Einleitung
Die Rede von der Krise der Parteiendemokratie ist gängige Münze. Sie stellt vor allem eine Krise der großen Volksparteien dar, welche die Stabilität der Nachkriegsdemokratie in Deutschland entscheidend geprägt haben. Hauptindikator der Krise ist die nachlassende repräsentative Qualität der Parteien, die einerseits an rückläufigen Wahlbeteiligungen, Stimmenanteilen und Mitgliederzahlen abgelesen werden kann (bei gleichzeitiger Zunahme des "abweichenden" Stimmverhaltens und anderer Formen des politischen Engagements und Protests). Zum anderen - und noch wichtiger - spiegelt sie sich innerhalb der Wählerschaft der zu "Mittelparteien"
Um die Ursachen der Repräsentationskrise zu verstehen, ist ein Rückblick auf den Gestaltwandel des Parteienwettbewerbs notwendig, der sich im Übergang der Ende des 19. Jahrhunderts entstandenen Massenintegrationsparteien zu den Volksparteien der 1950er bis 1980er Jahre und deren heutigen Überresten
In der Ära der Massenintegrationsparteien gab es einen Gleichklang von starker gesellschaftlicher Verwurzelung und ideologischer Polarisierung. Die Parteien, die sich parallel zur Demokratisierung des Wahlrechts herausgebildet hatten, waren repräsentativ, indem sie für die Interessen und Wertvorstellungen ganz bestimmter Bevölkerungsgruppen standen. Pflegten sie diese Bindungen, konnten sie sich auf die Unterstützung ihrer natürlichen Anhängerschaft relativ sicher verlassen. Das Verhältnis der Parteien zueinander war insofern zwar konfrontativ; der Wettbewerb zwischen ihnen blieb aber begrenzt, da man ja nicht um dieselben Wählergruppen konkurrierte. Die scharfe ideologische Abgrenzung richtete sich primär nach innen und diente der Mobilisierung des eigenen Lagers.
Mit dem Aufkommen der Volksparteien änderte sich das. Der Staats- und Verfassungsrechtler Otto Kirchheimer betrachtete als Kern des neuen Modells das "radikale Beiseiteschieben der ideologischen Komponenten", die nur noch ein Element der Wähleransprache unter vielen seien.
Wie ist die These der Entideologisierung aus heutiger Sicht zu bewerten? In den 1980er Jahren wurde Kirchheimer dafür kritisiert, dass er die bleibenden ideologisch-programmatischen Unterschiede zwischen den großen christlich-konservativen und sozialdemokratischen Parteienfamilien unterschätzt hatte.
Auch mit Blick auf den Ost-West-Konflikt, der ja nicht nur ein Macht-, sondern zugleich ein ideologischer Systemkonflikt war, mutet Kirchheimers These in der Rückschau befremdlich an. Dessen Virulenz zeigte sich etwa in der Präsenz starker kommunistischer Parteien (vor allem in Italien und Frankreich), während auf der anderen Seite - im Mitte-Rechts-Lager - eine dezidiert antikommunistische Ausrichtung der christdemokratischen und konservativen Parteien deren Anhängerschaft in hohem Maße integrierte. Dies galt auch für Länder wie die Bundesrepublik, wo es gar keine relevanten kommunistischen Vertreter gab. Hier richtete sich der ideologische Antikommunismus stattdessen gegen die Sozialdemokratie, was in den 1970er Jahren unter anderem zu einer starken Polarisierung in Fragen der Außen- und Deutschlandpolitik führte. Exemplarisch dafür stand die von der CDU und CSU im Bundestagswahlkampf 1976 verwendete Parole "Freiheit statt Sozialismus".
