I. Einleitung
Die islamistischen Terroristen zugeschriebenen Anschläge in den USA rückten auch die islamistischen Organisationen in der Bundesrepublik Deutschland stärker ins Licht des öffentlichen Interesses.
Sie bilden allerdings keinen homogenen Block, wie auch die Reaktionen auf die genannten Ereignisse zeigen: Eine überwiegende Mehrheit der organisierten Islamisten lehnte die Terroranschläge offiziell ab.
Allein diese Einsicht verbietet eine pauschale Sicht und nötigt zu Differenziertheit in Beschreibung und Einschätzung. Gerade sie sind vor dem Hintergrund einer emotionalisierten Debatte zum Thema nötig, gilt es doch Dramatisierung ebenso wie Verharmlosung zu vermeiden. Erstere zeigt sich etwa, wenn die zu einem Glaubenskrieg aufrufende Gewaltrhetorik bestimmter Aktivisten direkt oder indirekt mit den Muslimen an sich oder den Islamisten in Gänze identifiziert wird. Verharmlosend wirkt demgegenüber die mitunter feststellbare kritiklose gesellschaftliche Akzeptanz einzelner islamistischer Organisationen als Dialogpartner durch bestimmte Politiker oder Institutionen. Eine andere - offenbar sogar dominierende - Reaktionsweise besteht in der weitgehenden Ignoranz gegenüber der Entwicklung islamistischer Organisationen. So besteht in der Mehrheit der deutschen Gesellschaft ein nicht besonders hohes Interesse an Alltagsleben, Einstellungen und Glaube der teilweise schon jahrzehntelang in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Angehörigen ethnischer und religiöser Minderheiten.
Bestärkt wird diese Haltung durch das bewusste Abschotten der islamistischen Organisationen, die sich teilweise um die Schaffung von Parallelgesellschaften bemühen und daher kritische Einblicke in ihre wahren Absichten und Aktivitäten vermeiden wollen. Die Kombination beider Umstände führte dazu, dass es an einem breiteren und tiefgründigen öffentlichen Wissen über den politisch motivierten Islamismus weitgehend mangelt. Die Medien berichten lediglich anlassbezogen, sporadisch und eher oberflächlich; nur wenige Journalisten spezialisierten sich auf das Thema. Im wissenschaftlichen Bereich bestehen zwar einige Einrichtungen und Institute zur Islam-Forschung, die aber bisher den islamistischen Organisationen insgesamt eher geringe Aufmerksamkeit widmeten.
II. Islamismus - Inhaltliche Definition und demokratie- theoretische Bewertung
Wie lässt sich der Begriff "Islamismus" definieren? Worin besteht seine ablehnende Haltung gegenüber der Demokratie? Der von den Anhängern selbst genutzte Terminus steht für eine Doktrin, die auch als islamischer Fundamentalismus bezeichnet wird. Ähnliche Phänomene lassen sich in anderen Religionen ausmachen,
Dabei nehmen die Anhänger des Fundamentalismus im Allgemeinen und des Islamismus im Besonderen bewusst eine politische Deutung ihrer religiösen Glaubensgrundlage vor. Es handelt sich also um einen typischen Akt der Ideologiebildung, der nur partiell etwas mit dem religiösen Gehalt des Islam zu tun hat. Eine Gleichsetzung aller Muslime mit den Islamisten verbietet sich von daher. Hinzu kommt: Sowohl in den meisten islamisch geprägten Ländern als auch unter den muslimischen Ausländern in westlichen Ländern stellen Islamisten nur Minderheiten dar. Zwar können sie sich in ihren Einstellungen und Handlungen teilweise auf Aussagen des Koran berufen. Darin enthaltene dogmatische und inhumane Auffassungen finden sich aber ebenfalls in Grundlagenwerken anderer Religionen. Auch im Namen der Bibel wurden im Laufe der Geschichte die schändlichsten Verbrechen begangen. Inwieweit solche Deutungen theologisch legitim sein könnten, bleibt zunächst von sekundärer Bedeutung. Entscheidend für den hier zu erörternden Zusammenhang ist, dass es solche ideologisierenden Vereinnahmungen religiöser Aussagen zu politischen Zwecken gibt und dass sie mobilisierende Wirkung entfalten.
