Einleitung
Die ablehnende Haltung breiter Bevölkerungsschichten gegenüber der Grünen Gentechnik in Deutschland ist seit Jahren unverändert stark. Eine Befragung des Meinungsforschungsinstituts Emnid im August 2009 ergab, dass 65 Prozent der Deutschen gentechnisch veränderte Organismen (GVO) in Lebensmitteln ablehnen. Nur sechs Prozent befürworten derartige Nahrungsmittel. Auffallend ist, dass selbst Wählerinnen und Wähler der wissenschafts- und fortschrittsliberalen FDP mit 60 Prozent mehrheitlich gegen Grüne Gentechnik und Hightech-Landwirtschaft eingestellt sind.
Das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit stellte in einer Umfrage im Juni vergangenen Jahres fest, dass in auffälliger Weise die Urteile über andere Einsatzgebiete der Gentechnik, etwa in der Medizin, in verschiedenen Bevölkerungsschichten differenziert ausfallen, während die Anwendung dieser Technologie speziell in der Landwirtschaft bei 74 Prozent der bayerischen Bevölkerung auf Ablehnung stößt.
Das lässt den Schluss zu, dass die Informationspolitik und die vielfältigen kommunikativen Bemühungen der Befürworter der Grünen Gentechnik - beispielsweise durch Roadshows oder Ausstellungen Aufklärung und Wohlwollen zu schaffen - weitgehend fehlgeschlagen sind. Im Gegenteil: Eine dezentral sich organisierende Gegenöffentlichkeit ist entstanden, die teils auch mit Mitteln des zivilen Ungehorsams (Feldbefreiungen) nicht nur Widerstand leistet, sondern auch Kommunikationsangebote seitens staatlich getragener Bildungseinrichtungen oder durch politiknahe Stiftungen ablehnt.
Die derzeitige kommunikative Lage kann mit einem Stellungskampf verglichen werden: Die Fronten sind festgefahren. Zwischen ihnen liegen Wissens-, Unsicherheits- und Wertekonflikte. Beide Seiten interpretieren die komplexen sachlichen Zusammenhänge unterschiedlich und erhalten so Wissenskonflikte aufrecht. Sie beschreiben und beurteilen Unsicherheiten unüberbrückbar unterschiedlich, die aufgrund mangelnder Erkenntnisse auftreten können, etwa hinsichtlich der Folgen von Patenten auf Leben. Gegner und Befürworter befinden sich in teils radikalen Wertekonflikten. Ihre weltanschaulichen oder moralischen Bewertungen von vorhandenem Wissen und Nicht-Wissen sind meist diametral entgegengesetzt.
Rolle der Medien
Die blockierte kommunikative Lage wird durch Medien, speziell Printmedien, noch verschärft. Sie entscheiden, worüber die Öffentlichkeit informiert wird und vor allem auf welche Weise. So kann die Grüne Gentechnik je nach Auswahl der Quellen und je nach Platzierung im Blatt mal Heilsbringer und mal Gefahr für Mensch und Umwelt sein. Ein dankbares Thema; objektive, harte Fakten kommen dabei leider häufig zu kurz.
Die Folgen sind fatal: Informationen, so wichtig sie auch für die Bevölkerung sein mögen, gelangen nicht mehr zwangsläufig an die Öffentlichkeit - sofern die Konzerninteressen eines Werbepartners entgegenstehen. So geschehen in den USA, wo der Saatguthersteller Monsanto nicht nur auf Verlage einwirkt, sondern bereits die Ausstrahlung einer kritischen Reportage des Fernsehsenders Fox verhindert hat.
Auch wird von einigen Meinungsmachern gerade in Umweltfragen zunehmend ein unsachlicher, sehr einseitiger Kommunikationsstil gepflegt. So ist die Rede von der "Technikfeindlichkeit der Deutschen" und vom "Ressentiment gegen jegliche Weiterentwicklung". Ökologisch engagierte Mitmenschen, die Atomkraft und Grüner Gentechnik kritisch gegenüber stehen, werden als "Ökoaktivisten", "romantische Heimatschützer" sowie "Untergangspropheten und Verzichtsapostel" diffamiert.
