Einleitung
Rechnet sich der Strafvollzug? Eine einfache Antwort liefert die Gegenüberstellung der jährlichen Haftkosten eines Inhaftierten mit dem Schaden, den er in Freiheit anrichten könnte. Wie im Verlauf des Artikels im Detail ausgeführt wird, kommt man so bei der Betrachtung des Nutzens durch Inhaftierung eines durchschnittlichen Haftinsassen in Höhe von 59 000 Euro und dessen Haftkosten in Höhe von etwa 29 000 Euro zu einer Nutzen-Kosten-Differenz in Höhe von 30 000 Euro. Ebenso kommt der US-amerikanische Ökonom und Kriminologe Steven Levitt
So einleuchtend die Gegenüberstellung von Jahresbilanzen auch ist, so verstellt sie dennoch den Blick auf die gesamte Problematik der Evaluation des Strafvollzugs. Die Rechnung ist nur dann korrekt, wenn man von einem langfristigen Flussgleichgewicht der Kosten- und Nutzenströme ausgehen kann (Ökonomen würden von einem Steady State sprechen). Sie wäre aber irreführend, wenn beispielsweise kurzfristig sehr teure Aufwendungen zur Resozialisierung von Inhaftierten erst in zukünftigen Jahren die Kosten von Kriminalität senken würden. Umgekehrt gilt, dass eine Vernachlässigung von integrativen "Behandlungsmaßnahmen" (so der kriminologische Ausdruck für Anstrengungen zur Resozialisierung von Inhaftierten) kurzfristig mit geringen Haftkosten zu realisieren sind, langfristig aber zu einer verstärkten und kostenintensiven Kriminalisierung der Gefangenen führt.
Es ist zwar nicht von einer derzeitigen grundlegenden Veränderung der deutschen Strafvollzugspolitik auszugehen, so dass die auf Jahresbasis angestellte Kosten-Nutzen-Rechnung informativ und sinnvoll ist. Möchte man jedoch grundsätzlich über Reformen des Strafvollzugs und über eine "rationale" Kriminalpolitik nachdenken, so gilt es, die Kosten- und Nutzenkomponenten im Detail und unter langjährigen Investitions- und Nachhaltigkeitsaspekten zu betrachten. Das ist unumgänglich, da der Verzicht auf eine verantwortungsbewusste Kriminalpolitik eine Vergeudung knapper Ressourcen bedeutet, die unser Staat für andere Zukunftsaufgaben wie Bildung und ähnliches dringend benötigt.
Messung von Nutzen und Kosten im Strafvollzug - Allgemeine Prinzipien
Was ist das Ziel des Strafvollzugs? Es erscheint aus rechtlicher Sicht sinnvoll als Ziel den § 2 StVollzG (Strafvollzugsgesetz) heranzuziehen. Dementsprechend sind zwei Ziele des Strafvollzugs vordringlich: Zum einen soll die Resozialisierung eines Strafgefangenen erreicht werden, welche nach Haftentlassung in ein Leben mit sozialer Verantwortung ohne Straftaten münden soll. Zum anderen dient die Freiheitsstrafe dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten. Diese Schutzfunktion - die sich durch die Neutralisierung des Täters während der Haftzeit sowie durch Besserung nach der Haftzeit ergibt - muss sich nicht ausschließlich auf den Täter selbst beziehen, sondern kann auch einen Abschreckungseffekt ("negative Generalprävention") auf andere potenzielle Täter beinhalten.
