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Das Engagement der arabischen Staaten in Afghanistan | Pakistan und Afghanistan | bpb.de

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Das Engagement der arabischen Staaten in Afghanistan

Inken Wiese

/ 15 Minuten zu lesen

Die Rahmenbedingungen, die die Unterstützung aus den arabischen Staaten für Afghanistan vor dem Jahr 2001 bedingten, existieren in dieser Form nicht mehr. Arabisches Engagement orientiert sich an einer neuen Problemanalyse.

Einleitung

Kaum ein (populär)wissenschaftliches Werk über Afghanistan kommt ohne einen Verweis darauf aus, dass das Land während der Zeit des sogenannten Dschihads gegen die Sowjetunion (1979-1989) umfassend von finanzieller, materieller und personeller Unterstützung aus den arabischen Staaten und vor allem aus den Golfstaaten profitiert habe. Auch der Hinweis, dass lediglich Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Pakistan das Taliban-Regime anerkannt hätten, bleibt in diesem Kontext nie unerwähnt. Differenzierende Auseinandersetzungen über die innen- und außenpolitischen Konstellationen, die dieses Engagement der jeweiligen arabischen Staaten bedingten, sowie über die individuellen Motivationen der in Afghanistan aktiven Araber kommen dabei meist zu kurz.

Westliche Regierungen, die seit dem Jahr 2001 im Rahmen der ISAF-Intervention am Wiederaufbau Afghanistans, der Stabilisierung der afghanischen Regierung und am Kampf gegen den internationalen Terrorismus beteiligt sind, reagieren oft mit Unverständnis auf die Zurückhaltung eben dieser arabischen Staaten, sich heute wieder in ähnlichem Maß für Afghanistan zu engagieren. Auch die afghanische Regierung zerbricht sich bisher nur mit mäßigem Erfolg den Kopf, wie den finanzstärkeren arabischen Golfstaaten Investitionen in und Aufbauhilfe für Afghanistan attraktiver gemacht werden können. Dabei haben Staaten wie Saudi-Arabien und die VAE in diversen Geber-Konferenzen der vergangenen Jahre weitaus mehr Geld in Aussicht gestellt als beispielsweise Frankreich, Italien oder Spanien. Dennoch besteht beim konkreten Mittelabfluss noch großes Steigerungspotenzial. Bessere historische wie aktuelle Detailkenntnis mag also dienlich sein, die Erwartungen an ein offizielles Engagement auf ein realistisches Maß zu reduzieren.

Im Folgenden soll aufgezeigt werden, dass die Grundlage für das arabische Interesse an Afghanistan in den 1980er Jahren in dieser Form nicht mehr besteht, da sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und die regionalpolitischen Machtstrukturen verändert haben. Aktuelles und zukünftiges Engagement orientiert sich daher an einer neuen Problemanalyse. Die noch sehr junge und geringe politikwissenschaftliche Forschung zu den arabischen Golfstaaten macht die gesonderte Betrachtung dieser Staaten im Afghanistan-Kontext allerdings zu einer Herausforderung.

Arabisches Engagement bis 1990

Arabisches Engagement in Afghanistan begann nicht erst mit der Unterstützung für den Widerstandskampf gegen die sowjetische Invasion 1979. Die übersichtliche Zahl von Kooperationsprojekten wie im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit lässt jedoch darauf schließen, dass Afghanistan in den Augen der meisten arabischen Staaten noch in den 1970er Jahren keine besondere Priorität genoss oder man auf Kontakte mit der damals kommunistischen Regierung keinen gesteigerten Wert legte. Afghanische Regierungsvertreter aus dieser Phase stellen dies zwar anders dar: "As time passed, countries like Iran, Saudi Arabia, Kuwait, and Iraq committed themselves firmly to extending financial help to Afghanistan." Gemessen in finanziellen Verbindlichkeiten jedoch blieben Staatskredite wie für den Aufbau einer Zuckerfabrik im nordafghanischen Baghlan durch den Kuwait Fund for Arab Development und den Abu Dhabi Fund for Development eine Ausnahme. Kontakte zwischen Afghanistan und der arabischen Welt fanden in dieser Phase in der Regel als einseitiger akademischer Austausch statt, soweit die wenigen verfügbaren Quellen eine solche Aussage überhaupt zulassen: Arabische Universitäten wie die Amerikanische Universität in Beirut waren für die säkulare Elite Afghanistans ein attraktives Ziel, aber auch an der Universität Al-Azhar in Kairo studierten einige Afghanen.

