Einleitung
Unter dem Slogan "20Elf von seiner schönsten Seite" findet vom 26. Juni bis zum 17. Juli 2011 die "FIFA Frauen-Weltmeisterschaft" in Deutschland statt.
Hier scheint sich in den vergangenen Jahren ein fundamentaler Wahrnehmungswandel vollzogen zu haben: Das lange gepflegte Klischee der Ball tretenden "Suffragetten", "Mannweiber" oder "Kampflesben" scheint ausgedient zu haben zugunsten eines neuen Klischees der "emotionalen und schönen" Frauen, die ebensolchen Fußball spielen. Was gleich geblieben ist, ist die Folie, vor der die Zuschreibung erfolgt: die Folie der Männerperspektive auf Männerfußball.
Nach zahlreichen internationalen Erfolgen der deutschen Nationalmannschaft - sieben Europa- und zwei Weltmeistertitel, sowie dreimal olympisches Bronze in knapp 30 Jahren - bietet die Frauen-WM einen geeigneten Anlass, einen bilanzierenden Blick auf den Frauenfußball zu richten und dabei über das reine Spiel hinaus zu sehen.
Spielstand 1900
Fußball schien lange Zeit mit unhinterfragter Selbstverständlichkeit nur ein Sport für Männer zu sein. Fußball spielende Frauen wurden als Abweichung von der Norm wahrgenommen, sie hatten sich für ihr Fußballspiel zu rechtfertigen und mit Behinderungen und Verboten auseinanderzusetzen. Das war aber nicht immer so. In Handbuchartikeln zur Entstehungsgeschichte des Fußballs ist nachzulesen, dass Frauen an den frühesten Spielformen im Mittelalter beteiligt waren.
Der moderne Fußball entwickelte sich zwischen 1750 und 1850 aus dem unregulierten Volksfußballspiel. Das Spiel wurde in England von Schulen aufgegriffen und dort durch die Festschreibung von Regeln formalisiert. Die Pädagogen sahen in ihm eine Möglichkeit, die Persönlichkeitsentwicklung von Schülern zu fördern und es auf der Basis von überregional verbindlichen Regeln auch mit der Wettkampfidee des modernen Sports zu verbinden.
Zunächst hatte die Zahl der Fußball spielenden Frauen jedoch zugenommen. In England gründete 1894 Nettie Honeyball das erste Frauenfußballteam, und am 23. März 1895 fand ein Spiel zwischen einer nord- und einer südenglischen Frauenauswahl vor rund 10000 Zuschauern statt. Auch für den Anfang des 20. Jahrhunderts lässt sich durchaus eine Beteiligung von Frauen am Fußballspiel feststellen. Sie traten gegeneinander an, spielten in gemischten Teams oder auch gegen Männermannschaften.
Erster Weltkrieg - Stunde der Fußballerinnen?
Während des Ersten Weltkriegs kam der Ligaspielbetrieb der Männer fast vollständig zum Erliegen; vor allem in England entwickelte sich der Frauenfußball nun unter sehr günstigen Rahmenbedingen weiter. Es gründeten sich viele neue Frauenfußballmannschaften, und die Football Association (FA) stellte den Frauen wegen der großen Zuschauernachfrage Plätze und Infrastruktur zur Verfügung. Die Eintrittsgelder der Spiele wurden ausschließlich für wohltätige Zwecke verwendet. Das bekannteste Frauenteam dieser Zeit waren die "Dick Kerr's Ladies", die 1917 von den Arbeiterinnen einer Munitionsfabrik in Preston gegründet worden war. Sie spielten am 26. Dezember 1920 in Everton vor 50000 Zuschauern gegen die "St. Helen Ladies", im selben Jahr in Paris vor 20000 Zuschauern gegen eine französische Frauenfußballauswahl und gewannen 1922 auf einer Tour durch die USA und Kanada gegen Männerteams. Ende 1921 hatte fast jede größere Stadt in England ein eigenes Frauenfußballteam; durch den regelmäßigen Spielbetrieb kam es zu Leistungssteigerungen und Professionalisierungstendenzen.
Parallel zu dieser Entwicklung im Frauenfußball wurden Frauen verstärkt für die Erwerbsarbeit mobilisiert, um die im Krieg dienenden Männer zu ersetzen. Viele Frauen machten durch die Aufwertung der Frauenarbeit und die damit verbundene finanzielle Unabhängigkeit die Erfahrung von Freiheit.
