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Von der Vielstimmigkeit zur Marke: 60 Jahre ARD-Hörfunkprogramme | 60 Jahre ARD | bpb.de

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Von der Vielstimmigkeit zur Marke: 60 Jahre ARD-Hörfunkprogramme

Hans-Jürgen Krug

/ 15 Minuten zu lesen

Aus dem lockeren Zusammenschluss regionaler Hörfunkanbieter ist inzwischen ein fest kooperierender Verband geworden. Unter dem gemeinsamen "ARD-Label" sind mittlerweile mehr als fünfzig Radioprogramme vereint.

Einleitung

Die neue, regional strukturierte Nachkriegshörfunklandschaft war rund fünf Jahre alt, als sich am 9. und 10. Juni 1950 der Bayerische Rundfunk (BR), der Hessische Rundfunk (HR), der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR), Radio Bremen (RB), der Süddeutsche Rundfunk (SDR) und der Südwestfunk (SWF) zur "Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland", kurz ARD, zusammenschlossen. Es war ein lockerer Zusammenschluss, eine Arbeitsgemeinschaft eben, die vor allem bei der Lösung gemeinsamer Anliegen helfen sollte. "So viel Einheit wie nötig, so viel Vielfalt wie möglich", beschrieb SDR-Intendant Hans Bausch einmal die frühe ARD-Philosophie und das Beharren der einzelnen Mitglieder auf Autonomie. Die drei Buchstaben stünden für "Alle reden durcheinander", hielt später ein Uralt-Kalauer fest. Eine andere, weniger populäre Deutung lautet: "Alle reisen dauernd."

Im Juni 1950 gab es in Deutschland noch kein Fernsehen, die sechs ARD-Mitglieder sendeten ausschließlich Hörfunk. Das Radio war das neue bundesdeutsche Leitmedium, es war kulturorientiert und auf dem elektronischen Markt konkurrenzlos. Eine normale Hörerin, ein normaler Hörer konnten in der Regel nur das Mittelwellenprogramm des eigenen "Haussenders" hören, die ersten UKW-Programme "UKW West" und "UKW Nord" (vom NWDR) waren erst wenige Tage alt und mit den fast ausschließlich verbreiteten reinen Mittelwellenempfängern überhaupt noch nicht zu empfangen. Die Radioprogramme waren Einschaltprogramme und relativ einfach gemacht, Sendung folgte auf Sendung, man nannte das später "Kästchenradio"; abrupte Wechsel zwischen Politik, Kultur oder Musik waren selbstverständlich. Der Besitz eines Hörfunkapparates kostete zwei DM Gebühren im Monat - und da die Hörerzahlen auch nach dem Zweiten Weltkrieg rapide stiegen, konnten die gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Sender insgesamt "beträchtliche Reserven" bilden.

Finanzausgleich

Die neuen Hörfunksender in München, Hamburg, Frankfurt, Bremen, Baden-Baden und Stuttgart hatten sehr unterschiedlich große Sendegebiete und sehr unterschiedliche Einnahmen. Es gab reiche, mittlere und arme Sender, 1956 verfügte der neu gegründete Westdeutsche Rundfunk (WDR) beispielsweise über fast 70 Millionen DM an Einnahmen, Radio Bremen aber erhielt (für ähnliche Aufgaben) nur 3,5 Millionen DM. Der interne "Finanzausgleich" war deshalb früh die zentrale Aufgabe der ARD. Zunächst glich man durch "Ad-hoc-Zahlungen" aus, seit 1958 gab es dann dafür ein kontinuierliches, im Laufe der Jahre immer wieder justiertes System.

Eine andere Form des "Finanzausgleichs" war schon früh die zusätzliche Finanzierung des Hörfunks durch Werbung. Anfang der 1950er Jahre warben fast alle ARD-Hörfunkprogramme, und Radio Bremen soll damals sogar ein Viertel seiner Einnahmen aus Funkwerbung erhalten haben. 1954 wurde die Arbeitsgemeinschaft Rundfunkwerbung (ARW) gegründet - hier schlossen sich nun auch die regionalen Werbefunkgesellschaften, die "hilfreichen Töchter" zusammen. Neben der Kommunikation der ARD-Mitglieder gab es nun auch die Kommunikation der ARD-Werbegesellschaften.