Die ideologische Instrumentalisierung geht im Fall des Islamismus zunächst von einer Krisensituation aus. Gefragt wird dabei, warum die muslimisch geprägten Länder gegenüber den westlichen Ländern sozial und wirtschaftlich ins Hintertreffen geraten seien. Die konstatierten Probleme und Schwächen der islamischen Staaten führen die Anhänger des Fundamentalismus auf eine Abkehr vom "wahren Glauben" oder eine Verfälschung des "göttlichen Willens" zurück. Weder Kapitalismus noch Kommunismus seien daher eine Lösung, folge doch aus deren Materialismus Dekadenz, Elend und Unglaube. Stattdessen fordert man die Rückkehr zu den Grundlagen des Islam, die sich allerdings nicht nur auf das persönliche Alltagsverhalten oder entsprechende individuelle Einstellungen beziehen solle. Auch das politische System müsse einer Re-Islamisierung unterzogen, die Trennung von Politik und Religion aufgehoben werden. Dies bedeutet in der Konsequenz die Errichtung einer Theokratie, also einer Herrschaftsform, in der die Staatsgewalt allein religiös legitimiert wird und in der die Regierenden nach dem Willen Allahs und den Vorschriften des Koran herrschen.
Da es aber weder unter den Muslimen noch unter den Islamisten eine einheitliche theologische Lehrmeinung gibt und ein Gott nicht unmittelbar in die Politik eingreift, obliegt die Deutungs- und Entscheidungskompetenz den jeweiligen Interpreten der religiösen Vorgaben. Der von welcher Instanz auch immer anerkannte Gottesgelehrte wird somit zum eigentlichen Herrscher. Dogmatismus und Willkür prägen dann die Legitimation der eigenen Politik, denn in einer solchen Sichtweise muss jeder Andersdenkende als verderblicher Ungläubigen gelten. Darüber hinaus führt eine solche Gesellschaftsauffassung zur Ablehnung von tragenden Prinzipien demokratischer Verfassungsstaaten: Herrschaft legitimiert sich nicht mehr durch den Willen des Volkes, sondern durch die Berufung auf die Vorschriften des Koran. Das Vorhandensein unterschiedlicher Meinungen im Sinne eines Pluralismus widerspricht in dieser Sicht dem unbedingten Anspruch des göttlichen Willens. Auch spielen individuelle Menschenrechte keine Rolle mehr, erhält der Einzelne doch seinen rechtlichen Status durch die Zugehörigkeit zur islamischen Gemeinschaft.
III. Islamistische Organisationen in der Bundesrepublik Deutschland
1. Allgemeine Aussagen
Vor der detaillierteren Darstellung der einzelnen islamistischen Organisationen bedarf es noch einiger genereller Aussagen, die für die Einschätzung von deren Bedeutung und Gefahrenpotenzial von besonderem Interesse sind. Als erster diesbezüglicher Gesichtspunkt sei auf die quantitative Dimension des Personenpotenzials verwiesen: Ende des Jahres 2000 gehörten 20 islamistischen Organisationen 31 450 Personen an.
Darüber hinaus besteht ein nur schwer zu bezifferendes Mobilisierungs- und Sympathisantenpotenzial. Es bewegt sich insbesondere in kulturellen, religiösen, sozialen und wirtschaftlichen Einrichtungen im Umfeld von islamistischen Organisationen, die für den Alltag von Muslimen von wichtiger Bedeutung sind und entsprechend längerfristig auch eine politisierende Wirkung nach sich ziehen.
Vor diesem Hintergrund kann die Bedeutung des Islamismus in der Bundesrepublik nur eingeschränkt aus den Mitgliederzahlen seiner Organisationen abgelesen werden. Sie spielen darüber hinaus für die Einschätzung des Gefahrenpotenzials, bezogen auf den jeweiligen Handlungsstil, nur eine untergeordnete Rolle. Die anschließend näher darzustellenden Organisationen können grob danach unterschieden werden, ob sie sich weitgehend an geltende Gesetze halten, also einem "legalistischen" Kurs folgen, oder ob sie Gewalt als legitimes politisches Mittel ansehen, also eine militante Strategie vertreten. Von den in den letzten Jahren knapp über 31 000 organisierten Islamisten können um die 28 000 Personen der erstgenannten Kategorie zugerechnet werden, während um die 3 000 Personen der letztgenannten Einstellung zuneigen. Hierbei muss allerdings betont werden, dass sich deren unzweifelhaft vorhandene Gewaltbereitschaft nicht notwendigerweise in entsprechenden Handlungen artikulieren muss. Es geht bei der Bezeichnung primär um die Einstellung zur Gewalt.
