Einleitung
Langsam rollt sie an, die Klagewelle zum deutschen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), umgangssprachlich auch Antidiskriminierungsgesetz genannt. Das 2006 verabschiedete Bundesgesetz soll ungerechtfertigte Benachteiligungen, die auf der "Rasse", der ethnischen Herkunft, der Religion, der Weltanschauung, einer Behinderung, dem Alter, der sexuellen Identität und nicht zuletzt dem Geschlecht beruhen, verhindern und beseitigen. Die durch das Gesetz geschützten Personen erhalten Rechtsansprüche gegen Private, insbesondere gegen Arbeitgeber, wenn diese gegen die gesetzlichen Diskriminierungsverbote verstoßen. Bislang klagen vor allem Frauen wegen ungleicher Behandlung auf dem Arbeitsmarkt. Jüngstes Beispiel: Eine Mitarbeiterin eines großen Versicherungsunternehmens verklagt ihren Arbeitgeber auf eine halbe Million Euro wegen Diskriminierung am Arbeitsplatz. Der Vorgesetzte hatte der schwangeren Arbeitnehmerin im achten Schwangerschaftsmonat ihren männlichen Nachfolger vorgestellt, obwohl sie nach einigen Wochen Mutterschutz an ihren Arbeitsplatz zurückkehren wollte.
In diesem Beitrag betrachten wir die unterschiedlichen Chancen von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt, und zwar in ihrer Entwicklung seit der Einführung des Gleichberechtigungsgesetzes 1958 bis in die Gegenwart. Wir skizzieren zunächst eine zunehmende rechtliche Formalisierung der Auseinandersetzung um die Geschlechterdiskriminierung im Erwerbsleben. Dann untersuchen wir Facetten der Erwerbstätigkeit von Männern und Frauen im Zeitverlauf, auch mit Blick auf die Situation in anderen Ländern. Vor allem zwei Bereiche rücken wir in den Vordergrund: Zeit und Geld.
Die rechtliche Förderung der Gleichstellung seit 1958
Für Frauen und Männer soll es im Erwerbsleben Chancengleichheit geben - zumindest normativ ist diese Aussage heute unumstritten. Dies war nicht immer so. Zwar ist die Gleichberechtigung von Frauen und Männern seit 1949 in Art. 3, Abs. 2 des Grundgesetzes verankert, doch konnte eine Ehefrau bis 1958 nur mit Zustimmung ihres Ehemannes erwerbstätig sein. Erst mit dem Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgesetzes von 1958 wurde diese Regelung abgeschafft. Dieser Schritt in Richtung Geschlechtergerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt verbesserte die Möglichkeit von Frauen, erwerbstätig zu sein. Das traditionelle Rollenmodell in der Ehe wurde mit diesem Gesetz erstmalig hinterfragt, wobei die Erwerbstätigkeit der Frau immer noch mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar sein musste.
Weitere zwei Jahrzehnte vergingen, bis mit der Eherechtsreform von 1977 die Hausfrauenehe als gesetzliches Leitbild in Deutschland aufgegeben wurde. So legte der Paragraph 1356 des Bürgerlichen Gesetzbuches für die Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit fest, dass Ehegatten die Haushaltsführung im gegenseitigen Einvernehmen zu regeln haben: Ehepartner müssen bei der Wahl und Ausübung der Erwerbstätigkeit auf die Belange des anderen Partners und der Familie die gebotene Rücksicht nehmen.
Erste Schritte in diese Richtung erfolgten erst, als die Bundesrepublik die UN-Konvention zur Unterbindung jeglicher Diskriminierungsformen gegen Frauen im Jahre 1980 unterzeichnete.
Seit den 1980er Jahren hat sich in Deutschland einiges getan, um die Gleichstellung von Männern und Frauen gesetzlich zu verankern und voranzutreiben, so im Ehenamensrecht, Kindschaftsrecht und im Gewaltenschutzgesetz. Die Gleichstellung im Erwerbsleben kam allerdings nur in Minischritten voran.
