Einleitung
Im frühen Mittelalter hatten viele Dörfer ihre Allmende: ein mehr oder weniger großes Stück Land, das von allen Dorfbewohnern gemeinsam als Weideland oder zum Brennholzsammeln genutzt wurde. Eine Allmende bildete gemeinsames Eigentum der Dorfgemeinschaft, die auch die Nutzung regelte. In Form von Gemeingütern ist das zugrunde liegende Prinzip auch heute noch von Bedeutung. Öffentliche Straßen stellen ebenso wie die Atemluft Gemeingüter dar, die mit Hilfe verschiedenster Maßnahmen - von Mautgebühren bis hin zu Grenzwerten für Luftverschmutzung - vor zu intensiver Nutzung geschützt werden. Denn die von Ökonomen blumig als "Tragödie" bezeichnete Übernutzung ist die größte Gefahr für die klassische Allmende materieller Güter.
Mit der Wissensallmende verhält es sich hingegen genau umgekehrt. Übernutzung von immateriellen Gütern ist prinzipiell unmöglich. Dies gilt für die kleinste denkbare Wissenseinheit - die Idee - genauso wie für komplexe immaterielle Güter wie Musik, Fotografien, Software oder Filme. Wer sein Wissen mit anderen teilt, muss es deshalb selbst nicht hergeben. Vielmehr gilt, je mehr Leute Zugang zum vorhandenen Wissen haben, desto mehr neue Ideen und Innovationen können aus der Rekombination dieses Wissens entstehen. Auch diese Erkenntnis ist keineswegs neu. So funktioniert bezeichnenderweise die Wissenschaft seit jeher nach dem Prinzip der Wissensallmende. Wissenschaftlicher Fortschritt basiert immer auf der Weiterentwicklung, Widerlegung oder Ergänzung bestehenden Wissens. Das Leitmotiv der Wissenschaft lautet entsprechend, dass heute Forschende nur deshalb weiter sehen können, weil sie auf den Schultern von Riesen stehen; die zentrale Bedeutung gut ausgestatteter Bibliotheken für jede Form von Wissenschaft folgt unmittelbar daraus.
Die Aufgabe von Bibliotheken - möglichst breiten Zugang zu vorhandenem Wissen zu ermöglichen - illustriert dabei auch eines von zwei grundlegenden Problemen jeder Wissensallmende. Denn während keine Gefahr der Übernutzung besteht, können Wissensallmenden einerseits mangels neuer Beiträge austrocknen und andererseits aufgrund von Zugangshürden unternutzt werden. In der Antwort auf diese Probleme liegt die größte Gemeinsamkeit von klassischer und Wissensallmende: Auch wenn die Gefahren für beide Arten von Gemeingütern unterschiedliche sind - beide erfordern Regeln für Zugang und Nutzung; es bedarf der Governance.
Privatisierung der Wissensallmende
Die Standardantwort auf die Übernutzungsprobleme in der klassischen Allmende war historisch die Privatisierung und damit die Auflösung der Allmende. Und auch für Wissensgüter wurden in den meisten Bereichen jenseits der Wissenschaft Governance-Formen nach dem Vorbild materieller Güter entwickelt. Den mit einer Wissensallmende assoziierten Problemen der Erstellung und des Zugangs wurde also ebenfalls mit einer zumindest teilweisen Privatisierung der Allmende begegnet. Dem Eigentum an Sachen and Liegenschaften wird so ein "geistiges Eigentum" gegenübergestellt, das sich im Wesentlichen in zwei Hemisphären gliedert: Während gewerbliche Schutzrechte wie Patent- oder Markenrechte in der Regel
Je nach Begründung für die Einräumung dieses Nutzungsmonopols lassen sich die Anfänge des geistigen Eigentums unterschiedlich datieren:
Schöpfung und Zugang
Beide historischen Argumentationsstränge für geistiges Eigentum - utilitaristische und naturrechtliche - finden sich auch in aktuellen Debatten über Gestaltung und Ausmaß des Schutzes geistiger Eigentumsrechte. Insbesondere im Urheberrechtsbereich, den wir im Folgenden fokussieren, wird aus beiden Perspektiven sowohl einer Ausweitung als auch einer Einschränkung der Schutzrechte das Wort geredet.