2. "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs" - eine islamistische Kulturorganisation
Am Anfang der Darstellung der einzelnen Organisationen steht der größte islamische Personenzusammenschluss in der Bundesrepublik Deutschland: die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs" (IGMG).
Die Organisation vertrat bis Mitte der neunziger Jahre offen politische Auffassungen wie diese: Man plädierte für ein islamistisches Gesellschafts- und Staatsverständnis, das die Abschaffung der laizistischen Staatsordnung in der Türkei und die Einführung einer auf der Scharia basierenden Ordnung zum Ziel hatte. Der Koran galt als einzige legitime Verfassung, alle anderen Verfassungen hingegen als Ausdruck des Unglaubens. Es könne nur eine Partei Allahs und nicht mehrere Parteien geben. Herrschaft sei göttlichen Ursprungs und nicht vom Volk legitimiert. Die organisationsnahe Zeitung "Milli Gazete" bezeichnete die Bundesrepublik Deutschland als Land der Niedertracht und des Unglaubens und die Europäer als Götzenanbeter, Imperialisten, Kapitalisten, Kommunisten und Wucherer.
Seit Mitte der neunziger Jahre lassen sich solche scharfen Töne in den Erklärungen und Veröffentlichungen der IGMG nur noch selten ausmachen. Ob es sich bei dieser Entwicklung um das Ergebnis eines Lern- und Mäßigungsprozesses oder das Resultat strategischer Rücksichtnahme handelt, wird unterschiedlich bewertet. Führende Funktionäre bezeichneten solche Äußerungen als Kinderkrankheiten und Fehler der Vergangenheit. Man habe gemerkt, so eine Stellungnahme, dass antisemitische Äußerungen, die in der Türkei üblich seien, in Deutschland verboten wären.
Auch das Fehlen einer verbandsinternen Demokratie, der hierarchische Aufbau und die autoritäre Führung des Hauptvorstandes sprechen keineswegs für eine innere Wandlung der Organisation. Sie hat keine erkennbare Abkehr von den Grundprinzipien des islamistischen Politikverständnisses vollzogen, sondern wirbt für dieses Ordnungsmodell weiterhin durch ihre Kulturarbeit. Dafür stehen ihr weitverzweigte Strukturen zur Verfügung: Neben den Organisationen auf Bundes-, Regional- und Ortsebene existieren eine Reihe von zielgruppenorientierten Einrichtungen für Akademiker, Frauen, Jugendliche oder Studenten. Hinzu kommen zahlreiche Bildungs- und Sozialeinrichtungen, die fachliche wie religiöse Schulungen abhalten und Beratungs- wie Unterstützungsdienste bei Alltagsproblemen organisieren. Darüber hinaus nutzt man die Präsenz in Dachverbänden der Muslime zur Einflussnahme. Den Unterhalt dieser Arbeit bestreitet die IGMG aus ihren erheblichen Finanzmitteln.
Bei der IGMG handelt es sich somit nicht nur um eine politische Kulturorganisation, sondern auch um eine soziale Bewegung. Ziel ihrer gesellschaftspolitischen Aktivitäten und Initiativen ist die Bewahrung, Entwicklung bzw. Stärkung einer islamistischen Identität, die sich gegen die Integration in die deutsche Gesellschaft wendet.
Ihre Ziele verfolgt die IGMG nicht mit gewaltsamen Mitteln, sondern über die gesellschaftliche und politische Betätigung der Mitglieder. Die strategisch motivierte verbale Mäßigung ihrer Positionen dient dabei der längerfristigen Verwirklichung ihrer Absichten. Man will von Behörden und Öffentlichkeit als Dialogpartner akzeptiert werden und die in Deutschland geltenden Gesetze und Rechte zum eigenen Vorteil ausnutzen. Dies erklärt auch den instrumentellen Bezug auf das Recht der Religionsfreiheit,
3. Die Kaplan-Organisation - eine islamistische Sekte
Die nach der IGMG mitgliederstärkste islamistische Organisation in der Bundesrepublik Deutschland ist der "Verband der islamischen Vereine und Gemeinden" (ICCB), der sich später in "Der Kalifatsstaat" umbenannte. Um keine Irritation bezüglich der Bezeichnungen aufkommen zu lassen, wird im Folgenden von der Kaplan-Organisation gesprochen.
