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Wer waren Einsteins Gegner? | Einstein | bpb.de

Einstein Editorial Perfekter Wissenschaftler oder beschädigtes Genie? Von Ulm nach Princeton Wer waren Einsteins Gegner? Wissenschaft und Politik: Einsteins Berliner Zeit Prophet des Friedens

Wer waren Einsteins Gegner?

Milena Wazeck

/ 17 Minuten zu lesen

Die Einstein-Gegner verbündeten sich in ihrem Kampf gegen die Relativitätstheorie. 1921 wurde in den USA die Academy of Nations gegründet - eine Akademie der Einstein-Gegner.

Einleitung

Nachdem 1919 die Voraussage der Allgemeinen Relativitätstheorie bestätigt wurde, nach der ein Lichtstrahl durch das Schwerefeld der Sonne abgelenkt wird, stieg Albert Einstein in den folgenden Jahren zum Star der Massenmedien auf. "Gegenwärtig debattiert jeder Kutscher und jeder Kellner, ob die Relativitätstheorie richtig sei. Die Überzeugung wird hierbei bestimmt durch die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei", schrieb er am 12. September 1920 seinem Freund Marcel Grossmann.

Doch die Relativitätstheorie wurde nicht nur gefeiert, sondern war von Anfang an heftiger Kritik ausgesetzt. Wissenschaftliche Einwände auf Basis der klassischen Physik waren schon früh erhoben worden. Der Experimentalphysiker Ernst Gehrcke (1878 - 1960) etwa publizierte seit 1911 verschiedene Einwände gegen Einstein: Er hielt am Konzept des Äthers als notwendiges Medium für die Ausbreitung von elektromagnetischen Wellen fest und hielt Einsteins Relativierung des Zeitbegriffs aus erkenntnistheoretischen Gründen für unzulässig.

Neue Qualität und eine vorher nicht da gewesene öffentliche Breitenwirkung erhielt die Auseinandersetzung durch eine öffentliche Vorlesungsreihe gegen die Relativitätstheorie, die am 24. August 1920 in der Berliner Philharmonie ihren Auftakt hatte. Organisiert wurde die Veranstaltung von dem antisemitischen Agitator Paul Weyland und seiner "Arbeitsgemeinschaft deutscher Naturforscher zur Erhaltung reiner Wissenschaft e.V.", "aller Wahrscheinlichkeit nach ein Ein-Mann-Unternehmen". Weyland verunglimpfte in seinem Vortrag die Relativitätstheorie als "wissenschaftlichen Dadaismus". Der zweite Redner des Abends war Gehrcke, der sachlich blieb, aber lediglich seine schon seit Jahren erfolglos vorgebrachten Argumente ausbreitete. Es folgte am 27. August 1920 im "Berliner Tageblatt" eine scharfe Antwort Einsteins an die "antirelativitätstheoretische GmbH". Mit Weylands "plumpen Grobheiten" wollte er sich erst gar nicht auseinander setzen, und Gehrckes Einwände führte er mit deutlichen Worten ad absurdum. Im September 1920 diskutierten der Nobelpreisträger Philipp Lenard, ein Gegner der Allgemeinen Relativitätstheorie, und Einstein bei der Naturforscherversammlung in Bad Nauheim, doch ihre fundamentalen Differenzen blieben bestehen.

Wie sind die Gegner Einsteins einzuordnen? Handelte es sich um verbohrte Experimentalphysiker, die von der Entwicklung der theoretischen Physik abgehängt wurden und nun aus einer Randposition immer lauter und mit allen Mitteln Revanche suchten? Handelte es sich um versprengte Kritiker mit fragwürdiger Seriosität wie Weyland? Dass der Personenkreis der Einstein-Gegner wesentlich breiter war und die Kritik an der Relativitätstheorie nicht einseitig als Ausdruck des Unverständnisses zu charakterisieren ist, zeigen nicht zuletzt Dokumente aus dem Nachlass Gehrckes. Außer zu den bekannten Einstein-Gegnern wie den Nobelpreisträgern Johannes Stark und Lenard hatte Gehrcke Kontakt zu vielen weniger bekannten Gegnern der Relativitätstheorie - Physikern und Philosophen, aber auch Ingenieuren, Ärzten und Anwälten, welche die Relativitätstheorie gewissermaßen in ihrer Freizeit zu widerlegen versuchten.

