Einleitung
Alter Wein in neuen Schläuchen? Moderne oder, wie manche meinen, modische Themen werfen die Frage auf, was ist alt und was ist neu? Und wenn es neu ist, ergibt es Sinn und stiftet es Nutzen?
Gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen ist in Deutschland kein neues, sondern ein ausgesprochen traditionsreiches Thema. Gutes zu tun war für viele religiös geprägte und gesellschaftspolitisch inspirierte Unternehmerpersönlichkeiten und deren bisweilen unterschätzte Ehefrauen jahrzehntelang eine gepflegte kulturelle Selbstverständlichkeit.
In Deutschland sind es vor allem kleinere und mittlere Unternehmen, und hier vor allem Handwerksbetriebe, die sich besonders engagieren.
Politische Leitorientierungen
Im Zuge der "nachholenden" Globalisierung von Deutungen und Interpretationen wirtschaftlichen Handelns in Deutschland erfährt die gesellschaftliche Rolle von Unternehmen besondere Aufmerksamkeit. Spätestens seit Anfang der achtziger Jahre wurde vor allem in den USA mit dem Begriff Corporate Citizenship über die Rolle von Unternehmen in der Gesellschaft diskutiert.
Im Unterschied dazu ist der Begriff Corporate Social Responsibility (CSR), der seit Ende der neunziger Jahre im Mittelpunkt der europäischen Debatte steht, weiter gefasst.
Im Kern geht es in beiden Debattensträngen, das heißt sowohl bei Corporate Citizenship als auch Corporate Social Responsibiliy, einerseits um eine strategische Verknüpfung von wirtschaftlichem Handeln und gesellschaftlichem Engagement und andererseits um zeitgemäße Instrumente und Formen gesellschaftlicher Verantwortungsübernahme durch Unternehmen, sei es etwa in Form von Geld- und Sachspenden oder als Mitarbeiterengagement.
Beide Stränge der globalen Debatte über die gesellschaftliche Rolle von Unternehmen sind in Deutschland relativ spät und "zurückhaltend" rezipiert worden.
Veränderte Rahmenbedingungen erfolgreichen wirtschaftlichen Handelns
Aber hierzulande erfährt seit einigen Jahren gepflegte "philanthropische" Tradition oder "bewährte Routine" gesellschaftlicher Verantwortungswahrnehmung von Unternehmen durch zwei grundlegende Veränderungen besondere Dynamik: erstens durch die Globalisierung des Wirtschaftens und zweitens durch den Wandel des nationalen Sozialstaates.
Globalisierung des Wirtschaftens
Die Globalisierung des Wirtschaftens forciert die gesellschaftliche Verantwortungsübernahme von Unternehmen als Teil der wirtschaftlichen Unternehmensstrategie. Gesellschaftliches Engagement ist für global tätige Unternehmen eine Strategie zur sozialen Verankerung an Betriebsstandorten und darüber hinaus in Gesellschaften, in denen man produziert und verkauft. So ist etwa für zahlreiche global tätige US-amerikanische Unternehmen gesellschaftliches Engagement ein integraler Bestandteil der Firmenstrategie. Und in Großbritannien - um ein weiteres Land mit strategisch ausgerichtetem Unternehmensengagement zu nennen - zeigt die gesellschaftliche Verantwortungsübernahme von Unternehmen als Teil der wirtschaftlichen Unternehmensstrategie eine andere Ausprägung. Die Unternehmen engagieren sich im Sinne eines Community Involvements gezielt an den Betriebsstandorten. Unternehmerisches Engagement bedeutet hier, kommunalpolitisch mitzugestalten und mitzuentscheiden.
In diesem Sinne werden Corporate Giving, das heißt Geld- und Sachspenden, und Corporate Volunteering, das heißt die Bereitstellung von Personalressourcen für Engagementprojekte, als ein Investment in Social Capital
Vor dem Hintergrund einer forcierten Globalisierung des Wirtschaftens bleibt - insbesondere für die deutsche Diskussion - festzuhalten, dass gesellschaftliches Engagement von Unternehmen nach wie vor auf freiwilliger Initiative basiert. Engagierte Unternehmen verstehen sich folglich nicht als Ausfallbürgen des Staates. Gesellschaftliches Engagement wird vielmehr als gesellschaftspolitische Partizipation und Einmischung aufgefasst, wobei dieses Engagement nicht als Ausdruck einer diffusen Gemeinwohlorientierung oder als schmückendes Beiwerk philanthropischen Unternehmerhandelns, sondern als ein integraler Bestandteil der wirtschaftlich begründeten Unternehmensstrategie zu verstehen ist.