Der Begründer, Cemaleddin Kaplan, gehörte zunächst noch zu dem politischen Umfeld von Necmettin Erbakan in der Türkei und ging nach politischen Problemen 1981 in die Bundesrepublik Deutschland. Dort schloss er sich der Vorläuferorganisation der IGMG an und betätigte sich in ihr zeitweise als Funktionär an herausgehobener Stelle. 1983 kam es zum Bruch, wobei die erwähnten Differenzen über die angemessene Strategie von zentraler Bedeutung waren. Kaplan votierte für die "iranische Lösung", also für einen revolutionären Umsturz in der Türkei. Ein Großteil der Anhänger dieser Strategie folgte Kaplan, der 1984 den "Verband der islamischen Vereine und Gemeinden" gründete. Die Organisation konnte zunächst eine ansteigende Mitgliederentwicklung verzeichnen, geriet aber aufgrund von internen Problemen zunehmend in die Krise. Während die Kaplan-Organisation 1985 noch über 10 000 und 1995 noch über 2 900 Mitglieder verfügte, schmolz deren Zahl im Laufe der neunziger Jahre auf etwa 1 300 zusammen.
Offiziell behauptete die Organisation, die gemeinsamen Interessen der islamischen Gemeinschaften und Vereinigungen in Europa zu vertreten. Tatsächlich propagierte Kaplan aber von Anfang an die politische Botschaft eines revolutionären Weges hin zu einer islamistisch ausgerichteten Türkei. In einem bereits 1983 erstellten Verfassungsentwurf schrieb er die Scharia als einzige Gesellschafts- und Rechtsordnung vor. Danach liege die Souveränität allein bei Gott und nicht beim Volk. Nichtmuslime sollten politisch und rechtlich Bürger zweiter Klasse sein und sich auch in ihrer Kleidung von den Muslimen unterscheiden.
Der anhand der Mitgliederentwicklung bereits angedeutete Niedergang der Kaplan-Organisation ging einher mit einer Änderung des organisatorischen Selbstverständnisses und der sozialen Zusammensetzung: Aus einer relativ offenen Bewegung wurde ein elitärer Orden. Statt einfacher Muslime ländlicher Herkunft stellen nunmehr intellektuell gebildete Fanatiker das Gros der Mitgliedschaft. Die politische Rhetorik verschärfte sich darüber hinaus in Gewaltphantasien. Diese Tendenz hing damit zusammen, dass die Euphorie aus der Anfangsphase der Organisation keine nachweisbaren Erfolge nach sich gezogen hatte. Als Reaktion auf den Niedergang der Gruppe gab Cemaleddin Kaplan seiner Organisation den Anstrich einer politischen Sekte. Dies wurde anhand von drei Ereignissen deutlich: der 1991 erfolgten Erklärung des Glaubenskriegs, der 1992 erfolgten Ausrufung einer Exilregierung und der 1994 erfolgten Selbsternennung Kaplans zum Kalifen, also zum Oberhaupt aller Muslime der Welt. Gerade der letztgenannte Schritt illustriert sowohl den Sektencharakter der Organisation wie den Realitätsverlust ihrer Anhänger.
Auch der Sohn Metin Kaplan beanspruchte nach seiner Übernahme der Führung der zwischenzeitlich in "Kalifatsstaat" umbenannten Organisation das Amt des Kalifen. Allerdings strebte auch ein früherer hochrangiger Mitarbeiter des Vaters, Halil Ibrahim Sofu, diesen Titel an. Es kam zu heftigen Konflikten über diese Frage, die schließlich zur Spaltung führten. Ausschlaggebend dafür waren neben inhaltlichen und machtpolitischen Differenzen auch die Interessen an dem nicht unerheblichen Finanz- und Immobilienvermögen der Organisation. Im Verlauf dieses Konfliktes sprach Kaplan gegenüber dem "Gegen-Kalifen" Todesdrohungen aus. Im Mai 1997 wurde Sofu in Berlin von Unbekannten erschossen. Drei Jahre später, im November 2000, verurteilte ein Gericht Kaplan zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren.
4. Ableger gewaltbereiter islamistischer Organisationen in Deutschland
Die vorgenannten beiden islamistischen Organisationen entstammen der mit Abstand größten muslimischen Gruppe unter den in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ausländern - den Türken.