Um mich dem Massenphänomen der Kritik der Relativitätstheorie zu nähern, habe ich - unabhängig von der Frage nach der wissenschaftlichen Angemessenheit der Kritik - spezifische Kontexte und Netzwerke verschiedener Gruppen von Einstein-Gegnern untersucht. Im Folgenden möchte ich eine seltsame Allianz von Einstein-Gegnern vorstellen.

Die Academy of Nations

In den USA wurde 1921 die Academy of Nations (AoN) gegründet. Aufnahmeformulare der Mitglieder und der Briefwechsel zwischen europäischen Regionalverantwortlichen und dem amerikanischen Generalsekretär befinden sich in den Nachlässen von Arvid Reuterdahl (1876 - 1933) in St. Paul, Minnesota, und von Ernst Gehrcke in Berlin.

Der anspruchsvolle Name der Akademie und die gedruckten Formulare und Briefbögen wirken seriös. Doch eine erste Recherche förderte rein gar nichts zutage. Ich habe dann versucht, die Geschichte der rätselhaften AoN anhand der Dokumente in Minnesota und Berlin zu rekonstruieren. Sehr bald wurde klar, dass die AoN keine bekannte oder gar offizielle Akademie war. Es handelte sich vielmehr um die Institutionalisierung eines internationalen Netzwerkes von Einstein-Gegnern, eine Art Anti-Einstein-Akademie.

Die AoN war ein Projekt des amerikanischen Ingenieurs Arvid Reuterdahl, von 1918 bis 1922 Dekan der Faculty of Engineering and Architecture der Universität St. Thomas in St. Paul und ab 1922 Leiter des von ihm gegründeten Ramsey Institute for Technology. Ziel der AoN war es, gegen den weltweiten Trend der Spezialisierung der Wissenschaft eine Einheit und Synthese des Wissens zu erzielen. Was auf den ersten Blick als lobenswertes Ziel erscheinen mag, verliert von seinem Glanz, wenn man berücksichtigt, dass die AoN alle Bereiche des Lebens von einer Art Einheitswissenschaft geleitet sehen wollte. Kontroversen wissenschaftlicher oder philosophischer Art wurden nicht akzeptiert, sondern sollten vor einem Welttribunal entschieden werden.

Noch fragwürdiger wird die Einheitswissenschaft der AoN, wenn man die Schriften des Gründers Reuterdahl studiert: Es ging ihm um die Vereinigung von Gott und Naturwissenschaft in einer "New Science", einem "Scientific Theism". Reuterdahl war nicht nur Universitätsprofessor, sondern zugleich auch überzeugter Theist (Theismus verstanden als Glaube an einen persönlich wirkenden, überweltlichen Gott). Er war Herausgeber des "Theistic Monthly", Mitbegründer der Interchurch Theistic Alliance und der International Theistic Society. Der angesehene Bürger St. Pauls war der Lokalmatador der Einstein-Gegner in der Hauptstadt Minnesotas - mit besten Verbindungen zur amerikanischen wie europäischen Szene der Einstein-Gegner. Regelmäßig erschienen Artikel über Reuterdahls Kritik der Relativitätstheorie in den Regionalzeitungen von St. Paul und Minneapolis. "Einstein Branded Barnum of Science, Minnesota Man Calls Relativity 'Bunk'", titelte die "Minneapolis Sunday Tribune" beispielsweise am 10. April 1921, illustriert mit einem Portrait von Reuter- dahl.

Das Feindbild der "New Science" ist schnell ausgemacht. Was könnte die moderne Spezialisierung und Unverständlichkeit der Wissenschaft besser symbolisieren als die Relativitätstheorie, die seit 1919 wie keine wissenschaftliche Theorie zuvor in der Öffentlichkeit präsent war? Die Hälfte des Gründungsmanifests der AoN polemisiert gegen die Relativitätstheorie. Bereits die ersten Sätze lassen keinen Zweifel daran, als welch bedeutende Bedrohung die Relativitätstheorie wahrgenommen wird: "We are emerging from a period of material and intellectual chaos. Nations have clashed in war. The intellectual world is still in conflict on the fields of knowledge. Never before has the demarcation between intellectual camps been so clearly defined. The meteoric rise of Einstein marks the beginning of this division in the modern kingdom of intellect. (...) Now the intellectual world is divided broadly into the Relativistic and the Anti-Relativistic schools. Einstein has served as a chemical reagent which has precipitated relativity from the present content of knowledge as a mass insoluble to the average man."

