Einleitung
Die europäische Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie von 1992, kurz FFH-Richtlinie,
Die Europäische Union (EU) regelt meist nicht ein ganzes Kompetenzfeld, sondern erlässt nur punktuelle Regelungen, die nationale Bundes- und Landesregelungen im gleichen Feld ergänzen. Bund, Länder und EU arbeiten einerseits in der Vollziehung von EU-Normen zusammen. Andererseits sind alle drei Ebenen bei der Vorbereitung und Verabschiedung von EU-Recht beteiligt. Denn im Laufe der europäischen Integration sind immer mehr Kompetenzen aus der Länderhoheit an die EU übertragen worden, beispielsweise im Umwelt- und Bildungsbereich mit dem Maastrichter Vertrag von 1993. Die Länder versuchen deswegen, sich möglichst viel Einfluss auf die Politikgestaltung in der EU zu sichern. Vor allem mit ihrer Erfahrung im Gesetzesvollzug können sie einen Mehrwert für die EU-Rechtssetzung bringen. Die Länder haben sich einerseits direkte Zugänge zur EU erschlossen, etwa durch die Landesvertretungen in Brüssel und die Schaffung des Ausschusses der Regionen. Andererseits nehmen sie über den Bundesrat Einfluss auf die Europapolitik der Bundesregierung.
Ein großer Teil der staatlichen Handlungskompetenzen kann also nur im Zusammenspiel von Bund, Ländern und EU wahrgenommen werden. Angesichts dieser Einbettung der beiden deutschen Ebenen in das EU-Mehrebenensystem stellt sich die Frage, an welchen Stellen die im September 2006 in Kraft getretene Föderalismusreform
Dabei soll anhand des theoretischen Konzepts der Europäisierung vertreten werden, dass die föderale Ordnung im Feld der Europapolitik trotz eines generellen Anpassungsdrucks seitens der EU und trotz innerstaatlichen Reformdrucks nur schwer aus sich selbst heraus zu Veränderungen findet, sondern viel eher auf genaue Vorgaben der EU reagiert. Außerdem soll argumentiert werden, dass Veränderungen im EU-Bereich nicht im Sinne wirklicher Lernprozesse stattgefunden haben, sondern im Rahmen der im deutschen Föderalismus bereits bestehenden Handlungs- und Entscheidungsmuster, etwa durch eine Verdoppelung der bestehenden Strukturen. Angesichts des daraus resultierenden bescheidenen Reformerfolgs in der Europapolitik kann das Ziel nach Verabschiedung der Föderalismusreform nur lauten, die Zusammenarbeit der Ebenen innerhalb der bestehenden Strukturen zu verbessern.
"Europäisierung"
Europäisierung als theoretisches Konzept kann den Einfluss der europäischen Integration auf den deutschen Föderalismus veranschaulichen. Neuere Definitionen der Europäisierung setzen den Kompetenztransfer nach Brüssel als Ausgangspunkt ihrer Untersuchungen bereits voraus und gehen der Frage nach, wie die EU auf ihre Mitgliedstaaten und deren politische Ordnungen zurückwirkt.
In das Konzept der Europäisierung übertragen, lauten die oben vorgetragenen Behauptungen, dass eine Veränderung der deutschen Föderalordnung im Europabereich vor allem durch vertikale Impulse der EU - etwa durch Vertragsrevisionen, die den Nationalstaat zur Umsetzung zwingen - angestoßen wird. Horizontale Impulse, etwa die Verbreitung bestimmter Ideen oder der Wettbewerb mit anderen Mitgliedstaaten um Beeinflussung der EU-Politikgestaltung, haben weniger Einfluss.
"Europafähigkeit" des deutschen Föderalismus
Eine wichtige Rolle in der Föderalismusdiskussion hat das Ringen der Akteure um die "Europafähigkeit" des deutschen Föderalismus gespielt. Darin kann eine Europäisierung der öffentlichen Diskussion und der Zielvorstellungen gesehen werden. Europafähigkeit wird mit der Möglichkeit gleichgesetzt, aktiv eigene europapolitische Belange im innerstaatlichen Gefüge und gegenüber der EU durchzusetzen.