Agrarethisches Plädoyer: mehr Wahrhaftigkeit
In dieser vielfältig verfahrenen kommunikativen Frontenlage ist der Ruf nach agrarethischen Klärungen verständlich. Agrarethik reflektiert systematisch und mit Anspruch auf verallgemeinerbare Aussagen die weltanschaulichen, moralischen, religiösen und spirituellen Grundlagen agrarkultureller, landwirtschaftlicher Praxis, aber auch von Agrarforschung und Agrarpolitik. Agrarethische Reflektionen verfolgen die Absicht, die Entscheidungen und Tätigkeiten in diesen drei Feldern auf ihre Legitimität zu prüfen. Ihr erkenntnisleitendes Interesse besteht darin, Werte benennen zu können, welche die jeweiligen Entscheidungen oder Tätigkeiten im landwirtschaftlichen Betrieb, in den Agrarwissenschaften und ihnen folgenden Ausbildungen und in der politischen Normierung wie im verwaltenden Vollzug als ethisch fundiert rechtfertigen können.
Die Güte der Legitimation bemisst sich dabei zum einen am Umfang der Wertbezüge, die zur Begründung, in diesem Fall des Einsatzes oder der Nichtverwendung von Grüner Gentechnik, bemüht werden können (Inklusivitätsprinzip). Zum anderen bemisst sie sich daran, dass möglichst viele Anspruchsgruppen in einem lösungsorientierten Diskurs über die Nutzung oder Nicht-Nutzung zu einem konsensfähigen Verhalten finden (Kohärenzprinzip). Bauern, Verbraucher, Saat- und Zuchtguthersteller, Industrie- und Hochschulforscher, Düngemittel- und Pflanzenschutzmittelhersteller, Futtermittelerzeuger, Verarbeiter, Lebensmittelhändler, Logistiker, Politiker verschiedenster Provenienz, Kirchen, Vertreter von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Medien- und Kulturschaffende gleichermaßen auf Augenhöhe in einen agrarethischen Diskurs einzubeziehen ist praktisch möglich und hat sich in verschiedenen Sachfragen auch mit agrarischen Bezügen bewährt.
Ein am Diskurs der Anspruchsgruppen orientierter Zugang zu Fragen eines modernen Agrarethos hat allerdings eines zur normativen Voraussetzung: Es ist allen Vertretern von Anspruchsgruppen ein aufrichtiges Anliegen, zu einer guten, weitreichend überzeugend zu begründenden Praxis zu gelangen. Nur wenn alle Beteiligten sich deshalb auf Wahrhaftigkeit
Wahrhaftigkeit als Norm für zukünftige Diskurse zwischen Befürwortern und Gegnern der Grünen Gentechnik zu postulieren hat zwei Folgen. Zum einen wird die bewusste Lüge, die gewollte Falschaussage, das beabsichtigte falsche Zeugnis wider eine Person und Anspruchsgruppe ausgeschlossen. Zumindest kann, unter der Bedingung, dass alle Diskursteilnehmer sich zu Wahrhaftigkeit als Spielregel ihrer Kommunikation verständigen, das jeweilige Verletzen dieser Regel angesprochen und damit überwunden werden. Die zweite Folge, Wahrhaftigkeit neu für die Entschärfung der derzeit so verfahrenen kommunikativen Lage rund um die Grüne Gentechnik in Deutschland zu bemühen, ist ebenso vielversprechend. Der aktuelle Stellungskrieg ist nämlich auch dadurch gekennzeichnet, dass sich die Gegner bei der Suche nach Gründen für ihre technologische Präferenz selektiv verhalten. Sie lassen nur das als Argument zu, was ihrer je eigenen Beweisabsicht entgegenkommt. Sie verschweigen und verdrängen, was gegen sie selbst sprechen würde. Rationalisierungen, also unwahrhaftige Begründungen, werden vorgenommen, um die persönlichen oder unternehmensspezifischen Interessen so zu bemänteln, dass es dem Selbstinteresse einseitig entgegenkommt. Im medialen und politischen Raum werden ideologische Vorzugswertungen entsprechend in Argumente gekleidet, die ebenfalls kommunikativ verzerrend, weil nur teils wahrhaftig wirken. Würde also weniger oder gar nicht rationalisiert bzw. ideologisiert, könnte eine neue Offenheit entstehen. Die Anerkennung der argumentativen Positionen der jeweils anderen Anspruchsgruppe könnte gelingen und damit eine Voraussetzung für eine gemeinsame Lösungsorientierung jenseits der konventionellen Kontroverse geschaffen werden.