Von einer richtiggehenden Entideologisierung kann also - wenn überhaupt - erst für die Zeit nach dem Zusammenbruch des Kommunismus gesprochen werden, als die Volksparteien - gemessen am Wählererfolg - ihren Zenit bereits überschritten hatten. Der Untergang der Sowjetunion stellte in der Entwicklung der westeuropäischen Parteiensysteme eine gewaltige Zäsur dar. Die Rechten beraubte er ihrer antikommunistischen Klammer, während er auf der Linken die Blütenträume eines sozialistischen oder anders gearteten "dritten" Weges jenseits des Kapitalismus endgültig verfliegen ließ. Gleichzeitig führte der beschleunigte Globalisierungsprozess dazu, dass die demokratisch verfassten Nationalstaaten ihre Fähigkeit, die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung autonom zu gestalten, seit den 1990er Jahren immer mehr einbüßten - was Kirchheimer zu seiner Zeit selbstverständlich nicht vorausahnen konnte. Das daraus entstehende Dilemma für die Parteien hat er freilich hellsichtig beschrieben: Diese gleichen sich einerseits in ihrer Programmatik und im tatsächlichen Regierungshandeln an. Andererseits müssen sie den Glauben in der Wählerschaft aufrechterhalten, wonach es einen Unterschied macht, wer regiert.
In einem anderen Teil seiner Analyse hat sich Kirchheimer allerdings fundamental geirrt: Die von ihm angenommene Entideologisierung ging zwar mit einer abnehmenden gesellschaftlichen Verwurzelung der Parteien einher; sie führte aber nicht zu einem Rückgang der sozialen und politischen Konflikte. In der Goldenen Ära des Keynesianismus war es den Volksparteien noch leicht gefallen, ihre jeweiligen Klientelen bei der Stange zu halten. Hohe Wachstumsraten hielten die Arbeitslosigkeit gering und sorgten für einen kontinuierlichen Ausbau des Wohlfahrtsstaates, in dem es für alle Gruppen genügend zu verteilen gab. Die ideologische Konfrontation bestand zwar nach außen hin fort. Hinter der rhetorischen Abgrenzung vollzog sich die Gestaltung der Wirtschafts- und Sozialpolitik jedoch in grundsätzlichem Einvernehmen.
In den 1970er Jahren begann dieser Konsens allmählich zu bröckeln. Wachstumseinbrüche und die zunehmende finanzielle Überbeanspruchung des Staates machten es fortan schwieriger, die Interessenunterschiede innerhalb der Gesellschaft ökonomisch zu überbrücken. Hinzu kam, dass Teile der Gesellschaft - unter dem Einfluss des "postmaterialistischen" Wertewandels - jetzt auch grundsätzliche Zweifel am Wachstumsparadigma hegten. Die Volksparteien sahen sich durch diese Entwicklung zusehends überfordert, die ihnen programmatisch einen immer breiteren Spagat abverlangte. Die Logik der Stimmenmaximierung führte dazu, dass sie die wachsenden Ausgaben mit der Notenpresse oder mit Schulden finanzierten, statt den Wählern die gebotenen Kürzungen zuzumuten. Andererseits wollten sie die Negativfolgen des wirtschaftlichen Wachstums bekämpfen, ohne die Grundlagen des Wachstums selbst zu gefährden. Die Probleme wurden durch ihre Politik folglich nur verschoben, sodass sie sich in den 1990er Jahren umso geballter entluden. Nachdem die Globalisierung der Finanzmärkte die Möglichkeiten einer nachfrageorientierten Vollbeschäftigungspolitik drastisch eingeschränkt hatte, musste der Sozialstaat nun mit harten Einschnitten auf der Angebotsseite saniert werden, die in vorhandene Besitzstände eingriffen.
Parallel zur neuen Brisanz der Verteilungskonflikte beziehungsweise diesen vorausgehend kam es auch in kultureller Hinsicht zu einer verstärkten Polarisierung.
Vom Außenseiter- zum Mainstream-Populismus
Die Auflösung der Milieus, das Schwinden der einstmals identitätsstiftenden weltanschaulichen Gegensätze und die wachsenden Anforderungen an das Regieren haben die Bedingungen des Parteienwettbewerbs nachhaltig verändert. Die Parteien müssen heute um eine zunehmend wechselbereiter werdende Wählerschaft buhlen, die sich bei der Stimmabgabe nicht mehr an ideologische oder soziologische Gewissheiten gebunden fühlt. Aus der Sicht der "Nachfrager" mag diese Entwicklung zu begrüßen sein, bedeutet sie doch, dass die Wähler tatsächlich "wählen".