Die Evaluation des Strafvollzugs sollte mit dem Ziel erfolgen, ein möglichst umfassendes und langfristig orientiertes Abbild der entstehenden Kosten- und Nutzenkomponenten zu gewinnen. Allgemein lassen sich drei wesentliche Bestandteile identifizieren, die sich a) aus der Haftzeit an sich, b) der Zeit nach Haftentlassung, und c) der Abschreckungswirkung des Strafvollzugs ergeben:
Haftzeit: Kosten entstehen durch die Sicherungsmaßnahmen und Aufwendungen zur Resozialisierung der Gefangenen, Nutzen ergibt sich durch die Neutralisierung potentieller Täter während der Inhaftierung. Ein Teil der laufendenden Ausgaben entfällt auf so genannte "Errichtungsausgaben" (im Wesentlichen bauliche Investitionen), der weitaus größte Anteil (etwa 70 Prozent) auf Löhne und Gehälter für Wachpersonal, Therapeuten, Sozialarbeiter usw.
Die Ausgaben der Resozialisierung können als Investitionsausgaben interpretiert werden, die erst nach Haftverbüßung Nutzen stiften. Zeit nach Haftentlassung: Hier entstehen einerseits durch Rückfälle soziale Kosten, sozialer Nutzen entsteht durch resozialisierte ehemalige Straftäter.
Externe Effekte durch Abschreckung: Durch Variation der gesetzlichen Grundlage oder der Haftbedingungen ist eine veränderte Abschreckungswirkung des Strafvollzugs nicht auszuschließen. Zum Beispiel würden externe Kosten verursacht, falls der Abschreckungseffekt durch unverhältnismäßige Milde des Strafvollzugs zu erodieren droht.
Die Erfassung und Quantifizierung der genannten Bestandteile ist schwierig und umfangreich. In dem Projekt "Kosten und Nutzen von Haft und Haftvermeidung" konnten erstmals detaillierte Erfahrungen bei der Erfassung der verschiedenen Kosten-Nutzen-Komponenten gesammelt werden.
Kosten der Haftzeit: Sicherung und Resozialisierung
Die Kosten der Sicherung und Resozialisierung bestehen hauptsächlich aus Lohnkosten sowie aus Investitionskosten für die Bereitstellung neuer Gefängniskapazitäten und für anstehende Modernisierungsmaßnahmen. Ein Blick auf die Variation der sich daraus ergebenden Ausgaben zeigt eine erstaunliche Breite, und zwar nicht nur auf Anstaltsebene, sondern auch im Vergleich der Bundesländer. In den erfassten 30 Justizvollzugsanstalten des erwähnten Forschungsprojekts schwankt der Personalaufwand für 100 Gefangene zwischen 29 und 79 Vollzeitkräften. Das Statistische Bundesamt berichtet in seiner Broschüre "Justiz auf einen Blick" über die laufenden Ausgaben je Gefangenen im Justizvollzug in den 16 Bundesländern.
Der Versuch, die Variation der Ausgaben nachzuvollziehen, offenbart eine große Bandbreite kostenwirksamer Resozialisierungs- und Behandlungsmaßnahmen in den Anstalten der Stichprobe. Da auch die zukünftigen Arbeitsmarktchancen eines Insassen die Rückfallwahrscheinlichkeit beeinflussen, sollte folgerichtig viel Wert auf die Ausbildung gelegt werden. Die angebotenen Programme bestehen beispielsweise in Alphabetisierungskursen und in der Möglichkeit, den Hauptschulabschluss zu erwerben. Die Erhebung ergab, dass nur wenige Anstalten weiterführende Ausbildungskurse anboten, wobei solche Offerten allerdings auch nur für Inhaftierte mit langen Haftstrafen sinnvoll erscheinen. Wie die Studie weiter zeigte, hatten Strafanstalten mit einer hohen Zahl von Alkohol- und Drogenabhängigen im Mittel auch höhere Abbrecherquoten bei den Hauptschulkursen zu verzeichnen. Auch eine neuere Untersuchung
Erfolgreiche Betreuung von Straftätern erfordert qualifiziertes Personal. Die Erhebung der Situation in den Bundesländern ergibt auch hier eine große Variation. So liegt die die Anzahl der Sozialarbeiter und Diplompädagogen je 100 Gefangenen zwischen 3,19 in Berlin und 2,64 in Niedersachsen auf der einen Seite und bei 1,09 in Bayern und 0,99 in Thüringen auf der anderen Seite der Skala, der Quotient schwankt also um mehr als den Faktor drei.