Das arabische Interesse an Afghanistan nahm erst nach dem Einmarsch der Roten Armee zu und schlug sich zunächst in humanitären Bemühungen um afghanische Flüchtlinge durch arabische Regierungen und Hilfsorganisationen nieder, die Ausgaben in jährlich zweistelliger Millionenhöhe nach sich zogen. Bald folgten praktische Unterstützungen für die Mudschahidin: Die sprichwörtliche Politik des saudischen Königs Fahd, jeden Dollar, den die USA für die Aufständischen ausgaben, um einen weiteren Dollar zu ergänzen, wurde offenbar auch auf Waffenlieferungen übertragen. Die Gesamtsumme der offiziellen Unterstützung für die Mudschahidin allein aus Saudi-Arabien sollte sich bis zum Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan auf weit über 4 Milliarden US-Dollar belaufen. Dieser beeindruckenden Summe sind allerdings weitere Leistungen hinzuzufügen. Unklar ist beispielsweise die Verbuchung von Gewinnen aus einem milliardenschweren Vertrag, den die saudische Regierung Ende 1985 mit der britischen Regierung abschloss und der die Lieferung von großen Mengen Öl unter Umgehung der OPEC-Fördergrenzen im Tausch gegen Waffensysteme britischer Firmen umfasste, die direkt oder indirekt den Kämpfern in Afghanistan zugute kommen sollten. Ebenfalls unberücksichtigt sind die inoffiziellen Unterstützungen aus islamischen Wohlfahrtsorganisationen und Stiftungen, Sammlungen in Moscheen und den privaten Mitteln von Mitgliedern des Königshauses.

Über die Höhe ähnlicher Beiträge aus anderen arabischen Staaten kann lediglich gemutmaßt werden. Regelmäßig wird auf das ägyptische Engagement verwiesen, das von Anwar as-Sadat begonnen und unter Husni Mubarak fortgesetzt wurde und u.a. in der Ausrüstung von Lagern zum Training der Mudschahidin bestand, die über Lieferungen von ägyptischen Militärflughäfen aus bestückt wurden. Vor dem Hintergrund dieser Summen überrascht es nicht, dass die arabischen Golfstaaten bis heute für sich in Anspruch nehmen, einen ebenso erheblichen, wenn nicht gar höheren Beitrag als die USA zur Niederlage der Sowjetunion in Afghanistan und im Resultat zu ihrem Fall geleistet zu haben.

"We did it for America, (...) but also, obviously, for ourselves"

Die Frage nach der Motivation und politischen Analyse, die ein derartiges finanzielles Engagement strategisch sinnvoll erscheinen ließ, drängt sich auf. Wie eng innen- und außenpolitische Faktoren zusammenhingen, zeigt die Äußerung von Prinz Turki bin Faisal, der seit Anfang der 1990er Jahre mit dem Portfolio für Afghanistan betraut war: "We did it for America, (...) but also, obviously, for ourselves." Drei Gründe, bei denen Innen- und Außenpolitik Hand in Hand gingen, seien im Folgenden genannt.

"We saw it as our job to fight against Soviet atheism wherever it might threaten", führte Prinz Turki bin Faisal weiter aus. Dem Kommunismus etwas entgegenzusetzen, war seit den 1950er Jahren ein Kernanliegen saudischer Außenpolitik und begründete die umfangreiche finanzielle Unterstützung politischer islamischer Bewegungen in zahlreichen Ländern der islamischen Welt durch Saudi-Arabien. Besonders Gamal Abdel Nassers pan-arabischer Nationalismus war von Saudi-Arabien als Unterminierung der Legitimität des saudischen Königshauses betrachtet worden, dem Saudi-Arabien den Pan-Islamismus als ideologische Alternative entgegensetzte. Unter saudischer Führung wurden daher die Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) gegründet, um die Außenpolitik(en) islamischer Staaten zu koordinieren, sowie die Muslimische Weltliga, über die der saudische Einfluss auf kulturelle und religiöse Aktivitäten weltweit institutionalisiert wurde.