Die AoN in den USA verstand sich als Keimzelle einer internationalen Gegenbewegung gegen die Einstein unterstellte Zersplitterung des Wissens. Reuterdahl sprach Anfang 1922 von der Gründung von Regionalinstituten in Schweden, Deutschland, der Schweiz, Jugoslawien und Spanien. In weiteren sechs europäischen Ländern seien Institute geplant.

Enger Mitstreiter Reuterdahls war Robert T. Browne, der als Generalsekretär der AoN fungierte. 1919 publizierte er "The Mystery of Space", ein parapsychologisches Buch über die Dimensionen des Raumes. Dass sich die AoN in den USA in Richtung einer theistischen Sekte entwickelte, kann nur vermutet werden. In okkultistisch-esoterischen Kreisen wird Browne noch heute als Autorität angesehen. Reuterdahl entwickelte seit der Jahrhundertwende eine neue Theorie über Licht und Gravitation im Rahmen seiner "New Science", eine okkulte Strahlentheorie mit Referenzen zu der von Freiherr Karl von Reichenbach postulierten "Odkraft", ein dem Magnetismus ähnliches Fluid, bzw. eine Art Aura.

Neben der Verhinderung der Einheit des Wissens warf Reuterdahl Einstein Plagiarismus vor, denn er selbst habe bereits lange vor 1905 über eine Raum-Zeit-Union gearbeitet und auf die Annahme eines Äthers verzichtet. Reuterdahls Vereinigung von Raum und Zeit im "Space-Time-Potential" hat allerdings mit der Speziellen Relativitätstheorie nicht das Geringste zu tun. Für diese und ähnliche von anderen Einstein-Gegnern erhobene Plagiatvorwürfe reichte bereits, dass man ebenfalls ohne das Ätherkonzept auskommt oder Raum und Zeit in irgendeiner Form verbindet.

Zum engeren Kreis um Reuterdahl gehörte außerdem der populäre, in Fachkreisen allerdings weitgehend isolierte Astronom und Äthertheoretiker Thomas J.J. See vom Observatorium in Mare Island. See hatte Anfang der zwanziger Jahre mehrere polemische Artikel wie "Is the Einstein Theory a crazy vagary?" in der amerikanischen Presse veröffentlicht. In Kontakt zu Reuterdahl standenauch der Ingenieur Eyvind Lee Heidenreich, ein Anhänger von Reuterdahls "New Science", der Windkraft-Pionier Charles Francis Brush, der gegen Einstein eine alternative Stoßtheorie der Gravitation vertrat, sowie Charles Lane Poor, Professor an der Columbia University, der mehrere Artikel gegen die experimentelle Bestätigung der Relativitätstheorie veröffentlichte und ebenfalls Plagiatvorwürfe gegen Einstein erhob.

Einsteins Gegner in Deutschland

Seit etwa 1920 traf sich Gehrcke regelmäßig mit anderen Einstein-Gegnern aus dem Berliner Raum. Als Reuterdahl 1921 mit der Idee der AoN an ihn herantrat, sah Gehrcke darin sofort ein potenzielles Forum für Anti-Einstein-Aktivitäten: "Ueber Ihre Einladung zu einer Academy of Nations fand am 23. Oktober in meiner Wohnung eine Aussprache unter folgenden Personen statt, die Ihnen durch literarische Beiträge zu der Einstein-Angelegenheit bekannt sind: Fricke, Gehrcke, Glaser, Kühn, Riem. Die Aussprache ergab generelle Zustimmung zu dem Plan und der Beteiligung an dieser Academy of Nations, deren Begründung durch das amerikanische Komitee lebhaft begrüßt wird", berichtete er Reuterdahl. Die deutsche Sektion der AoN wurde 1922 mit Hermann Fricke, Johannes Riem, Leonore Ripke-Kühn und Johannes Glaser als ersten Mitgliedern unter dem Vorsitz Gehrckes gegründet.