Zu einer solchen Wahl sind sie aber erst in der Lage, wenn die politischen Anbieter klare Alternativen bereithalten: "Eine gut funktionierende Demokratie braucht den Zusammenstoß legitimer demokratischer Positionen - genau darum muss es bei der Konfrontation zwischen rechts und links gehen. Diese sollte kollektive Formen der Identifikation ermöglichen, die stark genug sind, politische Leidenschaften zu mobilisieren. Wenn die Konfiguration der Gegnerschaft fehlt, haben die Leidenschaften kein demokratisches Ventil, und die agonistische Dynamik des Pluralismus wird behindert. Die demokratische Konfrontation droht ersetzt zu werden: Zur Konfrontation kommt es dann entweder zwischen essentialistischen Formen von Identifikation oder zwischen nicht verhandelbaren moralischen Werten. Wenn die politischen Grenzen verwischt werden, entsteht Unzufriedenheit mit den politischen Parteien, und es erstarken andere Formen kollektiver Identitäten - etwa im Bereich nationalistischer, religiöser oder ethnischer Identifikationsformen. Antagonismen äußern sich auf verschiedenste Weise, und es ist illusorisch zu glauben, sie könnten je aus der Welt geschafft werden. Daher muss ihnen in Gestalt des pluralistischen demokratischen Systems unbedingt eine agonistische Ausdrucksform gegeben werden."
Die Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe führt die Krise des Parteienwettbewerbs auf die Hegemonie des Neoliberalismus zurück, die nach dem Zusammenbruch des Sowjetkommunismus auch die Linke erfasst habe. Die These, wonach der soziale Konsens in der "Post-Volksparteien-Ära" zerbrochen sei, steht dazu nicht in Widerspruch. Sie wird gerade dadurch belegt, dass wachsende Teile der Gesellschaft aus dem Modernisierungskonsens herausfallen, den der politische Mainstream angeblich vertritt. Über die Bewertung ist man sich dabei uneins: Die einen weisen darauf hin, dass die reduzierten Handlungsspielräume der nationalen Politik die Parteien heute nötigten, mehr oder weniger dieselben Ziele zu verfolgen und Lösungen anzubieten, wenn sie gegenüber der Konkurrenz bestehen wollten; andere (wie Mouffe) halten dagegen, dass eine Alternative zur neoliberalen Ordnung des gegenwärtigen Kapitalismus sehr wohl möglich sei.
Beide Behauptungen sind in dieser Zuspitzung verfehlt. So wenig die Politik den Handlungszwängen entfliehen kann, die von der globalisierten Wirtschaft ausgehen, so viele Handlungsalternativen verbleiben ihr bei der Gestaltung einer wohlstandssichernden, sozial gerechten und ökologisch zukunftsfähigen Gesellschaft. Es herrscht also kein Mangel an potenziellen Streitthemen. Nur lassen sich diese im Rahmen des Parteienwettbewerbs offenbar immer schwerer abbilden.
Erstens bestehen die Unterschiede zwischen den Parteien weniger in den grundsätzlichen Konzepten (siehe etwa die programmatischen Annäherungen von CDU und SPD in der Familien- und in der Energiepolitik) als in den Techniken der Problemlösung. Deren Details sind aber in der Regel so kompliziert, dass ihre Darstellung das Wählerpublikum im Zweifel überfordern - oder langweilen - würde. Zweitens finden die Konflikte vermehrt in den Parteien selbst statt, wo sich beharrende und veränderungswillige Kräfte gegenüberstehen. Nach Ansicht des Berliner Politikberaters Tobias Dürr hat die Trennlinie zwischen "Traditionalisten" und "Modernisierern" die klassischen Gegensätze von "Markt" versus "Staat" oder libertäre versus autoritäre Werthaltungen im deutschen Parteiensystem längst überlagert. Dies gelte sogar für "den Anhang der in vieler Hinsicht völlig zu Unrecht als besonders bewegungsfreudig geltenden FDP. Einzig die um dieselben sozial marginalisierten Wählergruppen konkurrierenden Parteien NPD, DVU und 'Linkspartei' lassen sich - unbeschadet unterschiedlicher ideologischer Wurzeln - eindeutig als reine 'Parteien der Beharrung' charakterisieren: In ihrem gemeinsamen Populismus und Protektionismus eint sie de facto weitaus mehr, als sie voneinander trennt."
