Einleitung
Der Islam ist nicht das Thema dieses Aufsatzes - wie auch nicht der meisten Mediendarstellungen, die dies glauben machen wollen. Die Sicht auf "den" Islam und "die" Muslime - falls derartige Verallgemeinerungen überhaupt zulässig sind - wird indirekt durch die Auslandsberichterstattung geprägt.
Medien sind unsere wichtigste Informationsquellen, vor allem in Bezug auf Themen, zu denen uns der Zugang fehlt. Während sie es uns ermöglichen, an Dingen teilzunehmen, die wir nicht direkt erleben, strukturieren sie gleichzeitig die Wahrnehmung dieser Dinge, und zwar mit zunehmender Quantität, denn die Sekundärerfahrung durch Medien nimmt ständig zu. Eine aktive Reflexion darüber muss vermehrt stattfinden, damit keine verzerrten Vorstellungen von "der Welt" entstehen.
Im Folgenden interessieren nicht so sehr die wirtschaftlichen und politischen Strukturen des Arbeitsalltags Medienschaffender oder gar die Machtstrukturen der Medienkonzerne und das Medienmanagement von einflussreicher politischer Seite, sondern es geht ganz allgemein um den Weg der Informationsvermittlung.
Zeigen und Ausblenden
Die Wahl eines bestimmten Zeichens - Wort oder Bild - entscheidet darüber, auf welchen Wirklichkeitsausschnitt die Aufmerksamkeit gelenkt wird - und was ausgeblendet bleibt.
1,2 Milliarden Individuen auf der Welt sind Muslime. Sie sind in verschiedenen Ländern und Erdteilen zu Hause und leben in unterschiedlichen Gesellschaftssystemen. Differenzierte soziokulturelle Faktoren machen deutlich, dass es innerhalb der muslimischen Bevölkerungen eine Vielzahl von verschiedenartigen Lebensrealitäten gibt. Dennoch lässt sich feststellen, dass in deutschen Medien "die" Muslime zunehmend als homogene Masse wahrgenommen werden, die bedrohlich oder zumindest rückständig erscheint.
Laut dem Institut für Demoskopie Allensbach hat in den vergangenen Jahren die Islamophobie in Deutschland deutlich zugenommen - vor allem durch äußere Ereignisse wie die Terroranschläge vom 11. September 2001 oder die Geiselnahme von Beslan in Tschetschenien, die fast ausschließlich in der Kategorie "Islam" präsentiert und wahrgenommen wurden.
So stehen wir unvermittelt immer wieder vor Ereignissen, die mit islamistischen Tendenzen erklärbar scheinen. Dieses so genannte Framing
In Bezug auf die mediale Wahrnehmung des Islams liegt genau in der Vielfalt der so genannten islamischen Welt die Tücke - je größer der Fundus, umso zuverlässiger lässt sich finden, was man sucht. Die Beispiele mutieren nach mehrmaliger Wiederholung zum Beweis. Wenn bereits wenige Beispiele als ultimative Beweise genügen, dann wird das Erwartete bestätigt und somit "wahr". Teilwahrheiten haben das Potenzial, eine diffuse Ablehnungshaltung zu begründen, deren Basis keine Sachkenntnis ist, sondern ein Konglomerat aus zusammenhanglosen Informationsfetzen. Beim heutigen Medienkonsum kann man eine unkritische Übernahme solcher Informationsbruchstücke beobachten. Die nächste Information ersetzt ein Nachdenken oder gar eine Nachfrage, wenn ein Zusammenhang nicht verstanden wurde - und vielleicht gar nicht vorhanden war.