Betrachtung der Zeit nach Haftentlassung
Evaluation erfordert eine Messung des "Erfolgs" der im Strafvollzug durchgeführten Maßnahmen. Dieser besteht letztendlich in vermiedener Kriminalität, streng genommen ist auch ein Rückfall auf ein minderschweres Niveau ein Erfolg. Eine Analyse der Effizienz des Vollzugswesens setzt folglich eine Bewertung der (vermiedenen) Kriminalitätsschäden voraus. Dabei ist die Verwendung einer gemeinsamen Messlatte in Geldeinheiten unumgänglich, um
verschiedene Arten von Kriminalität miteinander vergleichbar zu machen (z.B. den Rückfall bei der Mehrheit von Dieben und Betrügern im Vergleich zu einem eher seltenen, aber verhängnisvollen Rückfall bei Mördern oder Vergewaltigern) und
den Nutzen alternativer Strafformen (wie offener Vollzug gegenüber geschlossenem Vollzug) den jeweiligen finanziellen Kosten gegenüberstellen zu können.
Diese Überlegung führt zu einem wesentlichen Baustein der ökonomischen Evaluation, nämlich der Ermittlung der Kosten je Straftat bzw. der Kosten der Kriminalität generell. Die Bestimmung der Kosten der Kriminalität ist ein komplexes Unterfangen. Gleichwohl ist die Abwesenheit jedweder Information über die Höhe eines Schadens, den es zu vermeiden und möglichst zu steuern gilt, das ungleich größere Problem.
Die besondere Herausforderung bei der Bestimmung der Kosten der Kriminalität liegt darin, die Opferkosten einzubeziehen. Voraussetzung dafür ist, die Anzahl der Opfer und die Höhe des persönlichen Schadens zu erfassen. Das ist hierzulande nicht möglich, da Deutschland an den auf internationaler Ebene regelmäßig durchgeführten Opferbefragungen nicht teilnimmt.
Externe Effekte des Strafvollzugs: Der Aspekt der Abschreckung
Jegliche Kosten-Nutzenbetrachtung gerät schnell in die Schieflage, wenn man anstatt einer gesamtgesellschaftlichen eine rein "betriebswirtschaftliche" Sichtweise walten lässt. Zu einer ganzheitlichen Vorgehensweise gehört die Untersuchung möglicher externer Effekte, also von unbeabsichtigten Nebenwirkungen, die bei Fokussierung auf rein betriebswirtschaftliche Effizienz entstehen könnten. Es ist zu berücksichtigen, dass eine signifikante Änderung der Vollzugspolitik auch eine Verhaltensänderung der Rechtsadressaten zur Folge hätte. So würde wohl beispielsweise eine hypothetische Kurzzeittherapie von Sexualstraftätern anstelle eines langjährigen Freiheitsentzugs das empfundene Vertrauen der Bürger gegenüber der Rechtsprechung nachteilig beeinflussen und vermutlich die eigene Rechtstreue infrage stellen. Die Folge davon wäre eine vom Gesetzgeber nicht intendierte allgemeine Steigerung abweichenden Verhaltens.
Die hier angesprochene Wirkung von "Abschreckung"
Hinweise auf perzipierte Abschreckung liefern auch die Ergebnissen des Projekts "Kosten und Nutzen von Haft und Haftvermeidung". Inhaftierte des Strafvollzugs wurden unter anderem nach ihrer Wahrnehmung bezüglich der eventuell vorherrschenden unterschiedlichen Strenge bei der Auslegung bestehender Gesetze in den deutschen Bundesländern gefragt, um so Antworten über die Existenz und das Ausmaß generalpräventiver Wirkungen zu bekommen.