Zur wahhabitischen Doktrin, aus der der saudische Staat und das Königshaus ihre Legitimation ziehen, zählte jedoch von jeher auch die Opposition zum und der Kampf gegen den als Häresie betrachteten schiitischen Islam. Die Eindämmung iranischen Einflusses auf die islamische Welt, darunter auch die Staaten Zentralasiens mit ihren nicht unbedeutenden schiitischen Minderheiten, stellte eine Maxime saudischer Politik dar, die sowohl religiösen als auch außenpolitischen Ursprungs ist. Die Bedeutung der anti-schiitischen Stoßrichtung der saudischen Afghanistan-Politik ist nicht zu unterschätzen. Es findet sich mehr als eine Stimme in der Literatur, die sich folgender Einschätzung anschließt: "Pashtuns were supported by Pakistan for strategic reasons and by Saudis because they were seen as the main bulwark against any Shi'i but also Persian influence. It seems even that Riyadh was more concerned to thwart Iranian influence in Afghanistan than to topple the communist regime. Once more the ideological dimension is hiding strategic concerns".

Ergebnis dieser anti-schiitischen Politik war jedoch auch eine einseitige Parteinahme für und Fraternisierung mit afghanischen Paschtunen, die nicht-paschtunische (und damit primär persisch-sprachige) Afghanen sowie afghanische Schiiten ausschloss. Eine Spätfolge der Einseitigkeit der arabisch-afghanischen Kontakte seit dieser Zeit ist heute der Mangel an belastbaren persönlichen Beziehungen zwischen Vertretern der Regierungen am Golf und denen der aktuellen multiethnischen Regierung Afghanistans, was Einfluss auf die aktuelle Politik der Kooperation hat.

Entspannung an der islamistischen Heimatfront

Ein dritter zentraler Faktor für die umfangreiche und prompte Unterstützung des afghanischen Widerstands durch arabische Regierungen war jedoch gänzlich innenpolitischer Natur: Zeitgleich mit der sowjetischen Invasion in Afghanistan sahen sich Saudi-Arabien, Ägypten und andere Staaten der Region durch eine militante islamistische Opposition herausgefordert. Nicht ohne Hintergedanken erklärte Scheich Abd al-Aziz bin Baz als höchste religiöse Autorität Saudi-Arabiens den Kampf gegen den Kommunismus in Afghanistan zum Dschihad und religiösen Pflicht eines jeden Muslims. Saudi-Arabien sah in seinem Engagement in Afghanistan eine Chance, gleichzeitig den Islam wahhabitischer Ausprägung zu verbreiten, was den Forderungen der religiösen Autoritäten im Land entsprach, und einige radikale Aktivisten loszuwerden. Die durch staatliche Anreize wie Stipendien für Reisekosten und Unterhalt unterstützte Migration junger Aktivisten bedeutete also zunächst eine Entspannung an der "heimischen Front". Dass diese Männer bereichert durch Kampferfahrung zurückkehren könnten, war eine Vorstellung, die die Sicherheitsapparate zunächst noch von sich schoben.

Die Zahl der vom militärischen Kampf in Afghanistan angezogenen jungen Araber sollte jedoch nicht überschätzt werden. Selbst in den Hochphasen ab 1986 hielten sich nie mehr als 3000 bis 4000 Araber gleichzeitig in Afghanistan bzw. in den Lagern an der pakistanischen Grenze auf. Viele seien tage- oder wochenweise als Freiwillige angereist, weshalb Analysten auch von "Abenteurern" und "Studenten im Urlaub" sprechen. Bis 1986 seien die "arabischen Afghanen" kaum an Kämpfen beteiligt gewesen, auch wenn viele von ihnen ein kurzes militärisches Training in eigens für die Araber errichteten Lagern durchlaufen hatten. Unterschlagen wird bei der Debatte über die "arabischen Afghanen" jedoch, dass eine erhebliche Zahl von Arabern, gerade aus weniger wohlhabenden Staaten wie Mauretanien, dem Irak oder Jemen, aus primär ökonomischen Gründen nach Afghanistan gekommen sei: "They were seeking jobs and salaries with Gulf-based NGOs in Pakistan, not martyrdom in Afghanistan".

