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Demokratieförderung: Quo vadis?

Jörn Grävingholt Julia Leininger Oliver Schlumberger Oliver Julia Leininger / Schlumberger Jörn Grävingholt /

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Es gibt gute Gründe dafür, weltweit Demokratie zu fördern. Doch dafür sind neue Wege erforderlich: weg von der Demokratisierungshilfe hin zur Demokratieförderungspolitik.

Einleitung

In den 1990er Jahren entwickelte sich Demokratieförderung zu einem zentralen Paradigma westlicher Entwicklungs- und Außenpolitik, das für wichtige globale Herausforderungen die Lösung bieten sollte. Sie sollte zur Verringerung der weltweiten Armut ebenso beitragen wie zur Verhinderung von Staatszerfall, zur Verhütung gewaltsamer Konflikte oder zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Ausgehend von der Unterstützung für die Demokratisierungen der 1970er und 1980er Jahre in Südeuropa und Lateinamerika entwickelte sich Demokratieförderung nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Systeme Osteuropas zur Boom-"Industrie" der internationalen Zusammenarbeit. Heute umfasst Demokratieförderung ein jährliches Volumen von rund zehn Milliarden Euro oder knapp einem Zehntel der weltweiten Entwicklungshilfe.






Mittlerweile sieht sich die Demokratieförderung mit unangenehmen Fragen konfrontiert. In prominenten Governance-Indizes wird behauptet, Demokratie befinde sich global auf dem Rückzug. So stellt der US-amerikanische Thinktank Freedom House im Januar 2009 im dritten Jahr in Folge fest, dass sich 2008 gegenüber dem Vorjahr in einem Fünftel aller Staaten die Gewährleistung politischer Rechte und bürgerlicher Freiheiten als Gradmesser demokratischer Grundbedingungen verschlechtert habe. Gerade in Ländern mit bereits bedenklich niedrigem Demokratieniveau nehme dieses weiter ab. Doch auch zuvor liberalisierte oder demokratisierte Staaten ließen Rückschritte erkennen. Das Gesamtbild außerhalb der Welt etablierter OECD-Demokratien ist ernüchternd: Demokratie ist keineswegs die Regel; Freedom House zu Folge ist die Mehrheit der Staatenwelt (63 Prozent) nur "teilweise frei" oder "nicht frei" (61 bzw. 42 Länder, 37 bzw. 26 Prozent). 60 Länder (38 Prozent) werden im aktuellen Index als "frei" bezeichnet.

Selbst wenn es noch zu früh ist, hinter diesen Zahlen einen gefestigten Trend zu erkennen, so ist doch offensichtlich, dass die Welle neuer Demokratisierungen, die bis in die ersten Jahre des 21. Jahrhunderts hinein die Wahrnehmung prägte, abgeebbt ist. Beispiele wie Russland oder andere postsowjetische Länder zeigen, dass Demokratisierung keine Einbahnstraße ist. Hat ein Land einen Demokratisierungspfad eingeschlagen, steht am Ende des Weges nicht automatisch die konsolidierte Demokratie. Zudem haben autoritäre Regime wie in China, im Iran und im arabischen Raum die Demokratisierungswelle der 1990er Jahre überlebt, sich gar stabilisiert und als immun gegen externen Druck erwiesen. Während Demokratisierung in Ostmitteleuropa, weiten Teilen Lateinamerikas und einigen afrikanischen Staaten erfolgreich war, blieben Regionen wie Zentralasien, der Vordere Orient, Teile Subsahara-Afrikas sowie Süd- und Südostasiens autoritär regiert. Neuerdings mehren sich sogar die Anzeichen, dass mächtige Staaten wie China oder Russland ihren politischen und wirtschaftlichen Einfluss auf andere Länder nutzen könnten, um dort Demokratisierung zu verhindern.

Hinzu kommt, dass internationale Demokratieförderung in der Kritik steht, weil ihre Wirksamkeit in wissenschaftlichen Analysen bislang kaum nachgewiesen werden konnte. Zwar wird anerkannt, dass Demokratieförderung einen Beitrag zur Demokratisierung leisten kann, dauerhafte Demokratisierungserfolge liegen letztendlich aber immer in der Hand nationaler Akteure. Das einzige Instrument, das bislang erwiesenermaßen Demokratie induziert hat, ist der positive Anreiz der EU-Mitgliedschaft, den die Europäische Union ihren Beitrittskandidaten gesetzt hat. Mit der Erweiterungsrunde von 2004 hat sich dieses Instrument erschöpft, so dass nun die Frage nach wirksamen Mitteln zur Förderung von Demokratie neu zu stellen ist.