Nach dem Krieg verwiesen die zurückgekehrten Männer die Frauen in vielen Gesellschaftsbereichen wieder auf ihren ursprünglichen Platz in der Familie zurück. Sowohl in Deutschland als auch in England fehlte es an Akzeptanz für die Erwerbsarbeit von Frauen, lediglich in Frankreich schien eine tolerantere Haltung gegenüber berufstätigen Frauen möglich zu sein.
In England schuf die FA 1921 für den Frauenfußball unüberwindbare Hindernisse, indem sie ihren Mitgliedsverbänden verbot, auf ihren Plätzen Frauenfußballspiele auszutragen. Als offizielle Begründung für diese Entscheidung wurden angebliche Unregelmäßigkeiten bei den für wohltätige Zwecke bestimmten Eintrittsgeldern angegeben.
Bis zum Verbot: Anfänge in Deutschland
Der Frauenfußball hat in Deutschland keine so weit zurück reichende Tradition wie in England oder Frankreich. Als das Spiel nach Deutschland kam, fehlte es ihm zunächst generell an Akzeptanz, denn auch für Männer galt Fußball im Vergleich zum Turnen als zu kämpferisch, leistungsorientiert und undeutsch.
Ab Mitte der 1920er Jahre wurde dann die Frage, ob Frauen Fußball spielen sollten oder nicht, von Männern in Sportzeitschriften mit den aus der Geschlechterdifferenz abgeleiteten körperlichen und psychologischen Argumenten diskutiert.
Aufgrund seines Namens galt bislang der Erste Deutsche Damen-Fußball-Club (1. DDFC), den Lotte Specht 1930 in Frankfurt am Main gründete, als Wiege des deutschen Frauenfußballs. Doch es ist davon auszugehen, dass Frauen bereits in den 1920er Jahren mehr oder weniger sichtbar für die Öffentlichkeit Fußball spielten. In der offiziellen Form eines Fußballvereins mit Spielen vor Zuschauern, die Lotte Specht zu etablieren versuchte, wurde dem Fußballspiel der Frauen jedoch noch mit schärfster Kritik begegnet, was unter anderem eine Ursache dafür war, dass sich der DDFC nach einem Jahr schon wieder auflöste.
Auch während des Nationalsozialismus galt Fußball als männlicher Kampfsport, der sich für Frauen nicht eigne. 1936 teilte der DFB als gleichgeschalteter Verband im Fachamt Fußball in einer Mitteilung des Fußball-Pressedienstes mit, dass Fußball zu den Sportarten gehöre, die dem Wesen der Frau nicht entsprächen.
Ein wirkliches Verbot folgte aber erst in den 1950er Jahren. Vor allem nach der von Deutschland gewonnenen Weltmeisterschaft 1954 wuchs die allgemeine Fußballbegeisterung von Männern und Frauen. Bald schon wurden ähnliche Diskussionen wie 1921 geführt, ob Fußball ein Sport für Frauen sei. So waren es neben "grundsätzlichen Erwägungen" auch "ästhetische Gründe",
Hierbei bediente sich der DFB einer ähnlichen Strategie, wie sie die englische FA 1921 verfolgt hatte: Durch die (männliche) Kontrolle über die Plätze sollte die Kontrolle über die Fußballspielerinnen und damit deren Exklusion aus diesem Sport erreicht werden. Die Gesetzeslage in den 1950er Jahren zeigt ein vergleichbares Bild männlicher Einflussnahme: Das Gleichberechtigungsgesetz, das am 1. Juli 1958 in Kraft trat, passte immerhin das Ehe- und Familienrecht an das Grundgesetz an, in dem die Gleichberechtigung von Männern und Frauen festgeschrieben ist (Art. 3, Abs. 2). Frauen wurde nun unter anderem die Berufstätigkeit zugestanden, allerdings unter der Voraussetzung, dass ihre innerfamiliären Verpflichtungen nicht darunter zu leiden hatten.
Wissenschaftliche Schützenhilfe fand der DFB für sein Verbot unter anderem bei Medizinern wie Albert Zapp, der - mit ähnlicher Argumentation wie sie bereits im 19. Jahrhundert vorgetragen worden war - die Schädlichkeit von Leistungssport für Frauen auf das Fußballspiel übertrug.