Rolle arabischer Hilfsorganisationen in Afghanistan

Die Rolle der arabischen Hilfsorganisationen in Afghanistan und an der afghanisch-pakistanischen Grenze seit den frühen 1980er Jahren ist weit über die Arbeitsplatzversorgung für arabische Freiwillige hinaus bedeutsam. Zwar würde eine umfassende Darstellung ihrer Tätigkeiten in Afghanistan den Rahmen sprengen. Sie dürfen aber nicht unerwähnt bleiben, da die Erfahrungen dieser Organisationen in Afghanistan als prägend für spätere Aktivitäten in anderen Krisenregionen der islamisch geprägten Welt gelten, in denen ein enger Austausch mit militanten islamischen Kämpfern gepflegt wurde. Afghanistan hat als Katalysator für die Mobilisierung von jungen Muslimen für humanitäre Zwecke und damit für die Gründung weiterer, bis heute aktiver Organisationen gewirkt.

Die arabischen und islamischen Organisationen in Afghanistan trennten zunächst kaum zwischen "Medizin, Militanz und Militär"; praktische Kooperationszwänge angesichts des nach 1989 schwindenden internationalen Interesses und damit sinkender Finanzmittel hätten zu einer Professionalisierung der Arbeit dieser Organisationen, aber auch zur Überwindung von Berührungsängsten gegenüber westlichen und nicht-islamischen Organisationen geführt. Bis 2001 blieben die arabischen Hilfsorganisationen Arbeitgeber für "arabische Afghanen", da sie ehemalige Kämpfer und Freiwillige auffingen und beschäftigten, die aus politischen Gründen nicht in ihre Heimatländer zurückkehren konnten.

Arabische Afghanistan-Politik 1990-2001

Während die internationale Aufmerksamkeit für Afghanistan und damit das US-amerikanische sowie das offizielle arabische Engagement mit dem Abzug der Roten Armee 1989 zunächst endete, läutete dies für arabische Freiwillige die dritte zentrale Phase ihres Engagements ein, galt es doch, nun das Regime des ehemaligen Kommunisten Nadschibullah (1987-1992) zu Fall zu bringen. Die Haltung diverser arabischer Regierungen gegenüber Afghanistan und vor allem gegenüber den Mudschahidin wandelte sich jedoch von Desinteresse hin zu Ablehnung, als Anschläge auf arabische Politiker zunahmen, für die zum Teil Rückkehrer aus Afghanistan verantwortlich zeichneten. Während Ägypten genug Druck auf Pakistan ausüben konnte, um ein Auslieferungsabkommen über die in den pakistanischen Grenzgebieten verbliebenen etwa 1800 "ägyptischen Afghanen" zu schließen, mischte sich die Mehrzahl der arabischen Staaten, darunter auch die Golfstaaten, zunächst nicht weiter in die innerafghanischen Auseinandersetzungen ein.

In Ermangelung einer fundierten Aufarbeitung der politischen Beziehungen nach 1990 zwischen den Golfstaaten und Afghanistan in Form verschiedener Bürgerkriegsfraktionen, darunter später auch den Taliban, sei an dieser Stelle nur darauf hingewiesen, dass entgegen der weit verbreiteten Meinung wenig dafür spricht, dass die besondere Qualität der Beziehungen generell fortgedauert hätte. Ungeachtet eventueller individueller Verbundenheiten schienen die afghanischen Gruppierungen im Allgemeinen nicht den Eindruck gehabt zu haben, bei Saudi-Arabien oder dessen Nachbarn am Golf für die jahrelange Unterstützung in der Schuld zu stehen. Dies zeigte sich unter anderem in der Parteinahme der meisten afghanischen Gruppierungen für Saddam Hussein nach dessen Kuwait-Invasion und damit gegen Saudi-Arabien, das die US-Offensive unterstütze. Saudi-Arabien wiederum zeigte die niedrige Priorität der Afghanistan-Politik dadurch an, dass der Außenminister die Zuständigkeit für Afghanistan an seinen Bruder abtrat.