Die kleinen Sender in Bremen und Saarbrücken waren von den zusätzlichen Werbeeinnahmen "abhängig". Besonders der Saarländische Rundfunk setzte zur "Linderung der Finanznot" früh und ausdrücklich auch auf "Programm-Innovation". Als Ende 1963 die "Europawelle Saar" mit stündlichen Nachrichten, Magazinen, über den Tag verteilter Streuwerbung und hohem Musikanteil angekündigt wurde, da wurde - so breit war damals das Spektrum - in der ARD darüber diskutiert, ob man den SR nicht wieder aus der ARD ausschließen sollte. Später etablierten sich die durch die Werbung ausgelösten Saarbrücker Innovationen auch in den anderen Hörfunkwellen.

Kein ARD-Radio

Die reine Hörfunk-ARD war vor allem ein "relativ lockerer Zusammenschluss mit Vereinscharakter", Beschlüsse mussten einstimmig sein, "Souveränität" wollten die einzelnen Mitglieder nicht abgeben, "schon gar nicht auf dem Gebiet des Programms". Erst die Etablierung des Fernsehens veränderte diesen lockeren Charakter der ARD, denn seit dem 1. November 1954 hatten die regionalen Gesellschaften täglich ein gemeinsames Programm, das (Erste) Deutsche Fernsehen zu gestalten. Beim Radio hingegen entstand diese Notwendigkeit nicht, der öffentlich-rechtliche Hörfunk war und blieb ein regionales Medium. BR und HR, NWDR und RB, SDR und SWF machten ihre eigenständigen Programme, und die ARD war im Radiobereich eine schwache Institution, an deren Spitze eine Hörfunk-Kommission stand: "Als Vorsitzender in der Hörfunk-Kommission, also unter den Kollegen Programmdirektoren, hatte man sich demgemäß als Makler und Mittler zu betätigen, der die Probleme auf den Tisch legte, um sich nach freundlichem (oder auch einmal leidenschaftlichem) Gedankenaustausch wieder einzusammeln - mit unterschiedlichem Erfolg, was die Nachwirkungen der Diskussion betraf", fasste der langjährige SDR-Hörfunkdirektor Peter Kehm einmal seine Erfahrungen zusammen. "Im Laufe der Zeit - ich war viermal Vorsitzender - lernte ich die Brisanz der zur Debatte stehenden Fragen und folglich die Chancen für Konsens oder Dissens einigermaßen zutreffend einzuschätzen, so dass ich dazu übergehen konnte, die Ergebnisprotokolle in den wesentlichen Zügen schon vor den Beratungen fertig zu stellen, was dem zügigen Ablauf der Verhandlungen sehr zustatten kam." 1959 gehörten bereits neun Mitglieder zur ARD, 1962 waren es elf und 1992 sogar dreizehn.

Die Jahre zwischen 1950 und 1960 gelten gemeinhin als "Blütezeit" des Hörfunks, als die großen Radiojahre. Es war die Hochzeit des konkurrenzlosen ARD-Hörfunks mit seinen rund 10 bis 15 selbständigen Regionalprogrammen; die ARD-Sender besaßen weitgehend die Alleinherrschaft im Äther. Seit 1952 hatten alle ARD-Sender dann zwei Programme: ein Mittelwellenprogramm ("Erstes Programm") und wenigstens stundenweise ein "Zweites" Ultrakurzwellenprogramm; seit 1956 hatte der NDR sogar ein "Drittes Programm" speziell für die Kulturinteressierten. Der Abend war die bevorzugte Radiozeit, die Programmstrukturen waren stabil, Programmkonzeptionen wurden nur "relativ geringfügig und ziemlich langsam verändert", Innovationen waren rar. Es waren die Jahre, in denen das "Echo des Tages" oder die "Rundschau aus dem Hessenland", Werke des Hörspielautors Günter Eich oder die Radioshows von Hans-Joachim Kulenkampff und Peter Frankenfeld große Hörergruppen ansprachen.

1959 trat die ARD erstmals als eine Art Programmveranstalter auf: Sie etablierte mit der "Musik bis zum frühen Morgen" ein gemeinsames Nachtprogramm - in Hamburg, München und Baden-Baden war nun während der Nacht dasselbe Programm zu hören. 1964 folgte ein gemeinsames Ausländerprogramm, das von allen Landesrundfunkanstalten ausgestrahlt wurde (bis 2003) - und beinahe hätte es 1971 sogar eine bundesweite Autofahrerwelle gegeben. Doch angesichts knapper Hörfunkfrequenzen war das ARD-Projekt nicht durchsetzbar.