Die Antwort der Parteien auf beide Probleme besteht darin, in der Wähleransprache auf Personalisierung und Inszenierung auszuweichen. Der Wettbewerb wird "entpolitisiert"; anstelle der komplexen Sachinhalte treten Image-Politiken, symbolische Handlungen und eine Rhetorik, die sich der Parteilichkeit bewusst entkleidet, indem sie das Volk zum zentralen Bezugspunkt macht.
Der Gestaltwandel des Parteienwettbewerbs hat zur Folge, dass sich die öffentliche Darstellung der Entscheidungen von deren tatsächlichem Inhalt und Zustandekommen ablöst. Die Politikwissenschaftlerin Margaret Canovan bezeichnete dies als "demokratisches Paradoxon" der heutigen Politik.
Maßgeblich vorangetrieben wird der Wandel von den Medien, die eine natürliche Affinität zur populistischen "Darstellungspolitik" entwickeln. Symptomatisch dafür steht die Verlagerung der öffentlichen Debatten aus den politischen Institutionen in eigene Medienformate: Parlamente und Parteitage werden durch Talkshows ersetzt, welche die politischen Kontroversen publikumswirksam inszenieren und zugleich eine wichtige Rolle beim agenda setting einnehmen. Ob bereits von einer "Kolonialisierung der Politik durch das Mediensystem"
Dass die Medien in dieser Symbiose häufig am längeren Hebel sitzen, liegt an ihrer grundsätzlich gegnerschaftlichen Haltung gegenüber der politischen Klasse. Die Journalisten betreiben insofern ein doppeltes, fast zynisches Spiel: Durch ihre Neigung zur Personalisierung und Dramatisierung drehen sie kräftig mit an der Spirale der Erwartungen und bestärken den Allmachtsmythos der Politik, den diese selbst glaubt vor der Wählerschaft erzeugen zu müssen; gleichzeitig stellen sie Politiker und Parteien an den Pranger, wenn die Erwartungen nicht in Erfüllung gehen oder sich als unhaltbar erweisen.
Der Gestaltwandel der Parteiendemokratie führt auch in anderer Hinsicht zu populistischen Konsequenzen. Die Parteien haben ihrem gesellschaftlichen Einflussverlust ja nicht tatenlos zugesehen, sondern ihn durch einen Ausbau ihrer Positionen im Staat auszugleichen versucht. Legitimatorisch birgt das ein schwieriges Dilemma, da die Akzeptanz der Parteiendemokratie damit ausschließlich an den von der Politik erbrachten Leistungen hängt. Bleiben diese hinter den Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger zurück, dürfte auch deren Bereitschaft sinken, die Machtprivilegien der Parteien als notwendiges Übel hinzunehmen.
Revitalisierung der Parteiendemokratie
Das Aufkommen der neuen populistischen Parteien und der eingebaute Populismus der Parteiensysteme bilden zwei Seiten derselben Medaille: So wie die Herausforderer auf die Repräsentationsschwächen der etablierten Kräfte reagieren, so stellt der Mainstream-Populismus eine Begleiterscheinung des heutigen Parteienwettbewerbs dar, der das gesamte politische Spektrum umgreift. Die Gründe, die zu dieser Entwicklung geführt haben, lassen sich nicht einfach zurückdrehen. Ratschläge wie der des Politikwissenschaftlers Herfried Münkler, die Parteien sollten sich wieder auf die großen Erzählungen besinnen, in denen man Ziele beschreibt "und von den Wegen dorthin berichtet",
Eine realistische Reformdebatte der Parteiendemokratie muss von der Erkenntnis ausgehen, dass sich die demokratische Substanz der politischen Systeme heute immer weniger in den allgemeinen Wahlen erschöpft. Laut dem Historiker Pierre Rosanvallon "stehen diese nur noch für eine bestimmte Form, die Regierenden zu berufen, und legitimieren nicht mehr a priori die später betriebene Politik".