Die Annäherung zwischen Saudi-Arabien und den Taliban Mitte der 1990er Jahre scheint weniger einer ideologischen oder sonstigen Nähe als eher innenpolitischen und ökonomischen Gründen geschuldet gewesen zu sein: Zwei saudische Firmen waren in ein umfangreiches Pipeline-Projekt in Afghanistan involviert, das zum Transport von Gas gebaut werden und afghanisches Territorium durchqueren würde; dies erhöhte den Druck auf Riad, die Taliban bei ihrem Sieg zu unterstützen. Die Weigerung der Taliban 1998, Osama bin Laden nach den Anschlägen auf die US-Botschaften in Afrika auszuliefern, resultierte zwar in einem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und den Taliban. Dies allein ist jedoch kein Argument für die Güte der Beziehungen zuvor.

Es lässt sich für diese Phase feststellen, dass das arabische Engagement für Afghanistan nicht nur deswegen abnahm, weil sich mit dem Ende der Sowjetunion der Kampf gegen den Kommunismus als außenpolitische Maxime erledigt hatte, sondern auch weil sich der "Export" radikaler Oppositioneller als "Bumerang" erwiesen hatte. Die Rückkehr von ehemaligen Kämpfern in ihre Ursprungsländer bzw. ihr Wechsel in andere Krisenregionen in der islamischen Welt stellte viele arabische Regierungen vor neue Probleme. Die Auseinandersetzung mit dem Iran hingegen blieb auch in dieser Phase ein zentraler Faktor für das Engagement der Golfstaaten in Afghanistan, wie die andauernde Konzentration auf die Förderung von Paschtunen zeigte. Dies war jedoch bereits in den 1990er Jahren nicht mehr ausreichend für eine Afghanistan-Politik von hoher Priorität.

Arabisches Engagement seit 2001

Zumindest die offiziell in Aussicht gestellten finanziellen Beiträge arabischer Staaten zum Wiederaufbau Afghanistans sind für die Phase seit 2001 gut dokumentiert. Die Höhe der auf den internationalen Afghanistan-Konferenzen der vergangenen Jahre proklamierten Hilfsgelder findet sich nicht nur in den Tabellen, die vom afghanischen Finanzministerium in enger Zusammenarbeit mit dem United Nations Development Programme (UNDP) und der Weltbank verwaltet werden. In einer entsprechenden Internet-Datenbank wird auch der Verlauf des Mittelabflusses notiert, auf dessen Grundlage das Geberverhalten beurteilt und koordiniert wird. Die aus der Datenbank abgeleitete große Diskrepanz zwischen den versprochenen und den verausgabten Geldern der arabischen Staaten gibt den in Afghanistan aktiven Nichtregierungsorganisationen immer wieder Anlass für Kritik. Demnach hätten Saudi-Arabien von den zugesagten 533 Millionen US-Dollar bis Ende 2008 lediglich knapp 77 Millionen, Kuwait von den zugesagten 60 Millionen US-Dollar lediglich 28 Millionen, die VAE, Qatar, Oman und Ägypten hingegen von ihren Zusagen (jeweils 307 Millionen, 20 Millionen, 6 Millionen und 2 Millionen US-Dollar) noch nichts umgesetzt. Nicht zuletzt die verschiedenen im Stadtbild von Kabul und den Provinzhauptstädten klar erkennbaren Projekte der arabischen Staaten sind jedoch ein Hinweis auf die Unvollständigkeit der Datenbank.

Befragt nach den Ursachen für diese mangelhafte Dokumentation, verwiesen Mitarbeiter der Aid Coordination Unit im afghanischen Finanzministerium auf die erschwerte Kommunikation mit denjenigen arabischen Staaten, die nicht über Botschaften in Kabul verfügen oder ihnen keine Kontakte zu Mitarbeitern in den jeweiligen Ministerien zur Verfügung stellen. Hinzu kommt jedoch, dass insbesondere Saudi-Arabien und die VAE die Durchführung ihrer Projekte an Hilfsorganisationen und Stiftungen aus ihren Ländern verweisen, die weder über Zugänge zu afghanischen Ministerien verfügen noch die Berichterstattung als solches zu ihren Aufgaben zählen. Die Kooperation zwischen den VAE und der Bundesrepublik Deutschland beim Ausbau des Flughafens von Mazar-e Sharif ist ein gutes Beispiel dafür: Während die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die auf deutscher Seite für das Projekt zuständig ist, ihren Beitrag in der Datenbank dokumentieren ließ, fehlte von der finanziellen Beteiligung der VAE, die vom Abu Dhabi Fund für Development verwaltet wird, noch im Februar 2010 jede Spur. Zur zusätzlichen Verwirrung finden sich im Fall der VAE in der Datenbank auch Projekte, die über private Spenden und nicht aus staatlichen Fördermitteln finanziert wurden.