Für beide Sichtweisen aber gilt, dass das Problem der Schöpfung neuer Werke und das Problem des Zugangs zu bestehenden Werken als dilemmatisch dargestellt werden. Ohne Schutz des geistigen Eigentums und damit verbundener Beschränkung des Zugangs, so die Argumentation, würden mangels monetärer und ideeller Anreize weniger neue Werke erschaffen. Im Vordergrund von Auseinandersetzungen um geistige Eigentumsrechte stand deshalb weniger deren prinzipielle Sinnhaftigkeit als vielmehr ihre Ausgewogenheit und Balance. Fundamental in Frage gestellt wurde das Konzept des "geistigen Eigentums" erst in jüngerer Zeit anlässlich neuer technologischer Möglichkeiten der Erstellung und Verbreitung immaterieller Güter. Insbesondere im Internet sehen manche die Chance einer echten Wissensallmende für alle digitalisierbaren Güter, in der zumindest das Zugangsproblem ein für alle Mal gelöst wäre. Andere befürchten hingegen mit Blick auf das weiterhin bestehende Problem der Schöpfung neuer Werke eine völlige Entwertung und Unterminierung geistiger Eigentumsrechte und fordern, wie schon Kant und Fichte angesichts von "Raubdruckern" im 18. Jahrhundert,
Wissensallmende 2.0
Insbesondere in der Wissenschaft, wo das Bereitstellungsproblem durch größtenteils öffentliche Forschungsfinanzierung aufgeworfen wird, gibt es Bemühungen, mit Hilfe des Internets auch das Zugangsproblem zu lösen. Unter dem Banner von Open Access propagieren die Europäische Union ebenso wie die großen nationalen Forschungsförderungseinrichtungen
In manchen, insbesondere naturwissenschaftlichen Disziplinen haben inzwischen sowohl kommerzielle Anbieter (z.B. BioMed Central) als auch nicht-kommerzielle Plattformen (z.B. Public Library of Science, PLoS) Open-Access-Zeitschriften erfolgreich etabliert. In anderen, insbesondere geisteswissenschaftlichen Disziplinen gibt es jedoch auch Vorbehalte gegenüber dem Open-Access-Ansatz, weil der Niedergang von Fachverlagen und ein Zwang zu Open Access von Seiten der Fördergeber befürchtet werden.
Wissensallmende jenseits der Wissenschaft
Aber auch jenseits Wissenschaft eröffnen digitale Technologien wie PC und Internet neue Möglichkeiten für einen einfacheren Zugang zu Wissensgütern verschiedenster Art. Konsequenterweise haben Verfechter einer umfassenden Wissensallmende, wie beispielsweise das im Umfeld des globalisierungskritischen Netzwerks Attac entstandene "Netzwerk Freies Wissen" oder auch Wikimedia,
Als ein Hindernis auf dem Weg zu einer breiteren Wissensallmende entpuppt sich allerdings mehr und mehr das Urheberrecht. Denn so ohne Weiteres ist es Urheberinnen und Urhebern nicht möglich, ihre Werke in eine Wissensallmende einzubringen und anderen zur Weiterverbreitung und kreativen Weiterverwendung zu überlassen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, erfordern die allermeisten Nutzungsweisen urheberrechtlich geschützter Werke eine Rückfrage bei den jeweiligen Rechteinhabern. Eine Enzyklopädie, erstellt und weiterentwickelt von Millionen über die ganze Welt verstreuten Beitragenden, ist im herkömmlichen Urheberrecht nicht vorgesehen; um sie dennoch realisieren zu können, sind spezielle Open-Content-Lizenzen erforderlich, wie sie beispielsweise von der im Jahr 2001 gegründeten Organisation Creative Commons ("kreative Allmende") entwickelt wurden. Sie stellen den Versuch dar, sich auf Basis des bestehenden Urheberrechts dem Ideal einer Wissensallmende anzunähern.
Creative Commons: Paradoxie einer privaten Allmende
Die in einem Juristennetzwerk um Harvard-Rechtsprofessor Lawrence Lessig entstandene Nichtregierungsorganisation Creative Commons offeriert eine Auswahl an gleichnamigen, Urheberrechtslizenzen nach Vorbild der sogenannten Copyleft-Lizenzen im Bereich von freier bzw. Open-Source-Software.
Dieses basiert zwar auf dem Urheberrecht, verwendet es aber entgegen dessen ursprünglicher Intention nicht dazu, die Rechte Dritter zu beschränken. Stattdessen räumen Urheberinnen und Urheber, die Werke unter eine Creative-Commons-Lizenz stellen, Dritten damit in standardisierter Art und Weise Rechte wie beispielsweise die nicht-kommerzielle Nutzung und Weiterverbreitung ein, die ansonsten vorbehalten wären. Zehn Jahre nach Gründung und neun Jahre nach Veröffentlichung der ersten Lizenzversionen hat sich Creative Commons mittlerweile zum De-facto-Standard für alternative Urheberrechtslizenzierung entwickelt. Schätzungen gingen Ende 2009 von über 350 Millionen Werken unter Creative-Commons-Lizenz aus.