Das ARD-Fernsehen - einst durch Hörfunkgebühren anschub- und querfinanziert - beendete nach 1960 langsam die "Blütezeit" der ARD-Radios und eroberte die populären abendlichen Sendezeiten. Das Interesse am Radio ließ nach, die Nutzungszeiten sanken, der Hörfunkmarkt war weitgehend gesättigt, das Geld - die Radiogebühren betrugen bis 1970 zwei DM - wurde knapper. In den 1960er Jahren begann das älteste elektronische Medium sich langsam - und gegen das Fernsehen und seine Abendprogramme - neu zu erfinden. Mehrstündige Mittags- und Morgenmagazine entstanden, Pop- und Jugendsendungen wurden eingeführt, die Werbung wurde über den ganzen Tag verteilt - und dann wurden Autofahrer, Service- und reine Popwellen wie Bayern 3, HR3, SWF 3 oder Südfunk 3 gegründet. Da die Gebührengelder dazu nicht mehr ausreichten, setzten die neuen Servicewellen auf Werbung. "Unsere Servicewelle HR3 trägt sich durch die eingebaute Werbung selber", so HR-Hörfunkdirektor Henning Wicht 1974 - und damit zu öffentlich-rechtlichen Monopolzeiten. "Ein kleiner Schritt, und wir hatten es: das ,duale' Rundfunksystem unter einem Dach, in einem Haus", schrieb später SDR-Hörfunkdirektor Peter Kehm.

Während die "Ersten" Programme auf Mittelwelle weitersendeten wie gewohnt, eroberten die neuen Pop- und Servicewellen (auf UKW) mit rapider Geschwindigkeit die Hörerinnen und Hörer. "Aktualisierung, Typisierung, Personalisierung und Spezialisierung" - dies waren die Stichworte für die Neuorientierung der ARD-Radios, die Henning Wicht 1969 populär im ersten ARD-Jahrbuch festhielt. Sie leiteten innerhalb der ARD-Radios langsam und leise amerikanisch inspirierte Veränderungsprozesse ein, die - bisher unbeschrieben - "innerhalb weniger Jahrzehnte alle in Europa gewachsenen Radio-Formen nahezu vollständig dominier(en)" sollten.

Kooperation und Koordination

Die Geschichte der ARD-Hörfunk-Kommissionen ist noch nicht geschrieben und über die reale, vereinheitlichende Macht der "Arbeitsgemeinschaft" im Radiobereich weiß man ebenso wenig wie über die internen Konflikte. Während die verschiedenen ARD-Mitglieder ihre eigenen, autonomen Programmangebote produzierten und sendeten, wurden (eher im Hintergrund) Kooperation und Koordination verstärkt. Seit den 1950er Jahren wurde Schritt für Schritt ein System der Auslandskorrespondenten aufgebaut; 1956 ging Klaus Mehnert als erster Hörfunkkorrespondent nach Moskau, 1957 Klaus Bölling nach Belgrad, 1994 waren 29 ARD-Korrespondenten und 21 Gruppenkorrespondenten in aller Welt für ARD-Radios unterwegs. Parallel entstanden als zentrale bundesdeutsche Politikzulieferer langsam bimedial strukturierte Hauptstadtstudios: 1958 das "Studio Bonn" und dann 1999 das "ARD-Hauptstadtstudio" in Berlin. Die Qualität der traditionellen öffentlich-rechtlichen Politikberichterstattung wurde weitgehend aus diesen Studios getragen. 1974 wurde ein ARD-Hörfunk-Sternpunkt in Betrieb genommen, der heute bis zu 1000 Beiträge täglich an die Sender überspielt.