In der Islamberichterstattung lässt sich dieser Mechanismus ebenso nachweisen wie bei anderen Themen. Ausgeblendet bleibt meist das Normale, Unspektakuläre, denn only bad news are good news, und wer würde schon ein unspektakuläres Medium kaufen? Dinge, die wir in Bezug auf den Islam auf Grund unserer kulturspezifisch eingeschränkten Sicht übersehen, sind etwa der hohe Anteil weiblicher Professoren in Ägypten und der Türkei (ca. 30 Prozent gegenüber zehn Prozent in Deutschland), die Diskussion um eine Männerquote an iranischen Universitäten, da dort die weiblichen Studierenden in der Überzahl sind, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass Frauen erst nach der Islamischen Revolution dort das Wahlrecht erhielten. Wie sehr Zeigen und Ausblenden unsere Wahrnehmung trüben, belegt auch das folgende Beispiel: Immer wieder können wir lesen, dass muslimische Mädchen nur die Hälfte dessen erben, was ihre Brüder erben. Das stimmt, es bleibt jedoch ausgeblendet, dass muslimische Männer damit traditionell die Verpflichtung übernehmen, für ihre unverheirateten Schwestern und andere Verwandte zu sorgen, während Frauen dieses Geld zur eigenen Verfügung erhalten. In den modernen islamischen Gesellschaften spielt diese Aufteilung inzwischen keine so große Rolle mehr, da die Grundsituation familiären Zusammenlebens sich gewandelt hat. In den betroffenen Ländern passen sich die Gesetze der Situation an. Mit einem einzigen Satz kann jedenfalls die Schilderung nie komplett sein.
Symbole statt Information
Die Beispiele aus dem Umfeld "der" muslimischen Frau dienen hier ebenso der plakativen Illustration, wie dies umgekehrt in Bezug auf die Unterdrückung der Musliminnen geschieht. Allzu häufig dienen Teilwahrheiten aus dem Leben muslimischer Frauen als Beleg für die Unterdrückungsmechanismen "des" Islams. Häufig muss die Situation der Musliminnen für die Beurteilung des Islams insgesamt herhalten, etwa wenn das Thema allein durch das Zeigen einer Kopftuchträgerin repräsentiert wird. Das Bild erfüllt die Funktion eines Verdichtungssymbols - eines doppelt besetzten Symbols.
Denn auch der so genannte Islamismus wird durch das Kopftuch symbolisiert, zum Beispiel, wenn der Wahlausgang in der Türkei kommentiert wird: "Schleier wieder Mode?"
Diese Stereotypisierung wird aber auch durch Vorlagen aus der islamischen Welt bedient. Dazu trug etwa die Kampagne Nawal el Saadawis in Ägypten bei, die über die "Entschleierung des Bewusstseins" die Situation im Land verbessern wollte. Dabei wird ihr politisches Engagement häufig stark verkürzt wiedergegeben. Ihre Kritik an den hierarchischen Wirtschaftsstrukturen weltweit, die dazu führen, dass mehr Geld von der "dritten" in die "erste" Welt fließt als umgekehrt, bleibt ausgeblendet. Die Reduktion auf die Frauenrechtsthematik führt zu dem Fehlschluss, dass el Saadawi den Islam für die Benachteiligung der Frauen verantwortlich mache - mitnichten, wie sie auf ihren Vortragsreisen betont.
Der Differenziertheit steht die Karriere des Kopftuchs gegenüber, die es ermöglicht, dass vielschichtige Informationen durch vereinfachende Teilinformationen ersetzt werden. Was sagt das Tragen eines Kopftuchs über das Denken der Menschen aus, die es tragen? Die Konzentration auf ein Kleidungsstück hat viele Ursachen, die unter anderem in unserer Kultur begründet liegen. Für westlich Sozialisierte wird die Wichtigkeit der visuellen Wahrnehmung auf die Situation der Muslime übertragen. Als Folge der Industrialisierung und der damit verbundenen Trennung der Sphären (Arbeitswelt, privater Bereich usw.) entwickelte sich in der westlichen Welt die Vorstellung einer Öffentlichkeit. Die Möglichkeit, sich in diesem Außenraum frei zu bewegen, bedeutet, Macht zu haben. Deshalb ging die Emanzipation der Frau in Europa mit der Eroberung dieses Bereichs einher. Damit waren Frauen in der Öffentlichkeit visuell wahrnehmbar und mächtiger als solche, die allein Hausarbeit oder andere, nicht so leicht wahrnehmbare Tätigkeiten verrichteten. "Heim an den Herd" wurde zur Metapher für Rückschritt. Und "arbeiten" bedeutet inzwischen fast ausschließlich "außer Haus arbeiten" (in einem Beruf, der immer höher bewertet wird als Hausarbeit). Dies erklärt, warum sich der Feminismus häufig mit der Berufstätigkeit von Frauen als Emanzipationsindikator zufrieden gibt - ohne Reflexion darüber, ob diese Schwerpunktsetzung nicht etwa den Mann zur Norm deklariert, an dem sich die Frau orientieren soll.