Das klare Bekenntnis zum kommunikativen Leitwert Wahrhaftigkeit und die Bereitschaft zum konsequenten Verfolgen dieses scheinbar so selbstverständlichen Gebots der Ehrlichkeit ist die Grundlage für jedwede agrarethische Güterabwägung pro oder contra Grüner Gentechnik. Die vielfältigen, von Gegnern wie Befürwortern in den vergangenen Jahrzehnten in Anschlag gebrachten, mehr oder weniger wahrhaftigen Argumentationen beziehen sich im Kern immer auf unterschiedliche Werteportfolios (etwa Produktionssteigerung; Nachhaltigkeit; Eigentumsschutz; Hungerbekämpfung; Umweltverträglichkeit; Ernährungssouveränität; Schöpfungsbewahrung). Um, möglicherweise Fall für Fall, zu entscheiden, ob es moralisch legitim ist, Saatgut aus bestimmten Zuchtverfahren einzusetzen oder nicht, ist angesichts der Komplexität der Wertsetzungen, Interessen und Strategien der unterschiedlichen Anspruchsgruppen, die in diese Entscheidung einfließen, eine wahrhaftige und weitgehende Offenlegung dieser Inwertsetzungen notwendig. Da dies inhaltlich, also Wert um Wert, in einem überschaubaren Zeitrahmen eher schwierig werden dürfte, braucht es für einen gelingenden Diskurs wenigstens eine gemeinsame, konsensfähige Spielregel zur Steuerung der Kommunikation.
Die jedweden ethischen Diskurs fundierende Verfahrensregel Wahrhaftigkeit könnte kommunikationspsychologisch ein Diskursklima des Vertrauens und der Glaubwürdigkeit schaffen. Grundsätzlich gilt, dass die praktizierte Kommunikationskultur wegweisend für die Legitimität der agrarethischen Entscheidungen ist. Unstrittig scheint zu sein, dass die bisherige Kommunikation von vorhergesagten oder versprochenen Erfolgen Grüner Gentechnik und die von Kritikern festgestellte Wirklichkeit zumindest für den deutschen Diskursraum wenig Vertrauen oder Glaubwürdigkeit geschaffen hat.
Grüne Gentechnik - Versprechen und Wirklichkeit
Die Versprechen der gv-Saatgut produzierenden Unternehmen vor zwei Jahrzehnten waren vielfältig und weitreichend. Sie adressierten Werte und Erstrebenswertes: Von einer zweiten Grünen Revolution war die Rede, von einer Vervielfachung der Erträge und von krankheitsresistenten Pflanzen. Gentechnisch verändertes Saatgut schone die Umwelt, weil der Pestizideinsatz durch "eingebaute" Resistenzen bedeutend sinke. Ungefährlich für Mensch und Tier, könnte so das weltweite Hungerproblem gelöst werden.
Tatsächlich blieb der beschworene Siegeszug aus. Nur wenige, relativ einfach zu realisierende genmanipulierte Pflanzen haben es bislang überhaupt bis zur Marktreife geschafft. Sie sind entweder herbizid- oder insektenresistent; manche Pflanzen enthalten auch eine Kombination aus beiden Resistenzen.
Statt der versprochenen "sicheren" Ernten stellt sich in der Praxis ein ganz anderes, heterogenes Bild dar. Zwar gibt es durchaus Perioden mit höheren Erträgen sowie mit einem geminderten Pestizideinsatz. Doch ebenso verzeichnen die betreffenden Landwirte einen Rückgang der Produktivität und/oder steigende Mengen an Insekten- und Unkrautvernichtungsmitteln.
Ferner wird die Frage, ob gv-Pflanzen gesundheitliche Risiken für Tier und Mensch mit sich bringen, äußerst kontrovers diskutiert. Während man sich bei den Zulassungsbehörden auf "fundierte" wissenschaftliche Ergebnisse beruft, sind Skeptiker zunehmend beunruhigt. Zunächst einmal: Die gesundheitliche Unbedenklichkeit für Mensch und Tier kann gv-Produkten aufgrund fehlender, wissenschaftlich einwandfreier und unabhängiger Studien, auch über längere Zeiträume hinweg, überhaupt nicht assistiert werden.