Anfang der 1980er Jahre sendeten einige öffentlich-rechtliche Anstalten inzwischen vier stärker gegeneinander profilierte Programme: Das traditionelle "Erste" Programm war noch immer ein "Kästchenangebot" und bündelte die traditionelle Politikberichterstattung (WDR 1, HR1, NDR 1). Das "Zweite" oder - im Süden - "Dritte" Programm war ein magaziniertes popmusikalisches Service- und Informationsprogramm (WDR 2, NDR 2, Bayern 3, SWF 3, HR3); es wurde die neue "Leitwelle", sendete nutzerorientierte Informationen und setzte auf den Nebenbeihörer. Dazu kam - im Norden als "Drittes", im Süden als "Zweites" Programm - eine Kulturwelle mit traditionellen "Kästchenangeboten" (NDR 3, WDR 3, HR2, SWF 2, BR 2). In den 1980er Jahren wurden diese Angebote durch schlagerorientierte Heimatwellen ergänzt (SR 3 Saarlandwelle, HR4, WDR 4). Die Pop- und dann die noch jungen Schlagerwellen waren die hörerreichsten öffentlich-rechtlichen Angebote. Als "Faktor der öffentlichen Meinung" aber, so der damalige SWF-Intendant Willibald Hilf bereits 1983, sei der Hörfunk "im Vergleich zu den Zeitungen, den Zeitschriften und dem Fernsehen nur noch gering zu veranschlagen".

Es waren und blieben die eher randständigen Sendebereiche (Nachtprogramm, Ausländerprogramm), in denen die ARD gemeinsame Programme anbot. In den 1980er Jahren wurde aus dem Klassiker "Musik bis zum frühen Morgen" der schlagerdominierte "ARD-Nachtexpress". Parallel entstanden für Klassikliebhaber das "ARD-Nachtkonzert" (1980) sowie für Rockmusikfans der "ARD-Nachtrock" (1985).

Duales System

1986 endete die Alleinherrschaft der inzwischen rund 28 ARD-Programme auch im Hörfunkbereich. Mit Radio Schleswig-Holstein (RSH) startete das erste landesweite private und rein werbefinanzierte Hörfunkprogramm und eröffnete die Konkurrenzkämpfe zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Hörfunk. NDR 2 gegen RSH, Radio Hamburg oder FFN, Bayern 3 gegen Antenne 3 - das waren nach der (schrittweisen) Etablierung des dualen Hörfunksystems die neuen Konfliktlinien. Es ging hier nicht um Politik, Kultur oder gehobene Unterhaltung. Werbende Radios konkurrierten mit werbenden Radios, eine populäre UKW-Frequenz gegen eine andere UKW-Frequenz. Und nun - rund 10 Jahre nach dem Gründungsboom - verloren gerade die bislang viel gehörten, weitgehend werbefinanzierten und serviceorientierten ARD-Wellen zahlreiche Hörerinnen und Hörer. 1978 hatte WDR 2 etwa 6,3 Millionen Hörer, 1998 waren es noch 2,8 Millionen; NDR 2 rutschte von 5,3 Millionen auf 1,9 Millionen. Während 1950 alle Hörer ausschließlich ARD hörten, fiel der Marktanteil der ARD nach 1986 auf 60,1 Prozent (1994) und weniger. Das war - wie früher bei der Einführung des Fernsehens - für die Programmverantwortlichen bei der ARD ein "Schock".

Nach der Wiedervereinigung 1990 wurde das duale System schrittweise auch auf Ostdeutschland ausgeweitet: 1992 wurden der Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg (ORB) und der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) in die ARD aufgenommen. Sie hatte jetzt elf öffentlich-rechtliche Mitglieder, strahlte 46 Programme aus und sendete 372905 Stunden Programm im Jahr. 54 Prozent davon bestanden aus Musik, 42 aus gesprochenen Inhalten - und zwar zu diesen Anteilen: Politik 14 Prozent, Magazine 11 Prozent, Kultur 5 Prozent, Unterhaltung 4 Prozent, Familienprogramm 3 Prozent, Sport 1,4 Prozent, Bildung 1,1 Prozent, Hörspiel 0,6 Prozent. Eine Sendeminute kostete 99 DM.