Als solche Gruppen gelten können die Ableger der algerischen Organisationen "Islamische Heilsfront" (FIS), "Bewaffnete islamische Gruppe" (GIA) und "Salafiyya-Gruppe für die Mission und den Kampf" (GSPC). Deren Aktivitäten müssen vor dem Hintergrund der politischen Situation in ihrem Heimatland gesehen werden, wo es seit 1992 zu andauernden gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der algerischen Regierung und der islamistischen Bewegung kommt.
Sunnitisch orientiert ist gleichfalls die in den teilautonomen palästinensischen Gebieten aktive "Islamische Widerstandsbewegung" (Hamas)
Eine relativ mitgliederstarke islamistische Organisation des oben genannten Typs ist der hiesige Ableger von "Hizbollah" (Partei Gottes)
Und schließlich muss im Zusammenhang mit gewaltbereiten islamistischen Organisationen auch auf die in Deutschland bestehenden Netzwerke "Arabischer Mujahedin" (Kämpfer für die Sache Allahs) verwiesen werden. Die ihnen angehörenden, quantitativ nicht näher bezifferbaren Islamisten nahmen häufig als Freiwillige an Kampfeinsätzen in Afghanistan, Bosnien oder Tschetschenien teil oder absolvierten eine militärisch-terroristische Ausbildung in afghanischen Lagern. Entsprechend der multinationalen Zusammensetzung treten die Angehörigen derartiger Netzwerke für die über nationale Grenzen reichende politische und religiöse Einheit der Muslime ein; auch sie lehnen die Institutionen und Wertvorstellungen westlicher Gesellschaften fundamental ab. Die Bereitschaft, diese Einstellung auch terroristisch umzusetzen, veranschaulicht die Festnahme von vier mutmaßlichen Angehörigen einer "Mujahedin"-Gruppierung in Frankfurt/M. Ende Dezember 2000. Mit den in ihrem Besitz befindlichen Sprengstoffmaterialien und Waffen plante die Gruppe offenbar einen Anschlag in Westeuropa.
Einige der in die Netzwerke eingebundenen terroristischen "Mujahedin"-Zellen stehen in Verbindungen mit der Organisation "Al-Qaida" (Die Basis) des saudi-arabischen Multimillionärs und Terroristen Usama Bin Ladin.
IV. Einige Reflexionen über die Ursachen für die Attraktivität islamistischer Organisationen
Allen vorgenannten Organisationen ist das skizzierte islamistische Politikverständnis eigen, was ihre Einordnung unter dieser Sammelbezeichnung rechtfertigt. Allerdings handelt es sich dabei weder um einen ideologisch noch strukturell einheitlichen Block. Hinsichtlich des Handlungsstils reichen die Optionen von kulturpolitisch ausgerichteten Aktivitäten zur Werbung von Anhängern bis zum geplanten Terroranschlag auf öffentliche Einrichtungen mit vielen Opfern. Allein von daher kann keine Gleichsetzung der genannten Organisationen vorgenommen werden. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch die Frage nach den Ursachen für die Attraktivität islamistischer Personenzusammenschlüsse nur schwer beantworten, gibt es doch je nach Organisationstyp ganz unterschiedliche Gründe für die Hinwendung zu den genannten Gruppierungen. Gleichwohl sollen hier einige sich aus den wenigen Forschungen
Das Benennen von Ursachen steht in einer emotionalisierten Debatte häufig vor dem Problem selektiver Wahrnehmung: Werden gesellschaftliche Aspekte genannt, deutet man dies mitunter als Entschuldigung für die jeweiligen Personen. Der Verweis auf die Besonderheiten in der jeweiligen Gruppe gilt demgegenüber als Entlastung der Mehrheitsgesellschaft. Beide Reaktionsweisen ignorieren dabei den Unterschied zwischen empirischer Beschreibung und normativer Rechtfertigung. Die Frage nach den Ursachen dient der Erklärung für die Herausbildung eines besonderen sozialen Prozesses und damit auch der Herausbildung von Strategien gegen eine als bedenklich geltende Entwicklung. Die hier formulierten Ausführungen beziehen sich weniger auf die in gewaltbereiten Organisationen aktiven Islamisten, liegen die Ursachen für deren Politisierung doch überwiegend in der Situation ihrer jeweiligen Heimatländer begründet. Stattdessen soll die Aufmerksamkeit auf die Gründe gerichtet werden, die islamistische Organisationen für in Deutschland aufgewachsene Jugendliche attraktiv machen.