Die Anerkennung des Außenraums als Machtsektor ist in der Kopftuchdebatte auf einen anderen Kulturraum übertragen worden, und deshalb widerspricht eine wenig sichtbare, verschleierte Frau hiesigen Emanzipationsvorstellungen. Und tatsächlich gibt es ja dieVerschleierungsdogmen extremistischer Gruppen, welche die Frauenkleidung ebenfalls zum Symbol stilisieren. Zu einfach macht man es sich jedoch, wenn Freiheit und Emanzipation mit Kleidungsfreiheit gleichgesetzt werden. Übrigens handelt es sich oft nicht um wirkliche Kleidungsfreiheit, wenn gefordert wird, bestimmte Kleidungsstücke nicht zu tragen. Wenn eine verschleierte Frau auf dem Bildschirm zu sehen ist, werden jahrelang bediente Assoziationsketten ausgeschöpft. Kaum eine Islamthematisierung kommt ohne Kopftuch aus, wobei erfolgreiche Frauen zumeist ohne ein solches gezeigt werden, etwa die iranische Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi. Darüber hinaus wird das Thema "Ausländer" sowohl in Nachrichtensendungen als auch in Zeitungen seit Jahren immer wieder mit Bildern kopftuchtragender Frauen unterlegt, so dass das Konzept "Islam ist Fremdheit" noch verstärkt wird. All dies kommt der Integration muslimischer Frauen gerade nicht zugute, die sich häufig eher unverstanden statt "gerettet" fühlen.
Willkürliche Verknüpfungen
Seit dem 11. September 2001 ist eine Zunahme an expliziten Schuldzuweisungen gegenüber Muslimen für verschiedenste Untaten auszumachen. In ihrer Qualität entsprechen diese aber den lange zuvor ausgemachten und unterschwellig unterstellten negativen Eigenschaften des Islams. Das ist der Grund, warum uns die vielen Behauptungen seither so plausibel erscheinen.
Eine effektive Technik der Verknüpfung stellt der so genannte Sinn-Induktionsschnitt dar, mit dem Bilder unterschiedlichen Inhalts zueinander in Beziehung gesetzt werden. Peter Scholl-Latour hat diese Technik beispielsweise in der Fernsehreportage zu seinem Buch "Das Schlachtfeld der Zukunft" (1996) angewandt, in der es um die Republiken im Süden der ehemaligen Sowjetunion geht und in der es unter anderem zu einer "Explosion in einem Lager russischer Soldaten in Kaspisk" kommt. Zu sehen sind Bilder von zerstörten Häusern und Räumfahrzeugen. Nach dem folgenden Schnitt fällt der Blick auf die Kuppel einer Moschee mit Halbmond, deren architektonische Herkunft im Folgenden erklärt wird. Kein Zusammenhang zwischen Moschee und Explosion? Explizit wird nicht begründet, warum hier implizit die Themen "Anschlag" und "Islam" verknüpft werden. Bis heute ist nicht bekannt, um welche Art von Explosion es sich gehandelt hat. Und wenn man der Meinung ist, die Explosion habe etwas mit so genanntem islamistischem Terrorismus - eine eher irreführende Bezeichnung, die wiederum ein Framing darstellt - zu tun, dann sollte dies argumentativ begründet werden. Außerdem wäre im letzten Falle das Symbol für Islamismus gänzlich falsch gewählt: Denn was bleibt als Symbol für den Islam, wenn Moscheen, Gebete, Kopftücher und Bärte bereits als Symbole für Islamismus herhalten müssen?