Die Hörerverluste der ARD-Sender führten zu radikalen Neuaufstellungen der öffentlich-rechtlichen Hörfunkwellen. Die Programmangebote wurden zunehmend musikalisch definiert, "durchhörbarer" gemacht und innerhalb der Häuser deutlicher gegeneinander positioniert - ein Prozess, der Jahre dauerte und offenbar innerhalb der ARD abgestimmt stattfand. Schließlich wurde das ARD-Hörfunkangebot nochmals erheblich ausgebaut. Die erste neue Gründungswelle begann in den 1990er Jahren, als die öffentlich-rechtlichen Sender ihre eigenen Jugendwellen einrichteten. Fritz (1993), N-Joy Radio (1994) oder Eins Live (1995) wandten sich zielgruppenorientiert an die Jugend. Die neuen Jugendwellen wurden außerhalb der traditionellen Sender aufgebaut, ihre Namen verwiesen schon nicht mehr auf die jeweils verantwortliche Anstalt, und die Konzepte orientierten sich nicht mehr an Magazinen, sondern am Formatradio. Der Musikanteil lag bei bis zu mehr als 80 Prozent (N-Joy) - und in der interessierten Öffentlichkeit begannen die Diskussionen um eine zunehmende Angleichung (Konvergenz) von privatem und öffentlich-rechtlichem Hörfunk.

Das Wort wird selbständig

Die musikorientierte Formatierung der ARD-Radios - von Region zu Region eigenständig umgesetzt - war freilich nur durch die Auftrennung des Radioangebots in Musik- und Wortwellen möglich. Das Wort wurde selbständig, musste selbständig werden. 1989 schuf der NDR mit NDR 4 ein erstes wortdominiertes Programm im "Kästchenformat" - hier fanden die politischen Angebote im Ein-Prozent-Umfeld ihre neuen Sendeplätze. Die eigentliche Neuorientierung folgte mit dem Inforadio B 5 aktuell (1991) und dann mit MDR Info (1992), Inforadio (1995) oder HR-Info (2004). Hier bestanden 1999 bis zu 91 Prozent (MDR Info) des Programms aus "Politik". Die Inforadios folgten nicht mehr der Machart traditioneller Politiksendungen oder Magazine; sie sendeten Nachrichten im 15- oder 20-Minuten-Takt - und empfahlen 15 Minuten als ideale Zuhördauer. Die Infowellen erforderten - nach dem papierorientierten Hochkulturjournalismus der ersten Radiojahre und dem stärker akustisch orientierten Magazinjournalismus der 1970er Jahre - einen nun ganz neuen Koordinations- und Managementaufgaben unterworfenen Journalismus. Auch dessen Zeit scheint begrenzt: In ersten Funkhäusern (Saarbrücken, Bremen, Berlin) sind bereits trimedial (Hörfunk, Fernsehen, online) arbeitende Journalisten tätig.

Zur Geschichte der ARD gehören auch die Debatten um Zusammenlegungen, Kooperationen und Ausweitungen, kurz: um eine "Reform der ARD". Schon seit Ende der 1960er Jahre wurde über eine Zusammenführung von SDR, SWF, HR bzw. SR diskutiert und seit 1972 sendeten SDR, SWR und SR gemeinsam ein Kulturprogramm. 1990 forderte SR-Intendant Manfred Buchwald, 18 öffentlich-rechtliche Hörfunkprogramme zu zwei nationalen Programmen zusammenzufassen - erfolglos. 1995 sahen die damaligen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (Sachsen) und Edmund Stoiber (Bayern) in der ARD ein "konzernähnliches Gebilde", in den Sendern "de facto Tochtergesellschaften der ARD" und forderten eine Strukturreform.

1998 endete die Phase der Expansion. Erstmals in ihrer nun fast 50-jährigen Geschichte wurde die ARD quantitativ zurückgebaut. Der erste "Einschnitt" war die Gründung des Südwestrundfunks (SWR) aus SWF und SDR; 2003 wurde aus SFB und ORB der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB). Und auch zwischen den Landesfunkhäusern wurde - auf kleinerer Ebene - die Kooperation verstärkt: Der NDR und Radio Bremen gründeten gemeinsam das Nordwestradio (2001); die WDR-Welle Funkhaus Europa wurde auch von Radio Bremen und RBB ausgestrahlt; SWR und SR veranstalteten stundenweise eine identische Jugendwelle. Das SWR-Angebot Dasding wird seit 1999 16 Stunden am Tag auch als SR-Welle Unserding gesendet. Eine "aktuelle Sendung" besteht inzwischen zu 40 bis 50 Prozent aus Material, das aus dem ARD-Programmaustausch stammt, Tendenz steigend. Der Sound der regionalen ARD-Sender ist also längst nicht mehr nur regional.