Im Ergebnis soll mit Hilfe von Creative-Commons-Lizenzen ein möglichst großer Pool - eben eine Wissensallmende - an alternativ lizenzierten Werken entstehen, die automatisch und ohne (häufig: prohibitive) Rechteabklärung neue Formen der Nutzung (z.B. Teilen in sozialen Netzwerken), Weiterverwendung (z.B. in Form von Remixes) und Distribution (z.B. via Internet-Tauschbörsen) erlauben. Das Ziel sei, in den Worten von Lessig, eine hybrid economy, in der sharing, das freie Teilen und Tauschen in Online-Communities, nicht mehr antagonistisch, sondern komplementär zu commerce in Form neuer Geschäftsmodelle ist.
Darüber hinaus gibt es beim modularen Ansatz von Creative Commons das Problem teilweise inkompatibler Lizenzen, was zu einer Zersplitterung der angestrebten Wissensallmende führt: Inhalte mit Copyleft-Klausel lassen sich beispielsweise nicht ohne Weiteres mit Inhalten kombinieren, die nur die nicht-kommerzielle Nutzung erlauben (s. Tabelle der PDF-Version). Der paradoxe Ansatz, mittels privater Lizenzstandards eine öffentlich und frei nutzbare Wissensallmende zu schaffen, ist also ebenfalls mit beträchtlichen Hürden verbunden.
Hinzu kommt auch eine bisweilen geäußerte, prinzipiellere Kritik am Ansatz von Creative Commons, eine Wissensallmende mit Hilfe privater Lizenzierung herstellen zu wollen. Konkret steht der Vorwurf einer noch weitergehenden Kommodifizierung digitaler Güter im Raum, weil für die Etablierung eines alternativen Urheberrechts auf Marktprinzipien abgestellt werde.
Lücke des 20. Jahrhunderts
Auch für andere Probleme auf dem Weg zur Wissensallmende bietet Creative Commons keine Lösung. So scheitert eine Digitalisierung und Öffnung von bestehenden Archiven häufig weder an entsprechenden Technologien noch an fehlender Zustimmung der Rechteinhaber, sondern daran, dass die Abklärung der Rechte zu teuer oder unmöglich ist.
Selbst groß angelegte, öffentliche Digitalisierungsprojekte wie die europäische Initiative Europeana
Fazit
Technologien wie PC und Internet eröffnen neue Möglichkeiten, das Problem des Zugangs zu Wissensgütern verschiedenster Art zu lösen und stellen damit das herrschende Paradigma sogenannter geistiger Eigentumsrechte in Frage. Eine Wissensallmende scheint möglich, und insbesondere im Bereich von Forschung und Lehre lassen sich bereits erste Schritte in diese Richtung beobachten. Allerdings stecken solche Bemühungen im hier weitgehend ausgeblendeten Bereich von patentierbarem Wissen noch in den Kinderschuhen. Dort gibt es bislang nur sehr vereinzelt Initiativen, Patente thematisch zu gruppieren und dieses Wissen der Allgemeinheit zur kreativen Nutzung zur Verfügung stellen.
Diesen Potenzialen für einen besseren Zugang zu vorhandenem Wissen steht jedoch das bisher ungelöste Bereitstellungsproblem gegenüber. Insbesondere im Bereich kultureller Güter bleibt die Frage, wie deren Erstellung und Qualitätssicherung finanziert werden soll. Die von Creative Commons propagierte "hybrid economy" mit neuen, allmende-kompatiblen Geschäftsmodellen auf Basis alternativer Urheberrechtslizenzen existiert bislang nur in vereinzelten Marktnischen. Ob aber die Erstellung digitaler Kulturgüter auf breiter Front stärker in Richtung des sich in der Wissenschaft entwickelnden Allmendemodells orientiert werden kann und soll, wird derzeit im Rahmen einer Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags zum Thema "Internet und digitale Gesellschaft" lebhaft diskutiert.
Einigkeit herrscht dahingehend, dass eine angemessene Vergütung von Kulturschaffenden (zum Beispiel Autorinnen und Musiker) wie auch Kulturverwertern, darunter Musiklabels und Verlage, mit internet-kompatiblen Zugangs- und Urheberrechten vereinbar gemacht werden soll. Wie diese Vereinbarkeit realisiert werden könnte, ist jedoch umstritten. Einerseits wird einer Ausdehnung der Wissensallmende das Wort geredet, finanziert über häufig als "Kulturflatrate"