Bis zur Aufhebung des Verbots
Es zeigte sich rasch, dass das Verbot nur begrenzt Wirkung hatte, denn Frauenfußball fand während der gesamten Verbotszeit trotzdem statt. Vor allem in den Hochburgen im Ruhrgebiet und in Süddeutschland trafen sich Frauenmannschaften zu Begegnungen. Oftmals gingen die frauenfußballerischen Aktivitäten in den 1950er Jahren auf männliche Organisatoren zurück. Der Essener Kaufmann Willi Ruppert beispielsweise gründete 1956 den "Westdeutschen Damen-Fußball-Verband e.V.", später den "Deutschen Damen-Fußball-Bund e.V." und organisierte Länderbegegnungen einzelner Mannschaften gegen Teams aus den Niederlanden, was auf großes Publikumsinteresses stieß. Der DFB versuchte gegen diesen "Wildwuchs" vorzugehen. 1957 etwa befasste sich der Deutsche Städtetag mit einer Drohung des DFB gegenüber der Stadt Frankfurt am Main, keine größeren Männerfußballbegegnungen mehr "nach Frankfurt zu legen, wenn nicht ein derzeit angesetztes Damenfußballspiel abgesagt würde". Der Städtetag indes sah keinen Handlungsbedarf.
Gegen Ende der 1960er Jahre gab es zahlreiche Frauenfußballmannschaften, Schätzungen belaufen sich auf eine Zahl zwischen 40000 und 60000 Frauen und Mädchen, die teils verbotenerweise in DFB-Vereinen wie dem SC Bad Neuenahr oder der TuS Wörrstadt Fußball spielten oder neue gründeten, wie zum Beispiel den Frankfurter Frauenfußballverein in der SG Oberst-Schiel. Doch nicht zuletzt die Befürchtung, dass sich die Fußballerinnen einem anderen Verband anschließen könnten, bewog die DFB-Spitze schließlich dazu, ihre ablehnende Haltung zu überdenken. "In der politischen und gesellschaftlichen Atmosphäre in der Bundesrepublik nach 1968, das die Adenauerära auch kulturell beendet hatte, war angesichts sozialliberaler Reformpolitik und neuer Frauenbewegung die verbandsrechtliche Diskriminierung des Frauenfußballs nicht mehr haltbar."
Kurz nachdem im Sommer 1970 in Italien eine erste inoffizielle Frauenfußball-WM stattgefunden hatte, an der auch Spielerinnen vom SC 07 Bad Neuenahr und dem SV Illertissen für Deutschland angetreten waren, kam es am 31. Oktober 1970 auf dem DFB-Bundestag zum "Wunder von Travemünde" - die Delegierten beschlossen auf Antrag des DFB-Vorstands mit zwei Gegenstimmen, Frauenfußball zuzulassen: "a) Der im Jahre 1955 gefasste Beschluss Spiele von Frauenfußball-Mannschaften nicht zu gestatten, wird aufgehoben. b) Der DFB-Vorstand wird beauftragt, die erforderlichen Richtlinien zur Durchführung von Frauenfußballspielen aufzustellen und deren Annahme zu empfehlen."
Was auf den ersten Blick wie der gewonnene Kampf um die Teilhabe am Fußballsport scheint, entpuppt sich auf den zweiten als Fortführung von Exklusionsstrategien. Denn es durfte zwar gespielt werden, und ein geordneter Spielbetrieb wurde ebenfalls auf den Weg gebracht, aber die Regeln, nach denen gespielt werden sollte, waren Sonderregeln - "Damenregeln" eben. Diese sahen ein kleineres Spielfeld, einen Jugendball, eine kürzere Spielzeit, eine Winterpause, ein Verbot von Stollenschuhen und die Erlaubnis absichtlichen Handspiels zum Schutz vor schmerzhaften Begegnungen mit dem Ball (Schutzhand) vor. Mit der Aufhebung des Verbots wurde demnach nicht Fußball für Frauen geöffnet, sondern Frauenfußball als andere Sportart eingeführt.
Exkurs: Frauenfußball in der DDR
In der DDR war Frauenfußball nie verboten, so dass sich die Fußballerinnen der 1960er und 1970er Jahre nicht mit direkten Hinderungen, sondern eher mit Indifferenz auseinanderzusetzen hatten.