Wandel des nationalen Sozialstaates
In Deutschland ist ein vielfach hinausgezögerter Wandel der Staatlichkeit zu beobachten und zu erleben. Manche meinen, es würde sich um den Rückzug des Staates handeln. Da sozialstaatliche Veränderungen institutionellen Entwicklungspfaden folgen und nicht eine Abfolge abrupter Systemwechsel sind, ist es angemessener, von einer Veränderung des Staates zu sprechen. Gleichzeitig sind aber auch Wandlungen im Selbstverständnis und im Handeln von Unternehmen, Bürgern und gemeinnützigen Organisationen festzustellen. Im gesellschaftlichen Gefüge kommt es zu einer Neuverteilung von Rechten und Verantwortung zwischen Staat, Bürgern, gemeinnützigen Organisationen und nicht zuletzt Unternehmen.
Ein konventionell denkendes Unternehmen würde unter Verweis auf das deutsche Sozialstaatsmodell verkünden, wir zahlen Beiträge und Steuern und bilden aus, damit ist der sozialen Verantwortung Genüge getan. Diese Argumentationsfigur wird zum Auslaufmodell. Es ist zu erwarten, dass Unternehmen künftig weniger Steuern zahlen werden und auch bei den Beiträgen zu den Sozialversicherungen mit weiteren Entlastungen rechnen können. Diese finanziellen Entlastungen wiederum lassen einen weiteren Bedeutungsverlust des Staates erwarten. Im Zuge dessen werden die politischen und gesellschaftlichen Anforderungen an Unternehmen - unter gleichzeitig verschärften globalen Wettbewerbsbedingungen - öffentlich vernehmbar steigen.
Gesellschaftspolitisch geht es im Wesentlichen um nichts Geringeres als einen neuen Welfare Mix, dass heißt eine neue Rollenverteilung zwischen Staat, Bürgern, Nonprofit-Organisationen und Unternehmen. Diese wurde in Deutschland früher mit einem so sperrigen Begriff wie Subsidiarität umschrieben und war etwa konstitutiv für genossenschaftliche Unternehmen.
Angesichts dieser günstigen politischen Bedingungen eröffnen sich für Unternehmen weitreichende Gestaltungsspielräume bis hinein in Kernbereiche hoheitlichen Handelns. So verdeutlicht das seit Jahren zunehmende Engagement von Unternehmen und Unternehmensberatungen an deutschen Schulen die Chancen und auch Risiken einer engagementpolitischen Mitgestaltung und -entscheidung von Unternehmen im Kernbereich der Kulturhoheit der Länder. Unternehmen übernehmen vielerorts - vor dem Hintergrund gravierender Ressourcenmängel - eine Führungsrolle bei der Unterrichts- und Lehrplangestaltung in Fragen des Wirtschaftens. Damit können einerseits wichtige Lücken im Lehrangebot geschlossen werden, andererseits kann es aber auch zu einer einseitigen Einflussnahme auf Lehrinhalte und schulische Abläufe, einer Begünstigung bereits privilegierter Schulen und auch zu einer Zweckentfremdung von Unterricht zur Nachwuchsrekrutierung kommen. Bereits an diesem einen Beispiel wird deutlich, dass für Unternehmen neuartige und weitreichende gesellschaftspolitische Mitentscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten entstehen, die staatlich kaum noch zu steuern und nur bedingt zu regulieren sind, gleichzeitig aber - im Sinne der Idee einer Bürgergesellschaft - auch nicht öffentlich diskutiert zu werden scheinen.
Und Deutschland heute?
Was lässt sich in Deutschland vor dem Hintergrund einer konventionellen Engagementtradition in Zeiten globalen Wirtschaftens und sozialstaatlichen Wandels auf Unternehmensseite allgemein beobachten?
Auf neue Herausforderungen im Bereich des Engagements von Unternehmen wird in Deutschland zumeist reflexartig reagiert:
Erstens: Das jeweilige Unternehmen - so wurde etwa verkündet - sei schon seit eh und je engagiert. Begriffe wie Corporate Citizenship und Corporate Social Responsibility seien schlicht "alter Wein in neuen Schläuchen".
Zweitens: Zuweilen wurde behauptet, dass gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen bedeute, Ausbildungs- und Erwerbsarbeitsplätze zu schaffen sowie Steuern- und Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen.
Drittens: Oder es wurde leicht apodiktisch festgestellt, dass das jeweilige Unternehmen allein wirtschaftliche Zwecke verfolge und gesellschaftliches Engagement daher nicht seine Aufgabe sei.
Und die deutsche Öffentlichkeit? Sie kultiviert seit Jahrzehnten mehrheitlich ein eindimensionales Unternehmensbild: Unternehmen erzeugen soziale, kulturelle und ökologische Missstände und verursachen Lasten; rücksichtsloser Arbeitsplatzabbau, ausbeuterische Kinderarbeit und Risiken für das Weltklima sind einige der Stichworte.
In den aktuellen Diskussionen über Corporate Citizenship, Corporate Social Responsibility und gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen lassen sich grundlegende gesellschaftspolitische Veränderungen ausmachen (wissenschaftliche Untersuchungen hierzu gibt es in Deutschland nicht), denen zufolge Unternehmen sich auf der Suche nach einer neuen gesellschaftlichen Rolle im Spannungsfeld zwischen staatlicher und supranationaler Standardisierung einerseits und marktwirtschaftlicher Selbstregulierung andererseits befinden. In fast allen Branchen praktizieren Einzelunternehmen die ihnen verstärkt zufallende neue gesellschaftliche Verantwortung. Diese "Pioniere" engagieren sich freiwillig, sind gesellschaftspolitisch ambitioniert und verknüpfen ihr Engagement mit wirtschaftlichen Unternehmenszielen.
