert Waldmann" ), rief im August 1969 in "Nation Europa" dazu auf, sich die Studentenbewegung zum Vorbild zu nehmen: "Wir müssen von der Neuen Linken lernen. Lernen etwa, dass die Gesellschaft revolutioniert werden muss, dass in der Gesellschaft keine Tradition heilig ist, dass Staat niemals von vornherein gut ist, dass das Establishment auch unser Gegner ist. Lernen auch, dass Unruhe die erste Bürgerpflicht ist, dass nur Aktionen Erfolge bringen." Schon zuvor hatte sich in anderen Fragen ein Konsens zwischen den verschiedenen Zirkeln gebildet. Die Überwindung der "Massengesellschaft", ein "organischer Sozialismus" und die "nationale Wiedergeburt Deutschlands" waren wichtige Programmpunkte. Doch während die Neue Linke ins Zentrum öffentlicher Aufmerksamkeit trat, blieben die neu-rechten Zirkel ein unbedeutendes und unbekanntes Randphänomen.
Während im Januar 1969 in Frankreich mit dem "Groupement de Recherche et d'Etudes pour la Civilisation Européenne" (G.R.E.C.E.) eine effektive organisatorische Basis entstand, die im folgenden Jahrzehnt temporäre publizistische Durchbrüche der "Nouvelle droite" ermöglichte, blieb die deutsche "Neue Rechte" in den siebziger Jahren ganz in deren Schatten. Der angesichts des wahlpolitischen Niedergangs der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) 1972 ins Leben gerufenen "Aktion Neue Rechte" (ANR) war auf Grund personeller und ideologischer Konflikte kein langes Leben beschieden. Die aus ihr hervorgegangenen Splitter ließen sich Ende der siebziger Jahre drei Richtungen zuordnen: den an links-alternativen Vorbildern orientierten Nationalrevolutionären ("Aufbruch"), den ökologischen Wertkonservativen ("wir selbst") und den Konservativ-Revolutionären mit Armin Mohler als geistigem Wegbereiter.
Der publizistische Wirbel um die "Nouvelle droite" in den französischen Medien erhöhte Ende der siebziger Jahre deren internationale Resonanz. Am rechten Rand angesiedelte Verlage wie "Grabert" (Tübingen) und "Sinus" (Krefeld) veröffentlichten Bücher von "Nouvelle droite"-Repräsentanten wie Alain de Benoist, und in Kassel gründete Pierre Krebs mit dem Thule-Seminar eine Art G.R.E.C.E.-Dependance. Sie erhielt allerdings niemals die Approbation aus Paris. Dafür bot die von ihm edierte, pathetisch-schwülstig wirkende Zeitschrift "Elemente" intellektuell zu magere Kost. Statt dessen verzeichneten informelle Zirkel "Konservativer Revolutionäre", ermutigt von der politischen "Tendenzwende" zu Beginn der achtziger Jahre, gewisse Geländegewinne im Übergangsfeld vom etablierten Konservativismus zum Rechtsextremismus. Das von Antonio Gramsci entlehnte strategische Ziel der Erlangung "kultureller Hegemonie" blieb dennoch in weiter Ferne.
III. Foren des intellektuellen Rechtsextremismus
Die Vereinigung Deutschlands und der Niedergang des "realen Sozialismus" bewirkten - im Gegensatz zu den Befürchtungen mancher Beobachter - keine Renaissance des Nationalismus. Der wichtiger Agitationsthemen (deutsche Teilung, Antikommunismus) beraubte intellektuelle Rechtsextremismus blieb im publizistischen Ghetto. Die "Intellektualisierung" regional zeitweise erfolgreicher Rechtsaußenformationen wie der "Republikaner" (REP) scheiterte schon an der populistisch schwer ausbeutbaren Sperrigkeit (z. B. Neuheidentum) neurechter Konzepte. Aus dem 1986 gegründeten Freiburger Studentenblatt "Junge Freiheit", das sich längere Zeit im Kielwasser der Schönhuber-Partei bewegte und sich aus dem neurechten Ideensteinbruch intellektuell versorgte, wurde 1994 zwar eine regelmäßig erscheinende Wochenzeitung. Sie erreichte mit einer verkauften Auflage von 36 000 Exemplaren (Ende 2000; eigene Angaben) aber nur eine bescheidene Verbreitung. Zudem musste sich die Redaktion zur Vergrößerung des Lesepublikums politisch mäßigen, den Informationsgehalt erhöhen und hartnäckige Verfechter eines nationalistischen Kampfjournalismus entlassen. Angesichts der Spaltung der französischen "Nouvelle droite", wie sie sich in der Diskussion um das 1999 veröffentlichte "Manifest 2000" abzeichnete, öffnete sich das Blatt verstärkt für jene Vertreter wie Alain de Benoist, die den ethnischen Determinismus zu Gunsten eines "differenzialistischen Antirassismus" ("weder Apartheid noch melting-pot, sondern Annahme des Anderen als Anderen in einer dialogischen Sicht gegenseitiger Bereicherung" ) überwinden wollen.