Kosten und Nutzen des Strafvollzugs: Die kurzfristige Einjahresbilanz
Die in der Einleitung erwähnte Gegenüberstellung der jährlichen Kosten der Inhaftierung eines Insassen mit dem Nutzen, der sich durch die Neutralisierung und die so vermiedenen Straftaten ergibt, wird in den nachfolgenden Ausführungen konkretisiert.
Für die Bewertung des Nutzens sind zwei Angaben erforderlich:´
a) Wie viele Taten hätten Täter begangen, wenn sie nicht inhaftiert oder gesichert, sondern in ihrem bisherigen Umfeld belassen worden wären?
b) Mit welchem Eurobetrag ist jedes der Delikte, das Täter in Freiheit begangen hätten, zu gewichten?
Die Tabelle (vgl. Tabelle der PDF-Version) liefert die entsprechenden Angaben. Zunächst werden anhand der Statistik des Strafvollzugs des Statistischen Bundesamtes die 61 106 Insassen des Jahres 2008in wesentliche Straftatengruppen unterteilt. Die Kategorisierung erfolgt nach der Maßgabe, möglichst homogene Gefährdungspotenziale zusammenzufassen. Aus diesem Grund wurden unter "Tötungsdelikte" nicht nur "Straftaten gegen das Leben" (4546) erfasst, sondern weitere Täter anderer Kategorien umgruppiert, wenn deren Taten Todesfälle nach sich zogen (z.B. gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge, sexueller Missbrauch mit Todesfolge). So werden in Tabelle 1 insgesamt 5396 Personen unter "Tötungsdelikte" erfasst, das sind 8,9 Prozent aller Insassen. Die größte Gruppe stellt jedoch mit 20,9 Prozent die wegen klassischer Eigentumsdelikte einsitzenden Personen (Diebstahl, Unterschlagung, Einbruch) dar. Zahlenmäßig kleiner, aber mit überproportionaler Gefahr verbunden sind die Gruppen der Sexualdelikte (7,2 Prozent). und der Körperverletzung (11,8 Prozent). Die "Wirtschaftsstraftäter" der Gruppe "Betrug, Untreue" stellen weitere 10,9 Prozent der Gefängnisinsassen. Neben einer Vielzahl von kleineren Gruppierungen ("Sonstiges") und "Brandstiftung" stellen die auf Grund von Drogendelikten verurteilten Straftäter mit 15,6 Prozent eine relativ große Gruppe. Eigentlich ist die Zahl der Insassen mit Drogenhintergrund jedoch noch deutlich größer. Ein nicht unerheblicher Anteil der "Diebe" und "Einbrecher" sitzt wegen Beschaffungskriminalität.
Um die potenzielle Gefährdung durch die Gefängnispopulation zu bestimmen, werden Angaben zum Dunkelfeld benötigt. Hierzu werden die Daten der bundesweiten Insassenbefragung verwendet, in der die Inhaftierten auch zu (unentdeckten) Straftaten im Jahr vor deren Inhaftierung befragt wurden.Da das arithmetische Mittel des Dunkelfelds durch wenige extreme Werte (sehr wahrscheinlich verursacht durch wenige unseriöse Übertreibungen) nach allem Augenschein oft zu hoch, der Median aber gerade wegen der Existenz von Intensivtätern zu gering ausfallen dürfte, enthält die Tabelle als Häufigkeit pro Jahr (Spalte 3) das Minimum aus dem 75 Prozent-Quantil und dem Mittelwert der entsprechenden Tabelle in Entorf et al. Fehlende Werte wurden durch Schätzwerte ersetzt.
Die Schwere der Tat wird mit dem in Euro ausgedrückten Schaden gewichtet. Diese Bewertung ist notwendig, auch um der Tatsache gerecht zu werden, dass Schutz vor Gewalt wichtiger ist als Schutz beispielsweise vor einfachem Diebstahl; hierfür benötigt man eine aussagefähige Messlatte. Eine ökonomische Bewertung des Schadens ist der Ignoranz von Opferleid und anderer Folgeschäden vorzuziehen.