Ein Beispiel ist der gv-Mais Bt-176 der Firma Novartis (heute Syngenta). In den Zellkern des Bt-176 waren drei Gene eingeschleust worden: Ein Gen von Bacillus thuringiensis (Bt) ermöglicht die Produktion eines Giftes gegen den Maiszünsler. Ein zweites Gen macht den Mais resistent gegen das Herbizid "Basta", das dritte Gen produziert eine Resistenz gegen das Antibiotikum Ampicillin. Der hessische Milchbauer Gottfried Glöckner begann 1997, den damals von den zuständigen Behörden gerade als unbedenklich zugelassenen Mais anzubauen und zu verfüttern. Bis zum Jahr 2004 verlor der Milchbauer 135 Kühe. Entgegen der Aussagen von Syngenta blieb das Bt-Gift in der Maissilage bestehen. Es erreichte die Organe der Kühe, konnte im Blut, den Lymphknoten und im Kot nachgewiesen werden und gelangte über die Gülle wiederum auf die Weiden. Nach etlichen Gutachten zahlte in einem gerichtlichen Vergleich Syngenta Schadensersatz an Glöckner. Bis zu diesem Schuldeingeständnis versuchte Syngenta systematisch, den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Erkranken der Kühe und seinem gv-Mais zu verharmlosen und zu verschleiern. Bt-176 darf seit März 2000 nicht mehr landwirtschaftlich angebaut werden.
Tatsächlich besteht der begründete Verdacht, dass die Toxine, die von den Pflanzen produziert werden, unspezifisch ebenfalls "Nicht-Zielorganismen" schädigen können. Konsequente Risikoforschung gibt es zu diesen Problemen kaum.
Mit dem Ausbleiben erhoffter Vorteile sowie dem wachsenden Widerstand gegen gv-Saatgut in Europa und anderen Teilen der Welt ändert sich die Kommunikationsstrategie, mit der die Befürworter der Grünen Gentechnik diese Technologie durchsetzen wollen. Neuestes Hauptargument ist die Hungerbekämpfung: Durch gentechnische Veränderungen könnten Pflanzen geschaffen werden, die sich an widrige Umweltbedingungen besser anpassen und so auch in extrem trockenen oder nährstoffarmen Böden besser gedeihen könnten. Soweit die Theorie.
Jedoch kommt beispielsweise das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag in einem aktuellen Bericht zu dem Schluss, dass gv-Pflanzen für die Ernährungssicherung und lokale Märkte in Entwicklungs- und Schwellenländern kaum eine Rolle spielen.
Für einen kommunikativen Neubeginn
Für einen kommunikativen Neubeginn, der ein Hauptanliegen der aktuellen agrarethischen Diskussionen darstellt,
Darüber hinaus gibt es aber noch eine Reihe - hier ohne Vollständigkeitsanspruch erhobener - Forderungen an die einzelnen Anspruchsgruppen, die Diskursrelevanz haben. Ohne sie kann keine neue Glaubwürdigkeit entstehen. Ohne ihre Erfüllung bleibt es beim frontalen Gegeneinander. Werden sie jedoch konstruktiv bearbeitet, kann ein Geist des Miteinanders oder der Lösungsorientierung entstehen. Dieser ist möglicherweise umwelt- und zukunftsgerechter als eine Auseinandersetzung in einem Geist, der auf Missachtung und Meinungsmanipulation basiert.
Eine wesentliche Forderung, welche die Saatgutindustrie für einen kommunikativen Neubeginn erfüllen muss, richtet sich auf das verlässliche Zugänglichmachen von Fakten und Informationen aus der industriefinanzierten Forschung, insbesondere der Risikoforschung. Doch gerade hier mangelt es derzeit an Transparenz. Auch kommt es immer noch zu abzustellenden Irreführungen, die den Verbraucher nicht nur verunsichern, sondern auch zu Recht verärgern.
Als Beispiel sei das Internetinformationsportal TransGen.de, Transparenz für Gentechnik bei Lebensmitteln, genannt. Die Plattform wird als unabhängig und neutral dargestellt, finanziert wird sie jedoch unter anderem von Bayer CropScience, BASF, Dow Agro Sciences, Monsanto Agrar, Du Pont/Pioneer Hi-Bred International und Syngenta Agro. Die Verbraucher Initiative e.V. tritt seit 2009 nicht mehr als ideeller Träger des Portals auf. Stattdessen wurde eigens das Forum Bio- und Gentechnologie, Verein zur Förderung der gesellschaftlichen Diskussionskultur e.V., gegründet.