Neben der "Jungen Freiheit" blieb die schärfer fundamentaloppositionell auftretende Coburger Monatsschrift "Nation Europa" ein publizistisches Resonanzfeld für neurechte Autoren, ohne sich auf dieses intellektuelle Segment zu beschränken. Vielmehr fungierte sie weiterhin als Forum des gesamten "nationalen Lagers" rechts von der Union. Ende 2000 erschien sie mit einer (geschätzten) Auflage von 15 000 Exemplaren. Der seit einigen Jahren als regelmäßiger Kolumnist tätige frühere REP-Vorsitzende Franz Schönhuber wirbt in der Zeitschrift unermüdlich für eine "nationale Sammlung" aller "patriotischen Kräfte".
Jenseits von "Junger Freiheit" und "Nation Europa" tummeln sich zahlreiche sektiererische Zirkel und Blättchen mit mal esoterischem, mal dogmatisch-kämpferischem Duktus. Der Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz für das Jahr 2000 konstatierte angesichts des anhaltenden Kränkelns mehrerer Publikationsorgane eine "desolate Situation rechtsextremistischer Intellektueller" . Die von Manfred Rouhs in Köln herausgegebene Zeitschrift "Signal - Das patriotische Magazin" (bis 1998: "Europa Vorn", geschätzte Auflage 2000 - 5000) erscheint statt zweimonatlich nur noch vierteljährlich und greift zunehmend auf Nachdrucke andernorts bereits publizierter Beiträge zurück. Pierre Krebs' nach der gleichnamigen "Nouvelle droite"-Zeitschrift benanntes Magazin "Elemente" ("Thule-Seminar") kam 1999 und 2000 überhaupt nicht heraus. Statt dessen startete zur Jahreswende 1999/2000 das ca. 20 Seiten starke Organ "Metapo - Metapolitik im Angriff zur Neugeburt Europas". Angesichts der Spaltung der französischen "Nouvelle droite" nahm es Partei für die ,Hartgesottenen' um Guillaume Faye, die eine Öffnung gegenüber dem "sog. Kommunitarismus" ablehnten und "kompromisslos wie wir das System" bekämpften. Der 1995 ins Leben gerufene nationalrevolutionäre Denkzirkel "Synergon Deutschland", der sich als deutsche Filiale der 1993 von Robert Steuckers und dem ehemaligen GRECE-Generalsekretär Gilbert Sincyr gegründeten "Europäischen Synergien" versteht, schloss sich 1997 mit der "Deutsch-Europäischen Studiengesellschaft" (DESG; gegründet 1972) zusammen. Sie gibt das unregelmäßig erscheinende Mitteilungsblatt DESG-inform heraus (Auflage 2000: rund 1000 Exemplare). "Synergon" begann eine Zusammenarbeit mit dem kleinen Dresdner Verlag "Zeitenwende" und der dort seit 1998 erscheinenden neuheidnischen Zeitschrift "Hagal". Die "Staatsbriefe" Hans-Dietrich Sanders (seit 1990; Verlag Castel del Monte in München) blieben wegen ihrer Verschrobenheit (Reichsidee der Stauferzeit) ohne nennenswerten Einfluss (Auflage 2000: 1000 Exemplare). Auch das 1998 gegründete Magazin "Opposition" unter der Herausgeberschaft Karl Richters (Verlagsgesellschaft Berg) hat nicht den erhofften Durchbruch in breitere Leserkreise geschafft. Das Blatt wendet sich an alle, die "Mitopponieren" wollen: "Für Deutschland. Weil die anderen alle versagt haben. Opponieren Sie mit: gegen Bonn, Brüssel, gegen das tägliche Desaster. Bis es wieder anders wird." Um die Grenzen der "Szene" zu überschreiten, forderte Franz Schönhuber in der zweiten Ausgabe, sich am Schlageterkurs Anfang der zwanziger Jahre ein Beispiel zu nehmen und den "linken Flügel bei den Rechten" zu stärken.