Die deutsche Gesetzgebung hat den Weg zu größerer Formalisierung auch weiter beschritten, als sie 2006 die Antidiskriminierungsrichtlinie der EU
Frauen und Männer auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland
Erwerbsbeteiligung: Betrachtet man die Erwerbsbeteiligung von Männern und Frauen seit den 1950er Jahren, so lässt sich ganz allgemein feststellen, dass die Erwerbsquoten der Frauen seither gestiegen sind und die Unterschiede in den Erwerbsquoten zwischen Männern und Frauen abgenommen haben (vgl. Abbildung 1 der PDF-Version). Insbesondere seit 1970 ist ein kontinuierlicher Anstieg bei den Frauen zu verzeichnen, während die Erwerbsquote der Männer seit 1990 stetig gefallen ist. Dennoch ist der Unterschied in den Erwerbsquoten von Männern und Frauen auch heute noch deutlich und liegt bei 12,5 Prozentpunkten (2005).
Die Erwerbsquoten unterscheiden sich dabei stark nach Familienstand; Frauen mit Kindern haben niedrigere Erwerbsquoten als Frauen ohne Kinder. Sie unterscheiden sich auch zwischen neuen und alten Bundesländern: Ostdeutsche Frauen sind traditionell wesentlich häufiger erwerbstätig als westdeutsche,
Im internationalen Vergleich liegt die deutsche Frauenerwerbsquote mit 62,2 Prozent
Erwerbsquoten als solche sind aber nur ein Teil des Gesamtbildes. Ebenso wichtig sind das Arbeitsvolumen, also der zeitliche Umfang der Erwerbstätigkeit, und das Arbeitsentgelt, also die Entlohnung für die geleistete Erwerbsarbeit. Auch die Arbeitslosigkeit ist zu beachten. Anders als bei der Erwerbsbeteiligung lassen sich bei den Arbeitslosigkeitsraten allerdings kaum Geschlechterunterschiede feststellen.
Arbeitszeit: Seit den 1980er Jahren sind Frauen zunehmend teilzeiterwerbstätig (vgl. Abbildung 2 der PDF-Version), insbesondere in Westdeutschland. Hier stieg der Anteil von Teilzeiterwerbstätigkeit an der Beschäftigung während der letzten zwei Jahrzehnte um mehr als 20 Prozentpunkte von 27,9 Prozent 1984 auf 49 Prozent 2006. Auch in den ostdeutschen Bundesländern ist der Anteil an teilzeiterwerbstätigen Frauen seit der Wiedervereinigung stark angestiegen. Waren es 1991 noch weniger als 20 Prozent, so ist heute mindestens jede dritte Frau (34,2 Prozent) teilzeiterwerbstätig. Damit einhergehend hat sich über die Jahrzehnte der Abstand im Arbeitsvolumen zwischen Frauen und Männern deutlich erhöht. Belief sich 1984 der Unterschiedsbetrag zwischen den Teilzeitquoten von Männern und Frauen im alten Bundesgebiet auf 26 Prozentpunkte, so liegt er 2006 bei über 40 Prozentpunkten. Mit der zunehmenden Teilzeitbeschäftigung ist auch die Arbeitszeitlücke von Frauen gestiegen (vgl. Abbildung 3 der PDF-Version). Diese beschreibt die Differenz zwischen der Anzahl der Beschäftigten und dem Arbeitsvolumen. Trotz des hohen Frauenanteils von fast 50 Prozent an der Beschäftigung in Deutschland trugen Frauen aufgrund ihrer geringen Arbeitszeit nur mit 41 Prozent zum gesamtwirtschaftlichen Arbeitsvolumen des Jahres 2004 bei.
Bei der Betrachtung von Abbildung 3 fällt ein zweiter Punkt auf: Die Arbeitszeitlücke der Frauen steigt in der Altersgruppe ab 25 Jahren, also mit Einsetzen der Familienphase ("Familiendip"). Die Existenz von Kindern im Haushalt bestimmt somit die Erwerbstätigkeit von Frauen. Während im Jahr 2006 von allen Frauen im Alter zwischen 26 und 49 Jahren ohne Kinder 80,3 Prozent erwerbstätig sind und sich hier kaum ein Unterschied zu Männern mit 80,6 Prozent zeigt, sind es bei Müttern mit Kindern unter 12 Jahren 62,7 Prozent, bei Vätern jedoch 91,4 Prozent.