Gemeinsame, nationale Radioprogramme wurden außerhalb des nachtmusikalischen Gemeinschaftsprogramms von der ARD nicht umgesetzt, alle UKW-Angebote blieben regionale, gelegentlich durch Kooperationen überregional erweiterte Angebote. Auch ein gemeinsames nächtliches Nachrichtenprogramm blieb bisher nur eine Idee. Doch die Struktur der Radioprogramme hat sich inzwischen radikal verändert: Die regionalen ARD-Hörfunkwellen sind in den Tagesstrecken formatiert und - strukturell sehr ähnlich - an Musikfarben und Altersgruppen ausgerichtet; nicht zufällig wurde deshalb immer wieder die "Konvergenz" von öffentlich-rechtlichem und privatem Hörfunk diskutiert.

Heute bietet jedes öffentlich-rechtliche ARD-Mitglied zwischen drei und acht UKW-Programme an, die ähnlich geordnet sind: Neben (1) Regionalprogrammen mit Schlagerdominanz und großem Publikumszuspruch (NDR 90,3; HR4; WDR 4, SWR 4 Baden-Württemberg, MDR 1 Radio Sachsen, Bayern 1) gibt es (2) popdominierte Musik- und Servicewellen (NDR 2, WDR 2, HR3, Bayern 3, SWR 3), (3) Kultur- bzw. Klassikwellen (WDR 3, HR2 Kultur, Bayern 2, SR 2 Kulturradio, RBB Kulturradio), (4) Jugendprogramme (Eins Live, N-Joy, Fritz, Dasding, Unserding) sowie (5) weitgehend musikfreie Wort- oder Informationsprogramme (WDR 5, B5 aktuell, Inforadio, MDR Info, HR-Info). Gelegentlich treten (6) noch Multikultiwellen dazu (Funkhaus Europa).

Die ARD-Programme können inzwischen auch übers Internet, über Kabel oder Satellit - und damit überregional - gehört werden; doch die Radionutzung beschränkt sich in Deutschland fast vollständig auf UKW (Aktuelle Zahlen gehen immer noch von 90 Prozent aus). UKW-Hörer sind außerordentlich sendertreu, sie nutzen durchschnittlich nur 1,5 Programme.

Nach dem UKW-Radio: Design und Digitalisierung

1950 starteten die ARD und die UKW-Radios. Technisch betrachtet, beruhten die ARD-Hörfunkstrukturen auf den - regionalen - Möglichkeiten der neuen Ultrakurzwelle. Durch die Digitalisierung des Hörfunks haben die Ultrakurzwellen ihre Zukunft verloren, 2015 soll UKW auch in Deutschland abgeschaltet sein. Als die ARD gegründet wurde, gab es nur ARD-Hörfunk auf einem konkurrenzfreien, rein öffentlich-rechtlichen Markt. Inzwischen ist der Hörfunk neben Fernsehen, Internet und mehrmedialen Presseprodukten ein elektronisches Medium neben anderen geworden, es gibt öffentlich-rechtliche, private und internationale Anbieter und wechselnde politische Ansprüche. Es sind vor allem die digitalen Veränderungen, die zum stillen Umbau in der ARD und zur Stärkung der ARD auch im Hörfunkbereich geführt haben. Diese Stärkung fand auf verschiedenen Ebenen statt:

  • Werbung: Die verschiedenen Hörfunkwellen sind inzwischen formal in das ARD-Marketing eingebunden. Die ARD wirbt heute unter dem Slogan "ARD. Radio & TV".

  • Internet: Die ARD-Mitglieder präsentieren ihre Fernseh- und Radioangebote im Internet auch unter dem ARD-Label. Unter Externer Link: www.radio.ARD.de sind relevante Radiothemen gebündelt, unter "RadioNet" bietet die ARD-Plattform dort zudem Zugänge zu den online verfügbaren ARD-Radiowellen. In der digitalen Welt ist die ARD mit Hörfunkthemen also noch präsenter als im UKW-Bereich.