In den 1970er Jahren institutionalisierte sich der Frauenfußball zunehmend, ab 1979 gab es einen über die Bezirksebene hinausgehenden Wettbewerb. Diese sogenannte Bestenermittlung entsprach einer nationalen Meisterschaft, ohne so genannt werden zu dürfen. 1989 wurde eine DFV-Auswahlmannschaft berufen, die im Januar 1990 zur ersten DDR-Nationalmannschaft wurde. Diese trug ihr erstes und einziges Spiel am 9. Mai 1990 gegen die Tschechoslowakei aus und unterlag mit 0:3 Toren.
Spielbetrieb und Professionalisierung
Nach der Einführung des Frauenfußballs sorgte der DFB rasch für einen geordneten Spielbetrieb: Bereits 1972 verzeichnete der Verband 111579 weibliche Mitglieder und 1788 Frauenteams. 1974 wurde die TuS Wörrstadt erster Deutscher Meister. Im selben Jahr schoss mit Bärbel Wohlleben erstmals eine Frau das von den Zuschauern der "Sportschau" gewählte "Tor des Monats". 1981 gewann die SSG Bergisch-Gladbach das Endspiel um den neu eingeführten DFB-Pokal der Frauen. Die Einführung der Bundesliga in der Saison 1990/1991 verlieh dem Frauenfußball einen weiteren Schub.
1981 bekam der DFB eine Einladung zur inoffiziellen Frauenfußball-Weltmeisterschaft in Taiwan. In Ermangelung einer Nationalmannschaft traten kurzerhand die Deutschen Meisterinnen der SSG Bergisch-Gladbach an, die das Turnier prompt gewannen. Dieser Erfolg bewog den DFB, eine offizielle Nationalmannschaft zu etablieren, die am 10. November 1982 ihr erstes Spiel gegen die Schweiz bestritt. Es folgte ein rascher Aufstieg in die Weltspitze, 1989 schließlich der erste Europameisterschaftstitel.
Trotz oder möglicherweise wegen des frühen Erfolgs wurde die Nationalmannschaft in den 1980er und teilweise in den 1990er Jahren in der öffentlichen Beurteilung einem stetigen, entwertenden Vergleich mit dem Männerfußball unterzogen. Ein Vergleich, der zwangsläufig hinkt, da Frauenfußball in den 1970er Jahren gerade als eigene Sportart etabliert werden sollte. Thesen wie die, dass die Frauennationalmannschaft gegen eine männliche B-Jugend verlieren würde, zeugen von dem Versuch, den Frauenfußball klein zu halten. Auch konnte der Frauenfußball im Alltagsbetrieb bislang nicht aus seinem (gemessen am Männerfußball) medialen Schattendasein heraustreten. Seit den 1990er Jahren werden die Erfolge zwar gewürdigt, sind jedoch nach wie vor Randspaltenthema. Größeres Medieninteresse bleibt internationalen Turnieren vorbehalten. Ebenso sind die Spielerinnen über ihren Sport hinaus kaum präsent und können vom Profifußball bis heute nur träumen. Die Zuschauerzahlen auf den Bundesligaplätzen gehen selten über eine dreistellige Zahl hinaus.
Spielstand 2011
In Sachen Frauenfußball hat sich der DFB eindeutig "vom Old Boys Network und Männerreservat zum Modernisierer"
Wird nun die Frage nach Rückeroberung oder Emanzipation gestellt, so wird deutlich, dass Frauenfußball keinesfalls ein "postfeministisches Phänomen" ist, das eng mit den emanzipatorischen Fortschritten der Frauenbewegung der vergangenen 40 Jahre verknüpft ist, da er eine weit längere Tradition besitzt.
Was die Motivation der Akteurinnen selbst angeht, dürfte es sich um eine Gemengelage handeln, die diesen Sport so befördert hat. Von den Vorreiterinnen selbst, den Spielerinnen der 1950er und 1970er Jahre ebenso wie den aktuellen Sportlerinnen, wird das Fußballspiel selten als bewusster emanzipatorischer Akt, sondern eher als Teil eines emanzipierten Selbstverständnisses genannt. Gleichwohl ging und geht es immer auch um das Recht auf selbstverständliche Teilhabe an einem selbst gewählten Sport. "Ich habe aus Begeisterung, mit dem Ball umzugehen, mit dem Fußballspielen angefangen. Emanzipation war für mich nie ein Thema, es ging mir um rein sportliche Gründe", sagte Bärbel Wohlleben, die 1974 das "Tor des Monats" September erzielte, kürzlich in einem Interview.