In den 1990er Jahren hat sich international ein vielfältiges Verständnis von Demokratieförderung herausgebildet, das je nach fördernder Organisation (z.B. Ministerien oder nicht-staatliche Organisationen) variiert. Im deutschen Sprachgebrauch werden unter "Demokratieförderung" üblicherweise alle nicht-militärischen Maßnahmen verstanden, die eine Etablierung, Stärkung oder Wiederherstellung demokratischer politischer Ordnung zum Ziel haben. Zu den Arbeitsbereichen der Demokratieförderung wird die Unterstützung von demokratischen Institutionen (z.B. Parlamente) und Verfahren (z.B. Wahlen), von Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Bürgererziehung gezählt.

Die Instrumentenkoffer der Demokratieförderer unterscheiden sich wenig. Grob unterteilt enthalten sie negative (z.B. Konditionalitäten bei Kreditvergabe) und positive (z. B. Zivilgesellschaftsaufbau) sowie direkte (z.B. capacity building von Parlamentariern) und indirekte (z.B. Förderung fiskalischer Transparenz) Mittel zur Unterstützung demokratischer Prozesse. Bevor jedoch Demokratie von außen gefördert werden kann, muss reflektiert werden, dass dies einer Begründung bedarf: Das Prinzip nationalstaatlicher Souveränität in inneren Angelegenheiten ist bis heute eines der wichtigsten Strukturmerkmale einer ansonsten großteils anarchischen Staatenwelt. Demokratieförderung aber zielt auf die Veränderung der politischen Ordnung eines Landes.

In der Regel werden zwei Begründungen angeführt, nach denen es dennoch legitim sei, Demokratie extern zu fördern: Gemäß der instrumentellen Begründung fördern internationale Akteure Demokratie, weil sie diese als zentrale Voraussetzung für nachhaltige, breitenwirksame Entwicklung, für Sicherheit und Frieden oder für beides begreifen. Hier wird Demokratieförderung als Mittel zum Zweck verstanden. Die normative Begründung verweist darauf, dass Demokratie das einzige Regierungssystem ist, welches grundlegende universelle Rechte gewährleisten könne. In diesem Verständnis wird Demokratie als Wert an und für sich betrachtet.

Herausforderungen und Erkenntnisdefizite

Bekannte Herausforderungen der Entwicklungszusammenarbeit wie Evaluierungsfragen oder die Koordination unterschiedlicher Geber existieren auch in der Demokratieförderung. Darüber hinaus stellen sich spezifische Probleme, die Demokratieförderung von anderen Feldern internationaler Zusammenarbeit unterscheiden und die im Gegenstand selbst, der Demokratie, begründet liegen: Erstens sind Demokratisierungsprozesse makropolitische Umwälzungen, die mit einer Veränderung politischer Machtverteilung einhergehen, da sie die Regeln politischer Entscheidungsfindung grundlegend verändern. Solche Prozesse erzeugen Widerstände und bergen ein hohes, mitunter gewaltförmig ausbrechendes Konfliktpotenzial. Demokratieförderung zielt also - anders als sektorale Förderpolitiken im Gesundheits- oder Bildungsbereich - auf den politischen Prozess als solchen ab. Zweitens stellt Demokratie ein komplexes System dar, das aus mehr als der Summe seiner Teile besteht. Ihre Elemente sind in ihrer Wirkung sowohl voneinander als auch von spezifischen Kontextbedingungen abhängig. Externe Unterstützung zur Herbeiführung entkontextualisierter Elemente von Demokratie führt daher oft nur zu "demokratischen Fassaden".

Die spezifischen Herausforderungen der Demokratieförderung lassen sich vier Ebenen zuordnen (Abbildung): (I) dem verfügbaren Wissen über Ablauf und Bedingungen von Demokratisierung; (II) politischen Entscheidungen auf Seiten Demokratie fördernder Länder; (III) der Konzeption und Umsetzung von Demokratieförderung; (IV) der Wirkungsmessung.