Von der Wissenschaft muss gefordert werden, dass sie ihre häufig ausschließlich spezialisierte Perspektive der Forschung und Kommunikation, ihr Expertentum, transdisziplinär weitet. Tatsächlich ist die Sichtweise der Wissenschaft häufig sehr eng; Pflanzen werden auf ihren genetischen Aufbau reduziert, mehr noch, auf einzelne Gene und deren Manipulierbarkeit. Damit war die Ausrichtung der Wissenschaft in Bezug auf die Erforschung von Nutzen und Risiken gentechnisch veränderter Pflanzen in der Vergangenheit stark reduktionistisch geprägt. Betrachtet werden ausschließlich Gensequenzen im Labor, kaum jedoch die ökologischen, und schon gar nicht die sozioökonomischen Folgen.
Für eine vom Vorsorgeprinzip geleitete, glaubwürdige und umfassende Risikoforschung wird die Wissenschaft in Zukunft stärker einem systemischen Ansatz folgen müssen, der agrarkulturelle, ethische, ökologische und sozioökonomische Faktoren gleichermaßen einbezieht. Die Wissenschaft muss sich einer breiten gesellschaftlich-kulturellen Debatte öffnen und stärker Verantwortung übernehmen für das, was sie tut und warum sie es tut. Denn was im Labor geschieht und wie diese Prozesse wissenschaftlich bewertet werden, hat Einfluss auf die Anwendung der Grünen Gentechnologie.
Die für Risikobewertung und Risikomanagement politisch verantwortlichen Behörden müssen ebenfalls ihren Beitrag für eine neue, wahrhaftige Kommunikationskultur leisten. Insbesondere die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) gerät immer wieder in die Kritik. Die EFSA wird im Bereich der Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit gerne als die Basis der Risikobewertung der Europäischen Union dargestellt. Ihre Experten äußern sich zu sämtlichen Fragen der EU-Lebensmittelsicherheit, unter anderem auch bei der Zulassung von gv-Pflanzensorten. Hier bewerten sie die Anträge der Industrie und sprechen Empfehlungen aus, auf deren Grundlage die Kommission Entscheidungen trifft. Die Behörde mit Sitz in Parma kostet den EU-Steuerzahler jährlich über 60 Millionen Euro. Man könnte also annehmen, dass für die Risikoforschung aufwändige unabhängige Untersuchungen durchgeführt werden. Doch tatsächlich arbeitet man dort mit Datenmaterial, das von den betreffenden Unternehmen zur Verfügung gestellt wird; eigene Befugnisse besitzt die Behörde nicht.
Ganz anders wird dies im zweiten Gentechnologiebericht der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften dargestellt. Hier klagt man über gravierende Defizite der deutschen Forschungspolitik im Hinblick auf die Grüne Gentechnologie und stellt fest: "Die umfangreiche wissenschaftliche Überprüfung möglicher Risiken durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat sich bewährt, und der wissenschaftlichen Qualität der Expertise ist keine konkrete Fehlerhaftigkeit vorzuwerfen."
Von den Nichtregierungsorganisationen ist zu fordern, dass auch sie selektive Lesarten von Forschungsergebnissen in Zukunft verstärkt meiden und in ihren Bemühungen nicht nachlassen, Skandale aufzudecken, beispielsweise bei Futter- oder bei Lebensmittelimporten, die genetisch verändertes, nicht zugelassenes Material enthalten. Von den Medien muss erwartet werden, dass sie mit kritischem Sachverstand Fragen nach dem langfristigen ökologischen und sozialen Nutzen Grüner Gentechnik stellen. Der Nutzen von genmanipulierten Organismen ist der deutschen Verbraucheröffentlichkeit bislang jedenfalls nicht hinreichend verständlich gemacht worden.
Einige dieser Forderungen mögen angesichts der historisch gewachsenen Verhärtungen im Kommunikationsstil der Anspruchsgruppenvertreter utopisch erscheinen. Die faktisch schon vorhandenen oder für die nahe Zukunft prognostizierten Engpässe aus Klima-, Energie- und Finanzkrise einerseits und veränderte Ernährungsgewohnheiten andererseits (Stichwort: Weltweit steigender Konsum tierischer Produkte) bringen jedoch, national wie global, neue, auch mit agrarethischen Argumenten zu führende Auseinandersetzungen mit sich.
Der harte Diskurs darüber, was die angemessenen Technologien zur Ernährungssicherung sein werden, steht erst noch bevor. Belastbare Plattformen für diesen Diskurs gilt es neu zu organisieren. Dafür muss jede Anspruchsgruppe sich in Richtung größerer Kommunikationsfähigkeit und gesteigerter Kommunikationsbereitschaft bewegen. Und nochmals: Wahrhaftigkeit ist die Voraussetzung.