Bis heute besteht allerdings kein gemeinsames Verständnis von Bund und Ländern, wie ein europafähiger Föderalstaat unter Einbeziehung aller Ebenen gestaltet sein müsste. Stattdessen versucht jede Ebene, ihre eigene Europafähigkeit zu stärken.
Der Bund definiert Europafähigkeit seinerseits als Handlungsfähigkeit der Bundesregierung und sieht die europapolitischen Kompetenzen der Länder als Hemmschuh für den deutschen Auftritt in Brüssel. Weil die deutsche Position innerstaatlich mit zu vielen Akteuren abgestimmt werden müsse, könne die Bundesregierung in Ratssitzungen nicht flexibel verhandeln und müsse sich besonders oft enthalten. Enthaltungen würden in Brüssel German vote genannt. Gleichzeitig spreche Deutschland in Brüssel mit "zu vielen Stimmen", was auf die eigenständige EU-Politik der Länder etwa durch die Landesvertretungen zurückzuführen sei. Der Bund strebte in der Bundesstaatskommission nach einem Ausbau der Handlungsautonomie der Bundesregierung und wollte dazu die bestehenden Länderrechte zurückdrängen.
Jede Ebene instrumentalisiert somit den Begriff der Europafähigkeit zur Stärkung der eigenen Position und zur Zurückdrängung der anderen Ebene. Vorschläge der Sachverständigen in der Bundesstaatskommission, die Voraussetzungen für einen vertrauensvollen Umgang der beiden Ebenen zu schaffen
Mitwirkungsrechte der Länder
Der "Europaartikel", Art. 23 Grundgesetz (GG), wurde Anfang der 1990er Jahre eingeführt, nachdem der Maastrichter Vertrag verabschiedet worden war. Er gibt den Ländern das Recht, über den Bundesrat auf die Position der Bundesregierung gegenüber der EU Einfluss zu nehmen. Je nach dem Grad der Betroffenheit der Länder in dem Politikbereich, der durch eine EU-Norm geregelt werden soll, haben sie eine gestufte Vetoposition gegenüber der Bundesregierung. In allen Fällen hat die Bundesregierung eine Informationspflicht gegenüber dem Bundesrat. Die Stellungnahmen des Bundesrats müssen von der Bundesregierung "berücksichtigt" bzw. "maßgeblich berücksichtigt" werden, je nachdem, wie viel Einfluss der Bundesrat auf eine entsprechende innerstaatliche Regelung ausüben könnte. Wenn "im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betroffen sind", sollte Deutschland vor der Föderalismusreform im EU-Ministerrat von einem Vertreter der Länder repräsentiert werden.
Art. 23 GG kann als Europäisierung der föderalen Struktur Deutschlands gesehen werden. Er gibt dem Bundesrat in Europaangelegenheiten Kompetenzen, die spiegelbildlich zu der innerdeutschen Kompetenzordnung der Art. 70 ff. GG sind. Die Logik der innerstaatlichen Kompetenzverteilung wurde auf die Kompetenzen im Europabereich übertragen. Wie bereits bei der innerstaatlichen Abgabe von Länderkompetenzen an den Bund wurde auch in Europaangelegenheiten nach dem Prinzip "Kompetenzabgabe gegen Mitwirkungsrechte" gehandelt. Ohnehin im föderalen System bestehende Verflechtungsstrukturen wurden verdoppelt,
Die Debatte um eine Reform der Mitwirkungsrechte der Länder in der Bundesstaatskommission wollten beide Ebenen zum Ausbau, mindestens aber zur Erhaltung ihrer Kompetenzen nutzen. Die Akteure spitzten deshalb aus taktischen Gründen ihre Argumente auf Maximalpositionen zu. Die taktische Maximalforderung des Bundes war es, die gestuften Rechte der Länder abzuschaffen und auf ein generelles Informationsrecht und die Möglichkeit, nicht verbindliche Stellungnahmen abzugeben, einzuschränken. Es wurde gefordert, die Absätze 3 bis 6 des Art. 23 GG zu streichen. Damit hätte allein der Bund Deutschland in Brüssel vertreten können und seine Position innerstaatlich nicht mehr mit dem Bundesrat abstimmen müssen.