  • Radiokultur: Vor allem innerhalb der teuren Kultur- und Klassikwellen haben ARD-weite Sendungen unter dem gemeinsamen Label erheblich an Bedeutung gewonnen. "ARD Radioabende" und "ARD Radionächte" über Bücher, Hörbücher oder für Kinder werden immer wieder ins Programm der Kulturradios genommen. Die Reihen "ARD Radio Tatort" und - mit investigativen Absichten - "ARD Radiofeature" wurden eingerichtet, es gibt sogar "ARD Hörspieltage". 2009 fand erstmals ein "ARD Kultursommer" statt: Für einige Zeit sendeten die Kultur- und Klassikradios ein identisches, de facto nationales Abendprogramm. Kooperationen sollen innerhalb der ARD ein "zentrales Thema für die nächsten Jahre" werden. Eine der neuen Formen dürfte die (regionale) "Konzentration auf Programmgenres" werden.

  • Trimedialität: Die Grenzen zwischen ARD-Hörfunk und ARD-Fernsehen werden durch neue Techniken und neue Managementstrategien durchlässiger. In den modernsten Funkhäusern (Saarbrücken, Bremen, Berlin) wird inzwischen trimedial und themenorientiert in newsrooms (zentrale Nachrichtenredaktionen) gearbeitet, die Konkurrenz zwischen Fernsehen und Radio wird hier durch Kooperation zu Gunsten der Zentralmarke ersetzt. Vorläufer dieser neuen, mehrmedialen Kooperationen dürften die "ARD Themenwochen" sein, die (von einer ARD-Strategiegruppe initiiert) 2006 gestartet wurden. Hier geht es auch um Themensetzung: 2008 widmeten sich zum Beispiel 2000 Sendungen dem Thema Demographie, 340 Stunden im Fernsehen, 287 Stunden im Hörfunk. Das Thema war stärker als das Medium, die ARD stärker als der einzelne Sender.

Heute bilden neun öffentlich-rechtliche Sender die ARD - nur noch RB, BR und HR sind seit der Gründung 1950 dabei. 2008 strahlten 56 UKW-Wellen (darunter 18 Informations- und Klassikprogramme) 521.853 Stunden Programm aus, 62 Prozent davon bestanden aus Musik, 38 Prozent aus gesprochenen Inhalten; mit diesem Angebot erreichte die ARD rund 57 Prozent der Hörerinnen und Hörer. Hinzu kamen weitere Hörfunkangebote, die ausschließlich digital empfangen werden können - und damit empirisch fast hörerlos sind.

Die alte Angst vor zu viel Einheit scheint inzwischen verblasst, die ARD ist auch im Hörfunkbereich enger zusammengewachsen. Hinter dem einst lockeren Senderverbund scheinen sich auch Strukturen eines eigenständigen Medien- und Hörfunkkonzerns zu entwickeln. Angesichts der neueren Medienentwicklungen kann das freilich kaum überraschen. Statt "so viel Einheit wie nötig", lautet das Motto im Radiobereich inzwischen: "Gemeinsam sind wir stärker."

Fussnoten

Fußnoten

  1. "Das vertraute Kürzel ARD wurde erst 1954 eingeführt." Hans Bünte, Geschichte und Geschichten des Senders an der Saar - die Chronik, in: Axel Buchholz/Fritz Raff (Hrsg.), Geschichte und Geschichten des Senders an der Saar. 50 Jahre Saarländischer Rundfunk, Freiburg 2007, S. 71.

  2. Zit. nach: Verena Wiedemann, Einheit in der Vielfalt, in: ARD-Kulturbuch, o.O. 2008, S. 62.

  3. Konrad Dussel, Deutsche Rundfunkgeschichte, Konstanz 20042, S. 201.

  4. Ebd., S. 202.

  5. Vgl. Werbesendungen/Rundfunk. Zur Hebung des Niveaus, in: Der Spiegel, Nr. 47 vom 18.11.1953, S. 39.

  6. H. Bünte (Anm. 1), S. 86.

  7. Vgl. Jürgen Pfifferling, Ein Service für die Werbung. ARW Media Marketing, in: ARD-Jahrbuch 1988, S. 37.

  8. Der Saarländische Rundfunk (SR) wurde 1959 ARD-Mitglied.

  9. H. Bünte (Anm. 1), S. 89.

  10. So Hans Bausch 1969. Zit. nach: Andrea Brunnen-Wagenführ, Von Anfang an dabei, in: ARD-Jahrbuch 2000, S. 92. Die Bedeutung der ARD für die bundesdeutsche Hörfunkentwicklung ist bisher kaum erforscht.