Der Physiker Fricke war am Berliner Patentamt beschäftigt. Als Verfechter einer eigenwilligen Ätherwirbeltheorie gründete er - nachdem sich seine Hoffnung auf Weylands "Arbeitsgemeinschaft" zerschlagen hatte - die Deutsche Gesellschaft für Weltätherforschung und anschauliche Physik. Riem, Astronom in Potsdam, war ein engagiertes Mitglied des religiös geprägten Keplerbunds, für dessen Publikationen er eine Vielzahl populärer kosmologischer Abhandlungen schrieb. Als Astronom kritisierte er insbesondere die Bestätigung der Relativitätstheorie bei den Sonnenfinsternissen von 1919 und 1922 und warf Einstein vor, sich bei der bereits 1801 aufgestellten Formel zur Lichtablenkung von Johann Georg Soldner bedient zu haben. Anfang der zwanziger Jahre erschienen mehrere oft mit nationalistischen und antisemitischen Untertönen versehene Artikel von Riem über die "Einsteinschen Phantasien" zu den Forschungsergebnissen über die Sonnenfinsternisse in der Tagespresse.

Einziges weibliches Mitglied im Kreis von Gehrckes Einstein-Gegnern war Ripke-Kühn, ein hochrangiges Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei. Als Schriftstellerin und Journalistin war sie bereits im konservativen und antisemitischen Lager in Erscheinung getreten. In Gehrckes Netzwerk galt sie als Autorität für philosophische Einwände gegen die Relativitätstheorie. Sie verfasste 1920 die Schrift "Kant contra Einstein", in der sie Einstein die Relativierung der gesamten Wirklichkeit vorwarf. Glaser, ein Physiker, der bei Johannes Stark habilitiert hatte und die bekannten "Glasers Annalen" herausgab, komplettierte Gehrckes Anti-Einstein-Kreis. Glaser kritisierte insbesondere, dass der Nachweis eines weiteren experimentellen Testes der Allgemeinen Relativitätstheorie, die Gravitationsrotverschiebung, nach wie vor ausstand.

Was erhofften sich Gehrcke und sein Kreis von Einstein-Gegnern von der Allianz mit den amerikanischen Theisten? Es ging vor allem um finanzielle Unterstützung im Kampf gegen die Relativitätstheorie. In Deutschland herrschte Inflation, und die Einstein-Gegner hatten Schwierigkeiten, ihre Artikel in etablierten Zeitschriften und Verlagen unterzubringen. Immer öfter mussten eigene Wege der Publikation gefunden werden, aber Publizieren im Selbstverlag kostete auch damals schon erhebliche Summen.

Reuterdahls Verbindungen zum Automagnaten Henry Ford wurden von deutscher Seite begrüßt. Ford, Verfasser des weit verbreiteten antisemitischen Pamphlets "The International Jew", ließ Reuterdahl in seinem Hausblatt "Dearborn Independent" die Wissenschaftsseite "International Science Briefs" redigieren. Dort kamen Einstein-Gegner wie See und Reuterdahl selbst zu Wort, und auch über die deutschen Einstein-Gegner wurde berichtet. "The American public must be informed concerning the opposition to Einstein in Germany", war Reuterdahl überzeugt, und berichtete weiter: "Mr. Henry Ford has been a great help to my attack on Einstein. Most of the American scientific journals has been hoodwinked by Einstein - either by financial influences or by other means. I am enclosing a terrific attack on Einstein by Ford's paper 'The Dearborn Independent'." Gehrcke antwortete: "Dass Sie mit dem Industriellen Ford in Verbindung sind, ist sehr gut, und hat mich sehr gefreut. Ford wird Interesse daran haben, den Einsteinismus zu entlarven. Einstein ist der Nationalheilige seiner Rasse."

Auf den hier deutlich aufscheinenden Antisemitismus wird noch zurückzukommen sein. Gehrcke bat die Amerikaner um finanzielle Unterstützung für die deutsche Sektion der AoN. Generalsekretär Browne lehnte dies in einem vertraulichen Schreiben allerdings ab. Ob die Amerikaner tatsächlich finanzkräftige Förderer wie Ford im Hintergrund hatten, ist unklar.

In den Jahren 1923 und 1924 wuchs die Mitgliederzahl der deutschen Sektion. Die meisten Neumitglieder waren wie der Generalmajor a.D. Gerold von Gleich, der Lehrer Karl Friedrich Geissler, der Arzt Karl Vogtherr und der ungarische Philosoph Melchior Palagyi bereits als Einstein-Gegner in Erscheinung getreten und standen mit Gehrcke in Kontakt. Doch die bunte Truppe aus Physikern, Philosophen, Lehrern, Ingenieuren und Ärzten wurden von der akademischen Physik nur sehr begrenzt ernst genommen. Neben der Hoffnung auf finanzielle Hilfen aus den USA ging es den Einstein-Gegnern in Deutschland auch um moralische Unterstützung. Reuterdahl, der erklärte Einstein-Gegner und Wissenschaftsreformer mit Managerqualitäten, kam Gehrcke daher gerade recht, um neue Unterstützung zu finden. Reuterdahl hatte den Kreis der potenziellen Verbündeten großzügig gezogen, und auch Gehrcke kannte kaum Berührungsängste in seinem Kampf gegen Einstein. Sein guter Bekannter Fricke etwa publizierte aus Sicht der akademischen Physik wenig seriöse Abhandlungen, etwa über "Wind und Wetter als Feldwirkung der Schwerkraft".