Die Länder stellten der Forderung des Bundes eine eigene Maximalforderung gegenüber, nämlich die eines Systems der totalen Trennung der Gesetzgebungskompetenzen nach belgischem Modell, mit ausschließlicher EU-Vertretung Deutschlands durch die Länder in den Fällen ihrer dann ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen. Der damalige Ministerpräsident Baden-Württembergs, Erwin Teufel, konstatierte in der Bundesstaatskommission, "dass es seit In-Kraft-Treten des Grundgesetzes (...) eine Einbahnstraße bei der Kompetenzverlagerung von den Ländern und Landesparlamenten hin zum Bund gab. Die Neufassung des Art. 23 des Grundgesetzes vor Maastricht war die einzige Gegenbewegung und Ausnahme. (...) Die Länder können und werden das Einzige, was sie erhalten haben, nicht aufgeben."
Am Ende der Bundesstaatskommission im Dezember 2004 lag hinsichtlich der Mitwirkung der Länder in EU-Angelegenheiten noch kein Kompromiss vor. Auch die nun in Kraft getretene Reform bringt nur wenig Änderung. Der Hauptpunkt ist die Präzisierung des Art. 23 Abs. 6 GG. Deutschland kann in Zukunft nur noch in den Bereichen Bildung, Kultur, Rundfunk von einem Landesvertreter im EU-Ministerrat repräsentiert werden, und aus der Soll-Vorschrift wurde eine zwingende Norm. Voraussetzung bleibt, dass im Einzelfall im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betroffen sind, womit Bereiche wie Hochschulpolitik und auswärtige Kulturpolitik von vornherein ausgeschlossen sind.
Diese Reform des Art. 23 Abs. 6 GG ist inerster Linie die Gewährleistung, dass die Rechte der Länder in Europaangelegenheiten möglichst genau auf dem gleichen Stand wie vor der Föderalismusreform bleiben. Durch die Föderalismusreform haben die Länder innerstaatlich mehr Gesetzgebungsbefugnisse erhalten. Die Materien, in denen sie von Europarecht besonders betroffen sind, wurden ausgeweitet. Wären die abgestuften Rechte in Art. 23 GG, insbesondere in Abs. 6, weiterhin offen formuliert, hätte die Rückübertragung innerstaatlicher Kompetenzen gleichzeitig eine Ausdehnung der Länderrechte gegenüber der EU zur Folge gehabt. Die innerstaatliche Entflechtung hätte also zu einer Verflechtung im EU-Bereich geführt. Die Einschränkung der Bereiche des Art. 23 Abs. 6 GG führt dazu, dass die Länder in den Kompetenzfeldern, die ihnen durch die Föderalismusreform übertragen wurden, trotzdem nicht mehr Mitwirkungsrechte auf EU-Ebene erhalten.
In den Bereichen, die nun in Abs. 6 festgelegt sind, dürfte es in Zukunft zu einer kontinuierlichen Vertretung durch die Länder in Brüssel kommen, was eine Koordination der Länder untereinander und mit dem Bund erforderlich macht. Die neue Möglichkeit der Europakammer des Bundesrats, im schriftlichen Umfrageverfahren Entscheidungen herbeizuführen (Art. 53 Abs. 3a [neu] GG), ist ebenfalls ein Schritt in Richtung bessere Koordination. Die Norm ermöglicht es, auch außerhalb des Bundesratsplenums rasch und flexibel eine Länderhaltung herbeizuführen.