Sinn-Induktion gibt es auch in den Printmedien. Dort können Bilder, Text und Bild oder verschiedene Textstücke zueinander montiert werden, ohne explizite Rechtfertigung und mit dem gleichen Suggestionspotenzial. Folgende Bildermontage aus dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" illustrierte im Jahr 2000 einen Artikel zum Thema Israel/Palästina:
Eine rein textuelle Sinn-Induktion liegt bei folgendem Beispiel aus dem Jahr 1993 vor, bei dem die Genitalverstümmelung von Mädchen in Ägypten thematisiert wird. "Um in Ägypten eine Kampagne gegen die Beschneidung zu starten, müßten zuerst die religiösen Führer von deren Sinnlosigkeit überzeugt werden. Der Islam ist Staatsreligion. Zu ihm bekennen sich 93 % der Bevölkerung."
Auch durch einfache Adjektivierungen lässt sich ein sinninduktiver Effekt erzielen, wie am Beispiel eines Berichts über die Situation von Frauen in Bangladesch gezeigt werden kann.
Als im Herbst 2002 ein Scharfschütze die Hauptstadt der USA Washington in Angst und Schrecken versetzte, meldete ein Radiosender des Bayrischen Rundfunks: "Der zum Islam konvertierte John Allan Muhammad (...)." Bis heute ist wenig über die Motive des Täters von Washington und seines Stiefsohns bekannt, dennoch bleibt ein suggerierter Zusammenhang zwischen der Gewalt gegen Menschen und der Religion des Täters bestehen.
Während in Fernsehen und Hörfunk Programm und Sendezeit über die Wichtigkeit und die Resonanz eines Beitrags entscheiden, gilt in den Printmedien die Platzierung eines Artikels als Kriterium für die Intensität der Wahrnehmung. Brisanz lässt den Beitrag auf die Titelseite rutschen, so etwa bei Razzien, die seit dem 11. September 2001 in Moscheen durchgeführt werden. Bei einer repräsentativen Auswertung der "Nürnberger Nachrichten" über einige Monate des Jahres 2002 hinweg ergab sich, dass die Berichterstattung über derartige Polizeieinsätze stets auf den Titelseiten platziert wurde. Der Hinweis auf die Ergebnislosigkeit solcher Razzien fand sich jedoch allenfalls im Innenteil, oder er fehlte ganz. Obwohl sich die allermeisten Fälle als gegenstandslos erwiesen, wurde so der Eindruck einer allgegenwärtigen Bedrohung durch Moscheen genährt. Das erklärt auch einen Teil des Bedeutungswandels der Bezeichnung "Moschee": Inzwischen wird sie weniger als Ort des Gebets und der Begegnung wahrgenommen als vielmehr als Ort der Verschwörung interpretiert.
Bei aller Kritik kann man dennoch ein Bemühen von Seiten vieler Medienschaffender konstatieren, die die Problematik der eskalierenden Berichterstattung in Sachen Islam und Muslime erkannt haben. Zahlreiche Journalisten zeigen in ihren Artikeln und Beiträgen, dass es überall auf der Welt Kritikwürdiges gibt, das nicht an einer einzigen Erklärung festzumachen ist. Aber schon in der Analyse der Platzierung wird dieses Bemühen wieder relativiert, etwa wenn kontroverse und ergänzende Aspekte erst ab 23 Uhr im Fernsehen oder im Innenteil von Zeitungen "versteckt" werden. Die Kategorien "Platz" und "Raum" sollten deshalb in jede Medienanalyse einbezogen werden, um Aussagen über Wirkungspotenziale machen zu können.
Metaphern und Stereotype
Aus der Antisemitismusforschung ist bekannt, dass bestimmte Metaphern eine entmenschlichende Wirkung haben und eine spezifische Handlungsoption nahe legen können.