Das nationalistische Sektierertum ist in den letzten Jahren durch eine Anzahl "rechter Leute von links" um neue Varianten "bereichert" worden. Auf dem Landesparteitag der baden-württembergischen NPD 1998 hielt der Rechtsanwalt und ehemalige RAF-Aktivist Horst Mahler eine programmatische Rede: "Der Globalismus als höchstes Stadium des Imperialismus erzwingt die Auferstehung der deutschen Nation." Sie mündete in die von Wunschdenken geprägte Prophezeiung: "Die Bundesrepublik wird untergehen. ... Aus einer in Anarchie verendeten Demokratie kann nur ein straffes Regiment herausführen. Es muss eine hinreichende Zahl von Männern und Frauen sammeln, die fähig und bereit sind, in der Phase eines kommenden Interregnums dem maroden System das entgleitende Staatsruder aus der Hand zu nehmen." Angesichts der Verbotsdiskussion trat Mahler 2000 in die NPD ein und gründete in Berlin die Initiative "Für Deutschland - Ja zur NPD." Im Dezember 2000 beauftragte ihn der NPD-Bundesvorstand mit der anwaltlichen Vertretung im Karlsruher Verbotsprozess. Für seinen Eintritt in die NPD hatte sich Mahler mit einer längeren, an den Parteivorsitzenden Udo Voigt adressierten Abhandlung zur politischen Lage empfohlen, in der er eine hegelianisch inspirierte antisemitische Verschwörungstheorie entwickelt.
Seit einiger Zeit arbeitet Mahler mit dem ehemaligen Hamburger Aktivisten des "Sozialistischen Deutschen Studentenbundes" (SDS) Reinhold Oberlercher und dessen "Deutschem Kolleg" (1994 gegründet) zusammen. Gemeinsam mit Günter Maschke (ebenfalls Ex-SDSler) veröffentlichten sie in den "Staatsbriefen" eine "Kanonische Erklärung zur Bewegung von 1968". Darin wird die Studentenbewegung als sozial- wie nationalrevolutionärer Aufbruch interpretiert, der gegenüber östlicher wie westlicher Wertegemeinschaft gleichermaßen Distanz bewahrt habe. Nach dem Nationalsozialismus sei die 68er-Bewegung der "zweite deutsche Revolutionsversuch gegen die Weltherrschaft des Kapitals" gewesen. Mit ihrem Aufruf wollten die zum Nationalismus konvertierten Alt-SDSler einstige neu-linke Weggefährten für sich gewinnen. Er stieß indes überwiegend auf scharfe Ablehnung.
IV. Ideologische Merkmale der "Neuen Rechten"
Bei der intellektuellen "Neuen Rechten" handelt es sich um ein ideologisch schillerndes Phänomen. Einen gemeinsamen Nenner zu finden ist schwer. Als "Rechte" lässt sie sich von der "Linken" durch die Betonung dessen abgrenzen, was die Menschen - um an Norberto Bobbios Begriffsbestimmung anzuknüpfen - ungleich statt gleich erscheinen lässt. So hebt sie insbesondere die Einbindung des Individuums in gewachsene - nationale, ethnische, kulturelle - Gemeinschaften hervor und begegnet dem universalen Begriff der "Menschheit" mit Skepsis oder gar Ablehnung. Als "neue" Rechte relativiert sie den der traditionellen ("alten") Rechten eigenen Antiegalitarismus durch ihre Schichten und "Klassen" übergreifende, kapitalismuskritische und sozialrevolutionäre Konzeption. Der Soziologe Stefan Breuer spricht von einer ideologisch-programmatischen "Inklusion". Von der gemäßigten Rechten unterscheidet die "Neue Rechte" die Fundamentalkritik an zentralen Werten und Verfahrensregeln demokratischer Verfassungsstaaten, vor allem am Ethos fundamentaler Menschengleichheit.