Demokratisierungsforschung hat in den 1990er Jahren einen großen Aufschwung erlebt; dennoch sind viele ihrer zentralen Fragen aus heutiger Sicht nur unvollständig beantwortet. So stehen Erklärungsansätzen, die Rolle und Verhalten kollektiver Akteure zur Schlüsselfrage der Demokratisierung erheben, strukturalistische Ansätze gegenüber, welche die Bedeutung sozioökonomischer Rahmenbedingungen betonen.

Keine der beiden Denkschulen vermag Demokratisierungsprozesse vollständig zu erklären. Gesetzmäßige Erkenntnisse darüber, was Demokratisierung auslöst und wie sie abläuft, gibt es nur bruchstückhaft. Auch fehlt verlässliches Wissen darüber, welche Unterstützungsmaßnahmen wie viel Erfolg versprechen. Klar ist nur, dass Faktoren wie Zeitpunkt, Akteurskonstellationen und Institutionen entscheidend sind. Im Ganzen aber wird Demokratieförderung auf der Basis unvollständiger Modelle betrieben. Da kaum zwei Fälle einander hinreichend ähnlich sind, bleibt auch der Lernertrag aus der Praxis begrenzt. Erforderlich sind also neue Investitionen in die Forschung über systemischen politischen Wechsel: Welche Katalysatoren begünstigen Demokratisierungsprozesse, wie verlaufen sie, welche Faktoren spielen zusammen oder erklären auch das Ausbleiben von Demokratisierung? Zugleich ist eine engere Rückkoppelung von Förderstrategien an die Erkenntnisse aus der Forschung notwendig.

Zielkonflikte und eingeschränkte Glaubwürdigkeit

Westliche Demokratieförderung wird oft vor dem Hintergrund ungeklärter politischer Zielkonflikte betrieben. In fragilen Staaten (etwa Afghanistan) wurde in der Vergangenheit oft die Entscheidung darüber vermieden, welchen Stellenwert Demokratie im Verhältnis zu state building hat. Ein dominanter Strang der internationalen Debatte geht inzwischen davon aus, dass in solchen Fällen im Zweifel Staatsbildung das prioritäre Ziel sein muss, da sonst funktionierende Staatlichkeit als Basis für die Verwirklichung von Demokratie fehlt. In stabil autoritären Regimen stehen dagegen oftmals widerstreitende Eigeninteressen der Geberregierungen einer effektiven Demokratieförderungspolitik im Weg. In rohstoffreichen Regionen etwa zielt westliche Politik oftmals auf die Importsicherung mineralischer Rohstoffe (und damit auf politische Stabilisierung), nicht aber auf politische Transformation. Ähnlich widerstreitende Politikziele lassen sich in anderen Regionen zwischen der Verfolgung militärischer Ziele, energiepolitischer Interessen und der Förderung von Demokratie ausmachen. Nicht immer ist Demokratieförderung die dringendste Aufgabe für internationale Geber; aber wo sie es sein soll, müssen sich andere Ziele, etwa die Stabilisierung autoritärer Wirtschaftseliten, dem unterordnen, denn sonst ist ein Demokratisierungserfolg unwahrscheinlich.

Ungeklärte Zielkonflikte münden nicht nur in widersprüchliche Politiken; sie nähren vor allem bei lokalen Eliten und in der Bevölkerung Zweifel an der Glaubwürdigkeit westlichen Engagements für Menschenrechte und Demokratie. Demokratieförderung droht dann als Intervention zur Durchsetzung neoimperialer Ziele wahrgenommen zu werden, was Diktaturen stützt und der Verbreitung universeller Rechte und Freiheiten schadet. Demokratieförderung erfordert einen konsistenten Außenauftritt gegenüber unterschiedlichen Zielländern sowie das vorgelebte Beispiel der Geber. Kommt sie nur dann ernsthaft zum Zuge, wenn keine "wichtigeren" geostrategischen oder ökonomischen Interessen die Außenpolitiken von Förderern dominieren, verliert sie an Glaubwürdigkeit. So setzen westliche Demokratien, die bei Fragen fundamentaler Menschen- und Bürgerrechte Kompromisse zugunsten anderer Ziele eingehen, die positive Ausstrahlungskraft des westlichen Demokratiemodells aufs Spiel - und damit ihre womöglich größte Ressource im Bemühen um eine kooperative Lösung globaler Probleme. Effektive Demokratieförderung bedarf daher auch der Konfliktbereitschaft: gegenüber autokratischen Staatseliten, gegenüber Interessen im Geberland und gegenüber Gebern, mit anderen Prioritäten.