Wenn sich bestimmte Wirklichkeitsausschnitte nicht mehr ignorieren lassen, kommt es zu einer Art Reparatur der etablierten Weltsicht. Dies ist ein Automatismus, dem wir unterliegen und den wir uns bewusst machen müssen. Fakten, die den üblichen Erwartungen, d.h. den Stereotypen, widersprechen, können schnell und bequem wieder in das stereotype Licht zurückgerückt werden.
Ähnlich verlief der Umgang mit einem Vorgang, den man zu schnell in einen bekannten Frame eingeordnet hatte. Als die Medien sich des Falls Taslima Nasrin in Bangladesch annahmen - die Ärztin und Schriftstellerin kritisierte die Diskriminierung der hinduistischen Minderheit durch die muslimische Mehrheit und musste 1994 ihr Land verlassen - , wurde dieser schnell in den Kontext "zu Unrecht verfolgte Feministin" eingeordnet. Bereits in den ersten Zeitungsberichten ließen sich jedoch etliche Elemente finden, die darauf hindeuteten, dass der Fall nicht so eindeutig war. Bangladesch war eine Demokratie mit weiblichen Führungspersönlichkeiten, die Intellektuellen schwiegen, es gab einen Haftbefehl gegen Nasrin und Polizeischutz. Die Erklärungen, die diese Fakten ins "rechte Licht" rücken sollten, erschienen recht strategisch, etwa als "Wahlstrategie bestimmter Politiker" oder auch "Angst vor Extremisten". Doch offenbar lagen die Dinge anders.
Etiketten haben ähnlich relativierende Qualität. Wenn das irakische Falludscha als "Rebellenhochburg" bezeichnet wird, dann wird dadurch der Angriff auf die Stadt im April 2004 legitimiert. Wie würde hingegen die bombardierte, "dicht bevölkerte Stadt Falludscha" wirken? Aljazeera als "Haussender al Qaidas" zu bezeichnen macht ihn unglaubwürdig. Die Metapher "Trojanisches Pferd" für Tariq Ramadan, den Hoffnungsträger vieler europäischer Muslime, ist ein Misstrauensvotum und impliziert, ihn besser nicht ins Wohnzimmer zu lassen. Letztlich wird der langjährige interreligiöse Dialog häufig als "Kuschelpolitik" abgetan. Die Glaubwürdigkeitskrise aller, die sich mit Muslimen auseinander setzen, ist perfekt.
Nicht die Fakten entscheiden also über die Wahrnehmung eines Sachverhalts - unsere Ordnung existiert immer schon vorher und ist eine künstliche. Da aber der wohlwollende oder der misstrauische Blick letztlich darüber entscheidet, wie ein Sachverhalt wahrgenommen und interpretiert wird, bedeutet das in Bezug auf die Muslime: Was immer sie auch tun, es ist falsch. Der misstrauische Blick lässt alle Anstrengungen in einem bestimmten Licht erscheinen. Besteht etwa eine Muslimin auf dem Tragen eines Kopftuchs, dann kann dies als Zeichen der Abschottung, der Ablehnung der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft empfunden werden. Legt sie aber das Kopftuch ab, so kann dies wiederum als Tarnung, Verstellung und Unterwanderungsversuch abgetan werden.
Es muss geprüft werden, ob Forderungen an die Muslime und die in Aussicht gestellten Konsequenzen übereinstimmen. Umgekehrt gilt es, Muslimen zu vermitteln, dass Furcht vor dem Islam häufig in Missverständnissen begründet ist. Denn aus den geschilderten Beobachtungen lässt sich mindestens zweierlei ableiten: Das vorstellbare Szenario einer Bedrohung durch den Islam und dessen Vertreter ist ein fataler Mechanismus, der durch einzelne Taten, die Fokussierung darauf und unsere verallgemeinernde Interpretation immer wieder neue Nahrung erhält. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass es keine Verschwörung gegen den Islam und die Muslime gibt, wie es Islamisten gerne behaupten.