Als "Rechte" hat sie zugleich Gemeinsamkeiten mit der gemäßigten Rechten. Sie zeigt sich etwa in der anthropologischen Skepsis und der Hervorhebung gemeinschaftlicher Bindungen. Dies erklärt u. a. Schnittmengen mit Blick auf die Wertschätzung des Nationalstaates und das Misstrauen gegenüber der Zuwanderung und ihren Folgen. Wer "Grauzonen" und Übergangsformen von der "Neuen Rechten" zum demokratischen Konservativismus ausleuchtet, darf aber, wenn er das ideologische Profil angemessen erfassen will, auch die Schnittmengen mit der "Neuen Linken" nicht übersehen. Dies wird rasch deutlich, vergegenwärtigt man sich einige immer wiederkehrende Positionen:
- Die moderne Massengesellschaft leistet einer Verflachung und geistigen Aushöhlung von Lebensinhalten Vorschub. Nackter Materialismus triumphiert. Der "Homo Bundesrepublicaniensis" ist ein "saturierter Konsumsklave" . Dieser verliert jeglichen Sinn für "höhere Werte" und "große Ziele". Erforderlich ist eine Rückbesinnung auf Traditionen und verschüttete kulturelle Inhalte. - Die Überschneidungen zur neulinken Kritik am "Konsumterror" und an der sich ausbreitenden Anglisierung liegen auf der Hand.
- Der Egalitarismus in seinen verschiedenen Varianten: Christentum, Judentum, Marxismus und Liberalismus ist Hauptursache für die tiefe Dekadenz der modernen Welt. Die "Einebnung der Unterschiede" und die "Ausrottung der Ursprünge" (z. B. des Germanentums) verspielt seit Jahrhunderten angesammelten kulturellen Reichtum, unterminiert die schöpferische Kraft der Völker. - In diesem Punkt steht die "Neue Rechte" im Gegensatz zur "Neuen Linken". Dies gilt auch für den folgenden:
- Die pathetische Anrufung der Menschenrechte ist eine hohle Phrase. "Die" Menschheit gibt es nicht, sondern nur unterschiedliche "Rassen", "Völker", "Ethnien". Kulturelle Schöpfungen werden nur von intakten Gemeinschaften hervorgebracht. Wenn sie zerstört werden, Atomisierung und Vereinzelung fortschreiten, sind Dekadenz und Sittenverfall unweigerlich die Folge. Völkervermischung bedeutet "Ethnozid". Der "meltingpot" ist auf Dauer nicht lebensfähig und bringt allenfalls Mittelmaß hervor. Die Lösung liegt in einem Neben- und Miteinander intakter "Ethnien" ("Ethnopluralismus").
- Die europäischen Völker waren und sind Opfer eines kulturellen Imperialismus von Seiten "raumfremder Mächte". Die bis in die Gegenwart reichende Bevormundung durch die Amerikaner hindert Deutsche und andere Europäer an der Entfaltung ihrer "Identität". Es gibt einen "dritten Weg" zwischen dem gescheiterten Kommunismus und dem ins Verderben mündenden Kapitalismus. - In diesem Punkt ist die Überschneidung mit der (neuen) Linken wiederum groß: Antiamerikanismus und Dritte-Weg-Konzepte sind kein Spezifikum der (neuen) Rechten.
- Wer politische Macht erobern will, muss zunächst den kulturellen Raum besetzen. Jenseits der Macht besteht die primäre Aufgabe in der Bildung einer Gegenelite, die mit ihren zukunftsweisenden Konzepten in den Bereich der veröffentlichten Meinung vordringt, eine "Umwertung der Werte" betreibt und den geistigen Boden für die revolutionäre Überwindung des Bestehenden bereitet. - Der italienische Kommunist Antonio Gramsci entwickelte, von Mussolini als politischer Gegner inhaftiert, das Konzept der "kulturellen Hegemonie" für jene Länder, in denen - wie in Italien - auf Grund der entwickelten Zivilgesellschaft eine Machtübernahme nach dem Muster der Bolschewiki unmöglich erschien. Vordenker einer "Neuen Rechten" knüpften daran ebenso an wie diverse Spielarten der (extremen) Linken.