Vorrangiges Ziel von Bund und Ländern im Reformprozess war es, keinesfalls ein Stück ihrer angestammten Rechte aufzugeben, sondern möglichst die Debatte zu instrumentalisieren und der anderen Seite ihre Rechte streitig zu machen. Deshalb bestand nur eine geringe Chance, die Verflechtungsstruktur des Art. 23 GG zu durchbrechen. Bevor diese Zusammenarbeit nicht aufgrund weiterer Erweiterungs- oder Vertiefungsschritte der EU ihre Funktion völlig verliert, dürften substanzielle Reformen nicht zu erwarten sein.
Innerstaatliche Kompetenzordnung und Umsetzung von Europarecht
Große Teile der Verhandlungen über die Neuverteilung der innerstaatlichen Gesetzgebungskompetenzen berührten europäische Aspekte. Die Durchdringung der deutschen Rechtsordnung mit Europarecht machte es schwierig, Kompetenzfelder zu identifizieren, die komplett in die Zuständigkeit der Länder hätten übertragen werden können.
In inhaltlichem Zusammenhang mit der Diskussion über die Verteilung der Kompetenzen zwischen den Ebenen steht die Frage nach wirksamen Kontrollmechanismen bei Verletzung der Kompetenzordnung bzw. des Subsidiaritätsprinzips. Der auf Eis liegende Europäische Verfassungsvertrag würde für den Bundestag und über den Bundesrat auch für die Länder die Möglichkeit eröffnen, in einem Subsidiaritäts-Frühwarnsystem Rüge gegen geplantes EU-Recht und in einem späteren Stadium Klage zu erheben, wenn das Recht den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit widerspricht. Im Rahmen der Ratifizierung des EU-Verfassungsvertrags in Deutschland wurden diese neuen, das Föderalsystem betreffenden Rechte als vertikale EU-Vorgaben in separaten, parallel zur Föderalismusdiskussion laufenden Bund-Länder-Verhandlungen ausgehandelt.
Eine Gewährleistung, dass Vorgaben der EU in Deutschland besser eingehalten und umgesetzt werden, sollen die in der Föderalismusreform festgelegten Haftungsquoten von Bund und Ländern bei Verletzung der Verschuldungsobergrenzen des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts ("nationaler Stabilitätspakt") und bei EU-Zwangsgeldern infolge einer verspäteten Umsetzung von EU-Richtlinien oder einer fehlerhaften Verwendung europäischer Fördergelder bieten.
Ausblick
Der Reformprozess des deutschen Föderalismus ist an vielen Stellen von europäischen Belangen tangiert. Im Bereich der europapolitischen Zusammenarbeit von Bund und Ländern bringt die jetzt verabschiedete Reform allerdings nur bescheidene Veränderungen. In den Diskussionen über die Europafähigkeit und die Mitwirkungsrechte der Länder in Europaangelegenheiten vertraten Bund und Länder taktische Maximalpositionen und verharrten so in ihrer alten Handlungslogik. Eine durchgreifende Reform in Europaangelegenheiten konnte nicht erreicht werden. Dabei besteht die Gefahr, dass Strukturen verdoppelt und Reformen noch schwerer werden. Offensichtlich ist momentan die Wettbewerbssituation in Brüssel nicht so groß, dass der Anpassungsdruck zu innerstaatlichen Reformen führt. Die präzisen Vorgaben der EU-Verfassung wurden hingegen problemlos umgesetzt.
Nach der Verabschiedung der Föderalismusreform ist eine strukturelle Entflechtung der Kompetenzen im Europabereich erst einmal in die Ferne gerückt. Es bleibt nur der Weg, die europapolitische Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern im Rahmen derbestehenden Strukturen zu verbessern. Schritte in dieser Richtung werden im Moment getan. Für die anstehende deutsche Ratspräsidentschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2007 ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit von Bund und Ländern unabdingbar.