  11. Vgl. Hans-Jürgen Krug, Radio, Konstanz 2010.

  12. Peter Kehm, Vorübergehend lebenslänglich, Stuttgart 1990, S. 179.

  13. Hier sind auch die (1962 hinzugekommenen) Anstalten des Bundesrechts, die Deutsche Welle und der Deutschlandfunk, mitgezählt. Vgl. ABC der ARD, 20023, S. 11.

  14. Wolfgang Jäger, Grenzen veränderter Programmkonzeptionen, in: Dieter Roß (Hrsg.), Die Zukunft des Hörfunkprogramms, Hamburg 1982, S. 62.

  15. Zit. nach: Stefan Kursawe, Vom Leitmedium zum Begleitmedium. Die Radioprogramme des Hessischen Rundfunks 1960-1980, Köln 2004, S. 307.

  16. P. Kehm (Anm. 12), S. 219.

  17. Wolfgang Hagen, Das Radio. Zur Geschichte und Theorie des Hörfunks - Deutschland/USA, München 2005, S. 319.

  18. Vgl. Gerhard Friedl, Rund um die Uhr aus aller Welt. Hörfunkkorrespondenten der ARD, in: ARD-Jahrbuch 1995, S. 48. Siehe auch den Beitrag von Gemma Pörzgen in diesem Heft.

  19. SWF-Intendant Hilf nennt Schwerpunkte in Hörfunk und Fernsehen, in: SWF-1, (1983) 2, S. 4.

  20. 2003 lag er dann bei 55,4 Prozent und 2008 bei 57,1 Prozent. Vgl. ARD-Jahrbuch 2004/05, S. 206; ARD-Jahrbuch 2009, S. 214.

  21. Manfred Jenke, Medien für Menschen. Texte 1963-1993, Köln 1993, S. 40.

  22. Beispielsweise: "Die Reformfähigkeit hat die ARD 1993 mit einer Fülle grundlegender Schritte bewiesen. So wurde die Zusammenarbeit im Hörfunk (...) intensiviert." Jobst Plog, Zweierlei Duales System, in: ARD-Jahrbuch 1993, S. 13.

  23. Vgl. Hans-Jürgen Krug (verantw.), Wann ist die beste Zeit für Politik? Hamburger Radiomacher berichten, Originaltoncollage von Studentinnen des Instituts für Medien und Kommunikation der Universität Hamburg, gesendet am 3.4.2009 auf Tide 96,0.

  24. Nach 1999 ersetzte die ARD in ihren Zählungen die Kategorie "Politik" durch "Information und Service".

  25. K. Dussel (Anm. 3), S. 206.

  26. Zahlen nach: Gernot Romann, Nicht nur in der Nacht. Kooperationen sichern Vielfalt und Wettbewerbsfähigkeit des Hörfunks in der ARD, in: ARD-Jahrbuch 2004/05, S. 78.

  27. Innerhalb der ARD scheint man aber auch davon auszugehen, dass UKW "erstaunlich gute Gene hat" und noch für "viele, viele Jahre" bleibt. NDR-Hörfunkdirektor Joachim Knuth auf dem Kongress "Radio der Zukunft", Karlsruhe, 11.12.2009, online: www.lfk.de/Radio_der_Zukunft/download/
    media/Radio_der_Zukunft_ZKM_
    Kurzbriefing%201.mp3 (3.3.2010).

  28. Das digitale Programmbouquet heißt seit 1997 ARD-Digital.

  29. So der ARD-Vorsitzende Peter Boudgoust in der ARD-Pressemeldung "Notwendigkeit von ARD-internen Kooperationen bekräftigt", 2.12.2009.

  30. Vgl. Hans-Jürgen Krug, Trimediale Redaktionsarbeit im Print-, Radio- und Online-Journalismus, Vortrag an der Fachhochschule Kiel, 6.4.2009; Florian Schwinn, Der mit den CvDs tanzt, in: CUT, (2007) 5, S. 14.

  31. Vgl. ARD-Jahrbuch 2009, S. 371.

  32. Wolfgang Schmitz, Alleine sind wir stark, gemeinsam sind wir stärker, in: ARD-Jahrbuch 2009, S. 92ff.

Dr. phil., geb. 1952; Publizist und Medienwissenschaftler, Ahornallee 13, 22529 Hamburg. E-Mail Link: drhjk@gmx.de http://hansjuergenkrug.blogspot.com