Manche der skizzierten Positionen müssen - in gemäßigter Form vorgetragen - als grundsätzlich legitime Kritik im Rahmen des politischen Pluralismus gelten. Werden sie jedoch gebündelt und in unerbittlicher Form verfochten, gewinnen sie eine den demokratischen Verfassungsstaat delegitimierende Stoßrichtung. Die betreffenden politischen Doktrinen zeigen dann jene geistige "Architektur", die man bei allen Extremismen - gleich welcher Couleur - antrifft: die Verabsolutierung des eigenen Standpunkts, der Anspruch auf exklusiven Zugang zur historisch-politischen Wahrheit und die daraus resultierende Tendenz, Anschauungen Andersdenkender intellektuell und moralisch pauschal zu disqualifizieren; die Neigung, den Status quo einer Totalkritik zu unterziehen und die Gegenwart nur noch als Ausdruck von "Krisen" wahrzunehmen; die dogmatische Erstarrung des Orientierungssystems und seine partielle Abschottung von der Wirklichkeit; schließlich der fanatische Eifer in der Verfolgung der Ziele und der Hang, Misserfolge auf das Wirken verschwörerischer Mächte zurückzuführen.
V. Einfluss der intellektuellen extremen Rechten
Die durch die Feuilletons geisternde These vom "Extremismus der Mitte" lässt sich unterschiedlich deuten. Eine Lesart besagt, Themen und Programmelemente aus der intellektuellen extremen Rechten stießen in die politische Mehrheitskultur vor. Wie der Überblick zu den einschlägigen Publikationsorganen gezeigt hat, lässt deren geringe Attraktivität jedoch eher auf das Gegenteil schließen. Wer meint, die Auflagensteigerungen eines Blattes wie der "Jungen Freiheit" deuteten untrüglich auf Resonanzgewinne im politischen Spektrum rechts von der "neuen Mitte" hin, argumentiert einseitig. Er übersieht den Profilverlust und die ideologische Diffusität, die der Preis für die unleugbar gestiegene Akzeptanz bei Teilen des konservativen Lagers sind. Die These vom Vordringen der "Neuen Rechten" beruht vielfach auf einer Überdehnung des Begriffs. Kein Wunder, dass in der "Mitte" fündig wird, wer mit neurechten Tendenzen neoliberale Politikkonzepte oder die Berufung auf den Nationalstaat meint. Dann liegt es nahe, nach ihr nicht nur am "rechten Narrensaum", nicht allein an den "rechten Flügeln" von CDU/CSU und FDP, sondern auch bei Grünen und SPD zu fahnden.
Obwohl ein intellektueller Rechtsextremismus im vereinten Deutschland weder an Mitgliederzahlen oder Auflagenhöhen messbare Erfolge vorzuweisen hat, noch erfolgreiche Wahlformationen geistig munitioniert, warnen linksintellektuelle Beobachter unermüdlich vor einer Renaissance des Nationalismus. Dabei ist die intellektuelle Landschaft Deutschlands bis in die Gegenwart weit eher von einem "negativen Nationalismus" als von dessen Gegenteil bestimmt. Parolen wie "Nie wieder Deutschland" oder "Der Irrweg des Nationalstaats" erfreuen sich weiter Verbreitung. Nur vor diesem Hintergrund ist die üppig ins Kraut schießende Literatur zu erklären, die sich mit der Ausleuchtung der "Grauzonen" zwischen Rechtsextremismus und etabliertem Konservativismus beschäftigt. Gewiss treffen die in dieser Weise engagierten Autoren mitunter wunde Punkte. Wer mit Parolen wie "Kinder statt Inder" auf Stimmenfang geht, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, er schüre Fremdenfeindlichkeit und liefere jugendlichen Gewalttätern Rechtfertigungsmuster für ihre Schandtaten.
Unbedachte oder populistisch kalkulierte Worte von Politikern richten womöglich größeren Schaden an als die nicht selten weltfremden und esoterischen Ergüsse eines intellektuellen Rechtsextremismus. Wer sich mit den Biografien und Motivationen fremdenfeindlicher jugendlicher Gewalttäter beschäftigt, wird angesichts ihrer Geistlosigkeit und ihres geringen Reflexionsniveaus die Wirkungen neurechter Konzepte nicht allzu hoch veranschlagen. Weit größere Beachtung verdient statt dessen die Vermittlung von Hassgefühlen und schlichten Weltbildern durch eine florierende Musikszene.