Das britische Home Office nimmt bei der Gewichtung der Straftaten in Europa eine Vorreiterrolle ein. Es hat unlängst ein Update seiner Berechnung der Kosten der Kriminalität vorgelegt.Diese berücksichtigt nicht nur den Wert verlorener Güter, sondern auch physische und emotionale Schäden der Opfer, vorsorgende Versicherungsleistungen (z.B. hinsichtlich PKW-Diebstahl, Wohnungseinbruch), verringerte Produktivität der Opfer, Kosten für das Justizsystem (nachgelagerte Prozesskosten, Haftaufenthalte) und anderes mehr. In dieser Studie soll daher - ohne Anspruch auf Vollständigkeit und ohne Berücksichtigung vieler Details, z.B. hinsichtlich einer bei sorgfältigerer Analyse sehr viel tiefer zu disaggregierenden Deliktgruppen - auf umgerechnete britischen Zahlen zurückgegriffen werden.
Der höchste angesetzte Betrag (Spalte 4) ist der für Mord und Totschlag, für den das Home Office 2,146 Mio. Euro ansetzt, was in etwa der von Spengler errechneten Untergrenze von 2,250 Mio. Euro entspricht. Sexual Offences werden in England und Wales mit 31 438 Pfund, etwa 46 000 Euro (es werden Wechselkurse des Jahres 2006 angesetzt), eingestuft, wobei "Sexual Offences" bei der Verwendung deutscher Statistiken am ehesten mit der Kategorie "Sonstige Sexualdelikte" übereinstimmen. Mangels einer besonderen Berücksichtigung der besonders schweren Sexualdelikte (Vergewaltigungen, sexueller Missbrauch von Kindern) werden hierfür die diesbezüglichen (inflationsangepassten) Berechnungen von Miller, Cohen und Wiersema verwendet (100 000 Euro pro Tat).Für Raub und räuberische Erpressung würde man bei Anwendung der in der Polizeilichen Kriminalstatistik des BKA nur einen Wert von etwa 1600 Euro pro Fall erhalten, der jedoch vernachlässigt, dass es sich um eine Gewalttat handelt, die auch physische und emotionale Schäden (allein hierfür setzt das Home Office 3048 Pfund an) und Kosten der Justiz mit sich bringt (Ansatz von 2601 Pfund). Insgesamt ergibt sich so ein Betrag von 10 700 Euro pro Fall. Ähnlich sind die Fälle von leichter und gefährlicher Körperverletzung gelagert. Für Serious Wounding setzt das Home Office 21 422 Pfund an, für Other Wounding einen Betrag von 8056 Pfund. Die hohen Beträge kommen nur zum Teil durch die physischen und psychischen Schäden bei den Opfern zustande (4554 Pfund), sondern vor allem durch die Kumulierung der Posten Lost Output, Health Services und Criminal Justice System. Diebstahl ist vom Home Office in eine Vielzahl von Teilkategorien unterteilt worden, für die Oberkategorie Theft ergibt sich ein durchschnittlicher Betrag von 844 Pfund (1241 Euro), auf den auch in der vorliegenden Studie zurückgegriffen wird. Die Schäden durch Betrug und Untreue wurden mangels einer Entsprechung beim Home Office durch die Zahlen des BKA (3700 Euro je Tat bzw. 37 000 Euro pro Täterjahr) abgedeckt. Sehr schwierig ist die Situation bei Drogendelikten. Der Schaden besteht, soweit er nicht als Eigentums- oder Gewaltdelikt anderswo verortet ist, hauptsächlich in der fortwährenden Selbstzerstörung, die jedoch für die Gesellschaft enorme Folgekosten für medizinische und soziale Betreuung mit sich bringt.