Ein kompletter Überblick über die offiziellen Beiträge arabischer Staaten in Afghanistan seit 2001 ist allein mit Hilfe der Datenbank also nicht erhältlich, doch lässt sich aus den dort dokumentierten Projekten ablesen, dass die arabischen Schwerpunkte auf Infrastrukturprojekten wie dem Bau von Straßen, größeren Wohneinheiten und Krankenhäusern liegen. Um die Rolle als Akteur der internationalen Politik nach innen und außen zu unterstreichen, geht der Trend in den Golfstaaten dahin, Beiträge zur internationalen humanitären und politischen Krisenintervention in den Medien zu verwerten. Dies gilt auch für humanitäres Engagement in Afghanistan, so dass Pressemitteilungen eine geeignete Quelle für die Recherche aktueller arabischer Projekte in Afghanistan darstellen.

Keine Medienberichterstattung ist hingegen für Beiträge gewünscht, die über humanitäre Aspekte hinausgehen. Dass der Einsatz jordanischer Soldaten in Afghanistan über die medizinische Betreuung eines Feldkrankenhauses hinausgeht, war spätestens nach dem Selbstmordattentat eines Jordaniers Ende 2009 offensichtlich, der an der Seite der US-Streitkräfte geheimdienstlich in Afghanistan tätig war. Wenig Begeisterung löste auch ein Bericht der BBC Anfang 2008 aus, der den Einsatz von 400 Spezialkräften der VAE-Armee offenbarte. Dabei gehört die Entsendung von Soldaten und Spezialkräften in militärische Krisengebiete zur erklärten Sicherheitsstrategie der VAE-Führung, die auch im ehemaligen Jugoslawien praktiziert wurde, um die Soldaten praktische Kampferfahrung sammeln zu lassen. Überraschend offen dagegen sprachen die Herrscher von Saudi-Arabien und der VAE von ihren Truppen in Afghanistan in einem gemeinsamen Namensartikel mit dem Titel "Lasst uns Afghanistan und sein Volk unterstützen", der eine Öffentlichkeit für das Treffen der Afghanistan-Beauftragten Ende Januar 2010 in Abu Dhabi schaffen sollte.

Ausblick

Insgesamt ähnelt die Dokumentation des arabischen Afghanistan-Engagements wie auch die Analyse der dahinterstehenden politischen Strategie für die Jahre nach 2001 einem Puzzlespiel - wie schon für die ersten beiden Phasen. Der kurze Überblick zeigt jedoch, dass das Urteil einer großen Zurückhaltung dieser Länder am Afghanistan-Einsatz in dieser Form nicht standhält. Die Aussicht, mit ihrem Engagement im heutigen Afghanistan weder bei einer innerarabischen noch bei einer westlichen politischen Öffentlichkeit Unterstützung zu erfahren, lässt sie hinsichtlich weiterer Verpflichtungen jedoch zögern. Trotz der Besorgnis um die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit von Investitionen in einem Konflikt, der auch am Golf zunehmend unlösbar scheint, muss jedoch zur Kenntnis genommen werden, dass der bisherige Mitteleinsatz sowie die politischen Initiativen am Golf darauf hinweisen, dass in den politischen Strukturen dieser Staaten ein größeres Interesses gegenüber dem Thema herrscht als weithin angenommen. So untermauert die Übernahme von Kosten in Höhe von 44 Millionen US-Dollar durch die VAE für Ausrüstung und Training des Personals für die Flughafensicherheit in Kabul und Kandahar nicht nur die bilaterale Bedeutung, die der Luftverkehr und der darüber abgewickelte Handel von Waren und Arbeitskräften zwischen Dubai und Afghanistan haben. Es ist auch Beleg für die konkreten Bemühungen der VAE, die Einfuhr von Drogen aus Afghanistan über den Flugverkehr nach Dubai zu unterbinden. Hier fänden sich weitere Ansatzpunkte für mögliche Kooperationen mit dem Westen. Darüberhinaus weist die Zusammenarbeit mit den großen staatsnahen Stiftungen, die technisch wie personell mit der Durchführung der meisten Projekte in Afghanistan betraut sind, Potenzial auf, den Mittelabfluss und damit den offiziellen Beitrag arabischer Staaten für Afghanistan in den offiziellen Datenbanken deutlicher zu dokumentieren.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. beispielhaft die Meldung der Associated Press vom 7.3.2010: "NATO: Muslim nations must aid Afghanistan", oder "NATO looks to Gulf States for help in Afghanistan", in: Al-Arabiyya vom 1.11.2009.