Neurechte Inhalte der skizzierten Form sind also in weit geringerem Maße in die politische Mehrheitskultur vorgedrungen, als manche Beobachter annehmen:
- Eine intellektuelle "Aufrüstung" rechtsextremer Parteien blieb aus, und sie konnten keine politischen Terraingewinne verbuchen. Gewiss geht das ausbeutbare Potenzial an nationalistischen und xenophoben Einstellungen in der Bevölkerung über deren Stimmenpotenzial hinaus. Empirische Untersuchungen zeigen aber, dass "übersteigerter Nationalismus bislang allenfalls als Randerscheinung auftritt" . Für die junge Generation scheint dies in noch höherem Maße zuzutreffen. Insgesamt handelt es sich um eine "kritisch-aufmerksame Jugend, die weder anfällig ist für euphorischen Hurrapatriotismus noch für Minderwertigkeitskomplexe oder negative Abwertungen" . Diese Ergebnisse fallen im östlichen Deutschland nur unwesentlich anders aus.
- Vergangenheitsfixierte Warner vor "neuem Nationalismus" nehmen vollmundige Bekundungen vom rechten Rand nicht selten für bare Münze. Die Ansichten einflussloser Sektierer gelten mitunter als "Beweise" für eine so nicht vorhandene politische "Bewegung". Alarmismus führt oft zum Gegenteil des angeblich Erwünschten: Die so Attackierten erhalten willkommene Publizität, ihre skurrilen bis bösartigen Thesen finden jene Aufmerksamkeit, die sie bei gelassenerem Umgang niemals hätten finden können.
- Das verstärkte Nachdenken über die Bedeutung des Nationalstaates und "nationaler Interessen" ist eine Konsequenz der neuen Rolle Deutschlands seit seiner Vereinigung. Auch der den "Grünen" angehörende Bundesaußenminister Joschka Fischer kommt nicht umhin, dem Nationalstaat im Rahmen seiner föderativen Europakonzeption für die absehbare Zukunft große Bedeutung beizumessen. Die "politische Klasse" Deutschlands steht vor der besonderen Schwierigkeit, lange verdrängte nationalstaatliche Ansätze vor dem Hintergrund einer "zerrissenen und angeschlagenen Identität" sowie fortschreitender europäischer Integration und Globalisierung neu zu durchdenken. Gelingt dies, dürfte der Patriotismus zunehmen, der Nationalismus aber weiter schwinden.
- Es zeugt nicht von analytischer Schärfe, verbale Entgleisungen demokratischer Politiker und populistische Strategien zur Stimmenmaximierung nach rechts bei demokratischen Großparteien mit Anzeichen eines neuen Nationalismus zu verwechseln. Sie sind im Wesentlichen falsche Mittel für einen - aus der Perspektive des demokratischen Verfassungsstaates - richtigen Zweck: neuem Nationalismus das Wasser abzugraben.
- Nationalkonservative oder nationalrepublikanische Positionen (von der Art, wie sie in Frankreich Charles Pasqua und Jean-Pierre Chevènement vertreten) unterliegen in Deutschland, selbst wenn sie sich innerhalb des Verfassungsbogens bewegen, einem hohen Marginalisierungsdruck. Angesichts der verbreiteten Hypersensibilität gegenüber allen Anflügen nationalistischen Denkens kann es geschehen, dass Persönlichkeiten, an deren Verfassungskonformität bei wohlwollend-realistischer Betrachtung kein Zweifel besteht, in die Isolation gedrängt und zur Kooperation mit Kräften verleitet werden, die tatsächlich auf die Unterhöhlung der Verfassungsordnung zielen. Auf diese Weise schaffen sich die Warner vor einer Renaissance des Nationalismus ihre Fakten selbst. Manche derer, die fahrlässig mit der Formel von der "Neuen Rechten" umgehen und Gefahren für die Demokratie beschwören, betreiben willentlich oder unwillentlich deren Delegitimierung. Denn der demokratische Verfassungsstaat bietet einer Vielfalt von Interessen, Meinungen und Anschauungen Raum. Wer dem politischen Gegner leichtfertig ausgrenzende Etiketten aufklebt, unterhöhlt den Minimalkonsens der pluralistischen Gesellschaft. Der inflationäre Gebrauch des Stigmawortes "Neue Rechte" läuft auf eine Bagatellisierung jener Strömungen und Gruppierungen hinaus, die Menschenrechte, Pluralismus und Rechtsstaat negieren, also die freiheitliche Ordnung selbst in Frage stellen.