Strategiemängel und fehlendes Kontextwissen

Erfolgreiche Demokratieförderung setzt eine Vorstellung davon voraus, mit welchen Mitteln welche Wirkungen erzielt werden und wie diese Wirkungen insgesamt Demokratisierung befördern sollen. Irreführend ist die Annahme, die Förderung von Merkmalen etablierter Demokratien diene automatisch der Demokratisierung nicht-demokratischer Regime. Bisweilen ist sogar das Gegenteil der Fall, wenn etwa manipulierte Wahlen oder Fassadenparlamente Autokraten den Anschein von Legitimität verleihen, während Oppositionelle sich von demokratischen Experimenten frustriert abwenden. Demokratisierungen sind langfristige und gesamtsystemische Prozesse, die nicht linear verlaufen - entsprechend müssen Interventionen im Hinblick auf ihre Gesamtwirkung geplant werden. Von der Planung und Steuerung von Demokratisierungshilfe bis zu ihrer Implementierung besteht die Herausforderung darin, Strategien zu entwickeln, die auf eine langfristige, gesamtsystemische Unterstützung abzielen und nicht, wie meist zu beobachten, auf kurzfristig förderbare Teilelemente wie Wahlen oder politische Parteien.

Fehlende Blaupausen für Demokratisierungserfolge dürfen nicht zur Flucht in die Beliebigkeit oder in das bloße Kopieren vorgestanzter Modelle münden. Politische Systeme entwickeln sich kontextgebunden, und auch Systemwechsel erfolgen kontextabhängig. Kontextsensible Demokratieförderung setzt daher zwingend zweierlei voraus: zum einen die Berücksichtigung lokaler Macht- und Akteurskonstellationen sowie informeller Regeln und Prozesse bereits bei der Strategieentwicklung; zum anderen die Flexibilität, Strategien rasch und angemessen politischen Veränderungen anzupassen. Grob lassen sich vier politische Kontexte skizzieren, welche die Demokratieförderung mit je unterschiedlichen Grundvoraussetzungen konfrontieren:

Länder in Transition. Die Entscheidung zur Demokratisierung ist hier bereits gefallen, die Regeln des politischen "Spiels" sind noch im Fluss, d.h. ein Übergang von einem nicht-demokratischen Regime zur Demokratie wird organisiert. Demokratieförderung unterstützt einerseits pro-demokratische Akteure, etabliert andererseits Kommunikationskanäle zwischen gegnerischen Akteuren, organisiert Runde Tische zur Aushandlung der künftigen politischen Ordnung, diskutiert Verfassungsoptionen und liefert Unterstützung bei der Erarbeitung einer neuen institutionellen Ordnung. Akteure des vorigen autoritären Regimes können angesichts schwindender Privilegien in diesem Kontext zu Veto-Spielern werden, so dass ihre Integration in die neue Ordnung eine zentrale Herausforderung darstellt.

Junge Demokratien. Am Ende der Transition haben sich die politischen Akteure auf demokratische Grundregeln geeinigt. Demokratieförderung verfolgt in jungen Demokratien das Ziel, den Erhalt dieser Ordnung zu garantieren. Gefahren können jungen bzw. schwachen Demokratien aus unterschiedlichen Richtungen erwachsen: Massenarmut kann zu geringen Zustimmungswerten führen und autoritäre Rückfälle verursachen. Bei gerade erst vollzogener Transition ist das Verhältnis zwischen Stützen des alten Regimes und der breiten Gesellschaft noch nicht geklärt (z.B. Militär/Geheimdienste vs. zivile Regierung); externe Unterstützung kann helfen, einen dauerhaften Modus vivendi unter demokratischen Vorzeichen zu institutionalisieren.

Stabil autoritäre Regime. Hier mag es zwar demokratische Fassaden geben, und demokratische Spielregeln mögen von Einzelnen gefordert werden, doch kontrollieren autoritäre Regimeeliten den politischen (und häufig auch ökonomischen) Prozess. Auch hier bestehen Spielräume des Engagements für die Demokratieförderung, wenngleich in solchen Fällen von Demokratisierungsförderung gesprochen werden muss. In diesem Kontext sind Fragen der Sequenzierung von besonderer Bedeutung: Nicht die Förderung von Elementen der Demokratie sollte im Vordergrund stehen, sondern die Öffnung des Regimes zugunsten von Pluralität und Meinungsvielfalt sowie, vor allem, die Verbesserung der Menschenrechtslage und Etablierung von Rechtsstaatlichkeit. Verfrühte Wahlen brachten in manchen Fällen populistische Kräfte an die Macht, die zwar einmalig vom demokratischen Prozess profitierten, sich dann aber nicht mehr auf eine Wiederholung eines politischen Spiels mit ungewissem Ausgang einließen. Allerdings sind der Sequenzierung natürliche Grenzen gesetzt, die in der Eigendynamik und Offenheit politischer Prozesse begründet sind. Capacity Building im Staatsapparat darf nicht der Festigung autoritärer Herrschaftsstrukturen dienen. Wo dies dennoch geschieht, muss offen eingestanden werden, dass nicht Demokratieförderung das Ziel ist.

Fragile und zerfallende Staaten. Hier steht Demokratieförderung im Vergleich zu stabil-autoritären Kontexten gewissermaßen vor der "umgekehrten" Herausforderung: Nicht die übermächtige Kontrolle eines autoritären Regimes, sondern mangelnde staatliche Handlungsfähigkeit ist die zu überwindende Herausforderung. Da auch Demokratisierung ein Mindestmaß an funktionierenden staatlichen Institutionen voraussetzt, muss externe Unterstützung zunächst staatliches Handeln sicherstellen. Dabei ist zu beachten, dass schon die allerersten Bemühungen in diese Richtung Pfade für die weitere institutionelle Entwicklung legen. Der Aufbau staatlicher Institutionen muss zwar nicht von Anfang an alle Erfordernisse demokratischer Regierungsführung erfüllen, muss aber mit ihnen langfristig kompatibel sein und darf nicht zur Herausbildung neuer autokratischer Herrschaftseliten führen. Auch hier ist also nicht nur der richtige erste Schritt (Staatsaufbau) zu wählen, sondern müssen die Folgen für den zweiten und dritten Schritt (Rechtssicherheit, Demokratisierung) mit bedacht werden.

Schon diese grobe Unterscheidung politischer Interventionskontexte verdeutlicht, dass zentrale Fragen der Demokratieförderung nur auf der Grundlage eingehender Kontextanalysen beantwortet werden können. Dazu zählen: die Auswahl geeigneter Partner für die Zusammenarbeit; die Wahl des passenden Zeitpunkts für den Einsatz verschiedener Instrumente (Timing); die kontextadäquate Abfolge von Unterstützungsmaßnahmen (Sequenzierung).

Erst auf dieser Grundlage ist es möglich, eine Förderstrategie zu entwickeln. Strategie bedeutet, Maßnahmen im Lichte zeitlicher Abfolgen und systemischer Interdependenzen zu planen, die Gefahr unintendierter Wirkungen abzuschätzen, die Auswirkungen eigener Politiken in anderen Politikfeldern (Sicherheit, Energie, Außenwirtschaft, usw.) zu bedenken und hieraus eine umfassende Demokratieförderungspolitik zu entwickeln, mit der flexibel auf einen unberechenbaren, offenen Demokratisierungsprozess reagiert werden kann. Ein solcher Ansatz setzt umfassende Koordination der beteiligten Ressorts zwingend voraus. Er kann weder von der Entwicklungspolitik allein noch ohne entwicklungspolitische Akteure umgesetzt werden. Zudem gestaltet sich in der Demokratieförderung die ebenfalls wünschenswerte Abstimmung im internationalen Geberkreis besonders schwierig. Doch wer wirksame Anreize zur Demokratisierung setzen will, muss Synergien gezielt nutzen und konterkarierende Wirkungen anderer Felder der eigenen Außenpolitik oder durch andere internationale Akteure vermeiden. Demokratieförderung ohne hinreichende Abstimmung schadet oft mehr als sie nützt!

Quo vadis?

Gängige Wirkungsmessungen in der Demokratieförderung beschränken sich meist auf direkte Einzelinstrumente (Input) und Projektergebnisse (Output). Überzeugende Nachweise, dass Demokratieförderung - jenseits der EU-Erweiterung - systemisch wirksam ist (outcome), wurden bislang nicht erbracht. Einzelne Versuche, das Bild zum Positiven zu wenden, sind meist von Durchführungsorganisationen in Auftrag gegeben und wurden aufgrund gravierender methodischer Mängel kritisiert. Im Fall der Demokratieförderung potenziert sich das so genannte "Attributionsproblem": Welche makropolitischen Resultate sind kausal auf welche Einzelmaßnahmen zurückzuführen?

Wirkungsmessung sollte daher eine gesamtsystemische Analyse vornehmen und verstärkt an zwei anderen Punkten ansetzen: erstens an der Untersuchung aller Politiken, die ein Staat in einem Land verfolgt: Bilden sie eine Gesamtstrategie, durch die kohärente und signifikante Anreize für Demokratisierung gesetzt werden? Demokratieförderung kann keine durchschlagenden Erfolge haben, wenn gleichzeitig andere Politiken desselben Gebers eine Stabilisierung autoritärer Herrschaft bewirken. Zweitens müsste sie eine regelmäßige Analyse des jeweiligen politischen Systems leisten, um festzustellen, ob sich machtpolitische Kräfteverhältnisse verschoben oder zentrale Funktionsmechanismen verändert haben.

Die Liste der Herausforderungen, denen Demokratieförderung gegenübersteht, ist lang. Die gleichzeitige Erfüllung aller Voraussetzungen "guter" Demokratieförderung angesichts vielfältiger innen- wie außenpolitischer Sachzwänge mag dem sachkundigen Betrachter daher kaum realistisch erscheinen. Dennoch kann ein nüchterner Blick auf die Defizite der bisherigen Förderpraxis dabei helfen, Kriterien für die Analyse und Maßstäbe für die Qualität von Demokratieförderung zu gewinnen.

Drei Herausforderungen sind dabei von überragender Bedeutung: Erstens ist eine vertiefte Kenntnis des Ziellandes unabdingbar, also primär der Funktionsweise und Charakteristika der herrschenden politischen Ordnung sowie der in ihr agierenden Akteure und ihrer Konstellationen zueinander. Die korrekte politische Kontextanalyse bedingt Güte und Konsistenz von nachfolgend für den jeweiligen Interventionskontext erarbeiteten Strategien. Zweitens müssen Strategien konsistent sein, das heißt, ihre Elemente müssen gut begründet aufeinander abgestimmt sein: Welche Bereiche werden adressiert? Wann findet Engagement in welchen Bereichen statt? In welcher Reihenfolge sollen einzelne Instrumente zur Anwendung kommen? Mit wem sollte zur Erreichung welches Teilzieles kooperiert werden und - ebenso wichtig - mit wem nicht? Dabei wird deutlich: Die Strategiebildung wie die Umsetzung von Maßnahmen basiert auf fundierter Kenntnis des politischen Kontextes. Drittens aber sind auch konsistente Strategien nur glaubwürdig, wenn im globalen Kontext ähnliche Fälle auch ähnlich behandelt werden und Demokratieförderung nicht nur dann zum Zuge kommt, wenn dies kurzfristig opportun ist. Demokratieförderung ohne Glaubwürdigkeit hat kaum Aussichten auf Erfolg.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Peter J. Schraeder (Hrsg.), Exporting Democracy. Rhetoric vs. Reality, London 2002.

  2. Vgl. Peter Burnell, Promoting Democracy, in: Daniele Caramani (Hrsg.), Comparative Politics, Oxford 2008.

  3. Vgl. www.freedomhouse.org/template.cfm?page= 445 (14.1. 2009). Freedom House gibt jährlich einen "Freiheits-Index" heraus, aus dem hervorgehen soll, in welchem Maß Staaten zivile und bürgerliche Freiheiten gewährleisten.

  4. Vgl. Freedom in the World 2009; http:// www.freedomhouse.org/template.cfm?page=70&relea se= 756 (14.1. 2009).

  5. Vgl. Thomas Carothers, The End of the Transition Paradigm, in: Journal of Democracy, 13 (2002) 5, S. 5 - 21.

  6. Vgl. hierzu u.a. Larry Diamond, Promoting Democracy in the 1990s: Actors, Instruments and Issues, in: Axel Hadenius (Hrsg.), Democracy's Victory and Crisis, Cambridge 1997.

  7. Vgl. Frank Schimmelfennig/Stefan Engert/Heiko Knobel, International Socialization in Europe: European Organizations, Political Conditionality and Democratic Change, Basingstoke 2006.

  8. Vgl. Julia Leininger, Demokratieförderung, in: Dieter Nohlen/Florian Grotz (Hrsg.) Kleines Lexikon der Politik, München 2006. Dagegen unterscheidet der englische Sprachgebrauch häufig zwischen democracy assistance und democracy promotion. Erstere bezieht sich auf direkte, positive Maßnahmen, letztere kann auch militärische und ökonomische (Zwangs-)Maßnahmen umfassen.

  9. Vgl. Dirk Berg-Schlosser (Hrsg.), Democratization. The State of the Art, Opladen 20072.

  10. Vgl. stellvertretend für den ersten Ansatz: Guillermo O'Donnell/Philippe Schmitter/Laurence Whitehead (Hrsg.), Transitions from Authoritarian Rule. 4 Bde., Baltimore 1986; für den zweitgenannten Ansatz: Dietrich Rueschemeyer/Evelyne Huber-Stephens/John D. Stephens, Capitalist Development and Democracy, Chicago 1992.

  11. Vgl. Francis Fukuyama, "Stateness" First, in: Journal of Democracy, 16 (2005) 1, S. 84 - 88.

  12. Vgl. Oliver Schlumberger, Autoritarismus in der arabischen Welt: Ursachen, Trends und internationale Demokratieförderung, Baden-Baden 2008; Eberhard Kienle, Democracy Promotion and the Renewal of Authoritarian Rule, in: Oliver Schlumberger (Hrsg.), Debating Arab Authoritarianism, Stanford 2007.

  13. Vgl. Jörn Grävingholt, Ohne Gewähr. Demokratieförderung in Zentralasien, in: Osteuropa, 57 (2007) 8 - 9, S. 401 - 416.

  14. Vgl. Oliver Schlumberger, Dancing With Wolves: Dilemmas of Democracy Promotion in Authoritarian Contexts, in: Dietrich Jung (Hrsg.), Democratization and Development, New York 2006.

  15. Vgl. hierzu auch Peter Burnell, Democracy Promotion: The Elusive Quest for Grand Strategy, in: Internationale Politik und Gesellschaft, 3 (2004), S. 100 - 116; Jeroen de Zeeuw, Projects Do not Create Institutions: The Record of Democracy in Post-Conflict Societies, in: Democratization, 12 (2005) 4, S. 481 - 504.

  16. Vgl. stellvertretend die größte Studie dieser Art, die im Auftrag von USAID durchgeführt wurde: Steven Finkel/Aníbal Linan-Pérez/Mitchell A. Seligson, Effects of U.S. Foreign Assistance on Democracy Building: Results of a Cross-National Quantitative Study, Pittsburgh, PA 2006. Kritisch hierzu siehe Peter Burnell, Methods and Experiences of Evaluating Democracy Support: A Moving Frontier, in: IDEA International/SIDA (Hrsg.), Evaluating Democracy Support. Methods and Experiences, Stockholm 2007.

Dr. phil., geb. 1967; wissenschaftlicher Mitarbeiter des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE), Tulpenfeld 6, 53113 Bonn.
E-Mail: E-Mail Link: joern.graevingholt@die-gdi.de

M.A., geb. 1976; assoziierte wissenschaftliche Mitarbeiterin desDIE.
E-Mail: E-Mail Link: julia.leininger@die-gdi.de

Dr. rer.soc., geb. 1970; wissenschaftlicher Mitarbeiter des DIE.
E-Mail: E-Mail Link: oliver.schlumberger@die-gdi.de