  2. So der damalige afghanische Finanzminister Anwar-ul Haq Ahady im Gespräch mit der Autorin im August 2008 in Kabul. Weitere Interviews mit Vertretern des afghanischen Finanz- und Außenministeriums im Juni 2009 und Anfang des Jahres 2010 in Kabul bestätigen, dass diese Herausforderung auch weiterhin auf der politischen Agenda steht.

  3. Vgl. Islamic Republic of Afghanistan/Ministry of Finance, Donors Financial Review, Report 1387, Kabul 2009, S.V.

  4. Abdul Samad Ghaus, The fall of Afghanistan. An insider's account, Washington DC 1988, S. 148.

  5. Steve Coll spricht von 30 Millionen US-Dollar in den ersten Jahren, in: ders., Die Bin Ladens. Eine arabische Familie, München 2008, S. 287.

  6. Vgl. Ahmed Rashid, Taliban, Islam, Oil and the New Great Game in Central Asia, New York 2000, S. 197.

  7. Vgl. S. Coll (Anm. 5), S. 297.

  8. Vgl. J. Millard Burr/Robert O. Collins, Alms for Jihad. Charity and Terrorism in the Islamic World, Cambridge 2006, S. 83.

  9. Zit. nach: Robert Lacey, Inside the Kingdom. Kings, Clerics, Modernists, Terrorists, and the Struggle for Saudi Arabia, London 2009, S. 66.

  10. Vgl. Madawi Al-Rasheed, The Minaret and the Palace: Obedience at Home and Rebellion Abroad, in: dies. (ed.), Kingdom without borders. Saudi political, religious and media frontiers, London 2008, S. 200.

  11. Olivier Roy, Islam and resistance in Afghanistan, Cambridge 19902, S. 233.

  12. Mohammed Hafez, Jihad after Iraq. Lessons from the Arab Afghans, in: Studies in Conflict & Terrorism, 32 (2009) 2, S. 76.

  13. Der mittlerweile gängige Terminus "arabische Afghanen" kam in den 1990er Jahren auf, als die Regierungen in Ägypten und Algerien islamische Aktivisten und Afghanistan-Rückkehrer als "trouble makers" delegitimieren wollten, die als Zeichen ihrer Überzeugung afghanische Kleidung und Verhaltensweisen übernommen hatten.

  14. M. Hafez (Anm. 12), S. 76.

  15. Vgl. dazu Jonathan Benthall/Jérome Bellion-Jourdan, The Charitable Crescent. Politics of Aid in the Muslim World, London-New York 2009, S. 69-84.

  16. Vgl. ebd., S. 77.

  17. Vgl. Development Assistance Database Afghanistan: http://dadafghanistan.gov.af (4.5.2010).

  18. Vgl. Inken Wiese, Afghanistans nationale Entwicklungsstrategie. Eine hohe Messlatte für die afghanische Regierung und die internationale Gebergemeinschaft, Friedrich-Ebert-Stiftung, Kabul 2008.

  19. So in persönlichen Gesprächen mit der Autorin im August 2008 und Juni 2009 in Kabul.

  20. Vgl. New York Times vom 4.1.2010.

  21. Vgl. BBC News vom 28.3.2008 http://news.bbc.co.uk/2/hi/south_asia/7318731.stm (4.5.2010).

  22. Abgedruckt in: Al-Sharq al-Awsat vom 13.1.2010.

  23. Vgl. www.ttnworldwide.com/arcarticles.aspx?id=1243&artid=8969&issueid=300 (4.5.2010); www.paktribune.com/news/print.php?id=213435 (4.5.2010).

M.A., geb. 1975; Doktorandin am Exzellenzcluster "Kulturelle Grundlagen von Integration" an der Universität Konstanz, Postfach 211, 78457 Konstanz. E-Mail Link: inken.wiese@uni-konstanz.de