Ob die Parteien an beiden Fronten Terrain zurückgewinnen können, hängt maßgeblich von ihrer eigenen Reformfähigkeit ab. Passen sie sich als Organisation den neuen Gegebenheiten an und klammern sie sich nicht krampfhaft an überkommene Privilegien, haben sie Chancen, ihre Funktionen in Gesellschaft und Staat neu zu beleben. Drei Anknüpfungspunkte einer Reformstrategie lassen sich benennen:
1. Um die Beteiligungspotenziale der politisch interessierten Bürgerinnen und Bürger zu heben, bedarf es einer Flexibilisierung der parteiinternen Strukturen. Notwendig sind Partizipationsangebote von unterschiedlicher Intensität und Dauer jenseits der formalen Mitgliedschaft, welche die Schwelle für eine Mitarbeit herabsetzen. Dies müsste mit einer Stärkung der lokalen Gliederungen einhergehen, die der wichtigste Adressat für mehr Bürgernähe bleiben. Die Öffnung der Organisation trüge der verbreiteten Neigung zum projektbezogenen Engagement Rechnung, das gerade viele junge Menschen vom Parteieintritt abhält. Indem sie Wissens- und Erfahrungsressourcen über den Kreis der Mitglieder und Funktionsträger erweitern, würde eine solche Öffnung für eine breitere gesellschaftliche Verankerung der Partei sorgen. Erleichtert wird die Vernetzung durch das Internet, das eine schnelle und umfassende interaktive Kommunikation ermöglicht. Nach Zusammensetzung und inhaltlicher Stoßrichtung lassen sich Kompetenz-, Konsens-, Diskurs-, Generationen- und Multiplikatorennetzwerke unterscheiden.
2. Vorbehalten der Mitglieder gegen eine solche Öffnung könnte man begegnen, indem man auch deren Beteiligungsrechte ausweitet. Das heißt: Urwahlen und Mitgliederentscheide sollten nicht mehr nur sporadisch und nach Gutdünken der Parteiführungen eingesetzt werden, sondern feste Regel sein. Dabei könnte man innerhalb der Organisation Abstufungen vornehmen: Bestimmte Entscheidungen wären ausschließlich den Mitgliedern vorbehalten, während andere - nach dem Vorbild der US-amerikanischen Vorwahlen - auch Nichtmitgliedern oder Unterstützern offen stünden. Erweiterte Beteiligungsrechte setzen auf eine Aktivierung der Mitgliederorganisation. Wenn die Mitglieder Führung und Spitzenkandidaten selbst wählen und auch über die inhaltliche Richtung und Strategie der Partei mitentscheiden dürfen, müsste die Parteispitze sie auf ähnliche Weise ansprechen und zu überzeugen versuchen wie die Wählerinnen und Wähler. Dies würde nicht nur die Rolle der Mitglieder aufwerten, sondern wäre auch unter Wettbewerbsgesichtspunkten von Vorteil, weil die Parteien durch die plebiszitären Kampagnen mehr öffentliche Aufmerksamkeit erlangen.
3. Eine weitere Möglichkeit, mit den plebiszitären Tendenzen umzugehen, bestünde darin, sie innerhalb der staatlichen Sphäre von der elektoralen in eine andere Wettbewerbsarena zu verschieben. Wenn die Wahlen in den parlamentarischen Parteiendemokratien an legitimierender Kraft einbüßen, dann erscheint die Einführung von zusätzlichen Formen der Abstimmungsdemokratie folgerichtig. Die Bürgerinnen und Bürger hätten dann die Chance, über bestimmte Sachfragen außerhalb der Wahlauseinandersetzung direkt zu entscheiden. Die Vorstellung, den Populismus ausgerechnet durch plebiszitäre Verfahren kanalisieren zu wollen, mutet zunächst merkwürdig an. Nicht nur, dass die Forderung nach mehr direkter Demokratie zum Standardrepertoire der populistischen Systemkritik gehört: