Einleitung
Kaum ein (populär)wissenschaftliches Werk über Afghanistan kommt ohne einen Verweis darauf aus, dass das Land während der Zeit des sogenannten Dschihads gegen die Sowjetunion (1979-1989) umfassend von finanzieller, materieller und personeller Unterstützung aus den arabischen Staaten und vor allem aus den Golfstaaten profitiert habe. Auch der Hinweis, dass lediglich Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Pakistan das Taliban-Regime anerkannt hätten, bleibt in diesem Kontext nie unerwähnt. Differenzierende Auseinandersetzungen über die innen- und außenpolitischen Konstellationen, die dieses Engagement der jeweiligen arabischen Staaten bedingten, sowie über die individuellen Motivationen der in Afghanistan aktiven Araber kommen dabei meist zu kurz.
Westliche Regierungen, die seit dem Jahr 2001 im Rahmen der ISAF-Intervention am Wiederaufbau Afghanistans, der Stabilisierung der afghanischen Regierung und am Kampf gegen den internationalen Terrorismus beteiligt sind, reagieren oft mit Unverständnis auf die Zurückhaltung eben dieser arabischen Staaten, sich heute wieder in ähnlichem Maß für Afghanistan zu engagieren.
Im Folgenden soll aufgezeigt werden, dass die Grundlage für das arabische Interesse an Afghanistan in den 1980er Jahren in dieser Form nicht mehr besteht, da sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und die regionalpolitischen Machtstrukturen verändert haben. Aktuelles und zukünftiges Engagement orientiert sich daher an einer neuen Problemanalyse. Die noch sehr junge und geringe politikwissenschaftliche Forschung zu den arabischen Golfstaaten macht die gesonderte Betrachtung dieser Staaten im Afghanistan-Kontext allerdings zu einer Herausforderung.
Arabisches Engagement bis 1990
Arabisches Engagement in Afghanistan begann nicht erst mit der Unterstützung für den Widerstandskampf gegen die sowjetische Invasion 1979. Die übersichtliche Zahl von Kooperationsprojekten wie im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit lässt jedoch darauf schließen, dass Afghanistan in den Augen der meisten arabischen Staaten noch in den 1970er Jahren keine besondere Priorität genoss oder man auf Kontakte mit der damals kommunistischen Regierung keinen gesteigerten Wert legte. Afghanische Regierungsvertreter aus dieser Phase stellen dies zwar anders dar: "As time passed, countries like Iran, Saudi Arabia, Kuwait, and Iraq committed themselves firmly to extending financial help to Afghanistan."
Das arabische Interesse an Afghanistan nahm erst nach dem Einmarsch der Roten Armee zu und schlug sich zunächst in humanitären Bemühungen um afghanische Flüchtlinge durch arabische Regierungen und Hilfsorganisationen nieder, die Ausgaben in jährlich zweistelliger Millionenhöhe nach sich zogen.
Über die Höhe ähnlicher Beiträge aus anderen arabischen Staaten kann lediglich gemutmaßt werden. Regelmäßig wird auf das ägyptische Engagement verwiesen, das von Anwar as-Sadat begonnen und unter Husni Mubarak fortgesetzt wurde und u.a. in der Ausrüstung von Lagern zum Training der Mudschahidin bestand, die über Lieferungen von ägyptischen Militärflughäfen aus bestückt wurden.
"We did it for America, (...) but also, obviously, for ourselves"
Die Frage nach der Motivation und politischen Analyse, die ein derartiges finanzielles Engagement strategisch sinnvoll erscheinen ließ, drängt sich auf. Wie eng innen- und außenpolitische Faktoren zusammenhingen, zeigt die Äußerung von Prinz Turki bin Faisal, der seit Anfang der 1990er Jahre mit dem Portfolio für Afghanistan betraut war: "We did it for America, (...) but also, obviously, for ourselves."
"We saw it as our job to fight against Soviet atheism wherever it might threaten", führte Prinz Turki bin Faisal weiter aus. Dem Kommunismus etwas entgegenzusetzen, war seit den 1950er Jahren ein Kernanliegen saudischer Außenpolitik und begründete die umfangreiche finanzielle Unterstützung politischer islamischer Bewegungen in zahlreichen Ländern der islamischen Welt durch Saudi-Arabien. Besonders Gamal Abdel Nassers pan-arabischer Nationalismus war von Saudi-Arabien als Unterminierung der Legitimität des saudischen Königshauses betrachtet worden, dem Saudi-Arabien den Pan-Islamismus als ideologische Alternative entgegensetzte. Unter saudischer Führung wurden daher die Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) gegründet, um die Außenpolitik(en) islamischer Staaten zu koordinieren, sowie die Muslimische Weltliga, über die der saudische Einfluss auf kulturelle und religiöse Aktivitäten weltweit institutionalisiert wurde.
Zur wahhabitischen Doktrin, aus der der saudische Staat und das Königshaus ihre Legitimation ziehen, zählte jedoch von jeher auch die Opposition zum und der Kampf gegen den als Häresie betrachteten schiitischen Islam. Die Eindämmung iranischen Einflusses auf die islamische Welt, darunter auch die Staaten Zentralasiens mit ihren nicht unbedeutenden schiitischen Minderheiten, stellte eine Maxime saudischer Politik dar, die sowohl religiösen als auch außenpolitischen Ursprungs ist.
Ergebnis dieser anti-schiitischen Politik war jedoch auch eine einseitige Parteinahme für und Fraternisierung mit afghanischen Paschtunen, die nicht-paschtunische (und damit primär persisch-sprachige) Afghanen sowie afghanische Schiiten ausschloss. Eine Spätfolge der Einseitigkeit der arabisch-afghanischen Kontakte seit dieser Zeit ist heute der Mangel an belastbaren persönlichen Beziehungen zwischen Vertretern der Regierungen am Golf und denen der aktuellen multiethnischen Regierung Afghanistans, was Einfluss auf die aktuelle Politik der Kooperation hat.
Entspannung an der islamistischen Heimatfront
Ein dritter zentraler Faktor für die umfangreiche und prompte Unterstützung des afghanischen Widerstands durch arabische Regierungen war jedoch gänzlich innenpolitischer Natur: Zeitgleich mit der sowjetischen Invasion in Afghanistan sahen sich Saudi-Arabien, Ägypten und andere Staaten der Region durch eine militante islamistische Opposition herausgefordert. Nicht ohne Hintergedanken erklärte Scheich Abd al-Aziz bin Baz als höchste religiöse Autorität Saudi-Arabiens den Kampf gegen den Kommunismus in Afghanistan zum Dschihad und religiösen Pflicht eines jeden Muslims. Saudi-Arabien sah in seinem Engagement in Afghanistan eine Chance, gleichzeitig den Islam wahhabitischer Ausprägung zu verbreiten, was den Forderungen der religiösen Autoritäten im Land entsprach, und einige radikale Aktivisten loszuwerden. Die durch staatliche Anreize wie Stipendien für Reisekosten und Unterhalt unterstützte Migration junger Aktivisten bedeutete also zunächst eine Entspannung an der "heimischen Front". Dass diese Männer bereichert durch Kampferfahrung zurückkehren könnten, war eine Vorstellung, die die Sicherheitsapparate zunächst noch von sich schoben.
Die Zahl der vom militärischen Kampf in Afghanistan angezogenen jungen Araber sollte jedoch nicht überschätzt werden. Selbst in den Hochphasen ab 1986 hielten sich nie mehr als 3000 bis 4000 Araber gleichzeitig in Afghanistan bzw. in den Lagern an der pakistanischen Grenze auf.
Rolle arabischer Hilfsorganisationen in Afghanistan
Die Rolle der arabischen Hilfsorganisationen in Afghanistan und an der afghanisch-pakistanischen Grenze seit den frühen 1980er Jahren ist weit über die Arbeitsplatzversorgung für arabische Freiwillige hinaus bedeutsam. Zwar würde eine umfassende Darstellung ihrer Tätigkeiten in Afghanistan den Rahmen sprengen.
Die arabischen und islamischen Organisationen in Afghanistan trennten zunächst kaum zwischen "Medizin, Militanz und Militär"; praktische Kooperationszwänge angesichts des nach 1989 schwindenden internationalen Interesses und damit sinkender Finanzmittel hätten zu einer Professionalisierung der Arbeit dieser Organisationen, aber auch zur Überwindung von Berührungsängsten gegenüber westlichen und nicht-islamischen Organisationen geführt.
Arabische Afghanistan-Politik 1990-2001
Während die internationale Aufmerksamkeit für Afghanistan und damit das US-amerikanische sowie das offizielle arabische Engagement mit dem Abzug der Roten Armee 1989 zunächst endete, läutete dies für arabische Freiwillige die dritte zentrale Phase ihres Engagements ein, galt es doch, nun das Regime des ehemaligen Kommunisten Nadschibullah (1987-1992) zu Fall zu bringen. Die Haltung diverser arabischer Regierungen gegenüber Afghanistan und vor allem gegenüber den Mudschahidin wandelte sich jedoch von Desinteresse hin zu Ablehnung, als Anschläge auf arabische Politiker zunahmen, für die zum Teil Rückkehrer aus Afghanistan verantwortlich zeichneten. Während Ägypten genug Druck auf Pakistan ausüben konnte, um ein Auslieferungsabkommen über die in den pakistanischen Grenzgebieten verbliebenen etwa 1800 "ägyptischen Afghanen" zu schließen, mischte sich die Mehrzahl der arabischen Staaten, darunter auch die Golfstaaten, zunächst nicht weiter in die innerafghanischen Auseinandersetzungen ein.
In Ermangelung einer fundierten Aufarbeitung der politischen Beziehungen nach 1990 zwischen den Golfstaaten und Afghanistan in Form verschiedener Bürgerkriegsfraktionen, darunter später auch den Taliban, sei an dieser Stelle nur darauf hingewiesen, dass entgegen der weit verbreiteten Meinung wenig dafür spricht, dass die besondere Qualität der Beziehungen generell fortgedauert hätte. Ungeachtet eventueller individueller Verbundenheiten schienen die afghanischen Gruppierungen im Allgemeinen nicht den Eindruck gehabt zu haben, bei Saudi-Arabien oder dessen Nachbarn am Golf für die jahrelange Unterstützung in der Schuld zu stehen. Dies zeigte sich unter anderem in der Parteinahme der meisten afghanischen Gruppierungen für Saddam Hussein nach dessen Kuwait-Invasion und damit gegen Saudi-Arabien, das die US-Offensive unterstütze. Saudi-Arabien wiederum zeigte die niedrige Priorität der Afghanistan-Politik dadurch an, dass der Außenminister die Zuständigkeit für Afghanistan an seinen Bruder abtrat.
Die Annäherung zwischen Saudi-Arabien und den Taliban Mitte der 1990er Jahre scheint weniger einer ideologischen oder sonstigen Nähe als eher innenpolitischen und ökonomischen Gründen geschuldet gewesen zu sein: Zwei saudische Firmen waren in ein umfangreiches Pipeline-Projekt in Afghanistan involviert, das zum Transport von Gas gebaut werden und afghanisches Territorium durchqueren würde; dies erhöhte den Druck auf Riad, die Taliban bei ihrem Sieg zu unterstützen. Die Weigerung der Taliban 1998, Osama bin Laden nach den Anschlägen auf die US-Botschaften in Afrika auszuliefern, resultierte zwar in einem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und den Taliban. Dies allein ist jedoch kein Argument für die Güte der Beziehungen zuvor.
Es lässt sich für diese Phase feststellen, dass das arabische Engagement für Afghanistan nicht nur deswegen abnahm, weil sich mit dem Ende der Sowjetunion der Kampf gegen den Kommunismus als außenpolitische Maxime erledigt hatte, sondern auch weil sich der "Export" radikaler Oppositioneller als "Bumerang" erwiesen hatte. Die Rückkehr von ehemaligen Kämpfern in ihre Ursprungsländer bzw. ihr Wechsel in andere Krisenregionen in der islamischen Welt stellte viele arabische Regierungen vor neue Probleme. Die Auseinandersetzung mit dem Iran hingegen blieb auch in dieser Phase ein zentraler Faktor für das Engagement der Golfstaaten in Afghanistan, wie die andauernde Konzentration auf die Förderung von Paschtunen zeigte. Dies war jedoch bereits in den 1990er Jahren nicht mehr ausreichend für eine Afghanistan-Politik von hoher Priorität.
Arabisches Engagement seit 2001
Zumindest die offiziell in Aussicht gestellten finanziellen Beiträge arabischer Staaten zum Wiederaufbau Afghanistans sind für die Phase seit 2001 gut dokumentiert. Die Höhe der auf den internationalen Afghanistan-Konferenzen der vergangenen Jahre proklamierten Hilfsgelder findet sich nicht nur in den Tabellen, die vom afghanischen Finanzministerium in enger Zusammenarbeit mit dem United Nations Development Programme (UNDP) und der Weltbank verwaltet werden. In einer entsprechenden Internet-Datenbank wird auch der Verlauf des Mittelabflusses notiert, auf dessen Grundlage das Geberverhalten beurteilt und koordiniert wird.
Befragt nach den Ursachen für diese mangelhafte Dokumentation, verwiesen Mitarbeiter der Aid Coordination Unit im afghanischen Finanzministerium auf die erschwerte Kommunikation mit denjenigen arabischen Staaten, die nicht über Botschaften in Kabul verfügen oder ihnen keine Kontakte zu Mitarbeitern in den jeweiligen Ministerien zur Verfügung stellen.
Ein kompletter Überblick über die offiziellen Beiträge arabischer Staaten in Afghanistan seit 2001 ist allein mit Hilfe der Datenbank also nicht erhältlich, doch lässt sich aus den dort dokumentierten Projekten ablesen, dass die arabischen Schwerpunkte auf Infrastrukturprojekten wie dem Bau von Straßen, größeren Wohneinheiten und Krankenhäusern liegen. Um die Rolle als Akteur der internationalen Politik nach innen und außen zu unterstreichen, geht der Trend in den Golfstaaten dahin, Beiträge zur internationalen humanitären und politischen Krisenintervention in den Medien zu verwerten. Dies gilt auch für humanitäres Engagement in Afghanistan, so dass Pressemitteilungen eine geeignete Quelle für die Recherche aktueller arabischer Projekte in Afghanistan darstellen.
Keine Medienberichterstattung ist hingegen für Beiträge gewünscht, die über humanitäre Aspekte hinausgehen. Dass der Einsatz jordanischer Soldaten in Afghanistan über die medizinische Betreuung eines Feldkrankenhauses hinausgeht, war spätestens nach dem Selbstmordattentat eines Jordaniers Ende 2009 offensichtlich, der an der Seite der US-Streitkräfte geheimdienstlich in Afghanistan tätig war.
Ausblick
Insgesamt ähnelt die Dokumentation des arabischen Afghanistan-Engagements wie auch die Analyse der dahinterstehenden politischen Strategie für die Jahre nach 2001 einem Puzzlespiel - wie schon für die ersten beiden Phasen. Der kurze Überblick zeigt jedoch, dass das Urteil einer großen Zurückhaltung dieser Länder am Afghanistan-Einsatz in dieser Form nicht standhält. Die Aussicht, mit ihrem Engagement im heutigen Afghanistan weder bei einer innerarabischen noch bei einer westlichen politischen Öffentlichkeit Unterstützung zu erfahren, lässt sie hinsichtlich weiterer Verpflichtungen jedoch zögern. Trotz der Besorgnis um die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit von Investitionen in einem Konflikt, der auch am Golf zunehmend unlösbar scheint, muss jedoch zur Kenntnis genommen werden, dass der bisherige Mitteleinsatz sowie die politischen Initiativen am Golf darauf hinweisen, dass in den politischen Strukturen dieser Staaten ein größeres Interesses gegenüber dem Thema herrscht als weithin angenommen. So untermauert die Übernahme von Kosten in Höhe von 44 Millionen US-Dollar durch die VAE für Ausrüstung und Training des Personals für die Flughafensicherheit in Kabul und Kandahar nicht nur die bilaterale Bedeutung, die der Luftverkehr und der darüber abgewickelte Handel von Waren und Arbeitskräften zwischen Dubai und Afghanistan haben.