Gehrcke versuchte, auch Lenard für die deutsche Sektion der AoN zu gewinnen. Dieser war aber zum einen in der Wahl seiner Verbündeten in wissenschaftlicher Hinsicht zurückhaltender und zum anderen wesentlich stärker als Gehrcke von nationalistischen und antisemitischen Ressentiments geleitet. Mit der AoN wollte Lenard nichts zu tun haben: "Der Reuterdahl-Brief gefällt mir - offen zu sagen - nicht sehr. Seine 'Acad of N.' ist (...) Spielerei nach amerikanischer Art; nichts Deutsches." Gehrcke ließ jedoch nicht nach in seinem Bemühen, weitere Mitglieder für die AoN zu werben, etwa bei dem Protest von Einstein-Gegnern aus Anlass eines Festvortrages über Relativitätstheorie bei der Hundertjahrfeier der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte in Leipzig.

Während die amerikanische Sektion bis mindestens 1930 existierte, ist davon auszugehen, dass sich die deutsche Gruppe Mitte der zwanziger Jahre auflöste, denn es ist keine Korrespondenz zwischen Gehrcke und der AoN nach 1925 nachweisbar. Möglicherweise hat das seinen Grund darin, dass Gehrcke - obgleich bis an sein Lebensende überzeugter Einstein-Gegner - zu diesem Zeitpunkt von öffentlichen Stellungnahmen gegen Einstein Abstand nahm und seine wissenschaftlichen Interessen auf das medizinische Gebiet verlagerte.

Reuterdahl hielt jedoch weiter Kontakt zu deutschen Einstein-Gegnern. Als 1931 in Deutschland "100 Autoren gegen Einstein" erschien, ein Sammelband mit kurzen Stellungnahmen gegen die Relativitätstheorie, versuchten Erich Ruckhaber, einer der Herausgeber, und Reuterdahl, in den USA eine englische Übersetzung des Buchs auf den Markt zu bringen.

Einsteins Gegner in Europa

Über mögliche französische und spanische Sektionen der AoN ist nichts, über die schwedische und schweizerische Sektion nur wenig bekannt. In Schweden wurde ein Nationalinstitut der AoN von den Einstein-Gegnern Oskar Edvard Westin und Sten Lothigius begründet. Die Gründung der Schweizer Sektion war dem Winterthurer Chemiker und Amateurwissenschaftler Johann H. Ziegler angetragen worden, Verfechter einer so genannten Urlichtlehre. Ziegler stand auch mit Gehrcke in Kontakt, bei dem er Unterstützung für seinen Plagiatvorwurf gegenüber Einstein suchte - die Urlichtlehre basiert auf der konstanten Geschwindigkeit des immateriellen Urlichts im ätherlosen Raum. Gehrcke bestärkte ihn, ohne jedoch inhaltlich mit der Urlichtlehre konform zu gehen. Reuterdahl wiederum war ein erklärter Anhänger der "göttlichen Wissenschaft" Zieglers. "This theory is of basic and far reaching significance to the New Science."

Ziegler berichtete Reuterdahl am 29. Dezember 1923, dass die Gründung einer schweizerischen Sektion der AoN nicht zustande kommen würde. Generalsekretär Browne hatte offenbar außer Ziegler auch die Schweizer Einstein-Gegner Edouard Guillaume und René de Saussure bevollmächtigt, doch die drei konnten sich nicht auf eine konstituierende Sitzung einigen. Besonders die Beteiligung von Guillaume ist hervorzuheben. Er war ein ehemaliger Kollege Einsteins am Patentamt in Bern und hatte 1920 den Physiknobelpreis, u.a. für seine Leistungen in der Präzisionsmessung, erhalten. Guillaume stand mit seinem ehemaligen Kollegen Einstein in ausgedehntem Briefwechsel, insbesondere in den Jahren 1917 bis 1921, und versuchte vergeblich, Einstein von seinem Konzept einer temps universelle, einer universalen Zeit, zu überzeugen.