Engagierte Unternehmen in der Bürgergesellschaft
Der Begriff der Zivilgesellschaft bzw. seine deutsche Übersetzung der Bürgergesellschaft wird landläufig als ehrenamtliches, freiwilliges und bürgerschaftliches Engagement von Privatpersonen umschrieben. In diesem Zusammenhang wird seit der Arbeit der Bundestagsenquetekommission zur Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements auch das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen in seinen sozialen, kulturellen und sonstigen Umweltbezügen diskutiert.
Eine so verstandene unternehmerische Corporate Citizenship-Strategie richtet sich vor allem an Mitarbeiter und deren Angehörige, Pensionäre, Zulieferer und sonstige Auftragnehmer, Tochterunternehmen sowie an Verwaltungen und Bürger an den Betriebsstandorten, an Kunden, die Medien und die allgemeine Öffentlichkeit.
Die Vielfalt der unternehmerischen Möglichkeiten, auf das gesellschaftliche Umfeld gestaltend Einfluss zu nehmen, aber auch die hohen Erwartungen seitens der Öffentlichkeit, erfordern von Unternehmen bei der Planung und der Durchführung von Corporate Citizenship-Aktivitäten neuartige Kompetenzen und Kooperationsfähigkeiten und nicht zuletzt Sensibilität "im Umgang mit dem Fremden".
In Deutschland hingegen ist die Corporate Citizenship-Praxis vielmehr von Zufälligkeiten, Spontaneität und auch Semiprofessionalität gekennzeichnet: "Das Bild eines ungeordneten Sammelsuriums von Abteilungen, Zielgruppen, Themen, Förderarten zeichnet die Realität in vielen Unternehmen. Wo etwa das Konzept eines Corporate Citizenship Berichtes mit der Praktikantin wechselt, die ihn zusammengeschrieben hat, da sind noch nicht alle Potenziale einer professionellen Behandlung des Themas wirklich ausgeschöpft."
Bürger als Stakeholder
Eine Vielzahl deutscher Unternehmen bewegt sich im Qualitätssegment und würde kaum wirtschaftliche Erfolgsaussichten haben, wenn sie auf billige Produkte setzen würde. Unternehmer, die nur auf den Faktor Kosten schauen, verdienen Artenschutz, sind vom Aussterben bedroht. "Kluges" Führungspersonal hat auch andere Faktoren im Blick. Bei Qualitätsprodukten sind Unternehmen rasch und selbstverständlich mit "kritischen" Fragen konfrontiert, die sich auf das Produkt und seinen Produktionsprozess richten. Besondere Aufmerksamkeit verdienen dabei die Anforderungen anspruchsvoller Konsumenten.
Nimmt ein Unternehmen seine gesellschaftliche Verantwortung nicht oder nur rhetorisch wahr oder verweigert sich sogar dem Diskurs mit Stakeholdern, so ist mit einem Imageverlust und Umsatzeinbußen zu rechnen, wie etwa am Beispiel der inkriminierten Arbeitsbedingungen bei Nike
Für anspruchsvolle Konsumenten, Bürgergruppen und Nonprofit-Organisationen sind Unternehmen, die sich als Corporate Citizen verstehen und Corporate Social Responsibility für sich reklamieren, zweifelsohne Adressaten erster Wahl. Aber die verschiedenen Stakeholdergruppen werden von Unternehmen in Deutschland immer noch selten als gleichberechtigtes Gegenüber wahrgenommen. Vielmehr dominieren in Deutschland anstelle der viel beschworenen Partnerschaftsrituale und Stakeholderdialoge zumeist immer noch Unternehmensmonologe die Praxis des Corporate Citizenship und der Corporate Social Responsibility.
Es wäre also eine "kluge" Unternehmensstrategie, mit den einzelnen Stakeholdergruppen in Dialog zu treten.
In den vergangenen Jahren haben Kostensenkungen und Effektivitätssteigerungen in vielen Branchen in Deutschland einen erheblichen Preiswettbewerb ausgelöst. In den Branchen und Unternehmen, in denen sich an der "Preisschraube" - jenseits einer Produktionsverlagerung - "nicht mehr viel drehen lässt", ist es erforderlich, sich auf andere Art und Weise von Mitwettbewerbern zu unterscheiden, das heißt vorrangig durch die Qualität des Produktes, die Art und Weise des Produktionsprozesses und die gesellschaftspolitische Rolle des Unternehmens. Als Corporate Citizens verfügen Unternehmen über ein breites Repertoire an Strategien, um Endverbrauchern und anderen Stakeholdern markante Unterschiede deutlich zu machen.