Wie zu erwarten ist, drohen durch lebensbedrohende Gefahren die größten Schäden. Wären die wegen Tötungsdelikten einsitzenden Straftäter in Freiheit und würden sie sich so verhalten wie kurz vor ihrer Inhaftierung, so hätte die Gesellschaft einen in Geldeinheiten bewerteten Verlust in Höhe von 1,157 Mrd. Euro zu erwarten (Spalte 5; sie ergibt sich aus der Multiplikation der Größen in den Spalten 2 bis 4). Das sind 31,9 Prozent aller vermiedenen Schäden, die sich insgesamt auf 3,625 Mrd. Euro belaufen. Die prozentuale Verteilung zeigt vor allem eines, nämlich dass Gewaltstraftaten deutlicher in den Vordergrund rücken, als es die rein zahlenmäßige Auflistung der Gefängnispopulation vermuten lässt. Nimmt man alle Gewaltstraftaten zusammen (Tötungs- und Sexualdelikte, Körperverletzung, Raub), so ergibt sich daraus ein Anteil von 70,6 Prozent der zu befürchtenden Gesamtschäden, die sich auf lediglich 40,3 Prozent der Insassen verteilt.
Komprimiert man die heterogene Zusammensetzung deutscher Justizvollzugsanstalten auf einen Durchschnittsinsassen, so ist zu erwarten, dass durch diesen potentiellen Straftäter pro Jahr rund 59 000 Euro Schaden (Division des Gesamtschadens durch die Anzahl der Haftinsassen, siehe die Tabelle) entstehen würden. Der Nutzen seiner Sicherung übersteigt also deutlich die Kosten von 29 000 Euro,die sein Haftplatz die Gesellschaft kostet. Schaut man genauer hin, so geht die Rechnung nicht für jede einzelne Kategorie auf. Bei Diebstahls- und Drogendelikten scheint - zumindest unter den getroffenen Annahmen - die durchschnittlich teure Unterbringung von etwa 29 000 Euro den Nutzen (24 000 bzw. 12 500 Euro) zu überwiegen. Diese Diskrepanz gibt Anlass, für Teilgruppen der Verurteilten über Haftalternativen (beispielsweise elektronische Fußfessel, Fahrverbote) nachzudenken. Fazit
Der vorliegende Artikel veranschaulicht, wie Kosten und Nutzen des Strafvollzugs bewertet können, und es zeigt sich, dass sich Strafvollzug "im Durchschnitt" lohnt. Die Ausführungen offenbaren aber auch, dass für eine detaillierte und auf langfristige Betrachtung angelegte Kosten-Nutzen-Analyse in Deutschland viele Angaben fehlen. So sind keine verlässlichen Langfrist-Daten zur Wirkung der individuellen Resozialisierungsmaßnahmen vorhanden; es gibt nicht einmal bundeslandspezifische Rückfallquoten, aus denen man ablesen könnte, ob bestimmte Strategien der Kriminalitätsbekämpfung erfolgreicher sind als andere. Auch umfangreiche Opferstudien nach internationalem Vorbild fehlen.
Unabhängig von der derzeit noch unbefriedigenden Datenlage sollte es aber vor allem darum gehen, dass tatsächlich ein im gesellschaftlichen Sinne rationales Handeln zur Maxime der Kriminalpolitik avanciert, auch und gerade durch eine optimierte Gestaltung des Strafvollzugs. Diese verlangt eine Abwägung des Nutzens in Form von verhinderter Kriminalität und der Kosten für Sicherung und Resozialisierung. Dieser Artikel zeigt, dass eine ökonomisch orientierte Sichtweise dabei hilft, die dafür notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Opferleid, insbesondere durch Gewaltstraftaten, erfährt auf diese Weise eine stärkere Beachtung, als dies bei konventioneller Betrachtung der Kriminalität der Fall ist.