Die jugoslawische Sektion der AoN hatte 1923 bereits 51 Mitglieder. Der Physiker Stjepan Mohoroviçic, ebenfalls über die Gegnerschaft zur Relativitätstheorie mit Gehrcke gut bekannt geworden, machte diesen in Berichten über den Zuwachs der Mitglieder regelrecht neidisch. Die Zeitschrift "Univerzum" wurde kurzerhand in ein offizielles Publikationsorgan der AoN umgewidmet. In "Univerzum" wurden u.a. Artikel gegen die Relativitätstheorie von Gehrcke, Lenard und Reuterdahl, von Mohoroviçic ins Serbische übersetzt, abgedruckt.

Relativitätstheorie und Weltanschauung

Wie konnte es zu einer Allianz von amerikanischen Theisten und deutschen Ätherphysikern kommen? Welche Bedrohung stellte die Relativitätstheorie dar, um solche Bündnisse entstehen zu lassen? In den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts stand die Relativitätstheorie für mehr als nur für eine neue wissenschaftliche Theorie. Sie vollzog öffentlich die Ablösung des klassischen Wissenschaftsverständnisses, dem zufolge davon ausgegangen wird, dass die Naturforschung die "absolute Wahrheit" über die Wirklichkeit herauszufinden habe. Ein rechter "Naturforscher", wie Gehrcke sich selbst gerne im Gegensatz zu "Mathematikern" wie Einstein bezeichnete, sah die Suche nach der Wahrheit als zentrale Aufgabe an. Die konstruktivistische Bescheidenheit moderner Wissenschaft war ihm, wie vielen seiner Zeitgenossen, fremd. "Es tut wohl, auf so fester Grundlage sich zu bewegen und einen Naturforscher noch immer mit der Wahrheit beginnen zu sehen", lobte Lenard Gehrckes Ansicht.

Dieses Wissenschaftsverständnis wurde von breiten Kreisen der Bevölkerung geteilt. Das 19. Jahrhundert war die Blütezeit der Populärwissenschaft gewesen. Georg Büchners Kraft und Stoff, Julius Bernsteins naturwissenschaftliche Volksbücher, Ernst Haeckels Welträtsel stellten die Frage nach der Grenze der wissenschaftlichen Welterkenntnis nicht. Das populäre Bild vom Wissenschaftler war nicht das eines Ignorabimus-Wissenschaftlers, der der Natur sein "Und wir werden es nie wissen" entgegenschleudert. Die Popularität der Relativitätstheorie machte erstmals für breite Kreise ein bescheideneres Wissenschaftsverständnis publik. Einstein beschrieb die Natur mathematisch, er unternahm keine Wesensschau. Unanschaulichkeit und Ausklammerung der Wahrheitsfrage wurde ihm nicht nur von Physikern wie Gehrcke und Lenard, sondern auch in der Tagespresse und in Anti- Einstein-Pamphleten aus dem Bildungsbürgertum vorgeworfen. Anschaulichkeit und Wahrheit gingen dabei Hand in Hand. Anschaulichkeit wurde als Kriterium für Wahrheit angesehen: Nur was dem gesunden Menschenverstand ohne große mathematische Vorbildung einsichtig ist, kann wahr sein.

War diese Kritik an der Relativitätstheorie folglich eine rein epistemologische, basierend auf einem naivem Wissenschaftsverständnis? Natürlich sind Fragen wie die, ob man die ewig linear ablaufende Zeit dehnen und relativieren darf, zunächst einmal unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft oder einer politischen Überzeugung und wurden auch von Kritikern Einsteins jüdischer Herkunft wie z.B. dem Prager Philosophen Oskar Kraus gestellt. Es greift zu kurz, den Kampf gegen die Relativitätstheorie in den zwanziger Jahren in Europa und in den USA als eine einseitig nationalistisch oder antisemitisch motivierte Kampagne zu charakterisieren.