Die Gründe für die große Arbeitszeitlücke von Frauen in der familienintensiven Lebensphase liegen vor allem in der geringen Betreuungsintensität der Väter und der schlechten Kinderbetreuungsinfrastruktur, insbesondere im Vorschulalter. Krippenplätze stehen in Westdeutschland nur für knapp 3 Prozent der Kinder unter drei Jahren zur Verfügung. In Ostdeutschland ist dieser Anteil mit 37 Prozent mehr als 12-mal so hoch.
Wir können zusammenfassen: Die für Gesamtdeutschland zwischen 1950 und 2005 festzustellende deutliche Zunahme der aktiven Erwerbsbeteiligung von Frauen geht insbesondere darauf zurück, dass sich das Erwerbsverhalten der Mütter im Westen Deutschlands verändert hat. Die Erwerbsbeteiligung erfolgt überwiegend in Teilzeit, da sich nur so die familiären und beruflichen Aufgaben miteinander vereinbaren lassen. Frauen, die Vollzeit arbeiten und gleichzeitig noch familiäre Verpflichtungen haben, gelingt dies kaum.
Bislang kann die Entwicklung in Deutschland hin zu höheren Erwerbsquoten von Frauen nicht als ein Trend zur Doppelversorgerfamilie verstanden werden. Es handelt sich eher um eine Modernisierung des männlichen Versorgermodells.
Entlohnung von Erwerbsarbeit: Blickt man auf Monatseinkommen oder Altersrenten aus eigener Erwerbstätigkeit von Männern und Frauen, so steht Frauen wesentlich weniger Geld zur Verfügung als Männern: 2005 verdienten Frauen durchschnittlich 1864 Euro und damit fast 40 Prozent weniger als Männer (3067 Euro brutto).
Die am häufigsten gewählte Darstellung der finanziellen Situation von Frauen und Männern bezieht sich auf Lohnunterschiede. Der Bezug auf Stundenlöhne blendet dabei das unterschiedliche Arbeitsvolumen von Männern und Frauen bereits aus. In gewisser Weise wird so getan, als hätten Frauen die gleichen Möglichkeiten einer Vollzeiterwerbstätigkeit wie Männer. Die Lohnunterschiede nach Geschlecht lagen zwischen 1995 und 2006 je nach Messung zwischen 19 und 25 Prozent.
Warum sind diese Lohnunterschiede so hoch? Einige Gründe dafür haben wir bereits genannt. Erwerbsunterbrechungen und Teilzeiterwerbstätigkeit wirken sich negativ auf die Lohnentwicklung aus; wer teilzeitbeschäftigt ist, gelangt selten in Führungspositionen, auf denen zudem Teilzeitarbeit in der Regel nicht möglich ist. Obgleich sich Frauen zunehmend im mittleren Management finden - in den Führungspositionen großer Betriebe, insbesondere den gut bezahlten Positionen dort, arbeiten sie sehr selten.
Neben dieser vertikalen Segregation von Frauen und Männern in positionsniedrige und -hohe Jobs ist auch die horizontale Segregation in weiblich bestimmte und männlich dominierte Tätigkeitsfelder zu nennen. So kann gezeigt werden, dass der Frauenanteil in Tätigkeitsbereichen negativ mit den dort durchschnittlich gezahlten Löhnen korreliert.
In Zukunft muss die Rolle von Tarifverträgen ebenso wie die Wirkung des Steuersystems, in dem die Ehepaare gemeinsam veranlagt werden können, weiter untersucht werden. Beide könnten neben dem in Deutschland hohen Anteil von Teilzeitarbeit und den hier vergleichsweise langen Erwerbsunterbrechungen wichtige Anhaltspunkte dafür geben, warum Deutschland im europäischen Vergleich besonders hohe Lohnunterschiede nach Geschlecht ausweist. So beliefen sich die unbereinigten Lohnunterschiede im Durchschnitt der EU-15 Länder (2005) auf 15 Prozent, in Deutschland aber, wie bereits erwähnt, auf 22 Prozent.
Will man sich der Frage nach der Lohndiskriminierung
Es ist festzuhalten, dass es in Deutschland bei der Diskussion um geschlechtsspezifische Einkommensunterschiede heute weniger um direkte oder unmittelbare Lohndiskriminierung von Frauen geht. "Es geht vielmehr um viele, oft versteckte Ursachen, die als indirekte bzw. mittelbare Entgeltdiskriminierung (...) bezeichnet werden. Diese mittelbare Diskriminierung ist in der Realität viel schwerer nachzuweisen."