Ansatzpunkt für darauf gerichtete Reflexionen ist die Frage, worin das werbewirksame Angebot besteht. Es kann verständlicherweise Wirkung nur entfalten, wenn eine entsprechende Nachfrage existiert.
Aus dieser polarisierten Perspektive heraus entwickelt sich dann das Bedürfnis nach Identität, die in der besonderen kulturellen und politischen Deutung von Religion gesehen wird. Deren inhaltliche Akzeptanz und soziale Praxis dient der eigenen Aufwertung durch die Zugehörigkeit zur als überlegen geltenden Glaubensform und zur idealisierten islamischen Gemeinschaft. Außerdem soll sie den Anhängern Halt und Orientierung in einer als feindlich empfundenen gesellschaftlichen Umwelt geben. Da dazu die jeweiligen Kernfamilien nicht mehr in der Lage seien - so das Selbstverständnis der islamistischen Organisationen -, komme ihnen selbst die Bedeutung einer "neuen Familie" zu.
Die Ursachen für die Attraktivität solcher Organisationen liegen demnach sowohl in mitgebrachten mentalen Prägungen der muslimischen Minderheit
Hierzu gehören die Minimalbedingungen eines demokratischen Verfassungsstaates in Gestalt von Konstitutionalismus, Menschenrechten, Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit, Säkularität und Volkssouveränität. Säkularität fordert keineswegs von allen Gläubigen - oder hier insbesondere von den Muslimen - die Aufgabe ihres Glaubens, sondern dessen Beschränkung auf den privaten Bereich und Zurückdrängung aus der politischen Sphäre. Wenn Fundamentalismus und Islamismus als "Entprivatisierung der Religion"
V. Schlussbemerkung: Zur Problematik der Einschätzung des Gefahrenpotenzials
Wie lässt sich bilanzierend das Gefahrenpotenzial der islamistischen Organisationen einschätzen? Auch bei der Beantwortung dieser Frage gilt es, die Erscheinungsformen nach ihrem Handlungsstil zu unterscheiden. Die gewaltbereiten Gruppierungen machen zwar quantitativ nur einen geringen Anteil des politischen Islamismus aus. Darüber hinaus beschränken sie sich meist auf propagandistische Aktivitäten und verzichten hierzulande weitgehend auf die Anwendung von Gewalt. Diese Zurückhaltung ist allerdings primär taktisch motiviert: Zum einen nutzen die Anhänger der erwähnten Gruppierungen die Bundesrepublik Deutschland als Rückzugs- und Ruheraum; sie wollen sich die damit verbundenen Vorzüge nicht durch militantes Agieren verderben. Zum anderen gilt die Bundesrepublik Deutschland bei den "Mutterorganisationen" in den jeweiligen Herkunftsländern aufgrund ihrer ausgleichenden oder zurückhaltenden Außenpolitik nicht als zentrales Feindbild. In einer anderen weltpolitischen Konstellation könnte sich diese Einstellung allerdings zugunsten der aktiven Anwendung von Gewalt durchaus ändern.
Während in den genannten Fällen das Gefahrenpotenzial in möglichen Anschlägen besteht, muss es bei den legalistisch vorgehenden Islamisten in dem Maß der langfristigen Wirkung ihrer Politisierung gesehen werden. Sie führt aus mehreren Gründen zu einer Störung des Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft und religiöser Orientierung: Die islamistische Orientierung verhindert die Integration in unsere Gesellschaft und lässt eine von ihr abgeschottete Parallelgesellschaft entstehen. Da eine rigide Abgrenzung allerdings nicht für alle Lebensbereiche umsetzbar ist, kommt es automatisch zu Konflikten und Spannungen. Diese können generell zu einem konstruktiven Wandel in der Gesellschaft führen, stoßen in diesem Fall aber auf Absolutheitsansprüche und Fanatismus. In islamistisch geprägten Parallelgesellschaften besteht weder Offenheit noch Pluralismus, denn hier will man die eigene, als einzig wahr geltende Religion über alle anderen Werte des Gastlandes - auch die Grund- und Menschenrechte - stellen. Eine ausschließende politische Anlehnung an einen selektiv interpretierten Islam führt dann in der Konsequenz zur Herausbildung eines antidemokratischen Potenzials.
Die damit aufkommende Gefahr kann nicht als Ausdruck eines "Kampfes der Kulturen"