Dennoch hatte die Auseinandersetzung mit der Relativitätstheorie selbst in dieser epistemologischen Dimension bereits politische Qualität. Die Forderung der Einstein-Gegner nach Anschaulichkeit, Einfachheit und Wahrheit bezog sich fast immer auf eine weltanschauliche Bedeutung der Naturwissenschaft. Auch war die Berufung auf den "gesunden Menschenverstand" nur vordergründig unpolitisch: Was der "gesunde Menschenverstand" als "gesund" und "normal" ansieht, ist höchst variabel. Der "gesunde Verstand" wurde etwa bei Lenard, der aus seinen antisemitischen Überzeugungen keinen Hehl machte, sofort mit dem "gesunden deutschen Denken" identifiziert und in Gegensatz zum "abstrakten", ja "wirren" jüdischen Denken gesetzt: hier deutsche Naturforschung, dort die Auflösung der Wirklichkeit in einen Tanz von Symbolen.

Die Person Albert Einstein - Demokrat, Pazifist, Jude - wurde im Kampf gegen die Relativitätstheorie selten ausgeklammert. Amateurwissenschaftler Ziegler sah in der intensiven Medienberichterstattung über Einstein und seine Theorie eine gezielte Kampagne und konstruierte daraus eine jüdische Verschwörung gegen die "reine Wissenschaft", als er in den "Luzerner Neuesten Nachrichten" vom 28. Oktober 1922 erklärte, dass "die große Presse in Deutschland fast ausschließlich in den Händen der Volksgenossen Einsteins" sei und aus diesem Grunde "eine öffentliche Diskussion im ausschließlichen Interesse des Einsteinianismus" bekämpfe.

Auch Gehrcke und Reuterdahl schlugen den Bogen zur Verschwörungstheorie: Für Gehrcke war die öffentliche Begeisterung für die Relativitätstheorie eine durch gezielte Reklame ausgelöste Massensuggestion. Reuterdahl erklärte die Mitte der zwanziger Jahre zunehmende Zurückhaltung einiger Einstein-Gegner so: "The opponents to Einstein (...) fear Jewish influence which is so strong that, when exerted, these men may forfeit their positions."

Ein Wahrheitsbund?

Die vehemente Forderung nach Wahrheit (was immer die Mitglieder der AoN auch darunter verstanden) in Verbindung mit verschwörungstheoretischen Argumentationsfiguren ist eine typische Abwehrreaktion auf weltanschauliche Verunsicherung. Deshalb konnte sich auch der konservative Physiker Gehrcke mit dem Programm der AoN arrangieren: "Ich sehe den Hauptpunkt Ihres Programms in dem Begriff § 2 der Agenda: Truth! Es muß ein Wahrheitsbund werden, mit diesem positiven Inhalt finden sich allein die Menschen zu wirksamer Abwehr kulturfeindlicher Mächte zusammen. (...) Was wir wollen, ist ein Imperialismus der Wahrheit (...)."

"Wirksame Abwehr kulturfeindlicher Mächte" - eine verräterische Formulierung. In ihrer Selbstwahrnehmung verstanden sich die Academy-Mitglieder nicht als Angreifer. Sie waren es, die sich von Einstein angegriffen fühlten: "Neu! Eine gemeinverständliche Verteidigung des gesunden Menschenverstandes gegen die Angriffe Einsteins", pries Vogtherr sein Werk "Wohin führt die Relativitätstheorie?" an. "Pressure is brought to lean on all opponents of Einstein here in America - plenty of it has been applied to me", berichtete Reuterdahl 1924 an Gehrcke. Der Topos, nach dem die große Akzeptanz der Relativitätstheorie in Wissenschaft und Öffentlichkeit nur durch gezielte Reklame und Unterdrückung anderer Meinungen erreicht worden sei, findet sich bei vielen Einstein-Gegnern. Anders als mit Verschwörungstheorien - sowohl bei Gehrcke, als auch bei Reuterdahl, See und Ziegler mit antisemitischen Vorurteilen verbunden - konnte man sich nicht erklären, warum sich die Relativitätstheorie halten konnte. Man stilisierte sich als Opfer, das regelrecht gezwungen wird, sich gegen die Relativitätstheorie zu verbünden.

Die durch die Relativitätstheorie empfundene Bedrohung - ein Konglomerat aus Aufgabe der klassischen Physik, Statusverlust der Experimentalphysiker, Ablösung eines populären, ja vormodernen Wissenschaftsverständnisses sowie aus antisemitischen und nationalistischen Ressentiments - lässt andere, ansonsten in der wissenschaftlichen Kritik Einsteins schwer wiegende Unterschiede marginal erscheinen. Nur so ist es zu erklären, warum diese ungewöhnlichen Allianzen, die aus der Ablehnung der modernen Physik herrührten, entstehen konnten, und nur so ist nachzuvollziehen, warum der an der klassischen Ätherphysik festhaltende Physiker Gehrcke dem Theisten Reuterdahl, die Frage der Existenz des Äthers einfach vom Tisch wischend, schreiben konnte: "Ich sehe, daß wir in einzelnen physikalischen Punkten differieren, wie z.B. in der Frage des Äthers. Doch werden uns diese Differenzen in einzelnen Punkten nicht trennen; in der Hauptsache gehen wir zusammen."