Ausblick
Betrachtet man 50 Jahre Geschlechtergerechtigkeit und Arbeitsmarkt, so fällt die Bilanz zwiespältig aus: Auf der einen Seite stehen Erfolge. Das gilt insbesondere für die zunehmende Formalisierung und rechtliche Institutionalisierung von Geschlechtergerechtigkeit im Erwerbsleben, aber auch für die kontinuierlich steigende Erwerbsbeteiligung von Frauen. Von wirklicher Chancengleichheit im Erwerbsleben können wir jedoch noch lange nicht sprechen. Die Geschlechterlücke ist immer noch beträchtlich. Dies wird insbesondere beim Vergleich von Arbeitszeit und Arbeitsentlohnung deutlich. Insbesondere in und nach der familienintensiven Phase arbeiten Frauen weniger als Männer, was dazu beiträgt, dass sie im Schnitt auch weniger verdienen, weniger wertvolle Sozialversicherungs- und Rentenansprüche erwerben und langfristig schlechtere Karrierechancen und Lebenszeiteinkommen haben.
Das größte Hemmnis für mehr Geschlechtergerechtigkeit ist nach wie vor die Vereinbarkeit von Karriere und Familie. Dafür gibt es viele Ursachen: Das fängt bei der geschlechterspezifischen Sozialisation für spezifische Rollen und Berufe an, setzt sich über die offene und verdeckte Diskriminierung von Frauen am Arbeitsplatz fort und reicht bis hin zur (Nicht-)Verfügbarkeit von karrierenotwendigen Netzwerken. Zusätzlich setzt der deutsche institutionelle Rahmen mit Ehegattensplitting und Kindergeld finanzielle Anreize, dass Frauen ihre Arbeit bei Familiengründung reduzieren oder ganz aufgeben. Interessanterweise existieren diese Unterschiede zwischen den Geschlechtern aber nicht nur bei Familiengründung und unter niedrig qualifizierten Personen. Selbst hochqualifizierte Frauen haben geringere Karriereperspektiven als ihre gleich qualifizierten männlichen Mitstreiter. Die "geheimen" variablen Komponenten von Gehältern oder die wenig formalisierte Einstufung in unterschiedliche Gehaltsklassen sind nur Beispiele dafür, wie durch Interpretationsspielräume geschlechtlicher Ungleichheit immer noch Tür und Tor geöffnet werden.
Die Folgen einer solchen systematischen Benachteiligung könnten in Zeiten des demografischen Wandels nicht problematischer sein: Denn Geschlechterungerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt führt nicht nur auf individueller Ebene, also für einzelne Frauen, in die berufliche Sackgasse, möglicherweise aus dem Erwerbsleben heraus und in prekäre finanzielle Lagen nach Scheidung oder im Ruhestand hinein. Auch volkswirtschaftlich kann es sich die Bundesrepublik Deutschland, die immer stärker mit einem Fachkräftemangel zu kämpfen hat, nicht leisten, qualifizierten Erwerbspersonen schlechte Arbeitsmarktperspektiven zu bieten, seien sie nun weiblich oder männlich.
Dies gilt allerdings deshalb verstärkt für Frauen, weil sie wegen ihrer - im Vergleich zu Männern - besseren (Aus-)Bildung in Zukunft in weit höherem Maße Teil des qualifizierten Arbeitsangebots sein könnten.
Doch wollen die Frauen dies auch? Eine jüngst durchgeführte repräsentative Untersuchung von Frauen zwischen 17 und 19 bzw. 27 und 29 Jahren
50 Jahre Geschlechtergerechtigkeit und Arbeitsmarkt bedeutet damit mehr als der Verweis auf rechtliche Gleichstellung und Arbeitsmarktstatistiken. Die Arbeitsverteilung zwischen den Geschlechtern wird umgestaltet, die Arbeitszeitpolitik der Betriebe transformiert, die institutionalisierte Lebensverlaufspolitik reformiert werden müssen. Junge Frauen wollen sich die qualifizierte Arbeit der Zukunft erschließen. Werden Politik und Wirtschaft ihre Chancen auch rechtzeitig durch Arbeitspolitik und Arbeitsgestaltung ergreifen?