Wege zur Deeskalation
Wenn aber die meisten Vertreter und Vertreterinnen aus Politik und Medien nach bestem Wissen und Gewissen handeln, dann ist neben der Aufklärungsarbeit die Fähigkeit zur Selbstkritik nötig, um die geschilderten Mechanismen zu durchbrechen. Reine Faktennennung reicht als Mittel gegen Diskriminierung nicht aus. Effektives Handeln gegen eine konfrontative Entwicklung setzt die Erkenntnis der ungünstigen Wechselwirkung voraus, in der wir uns befinden, denn die Beobachtungen haben eine Wirkung auf alle beteiligten Gruppen.
Sie gelten ebenso für Teile der muslimischen Bevölkerung, die zunehmend "den Westen" mit der Politik George W. Bushs verwechseln und sich einem "Kreuzzug" gegen den Islam ausgesetzt sehen. Inzwischen ist ein Bedrohungsempfinden auf beiden Seiten feststellbar. Nichtmuslime fühlen sich vom Islam bedroht, Muslime pauschal vom Westen oder von einer Gesetzgebung, die aus dem Angstszenario resultiert. Auf beiden Seiten sind, unterschiedlich gewichtet, ähnliche Reaktionsmuster feststellbar: Resignation und Rückzug, Idealisierung und Radikalisierung. Viele resignieren in ihrem Bemühen um weitere Integration. Andere wählen aus der eigenen Geschichte nur noch die positiven Aspekte aus. Eine Radikalisierung Einzelner ist zu beobachten, vor allem unter Jugendlichen. Sie betrachten sich häufig als Ausführende dessen, was "alle" denken. Der Diskurs stärkt jedenfalls nicht die Besonnenen. Sie laufen Gefahr, aufgerieben zu werden zwischen den Mehrheits- und Minderheitenmitgliedern, die ihnen Naivität, Paktierertum und Unglaubwürdigkeit vorwerfen.
Doch letztlich bedürften gerade diese Mittler der öffentlichen Unterstützung. Hier können Medien einen positiven Beitrag leisten, indem sie vermehrt die Integrationsarbeit vieler Moscheen, die Dialog- und besser noch Trialogbemühungen der abrahamitischen Nachfahren thematisieren, sowie weiteres öffentliches Engagement, das schon lange ein mediales Schattendasein führt - wie etwa der Arbeitskreis Christlich-Islamische-Friedensarbeit und viele ähnliche Initiativen. Allein schon die breitere Veröffentlichung der vielen Erklärungen islamischer Verbände, die die Anschläge in New York und Madrid verurteilten, hätte integrierende Wirkung gehabt. Es ist schade, dass solche Möglichkeiten deeskalierender Berichterstattung bislang kaum genutzt werden.
Dies wäre auch ein Beitrag gegen die Diskriminierung der Medien selbst, denn alle genannten Mechanismen lassen sich auch in Bezug auf die Medienwahrnehmung nachweisen - so wie in diesem Beitrag vor allem negative Prototypen gezeigt wurden. Aber "die" Medien gibt es ebenso wenig wie "den" Islam. Medien werden ebenso stereotyp wahrgenommen. Man sieht primär Dinge, die man erwartet. Gegenteiliges wird als Ausnahme interpretiert und insgesamt das Bild eines "übermächtigen Molochs" genährt, der - von unsichtbaren Drahtziehern gelenkt - genaue Anweisungen zur Islamdarstellung herausgibt.
Dabei wird übersehen, dass die strukturellen Bedingungen vor Ort, wie zum Beispiel fehlende Recherchezeiten, die Arbeit der Journalisten beeinträchtigen. Angesichts der momentanen Finanzkrise vieler Medieneinrichtungen werden sich diese Bedingungen eher noch verschlechtern. Medienschaffende sollten daher in Zeiten professionellen Medienmanagements besonders auf verantwortungsbewusste Berichterstattung achten, um sich nicht einem offiziellen Agenda-Setting zu unterwerfen. Für Mediennutzende wiederum ist Medienkompetenz eine Schlüsselqualifikation, die sie zu verantwortlichen Bürgern in einer funktionierenden Demokratie macht.