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Andreas Kleinert, Paul Weyland, der Berliner Einstein-Töter, in: Helmuth Albrecht (Hrsg.), Naturwissenschaft und Technik in der Geschichte. 25 Jahre Lehrstuhl für Geschichte der Naturwissenschaft und Technik am Historischen Institut der Universität Stuttgart, Stuttgart 1993, S. 198 - 232.

  2. Ein großer Teil des Nachlasses von Ernst Gehrcke befindet sich am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin. Er ist zum Teil digitalisiert im Internet zugänglich: http://echo.mpiwg-berlin.mpg.de/content/relativityrevolution/Gehrcke.

  3. Arvid Reuterdahl, The Academy of Nations - Its Aims and Hopes, in: The Dearborn Independent vom 7.1. 1922, S. 14.

  4. Vgl. ebd.

  5. Thomas J.J. See, Is the Einstein Theory a Crazy Vagary?, in: The Literary Digest vom 2.6. 1923.

  6. Gehrcke an Reuterdahl, 24.10. 1921, Nachlass Reuterdahl, Department of Special Collections, O'Shaughnessy-Frey Library, University of St. Thomas, 4 - 16.

  7. Die ausgefüllten Aufnahmeformulare befinden sich im Nachlass Gehrckes.

  8. Von vielen Einstein-Gegnern wird Einstein Plagiat an Soldner vorgeworfen. Inhaltlich sind die Vorwürfe haltlos, da Soldner die Lichtablenkung auf Grundlage einer mechanistischen Korpuskeltheorie des Lichtes erklärt. Vgl. Klaus Hentschel, Interpretationen und Fehlinterpretationen der speziellen und der allgemeinen Relativitätstheorie durch Zeitgenossen Albert Einstein, Basel-Boston-Berlin 1990, S. 150ff.

  9. Johannes Riem, Die Einsteinschen Phantasien. Sonnenfinsternisbeobachtung und Einsteineffekt, in: Deutsche Zeitung vom 27.4. 1923.

  10. Reuterdahl an Gehrcke, 7.8. 1921, Nachlass Gehrcke, 3-I-5.

  11. Gehrcke an Reuterdahl, 17.10. 1921, Nachlass Reuterdahl, 4 - 16.

  12. Vgl. Nachlass Gehrcke, 79-A-5.

  13. Vgl. Nachlass Gehrcke, 79-A-3.

  14. In: Naturwissenschaftliche Wochenschrift, Neue Folge, Bd. 20, gesamte Reihe Bd. 36, Nr. 7.

  15. Lenard an Gehrcke, 14.10. 1921, Nachlass Gehrcke, 3-F-20.

  16. Vgl. Nachlass Gehrcke, 79-A-5.

  17. Vgl. Nachlass Reuterdahl, 4 - 48.

  18. Vgl. Nachlass Reuterdahl, 4 - 63.

  19. Arvid Reuterdahl, Einstein And The New Science, in: The Bi-Monthly Journal of the College ofSt. Thomas, 9 (1921) 3, S. 4.

  20. Vgl. Angelo Genovesi, Il carteggio tra Albert Einstein ed Edouard Guillaume, Mailand 2000.

  21. Vgl. Ernst Gehrcke, Physik und Erkenntnistheorie, Leipzig 1921.

  22. Lenard an Gehrcke, 21.6. 1921, Nachlass Gehrcke 3-F-13.

  23. Reuterdahl an Gehrcke, 17.2. 1924, Nachlass Gehrcke, 79-A-6.

  24. Gehrcke an Reuterdahl, 17.10. 1921, Nachlass Reuterdahl, 4 - 16.

  25. Reuterdahl an Gehrcke (Anm. 23).

  26. Gehrcke an Reuterdahl (Anm. 24).

Dipl.-Pol., geb. 1977; wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte (MPIWG). MPIWG, Wilhelmstraße 44, 10117 Berlin.
E-Mail: E-Mail Link: wazeck@mpiwg-berlin.mpg.de